Читать книгу Der Vielgeliebte und die Vielgehaßte - Clara Viebig - Страница 8

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In Berlin wußte man es nun ganz genau, nicht nur in den dem Hof nahestehenden Kreisen, auch das weitere Publikum wußte es jetzt: Der Prinz von Preußen hat eine neue Geliebte. Und dieses Mal schien es recht ernst zu sein; er hielt sich von allem anderen und allen anderen fern, erschien nicht in Gesellschaft und bei öffentlichen Festivitäten, die er sonst immer besuchte, ließ sich überhaupt in Berlin wenig sehen. Er sei aber, weit öfter als ihn der König nach dort befahl, in Potsam. Wer diese Geliebte aber war und wo sie wohnte, das wußte man nicht. Er hielt sie versteckt; sehr bald wob sich ein Gespinst von gutartigen wie bösartigen Legenden um ihre Gestalt. Die einen erzählten vom barfüßigen Mädchen, das Zitronen und Schwefelhölzer feilgeboten hatte – eine ganz obskure Dirne, für jeden zu haben – nach anderen war sie von vornehmer Abkunft, Tochter eines Grafen, der nur nicht genannt sein wollte.

Von alldem hatte Wilhelmine Enke keine Ahnung. Es war ihr wie ein Märchen, daß sie nun aus dem Fenster eines kleinen Landhäuschens hinaussah auf buntblumige Wiesen, wo Schmetterlinge gaukelten und Bienen Honig holten und zu den Bienenkörben trugen, die ihren Stand hinten im Krautgarten hatten. Dort holte die Mutter Rietz jeden Tag das Gemüse für ihre Küche und drehte auch wohl einem Hühnchen, das eben noch behaglich im Sand gescharrt, den Kragen um. Wenn Wilhelmine das sah, weinte sie, und essen konnte sie nichts von dem Gemordeten. Verträumt starrte sie oft lange nach dunklen Baumwipfeln herüber, die standen im Park von Sanssouci; der war ein geheimnisvoller Wald, der ihr die Welt verbarg. Fern, fern waren die Welt und Berlin, Eltern, Schwester und Brüder, alles was bisher um sie gewesen war. Und dann wunderte sie sich, daß das alles sich so leicht von ihr getrennt hatte und daß sie es abgestreift hatte wie die Schlange die alte Haut. Nun hatte sie eine neue. Nur er war da. Sein Wunsch, sein Wille.

Sie war ihm gefolgt. Warum sollte sie auch ‹nein› sagen? Die Mutter war dafür gewesen, daß sie ‹ja› sagte; gefragt war sie freilich gar nicht worden, er hatte es eben so bestimmt. Selbst der Vater hatte sich dreingegeben.

Enke hatte zuerst ein Toben angefangen: nie und nimmer! Die Frau bedroht, die Tochter bedroht, die Hände zu Fäusten geballt. Niemals würde er es zugeben, daß der Prinz sein Kind ihm entriß, nach Potsdam verschleppte, wo es nichts als Schande und Kummer fand. Noch war er Herr in seinem Hause, kein anderer, und sei er noch so hoch geboren hatte das Recht über das, was ihm gehörte, zu bestimmen; man war nicht leibeigen mehr wie zu jener Zeit, als Fürsten ihre Landessöhne aufgriffen und wie Schlachtvieh verkauften. Er schrie das so laut, daß die Frau rasch Fenster und Türen schloß: Entlassung, Stockprügel, Kasematten in Spandau, daß nur die Nachbarn nichts hörten! Aber als der Prinz den Enke vor sich beschied, mit der ganzen Selbstverständlichkeit des Gottesgnadentums dem Vater von dem Glück sprach, das er seiner Tochter zu bereiten gewillt sei, da knickte der von Geburt an in preußischem Respekt Erzogene doch zusammen. Er wagte kein Wort mehr.

Wilhelmine hatte eine französische Lehrerin bekommen, Madame Girard von der französischen Kolonie. Die lehrte sie das feinste Französisch und auch wie man’s schreibt. Aber schöner, viel schöner war doch der Unterricht bei ihm gewesen. Jetzt hatte er nicht immer Lust, Lehrer zu sein, wenigstens nicht Lehrer in der Art wie vorher. Jetzt sprach er ihr vom Wesen der Liebe und las ihr allerlei vor, was gelehrte Leute darüber sagten.

Nun war es endlich so, wie er sich’s gewünscht hatte, er hatte sie hier für sich ganz allein. Jetzt, jetzt mußte es ihm gelingen, auch in ihr Begehren zu erwecken, jenes Begehren, das Mann und Weib seit Urbeginn der Welt unwiderstehlich so zueinander zieht, daß sie eins werden. Aber sie blieb still. Oft, wenn er – unbequem genug für seine Statur – auf einem Kissen ihr zu Füßen saß, den Kopf in ihren Schoß gebettet, wie er es zu tun pflegte, wenn sie ihm vorlas, glaubte er, ein leichtes Erschauern ihres Körpers zu fühlen. Oh, wie gleichgültig war ihm dann die Seite Homer, die sie ihm las in französischer Übersetzung, wie unerträglich langweilig Rousseaus Héloïse! Er drehte den Kopf zur Seite, bis sein heißer Mund unterm dünnen Gewebe ihres Kleides das runde Knie suchte und fand. Jetzt zugreifen, sie fassen, an sich reißen! Aber wäre das königlich, das Wort, das er sich gegeben hatte, zu brechen? Warten, warten bis sie von selber ihm in die Arme sank! Ihre Hände nur faßte er und hielt die sich an das erhitzte Gesicht. Ein so Geduldiger, ein so zart Liebender war er noch niemals gewesen: nur nicht sie erschrecken, ihr die Zutraulichkeit nehmen! Sie war ja noch immer halb Kind, trotzdem ihre Formen sich zu runden begannen und das schöne Ebenmaß eines zur Vollkommenheit reifenden Körpers offenbar wurde.

Als er heute gekommen war, hatte er sie in Tränen gefunden. «Um Gottes willen, was ist dir?!» Da hatte sie ihm geklagt: «Ich habe eine arme Frau am Walde getroffen, ihr Mann ist krank, drei kleine Kinder zu Hause, sie las dürres Holz – ach, ich hatte kein Geld! Ach, ich habe nie Geld!» Sie schluchzte noch einmal auf: «Schrecklich, wenn man kein Geld hat! Ich kann mir nicht einmal ein buntes Band kaufen.»

Ja, schrecklich, das war es auch! Er kannte das Kein-Geld-Haben. Er schenkte ihr einen Dukaten. Da tanzte sie, den hochhaltend, mit strahlendem Gesicht in der Stube herum. Er ergötzte sich an ihrer Anmut. Und dann fiel ihm plötzlich, sein Entzücken störend, ein: Er hatte Madame Girard noch nicht ihre Stunden honoriert. Die zugesagten fünfzig Taler an die Enkin waren auch ins Stocken geraten. Und was hatte er der Rietzin nicht alles zu zahlen, mehr als ein halbes Jahr war Wilhelmine schon hier. Er mußte morgen mit Rietz darüber sprechen.

«Machen sich Königliche Hoheit darüber nur keine Gedanken. Das läßt sich später alles nachholen. Meine Mutter wartet gern. Es ist ihr eine Freude, die Demoiselle bei sich zu haben. Sie macht ja auch wenig Ansprüche – vorderhand», setzte der Kammerdiener nach kurzem Stocken hinzu. Rietz war vorsichtig, als gemeiner Mann kannte er die Menschen besser, als ein Prinz sie kennt, es war jedenfalls klug, sich mit der Enke gut zu stellen. Wer weiß, wie die sich noch entwikkelte! Sie gefiel ihm ja auch. Wenn er ihr eine Botschaft des Prinzen zu bringen hatte und sie einsam und versonnen fand, enttäuscht, daß sie heute allein bleiben sollte, nahm er die Gelegenheit wahr, mit ihr zu plaudern. Sie hielt ihn gerne länger fest: «Ach, bleibe du wenigstens noch ein bißchen!» Sie sagte ungeniert ‹du›. Er war ja der Sohn ihrer guten Rietzin, die sich so mütterlich zu ihr stellte. Ihre eigene Mutter konnte höchst selten kommen, er liebte deren Besuche nicht. Dazu war der Rietz ein witziger Mensch, wußte immer was zu erzählen, das sie unterhielt. Und wie gut kannte er den Prinzen! Er war dessen Vertrauter, einziger Vertrauter, und, wie er sie versicherte, sein getreuster, ergebenster. Wie schwer hatte es doch der arme Prinz! Vom alten König an der Schnur gehalten – zuck-ruck –, wieder ein Zuck, rauf-runter wie ein Hampelmann. Und dann diese häßliche Frau, er, ein Mann, der die Schönheit so liebte!

Durch Rietz erfuhr Wilhelmine viel von des Prinzen Leben, alles das, was er selbstverständlich vor ihr verbarg. Also Geliebte hatte er – andere Frauen?! Ob er die mehr liebte als sie? Sie war doch auch eine Frau. Und sie weinte darüber, wenn Rietz wieder gegangen war; vor ihm wäre sie zu stolz gewesen, ihre Tränen zu zeigen, er war ja doch nur ein Kammerdiener. Sie stellte sich vor den Spiegel und betrachtete sich: Spieglein Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Sie neigte den Kopf nach rechts und nach links: die Nase nicht klein, aber auch nicht zu groß. Der Mund mit den roten Lippen lieblich, wenn sie sich anlächelte, und stolz, wenn sie ihn wie jetzt ernst schloß. Die Brauen in Bögen wie mit dunklem Pinsel gezogen, darunter große Augen, so tief in ihrem Blau, daß sie, fiel das Licht grade in sie hinein, fast wie schwarz erschienen. O ja, sie konnte sich schon sehen lassen! Sie studierte ihr Gesicht. Und sie fand bald die Miene heraus, die zu diesem Gesicht am besten paßte – freilich noch zu den weichgerundeten Wangen ihrer Jugend nicht. Es war immerhin Zeitvertreib, sich so zu betrachten, und dabei zu denken: Soll es denn immer so weitergehen, soll sie wie eine Gefangene immer hier sitzen? Ein Vögelchen im Bauer. Er hatte es nicht gern, wenn sie das Haus verließ; weiter spazieren gehen als bis an die Grenze des Parkes sollte sie nicht. Und grade da drinnen war es so schön! Sie hatte sich einmal hineingewagt – das kunstgeschmiedete Gitter mit den vergoldeten Spitzen war aus Versehen nicht geschlossen – hohe und seltsame Bäume, Marmorgruppen im Grün, leuchtende Blumenbosketts von Büschen, die sie noch niemals gesehen hatte, Nymphengestalten und Faune, Liebesgötter, weiß und lockend. Als sie es ihm gebeichtet hatte, war er zum erstenmal böse geworden, zornig und ängstlich hatte er laut geschrien: «Du darfst das nie wieder tun. Wenn dich nun jemand gesehen hätte, es ihm hinterbrächte! Man würde dich mir entreißen.» Und er hatte sie so fest in seine Arme geschlossen, daß sie fast erstickt war. Erstickt, ja, erstickt. Ihr war es oft, als müßte sie hier erstikken in diesen kleinen beengten Stübchen, in denen sie jedes Mauseloch kannte, jede fehlende Perle im Schellenzug an der Wand, jede Verschlissenheit des alten Brokatkanapees, jede Stopfstelle im Mullüberhang ihres Betthimmels. Ach, und dann lag sie da so allein, oft lange wach, konnte nicht schlafen trotz der Stille im Hause, trotz der großen Nachtruhe draußen. Nicht einmal der Ruf eines Käuzchens wurde laut, der alte Rietz hatte sie alle totschießen müssen, denn er erschrak, wenn er sie rufen hörte: Käuzchenruf bringt Unglück.

In solchen Stunden, wenn sie einsam wachend lag, sehnte sie sich heftig nach ihm. Oh, was war er für ein guter, ein edler Mensch, ihr Wohltäter, ihr Lehrer, dem sie alles verdankte, ihr bester, ihr einziger Freund! Wenn sie dann mit ihm in Gedanken sprach, sagte sie ‹du›, sonst wagte sie das noch immer nicht, denn er war ja ein Prinz, wurde bald König. Und wenn er das wurde, was dann? Ob er so groß würde wie sein Onkel, der alte König? Auch darüber dachte sie nach. Rietz sagte, er sei zu leichtgläubig – ach ja, er glaubte, alle Menschen seien so gut wie er. ‹Leicht zu täuschen› sagte Rietz. Oh, Rietz war sicher nicht leicht zu täuschen.

Ja, er war zu gut, wollte immer das Beste und glaubte von jedem das Beste! Etwas wie ängstliches Mitleid stieg plötzlich in der Seele der einsam Wachenden auf, etwas von jenem selbst nicht geahnten und doch jedem weiblichen Wesen angeborenen Mitleid. Er würde oft getäuscht werden. Aber sie, sie war ja da, sie würde ihm immer sagen: Nein, so ist es nicht, das darfst du ihnen nicht glauben. Nein, er durfte nicht getäuscht werden, sollte nie getäuscht werden, dazu war er ja viel, viel zu schade! Sie streckte ihre nackten Arme unter der verhüllenden Bettgardine heraus ins nächtliche Dunkel, als wollte sie über einem, der da nicht stand und den sie doch stehen sah, schützende Arme breiten.

Wilhelmine ging heute im weichen Frühlingshauch. Aus voller Brust sang eine Amsel nahe bei ihr – oh, wie süß-sehnsüchtig! –, noch fern antwortete eine andere. Horch, die kam nah und näher – jetzt sangen sie beide vereint. Aus den Wiesen stieg silbergrau schon ein nebliges Duften, es duftete nach heimlichem Grünen und Werden. Ah! Sie atmete tief, legte die Hand über die Augen. Letztes Sonnengold blendete, um dann drüben zwischen den Wipfeln des verbotenen Parks zu versinken in einem verträumten Rot. Vom letzten Sonnenkuß übriggebliebene errötende Wölkchen, wie Rosen hingestreut über den Himmel.

Die einsam Wandelnde stand still, sie empfand den Zauber und genoß ihn doch nicht mit Freuden:Jetzt dürfte man nicht so allein sein. Ihre Stirn krauste sich, es war viel Unruhe in ihr. Gestern war ihre Mutter einmal bei ihr gewesen, nicht alles war angenehm, was die erzählt hatte. Die Matuschkas wollten sich scheiden lassen; das war ihr nicht überraschend, die Schwester hatte dem Gatten den Affront bei der Assemblee damals nicht verziehen, sie nannte ihn nur den Barbaren. Sie hatte jetzt Beziehungen zu einem Hauptmann von Schönberg. Er, Matuschka, er hatte auch Beziehungen angeknüpft. «Er ist aber kein Barbar», sagte die Mutter, «sogar sehr anständig, er will ihr das Haus in der Mohrenstraße belassen. Er zieht auch von mir seine Beihilfe nicht ab.» Aber daß der Vater seine Entlassung bekommen hatte aus des Königs Kapelle, das war in der Tat traurig – warum nur entlassen? «Er hat einmal seinen Einsatz verpaßt, da hat ihn der König scharf angesehen. Und dann ist’s ihm noch mal passiert, da hat der König gesagt: ‹Ein Musikant und ein König müssen immer richtig einsetzen, tun sie das nicht, sind sie zu alt, taugen nicht mehr für das Ensemble. Ich werde Ihn pensionieren müssen. Aber meine Gande hat Er!›»

Die Tochter war darüber bis ins Innerste erschrocken gewesen:

Wie kam es nur, daß der Vater nicht richtig eingesetzt hatte, er, ein so sicherer Musiker?

«Ach, der Enke ist nie mehr recht beieinander», sagte die Mutter. «Er sitzt und sinniert den ganzen Tag, gibt gar nicht acht auf das, was man sagt. Kein Wunder, daß er falsch spielt. Aber der König ist diesmal nicht knausrig gewesen, er gibt uns die Hälfte vom Traktament als Pension.»

Ach, der Vater, der liebte seine Kapelle, und nun einer augenblicklichen Zerstreutheit wegen aus ihr verstoßen? Welche Kränkung! Die Tochter empfand diese lebhaft mit ihm. Und die Brüder, wie ging es denn denen? Sie waren jetzt Soldaten; der eine bei den Jägern, der andere Stallbursche. «Wenn du dich doch mal bei ihm für die Brüder verwenden würdest, du kannst das ja leicht», hatte die Mutter gesagt. Und dann, als sie das nicht wollte, war die Mutter empfindlich geworden: «Du bist ungefällig, bist wohl zu vornehm dazu.»

Wilhelmine fühlte es, ein Spalt hatte sich aufgetan zwischen ihr und den anderen. Ach ja, sie war sehr allein. Wenn er doch käme! Gestern abend nicht da, vorgestern abend nicht da – ob er wohl heute kommen würde? Er hatte keine Botschaft geschickt. Ob Rietz jetzt vielleicht noch eine gebracht hatte? Sie stürzte nach Hause zurück: keine Minute versäumen! Sie hatte so große Sehnsucht nach ihm. Aber die Rietzin kam ihr schon im Flur entgegen und zuckte die Achseln: «Gar nichts gekommen!» Da rannte Wilhelmine in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

Was hatte man ihr getan, warum sie weggerissen aus Vaterhaus und aus Kindheit, aus allem, was sie bisher gekannt? Warum so einsam sie hierher gesetzt, ach, und sie sehnsüchtig gemacht?! Die Amseln draußen hatten zusammen gesungen, es war ja Frühling – sie aber, sie blieb wieder allein! Allein einen dritten, einen endlosen Abend. Allein – ach, sie möchte nicht mehr leben! Sie warf die Arme lang über den Tisch und weinte in Ungeduld. Aber jetzt würde sie schreiben. Er hatte es gewünscht, sie sollte ein Tagebuch führen – nein, kein Tagebuch, wohlgesetzt und ohne Fehler –, nein, auf diesen Zettel hier, durcheinander, ganz ungeordnet, nicht in wohlgeformten Sätzen, nein, in abgerissenen Worten das niederkritzeln, was sie ihm heut hätte sagen mögen und doch nicht ihm sagen konnte!

Ihre Feder kratzte und eilte – übers Papier sprühende schwarze Spritzer –, es ging ihr noch immer nicht rasch genug. Wen hatte sie denn weiter, um ihn zu lieben und von ihm geliebt zu werden, nur ihn, nur ihn! Ihre Wangen glühten, sie atmete hastig, ihr ganzes Wesen war hingenommen, sie sah und hörte nichts anderes. Sie hörte nicht ein Geräusch im Flur, nicht das Öffnen der Stubentür – doch jetzt –, mit einem Schrei fuhr sie auf. Sie hing ihm am Halse. Seine Arme umschlangen sie, ihre Arme umschlangen ihn, sie preßte ihn glühend an sich.

Jetzt war die Stunde gekommen, das fühlte er.

Der Morgen sah schon ins Fenster, seine Arme umfaßten die Geliebte noch einmal zum Abschied: «Du, meine süße Wilhelmine, nie, nie werde ich dich und deine Liebe vergessen!»

Da lag auf dem Tisch noch der Zettel, auf dem sie gestern abend Worte gekritzelt hatte, schnelle Worte stammelnder Sehnsucht. Erster Morgenstrahl beschien ihn jetzt hell. Der Prinz nahm ihn auf, las ihn mit steigender Rührung, die Tränen kamen ihm, er küßte das dürftige Papier, barg es an seiner Brust: «Dank, Dank!» Er war wie ein Jüngling, der zum erstenmal Liebe genossen hat, trunken vor Glück, noch in der Ekstase. «Ich werde dir auch etwas schreiben, Geliebte. Das sollst du ewig bewahren. Lesen, wenn ich längst schon gestorben bin!» Heftig bewegt ergriff er den Federkiel: «Nein, nicht mit Tinte! Armseliges, totes Naß!» Eh sie’s verhindern konnte, ergriff er das Messer, mit dem man die Kielfeder zuspitzt, schnitt sich schnell in den Ballen der linken Hand. Und mit seinem tröpfelnden Blut schrieb er’s ihr nieder:

«Ich werde Dich niemals verlassen. Bei meinem fürstlichen Ehrenwort, Dein treuer Freund bis zum Tode.»

Der Vielgeliebte und die Vielgehaßte

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