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ОглавлениеKapitel 2: 1990
Mittlerweile lebte das junge Ehepaar zehn Jahre in Deutschland. Die Tochter kam auch nach Deutschland und auch Barbaras Eltern. Peters Eltern haben das Spiel gegen die Zeit verloren. Sie starben in Oberschlesien. Peter konnte noch nicht mal zur Beerdigung fahren. Es war zu gefährlich, denn Peter würde in Polen nun als Flüchtling gelten. Er könnte dort verhaftet werden und er müsste für viele Jahre ins Gefängnis gehen.
Doch nun schrieben wir das Jahr 1990. Der eiserne Vorhang war weg und man hatte keinen Grund mehr Angst zu haben. Also fuhren Barbara und Peter nach zehn Jahren endlich mit dem Auto in ihre Heimat.
„Peter, ich freue mich so sehr, dass wir endlich mal nach Kattowitz fahren. Ich vermisse unsere Heimat so sehr.“
„Ja, ich freue mich auch sehr.“, sagte Peter und gab etwas Gas, da die Autobahn relativ leer war.
„So, hier sind wir fast in Eisenach. Komm wir machen hier mal eben eine kurze Verschnaufpause. Ist dir das Recht?“, fragte Peter.
„Ja, das ist ok!“, erwiderte Barbara.
Also fuhr Peter die Ausfahrt ab auf den belebten Rasthof. Viele Leute legten dort gerade eine Pause ein. Dennoch fand er einen Parkplatz, parkte dort und stellte denn Motor aus.
„Pack doch bitte schon mal die Brote und den Kaffee aus. Ich muss mal dringend pinkeln.“, sagte Peter sehr nervös und rannte bereits in Richtung Toilette.
„Ja mach geh du nur!“, rief sie ihm nach.
Barbara öffnete den Kofferraum und packte die Brote und den Kaffee aus. Sie biss in eine Krakauer und in ihr Brötchen. Da kam auch Peter schon wieder zurück. Er setzte sich zu Barbara und sie aßen beide ein wenig.
Plötzlich kamen zwei junge Burschen zu Peter und Barbara.
„Fahrt ihr Polska?“, fragte einer von ihnen mit deutlichem Akzent.
„Warum?“, gab es als Gegenantwort von Peter der nun aufstand.
„Mein Freund und ich… wir wollen Danzig fahren!“
„Nein. Wir fahren nach Kattowitz.“, sagte Peter.
„Hast du Geld?“, fragte der andere Bursche
„Nein, kein Danzig und kein Geld. Es ist besser wenn ihr jetzt schnell verschwindet. Es soll doch hier kein Unglück passieren.“, drohte Peter sachte an.
„Wir nichts Probleme! Wir weg.“
Plötzlich waren die beiden wieder genauso schnell weg wie sie auch gekommen waren.
„Geht es dir gut?“, fragte Peter Barbara besorgt.
„Ja, alles gut hier. Wollen wir weiterfahren?“
„Ja komm, wir fahren.“
Peter nahm sein letztes Stück Krakauer und sein letztes Stück Brot und den Mund, spülte mit ein wenig Kaffee nach und die Fahrt ging weiter.
Barbara schlief ein wenig auf dem Beifahrersitz
Peter schaute sich auf der Autobahn um. Es fuhren nur ganz wenig Autos in Richtung Polen, dafür fuhren aber umso mehr Autos in der Gegenrichtung. Die Autobahnen der ehemaligen DDR waren in einem katastrophalen Zustand. Schlaglöcher waren überall, sodass Peter nicht schneller als neunzig Kilometer in der Stunde fuhr. Teilweise wurde die Geschwindigkeit sogar auf zwanzig Kilometer in der Stunde reduziert.
„Schatz, wach auf. Wir sind an der Grenze.“, verkündete Peter.
„Gut ich ziehe eben unsere Reisepässe aus dem Handschuhfach“ antwortete Barbara halb gähnend und mit der Hand durch die Augen reibend.
„Guck dir mal an wie viele Autos hier an der Grenze sind. Wo kommen die denn plötzlich alle her?“, wunderte sich Peter.
„Na toll! Das wird wohl eine lange Wartezeit. Fast wie damals im Zug. Erinnerst du dich noch, Peterlein?“
Peter nickte und grinste. Barbara mochte es wenn Peter so grinste. Das fand sie einfach süß.
„Ich stelle eben den Motor aus. Das wird wirklich länger dauern.“
Beide steckten sich eine Zigarette an und schauten auf die Autos.
Nach einer Wartezeit von einer Stunde kam Peters Auto unter die Lupe.
„Die Reisepässe!“, schrie der deutsche Grenzposten.
Er glich die Fotos in den Reisepässen an und schaute fast zeitgleich auf Barbara und Peter.
„Alles klar! Fahren sie weiter.“, schrie er schon wieder.
Peter gab ein klein wenig Gas, musste aber wieder abbremsen da nun die polnische Grenzposten kontrollierten
„Guten Tag. Darf ich bitte ihren Reisepass sehen?“, fragte der Grenzer höflich.
Peter reichte ihm beide Pässe durch das offene Autofenster.
„Wie lange bleiben sie in der Republik Polen?“, fragte er. Er war ganz jung und wahrscheinlich aufgeregter als Peter und Barbara.
„Zehn Tage!“, antwortete Peter.
Der junge Grenzpolizist drehte eine Runde ums Auto und schaute ob alles in Ordnung war. Er schaute auch unter das Auto. Er hatte aber nichts Bedeutungsvolles entdecken können.
„Alles klar. Einen schönen Aufenthalt in Polen und gute Fahrt.“, wünschte der Grenzer den beiden und übergab die Reisepässe an Peter.
Peter nahm die Reisepässe an sich und nickte. Er gab etwas Gas und nun waren sie Polen.
„Wir haben es geschafft, Peter. Zehn Jahre waren wir nicht mehr hier gewesen.“, freute sich Barbara.
„Ja, wir haben es geschafft. Ich bin gespannt wie es hier sein wird.“, antwortete Peter.
Die Fahrt ging nun auf einigen Schnellstraßen weiter bis Barbara und Peter in Kattowitz ankamen.
„Die nächste musst du nach rechts abbiegen.“, erinnerte Barbara.
„Ja tatsächlich. Das ist ja schon hier. Das ging jetzt aber schnell.“
„Genau und jetzt musst du weiter geradeaus und nach ungefähr zwei Kilometern musst du nochmal nach rechts abbiegen.“, erklärte Barbara.
„Ja ist gut, jetzt kenne ich den Weg schon.“, antwortete Peter.
Nun waren die beiden bei der Pension angekommen. Es war kein nobles Hotel aber auch keine Bruchbude. Zum Übernachten reichte es völlig aus.
„Komm, wir gehen rein.“, sagte Peter.
Langsam und erschöpft gingen die beide in die Pension.
„Guten Tag, wir haben angerufen. Wir haben ein Zimmer reserviert. Können wir es schon beziehen?“, fragte Peter.
„Sie müssen doch bestimmt das Ehepaar aus Deutschland sein. Zimmer drei ist für sie reserviert worden. Einfach die Treppe hoch und dann nach links.“, erläuterte der Herr an der Rezeption.
„Dankeschön.“, bedankte sich Peter und beide gingen hoch ins reservierte Zimmer.
„Guck mal, ist das nicht ein schönes Zimmer?“, fragte Peter.
„Ja das ist wunderbar. Und einen Balkon und ein eigenes Bad haben wir auch noch. Es ist wirklich toll.“, antwortete Barbara erstaunt und glücklich.
„Es ist schon spät. Lass uns schlafen gehen.“, sagte Peter.
Beide gingen zu Bett denn sie waren kaputt von der langen Autofahrt.
Der nächste morgen brach an. Und Peter wachte zuerst auf. Er machte sich im Bad frisch und nutzte die Gelegenheit um einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Er ging durch die Straßen und schwelgte in Kindheitserinnerungen. Er ging an einem Straßenkiosk vorbei und kaufte sich die Tageszeitung die er damals schon gelesen hatte. Er schlenderte noch ein wenig umher und machte sich auf den Weg zurück ins Hotel.
„Guten Morgen!“, rief er als er zur Tür hereinkam.
„Guten Morgen. Du warst aber früh wach.“, rief Barbara aus dem Badezimmer.
„Ja, ich war eben am Kiosk und habe uns die Tageszeitung gekauft.“
„Oh, das ist aber schön. Na dann viel Spaß beim Lesen.“
Barbara kam aus dem Bad heraus und sie küssten sich innig und voller Liebe.
„Wow, wie damals am Schulhof. Das küssen verlernst du nicht.“, erinnerte Peter.
Barbara grinste nur und küsste wieder.
„Warte ich zieh mich eben an und wir können los.“, sagte Barbara
Peter setzte sich aufs Bett und wartete. Als Barbara fertig war machten sie sich auf den Weg zum Friedhof, wo Peters Eltern begraben worden waren.
Peter parkte seinen Wagen an der Straße vor dem Friedhofstor. Sie stiegen aus und begaben sich zu den Verkaufsbuden vor dem Tor. Dort kauften sie Kerzen und einige Blumen für die Gräber. Da sie nicht bei der Beerdigung dabei gewesen waren wussten sie nicht wo sich die Gräber genau befanden. Also suchten sie nun die Gräber und irrten am Friedhof umher.
„Komm, wir setzen und auf diese Bank und machen eine kurze Pause.“, schlug Peter vor.
Sie nahmen Platz und zündeten sich eine Zigarette an. Peter schaute auf die Gräber und ihm fiel plötzlich etwas auf. Er stand auf und ging los.
„Wo willst du hin?“, fragte Barbara.
„Warte kurz. Ich glaube ich habe etwas entdeckt.“, antwortete Peter.
Wie von einer Biene gestochen begab er sich an ein Grab. Als ob es eine helle Erleuchtung war. Er stand nun vor dem Grab und begann die Inschrift zu lesen. Als er fast zu Ende gelesen hatte begann er zu grinsen.
„Barbara, Barbara. Komm hier hin. Ich habe das Grab gefunden!“, rief Peter.
Barbara kam dazu. Es waren keine einzelnen Gräber sondern ein Doppelgrab, was die Suche also im Allgemeinen erleichtert hatte. Barbara steckte die Blumen in die dafür vorgesehene Vase und Peter zündete die Kerzen an und stellte sie auf das Grab. Anschließend bekreuzigten sich die beiden und begannen zu beten. Es war ganz still auf dem Friedhof, fast idyllisch. Im Hintergrund zwitscherten ein Paar Vögel und die Sonne schien. Als sie fertig waren drehten sie sich um und gingen. Auf der langen Esplanade kam ihnen ein Mann entgegen der sein Fahrrad schob. Einige Sekunden nachdem sich der Weg gekreuzt hatte rief der Mann:
„Mensch! Barbara, Peter! Seid ihr das etwa?
Die beiden schauten den Mann an und plötzlich wusste Barbara Bescheid.
„Antek. Bist du das?“, fragte sie.
„Ja wer denn sonst.“, gab er als Antwort und fing an zu lachen.
„Meine Güte. Wie lange ist das jetzt her? Bestimmt zehn Jahre als wir uns das letzte Mal gesehen haben.“, erinnerte sich Antek.
„Ja das ist möglich. Zehn Jahre werden es ungefähr sein.“, antwortete Peter.
„Wie geht es euch in Deutschland?“, fragte er.
„Naja, ich arbeite in einer großen Fabrik und Barbara geht abends zwei Büros putzen. Wir schlängeln uns so durch.“, antwortete Peter.
„Du hast dich ja gar nicht verändert. Wie geht es dir denn und was machst du jetzt?“, fügte Peter fragend hinzu.
„Mir geht es gut soweit. Meine Frau ist letztes Jahr verstorben und deshalb bin ich hier. Ich mache aber auch immer eine Kerze bei deinen Eltern an. Ich war auch auf der Beerdigung von den beiden. Die ganze Straße und viele Bekannte von der Arbeit waren auch da. Der Pfarrer hat auch eine schöne Messe und später Andacht gehalten. Es war genauso ein Tag wie heute. Sonnig, warm und ruhig“
Peter kamen die Tränen. Barbara nahm ihn in den Arm.
„Danke, dass du dich so um das Grab kümmerst.“, sagte Barbara.
Peter konnte nichts sagen. Er war sprachlos.
„Es war schön dich getroffen zu haben, Antek. Danke! Danke für alles. Wir wünschen dir alles Gute. Pass auf dich auf.“, sagte Peter.
Alle umarmten sich noch und Antek fuhr weiter zum Grab seiner Frau und Barbara und Peter machten sich auf den Weg zum Auto. Sie hielten Händchen als sie auf der langen und breiten Allee spazierten. So wie damals als sie noch Jugendliche waren.
Beim Auto angekommen, stiegen sie ein und fuhren zur Pension.
In den nächsten Tagen fuhren sie durch die Stadt um einfach nur zu schauen was sich verändert hatte und was gleich geblieben war. Vieles hatte sich in den zehn Jahren ihrer Abwesenheit verändert. Es wurden teilweise neue Häuser und gar neue Straßen gebaut, die sie noch gar nicht kannten.
Am vorletzten Tag ihres Aufenthaltes fuhren sie noch zur Kirche in der sie geheiratet haben.
„Die sieht genauso aus wie früher. Hier hat sich nichts verändert.“, erwähnte Barbara.
Peter schaute auf zum Kirchturm und antwortete:
„Du hast Recht! Alles ist hier so, wie es früher war.“
Sie gingen in die Kirche. An der Tür bekreuzigten sie sich und knieten vor dem Tabernakel nieder. Schnurstracks gingen sie zu der Bank wo sie schon damals gesessen hatten und sie nahmen Platz.
„Schau mal Barbara. Dieses B und dieses P habe ich hier eingeritzt als wir uns kennenlernten. Und die Bank steht immer noch genau hier.“, merkte Peter an.
„Das war so süß von dir. Danke.“, bedankte sich Barbara.
Plötzlich kam jemand in die Kirche hinein und Barbara und Peter schwiegen.
Der Gast setzte sich zu ihnen in die Bank.
„Na, lange nicht mehr da gewesen, oder?“, fragte der Herr.
Barbara schaute rüber.
„Hoch gelobt sei Jesus Christus!“, rief sie.
„In Ewigkeit Amen!“, antwortete der Herr.
Barbara hatte an dem römischen Kragen erkannt, dass es der Pfarrer war.
„Also Barbara, Peter. Wie geht es euch? Schön, dass ihr hergekommen seid.“
„Herr Pfarrer sie haben uns nicht vergessen?“, fragte Peter erstaunt.
„Nein, ich habe euch nicht vergessen. Wie könnte ich euch denn vergessen? Ihr wart damals und seid jetzt noch so ein schönes Paar. Euch kann man einfach nicht vergessen. Außerdem habe ich euch getraut. So etwas vergesse ich nicht.“, merkte der Pfarrer an.
„Das ist schön. Schön, dass sie auch immer noch hier in der Gemeinde sind.“, erwähnte Barbara.
„Ich bleibe hier bis zur Rente. Ich werde nicht mehr versetzt.“
„Das freut uns für sie. Dann können sie ja auch ein wenig zu Ruhe kommen. Sie waren ja bereits in so vielen Gemeinden tätig.“, sagte Peter.
„Ja, das stimmt. Ich bin hier schon viel ruhiger geworden. Bestimmt auch, weil ich weiß, dass ich nicht mehr hier weg muss. Das ist eine zusätzliche Sicherheit für mich. So, jetzt muss ich aber wieder los. Ich habe gleich noch eine Beerdigung. Macht es gut. Gott sei mit euch!“
„Danke mit ihnen auch.“, antworteten Barbara und Peter fast zeitgleich wie ein Kinderchor.
Der Pfarrer verließ die Kirche. Barbara und Peter genossen noch ein wenig die Ruhe in der Kirche und anschließend fuhren sie zurück zum Hotel.
Der neue Tag war bereits angebrochen, welcher zugleich auch der Tag der Abreise war. Peter und Barbara packten noch einige Sachen in die Reisetaschen und brachten sie runter zum Auto.
Anschließend gingen sie an die Rezeption um das Zimmer wieder zu übergeben.
„So, einmal der Zimmerschlüssel und das Geld. Es war hier wirklich wunderschön.“, merkte Peter an.
„Das stimmt. Vielen Dank.“, stimmte Barbara zu.
„Sehr gerne. Es freut uns sehr wenn es unseren Gästen hier gefällt. Kommen sie sehr gerne wieder wenn sie in der Stadt sind. Das wäre eine große Freude für uns.“, sagte der Herr an der Rezeption.
„Das werden wir garantiert.“, versicherte Peter.
„So, jetzt müssen wir aber losfahren.“, erinnerte Barbara.
„Ja natürlich. Ich wünsche ihnen beiden eine gute Heimreise.
„Dankeschön.“
Die beiden gingen ins Auto und fuhren wieder zurück nach Deutschland. Auf dem Weg tankte Peter noch sein Auto voll. Er betankte auch noch einen dunkelgrünen Militärkanister den er auf einem Flohmarkt gekauft hatte. Er hatte ein Fassungsvermögen von zwanzig Litern. Das alles geschah noch in Polen, da der Sprit dort billiger war als in Deutschland.