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Konfessionalismus oder Laizität – tertium non datur

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Je komplexer eine Gesellschaft wird, desto größer wird auch die Notwendigkeit – will man unverrückbar an den Menschenrechten festhalten –, eine rigorose Laizität gegenüber jedweder Glaubensrichtung und spirituellen Option durchzusetzen. Solange in einer Gesellschaft im Wesentlichen nur eine einzige Weltsicht herrscht, kann die Vermengung von öffentlicher Sphäre und Religion verkraftet werden, ohne besondere gesellschaftliche Spannungen hervorzurufen. In dem Maße jedoch, wie eine Gesellschaft anfängt, komplex zu werden, Minderheitenreligionen zunehmend Fuß fassen und handfeste Minderheiten bilden, werden diese beginnen – das ist ebenso zu erwarten wie nachvollziehbar –, eine gleichberechtigte Behandlung gegenüber der Konfession einzufordern, die bislang in einem gegebenen sozialen Kontext die Mehrheit vertrat.

Das Modell von Laizität, das sich in Beziehung und Abgrenzung zur katholischen Kirche in vielen europäischen Ländern entwickelte, hat sich in Gestalt eines Konkordats27 etabliert, das jedoch nicht länger für eine Situation geeignet ist, in der die religiösen Subjekte sich differenzieren und häufig Strukturen vorweisen, die sich grundsätzlich von jenen der katholischen Kirche unterscheiden. Das System der Verträge mit Religionsgemeinschaften – als Ausweitung des ursprünglichen Konkordats auf andere Konfessionen – ist ein Flicken, der das Loch der religiös zunehmend fragmentierten Gesellschaften nicht länger stopfen kann. Ein Beispiel dafür ist der lange Prozess der UAAR (Unione degli atei e degli agnostici razionalisti, Union der rationalistischen Atheisten und Agnostiker), die bereits 1996 einen eigenen Vertrag mit dem italienischen Staat beantragt und sich dabei auf das Prinzip der Nichtdiskriminierung, der Gleichheit der Bürger, berufen hat. Nachdem der Antrag abgelehnt wurde und auch der Verfassungsgerichtshof die Entscheidung als legitim bestätigte, hat die UAAR beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Berufung eingelegt.

Angesichts der Vielfalt an Weltsichten, die heute nebeneinanderstehen und miteinander konkurrieren, bleibt einer Gesellschaft, die an einer demokratischen Ordnung festhalten will, keine andere Wahl als eine rigorose Laizität. Nehmen wir das Beispiel des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Es ist mehr als einleuchtend, dass in einer Gesellschaft, die in religiöser Hinsicht relativ homogen ist, der konfessionelle Unterricht28 der mehrheitlich vertretenen Religion keine nennenswerten Spannungen hervorruft – obwohl Religionsunterricht natürlich mit der Rolle der öffentlichen Schule inkompatibel ist und schon aus Prinzip abgelehnt werden müsste.29 Mit zunehmender Komplexität der Gesellschaft und zunehmender Verbreitung von Minderheitenreligionen, die sich dadurch als handfeste Minderheiten etablieren, ist es nur folgerichtig, dass auch sie einen Platz in der öffentlichen Schule einfordern.

Es liegt auf der Hand, dass es keine ausreichend belastbaren Argumente gegen die Einführung von Religionsunterricht anderer Konfessionen an Schulen gibt, solange konfessioneller Unterricht in irgendeiner Form in der öffentlichen Schule vorgesehen ist. Vielmehr würde eine dahingehende Verweigerung einen deutlichen und untragbaren Verstoß gegen das Prinzip des Diskriminierungsverbots30 darstellen (was in der Alltagsrealität auch heute bereits so ist).

Eine Situation dieser Art kann innerhalb des aktuellen Paradigmas nicht aufgelöst werden. Will man nicht Parameter wie die Bedeutung und die Macht einer bestimmten Gemeinschaft anlegen, um zu entscheiden, welche Religion in einer öffentlichen Schule unterrichtet werden darf und welche nicht – was offensichtlich unter der Würde einer demokratischen und liberalen Gesellschaft wäre, auch wenn genau das de facto geschieht –, müsste man unweigerlich in Kauf nehmen, dass die unterschiedlichsten Religionen in den Schulen unterrichtet werden, weil das Recht jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers, ob Katholik, Muslim, Hindu, Atheist, Pastafari31 oder sogar Satanist32, genauso viel gilt und gelten muss wie das aller anderen.

Kurz gesagt, entweder oder, entweder ist man ein konfessionsgebundenes Land, das jedes Recht hat, eine Staatsreligion33 an öffentlichen Schulen vorzuschreiben, oder man ist ein laizistisches Land, das aus dem gebotenen Respekt – nicht den Religionsgemeinschaften gegenüber, sondern vor jeder einzelnen Bürgerin und jedem einzelnen Bürger – die Religion, das heißt jede Religion, von der öffentlichen Schule fernhält. Tertium non datur.

Die Fallen des Multikulturalismus

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