Читать книгу Vom Müller-Hannes - Clara Viebig - Страница 3
1.
ОглавлениеDraußen lag der Schnee, und die zu Tal rinnenden Bergwasser tröpfelten halb vereist, aber in der Staatsstube der Maarfeldener Mühle war es warm. Da sprühte der Ofen, mit gewaltigen Buchenkloben geheizt, die Kuckucksuhr tickte behaglich, und die Gevatterschaft saß um den Tisch bei Wein und Schnaps und besprach die Heirat. Man war endlich übereingekommen: der Müller-Matthes verheiratete seinen einzigen Sohn, den Hannes, mit der einzigen Tochter von Joseph Helles, dem Weinbauern unten an der Mosel. Fünftausend Taler bar kriegte die Christina mit und eine Aussteuer, so reich an Linnen und Gewandung, daß sie ihr ganzes Leben nicht nötig haben würde, etwas zuzukaufen.
Und doch war der Müller-Matthes des lange nicht zufrieden. Ihm dünkte, noch höhere Ansprüche machen zu können. Übergab er denn nicht seinem Hannes die große Schneide- und Mahlmühle mit allem Inventar? »Schuldenfrei«, wie er sagte; kein Schiefer auf dem Dach fehlte, das Wasserrad schaufelte, die Kreissäge kreischte ohne Unterlaß, drei Knechte hatten zu schaffen. Und war vor allem nicht sein Hannes der stattlichste Freier Eifel auf, Eifel ab?!
Dem hatte schon in der Wiege das Glück gelacht. An einem Sonntag war er geboren, als Pfingstmusik das Dorf durchfiedelte und der Mai selbst das Maarfeldener Tal mit Blüten überschüttete. Zur Zeit, da andere Kinder nur erst greinen konnten, hatte der Hannes schon gejauchzt und mit den Händchen nach den Sonnenstrahlen gegriffen, die über sein Stechkissen tanzten. Und diesen Jung’, dessen rundes Gesicht so frisch und rot überm weißen Müllerkittel lachte, diesen Jung sollte er so billig weggeben?!
Müller-Matthes hatte gefeilscht und gefeilscht: noch tausend Taler zu – sechstausend im ganzen – dann konnte die Sache perfekt werden. Sonst – er hatte die Riesenfaust schwer auf den Tisch gelegt – sonst würde nichts daraus, bei Gott nicht!
Der Weinbauer, einen Kopf kleiner als der Müller, dürr und mager wie ein Rebstecken, ließ sich aber nicht einschüchtern: keinen Pfennig mehr, seine Christina kriegte ja noch mal was zu erben! Das Handeln mit dem Matthes war er gewohnt, denn wenn er gen Alf heruntergefahren kam, um die bestellten Faßdauben zu bringen, hatten sie oft so miteinander geeifert, sich so verzürnt, daß der Eifelaner stumm wütend vom Hofe fuhr und der Moselaner lebhaft erregt hinter ihm dreinfuchtelte. Jedoch der neue Wein hatte sie immer wieder versöhnt.
Der Gedanke, ihre Kinder miteinander zu verheiraten, hatte keinem von ihnen ferngelegen. Aber ausgesprochen hatten sie ihn nicht. Letzten Herbst nun war auf einmal statt des Vaters der Hannes unten erschienen in seiner ganzen kraftvollen Größe, mit der freien und doch strammen Haltung, die er von seiner vierjährigen Freiwilligenzeit bei den Deutzer Kürassieren noch bewahrt hatte.
Joseph Nelles hatte den Gast in den Keller geführt, wo der Heurige in den Fässern rumorte und berauschende Düfte das niedere Felsgewölbe erfüllten. Die beiden hatten gewaltig probiert; aber der starke Eifelaner ließ sich nicht schmeißen, weder vom abgelagerten noch vom neuen, weder durch den von der Sonnenseite noch durch den sauersten Rachenputzer. Das hatte dem Moselaner mehr imponiert als der ganze schöne Junge selber mit seinem Krauskopf und mit seinem zähneblitzenden Lachen – hau, konnte der saufen!
Auch der Tina gefiel der Hannes, und die war doch sonst zag mit Mannsleuten. Aber nun hatte sie nichts dawider gehabt, mit dem Vater hinaufzufahren in die Eifel; denn besehen mußte sie sich die Mühle erst, ehe sie »Ja« sagte.
Und doch dachte sie heute nicht ans Besehen. Kaum guckte sie hin, wenn Hannes, der sie herumführte, ihr etwas wies, während drinnen in der Staatsstube die Väter und die beiderseitigen nächsten Anverwandten, die jeder von den zweien zur Unterstützung hinter sich hatte, verhandelten. Sie hatte keine Augen für die Stattlichkeit der vier Rotbunten, die im Stall standen, und gab doch sonst was auf gute Milchkühe. Sie sah nur die wenig verarbeitete, muskulöse Männerhand, die den Tieren freundschaftlich auf die Lenden patschte, daß sie sich mit leisem Erschauern wendeten und mit fast zärtlichen Blicken ihrer feuchten, sanften Augen und mit gedämpften Muh ihren jungen Herrn begrüßten. Auch das Pferdchen, das, rund und glatt, vom Heu der Krippe raufte, hörte auf mit Fressen und spitzte die Ohren; es kannte den raschen, festen Tritt. Es hob das Maul und zeigte die langen, gelben Zähne, als ob es lachte.
»Dau Leckermaul«, scherzte Hannes und ließ sich willig Taschen und Hände beschnobern. Er hatte Zucker eingesteckt, und der Gaul rieb schmeichlerisch den blanken, braunen Kopf an seiner Schulter.
Der Spitz draußen vor der Hundehütte erhob ein bittendes Gewinsel, duckte den Kopf auf die Vorderpfoten und scharrte mit den Hinterfüßen im Schnee. Hannes löste ihn von der Kette, da sprang er hoch in die Höhe mit Freudengebell und suchte das ihm zugeneigte Gesicht zu lecken. Die Knechte, die Säcke auf einen Wagen luden, zwinkerten mit den weißbestäubten Lidern und zogen mit freundlichem Grinsen die Mütze von den mehlbestaubten Haaren.
Ja, alle waren sie ihm gut! Das sah Tina. Und sie fühlte ihr Herz klopfen.
Verstohlen reckte sie sich – war sie doch klein und reichte dem Hannes kaum bis zur Schulter –, aber sie wollte gern ein stattliches Paar mit ihm abgeben. Wenn er auf sie niederschaute, wurde sie rot; und wie vorhin die Kühe im Stall, so wendete sie die schwarzbraunen, sanften Augen ihm zu.
Er sprach viel und laut und lustig; umständlich erzählte er, wie sie vergangenes Jahr die Mühle mit Schiefer gedeckt, anstatt des gemeinen Strohs, und wie sie das Getriebe mit allerhand Neuerungen versehen. Ja, da konnte man sich blind suchen, zum zweiten Mal gab’s solch eine Mühle nicht in der Eifel und auch im Moseltal nicht! Aber der Neuerungen waren noch lange nicht genug: wenn er hier erst allein zu kommandieren hatte, wurde es noch viel feiner. Die Fenster waren zu klein, da stieß man sich ja den Kopf, wenn man herausgucken wollte. Und die Tür war zu schmal, die ließ er breiter machen. Und ein Wagen mußte her, zweisitzig, mit weichen Kissen. Und die Auffahrt vom Hof zu der höher gelegenen Straße wurde mit schönen, weißen Steinen eingefaßt, daß man sicher fuhr auch mit übermütigen Pferden. Und dort im Garten – er wies auf das schmale Streifchen Land diesseits des Baches, jenseits stiegen die Höhen gleich steil an –, dort würde er Obstbäume anpflanzen lassen, feine Sorten aus der Baumschule zu Trier: Reinetten, Herrenbirnen und süße Reineclauden; die alten Strünke taugten ja nichts mehr, die waren schon vermoost. Und leiser fügte er hinzu, mit seinem Lachen, das die tadellosen Zahnreihen zeigte, daß auch Rosen dort blühen sollten und Lilien und Brennende Liebe für seine junge Frau.
Da hob sich Tinas Brust in zittrigem Atemzug unter dem sonntäglichen Kaschmirkleid. Sie sah hin zum schmalen Gartenstrich und hinauf zu den Bergen, die drohend über der Mühle hingen – Schnee bedeckte alles, es war kahl, kalt und unlustig –, aber oben über den steilen Hängen sah sie schon den Himmel blauen, unterm Schnee Rosen blühen und die rote Dolde der Brennenden Liebe. Sie ließ dem Burschen ihre Hand, die er gefaßt, und stapfte zuversichtlich an seiner Seite zum Haus zurück. Alles gefiel ihr wohl, sie hatte nichts auszusetzen.
Des Hannes Mutter erschien jetzt unter der Haustür, sprach von Kälte und lud zu einem warmen Kaffee. Tina wunderte sich, daß die Frau fror; warm und rot ging sie mit Hannes in die Staatsstube.
Drinnen konnte man vor Qualm gar nichts sehen. Sie hatten wacker Wittlicher Tabak geraucht, und getrunken hatten sie auch gehörig. Auf dem Kanapee, das man extra zu diesem Tage angeschafft, schmauchten die beiden Väter, Schulter an Schulter. In ihre Stühle zurückgelehnt, schmauchten auch des Nelles alter Ohm, ein Schlaufuchs, den der Moselaner sich mitgebracht hatte, und des Matthes Gefreundte aus Maarfelden. Die Tante, der Tina als Chaperonne beigegeben, nickte schon ein wenig auf der Ofenbank.
Mit lautem Hallo wurden die jungen Leute begrüßt. Man war jetzt einig, war vergnügt und hielt Verspruch. Immer neue Getränke schleppte die Müllerin heran, viel Branntwein, und dazu wahre Berge von Kuchen. Drei Tage hatte sie gebacken, nun sollten sie ihr auch die Ehre antun; nicht bloß an der Mosel verstand man zu leben, nein, in der Eifel erst recht – »kalte Berge, aber warme Herzen«! Dieser Ausspruch gefiel Müller-Matthes so gut, daß er ihn immerfort wiederholte, bis die anderen mit einfielen und alle sich lachend zutranken und anstießen.
Die einsame Mühle fernab vom Dorf hallte wider von fröhlichem Getöse.
Hannes war der Lustigste von allen. Hatte er denn nicht auch Grund dazu? Eine feine, eine zierliche Braut war sein, eine von anderer Art als die starkknochigen Eifeldirnen, so hübsch die am Ende auch waren! Und daß sie nebenbei Geld hatte, war gerade kein Unglück; freilich, er selber machte sich nicht viel daraus, des Geldes hatte er ja auch so genug. Aber daß sie gebildet war, erst ein halbes Jahr aus der Kloster-›Pensjohn‹ der lieben Nönnchen von Trier zurück, das stach ihm in die Augen.
Der Vater steckte ihm einen Taler zu, nach alter Eifeler Sitte, von der die Jugend nichts mehr weiß – das Handgeld für die Braut. Übermütig warf der Bursche der Jungfrau den Taler in den Schoß, und sie nahm ihn errötend. Nun waren sie einander versprochen. Im Mai, wenn alles grünte, sollte die Hochzeit sein.
Das Essen hörte gar nicht auf. Der Nachmittag fing an, sich zu neigen, da mußte man doch noch ein gediegenes Nachtmahl halten, ehe der Nelles mit seiner Gesellschaft sich auf die Rückreise machte. Unterwegs würden sie dann Quartier nehmen, wie letzte Nacht in Gillenfeld; denn es bringt kein Glück, wenn Brautleute vor der Hochzeit im selben Haus übernachten.
Die Alten stopften sich voll an gesüßtem Mus, an Bratwurst und Schinken und am besonderen Leckerbissen: dem gräucherten Kuheuter. Schade nur, daß man jetzt keinen der fetten Aale hatte erwischen können, die zur Frühjahrszeit, wenn das Maar beim Dorf aus seinen Ufern steigt und die Wiesen überwässert, wie Schlangen durch die Gräben glitschen, mit Händen zu greifen.
Hannes und Tina aßen nicht so viel wie die anderen. Jetzt, da sie wußten, daß sie einander angehören sollten, loderte ihre Verliebtheit. Tina saß bebend auf ihrem Stuhl und schaute unverwandt in ihren Schoß; ihr Herz pochte, wie es noch nie gepocht. Das hatten sie die Nonnen nicht gelehrt, wie man sich benimmt, wenn man verliebt ist; und eine Mutter hatte sie schon lange nicht mehr. So zeigte sie es ihm offen, wie sehr er ihr gefiel. Als er ihr das alte Lied ins Ohr summte:
»Wann alle Brünnlein fließen,
so soll mer trinken,
Wann ech mei’ m Schatz net rufen därf,
Tu ech em winken.
Jao, winken mit den Augen
On treten mit dem Fuß:
’t is eine in der Stuben,
Die mein werden muß –«
litt sie den Druck seines Knies und wich nicht dem Fuß aus, der unterm Tisch den ihren suchte. Und als er ihr ein Zeichen machte, folgte sie ihm willig hinaus in den dunklen Flur. Er zog sie gegenüber in die Mahlstube. Dort schaukelte die Oellampe unter der Decke und warf heimlich zwinkernde Lichter auf die, teils mit Korn, teils schon mit gemahlenen Früchten gefüllten Säcke längs der Wand, auf das schmale Lager des Müllerburschen, auf den großen Mehlkasten in der Ecke und auf die Spinneweben, die vom Mehlstaub wie mit silbernem Reif umsponnen, gleich Festons, von Balken zu Balken hingen.
Es war frisch aufgeschüttet; alle beiden Gänge waren in Tätigkeit. Die Verlobten lehnten sich gegen das kleine Holzgeländer, das die ein wenig erhöhte Diele von dem tiefer liegenden Werk abschloß. Hannes wies dem Mädchen, wie die Schälmühle arbeitete, aus der sich in unablässigem, goldenem Fluß die gereinigte Frucht ergoß. Stolz zeigte er ihr die riesigen Mahlsteine, die das Korn in nimmerrastender Arbeit zerrieben, bis es fein und weiß durch die seidene Müllergaze hindurchstäubte. Hei, wie das klapperte und schaffte! Und ganz unten regte sich’s unsichtbar und rauschte und schlug und pochte und stampfte – das war das große Rad, das alles trieb: das Herz der Mühle.
Tina hatte ihren Spaß daran, sie klatschte in die Hände: ach, wie das hier lecker roch, so mehlig, so nahrhaft, so nach Fülle und Sattsein! Hannes zog sie nach sich, da vergaß sie ganz, ihr Kleid wieder zu raffen, das sie beim Eintreten sorgfältig aufgehoben. Mochte es weiß werden, war sie doch nun bald eine Müllersfrau. Und er setzte sich auf die schmale Pritsche des Müllerknechtes und nahm sie auf seinen Schoß. Sie ließ sich nehmen, sie war wie betäubt. Unwillkürlich suchte ihre Hand nach dem kleinen Herrgöttchen, das ihr an schwarzer Schnur um den Nacken hing; daran hielt sie sich fest. Alles ging mit ihr rundum im lustigen Geklapper der Mahlstube, in dieser großen Glückseligkeit.
Hannes küßte sie ab; seine warmen Lippen suchten ihren wenig gebräunten, weichen Hals, ihre noch kindlich-runden Wangen, das Grübchen am Kinn, die schmalen, etwas blassen Lippen. Man konnte ihm nichts abschlagen. Wenn er bettelte: »E Küßche!«, so mußte sie ihm eins geben – nein, nicht eins, hundert!
»Haste mech lief?«
Da schmiegte sie sich wortlos fester an ihn.
Klingling! Bei dem blechernen Klang des Läutwerks fuhr Tina erschrocken auf. Jetzt kam auch schon der Knecht gerannt auf das Signal, das der hungrige Trichter gegeben, um dem ein paar Wannen voll Korns ins Maul zu schütten. Und über den Flur dröhnte die derbe Stimme des Müllers: »Kobes, Nikla, spannt an eweil!«
Eilig wollte Tina hinaushuschen, aber Hannes hielt sie fest. Was ging’s ihn an, wenn auch andere dazukamen? Das war jetzt sein gutes Recht! Und er nahm sein Mädchen um so fester in den Arm und schmatzte es noch einmal ordentlich ab. –
Tina war ganz verstört, als ihr zukünftiger Schwiegervater ihr auf den Wagen half. Ihr Kleid war zerdrückt, ihre glatten Zöpfe rauh. Vorn bei den ungeduldigen Pferden stand Hannes und hielt sie beim Kopf; im trüben Licht der flackernden Stallaterne, die der Knecht hochhielt, suchte Tina noch einmal, halb schüchtern, halb verlangend, ihres Bräutigams Blick. Wenn sie jetzt wieder gefahren kam – herrje, dann war sie schon seine Frau!
Sie konnte ihr Glück kaum zähmen. Der Wind war ihr eben recht, der vom Maar her dem Gefährt in den Rücken schnaufte und wie ein böses Tier, eingesperrt zwischen den Bergen, fauchte. Der Ohm und die Tante fingen an zu jammern, und der Vater hieb auf die Gäule, die in dem halb gefrorenen, halb geweichten Märzschnee nur mühsam vorankamen. Das konnte noch eine böse Fahrt werden bis Gillenfeld! Die Tant’ Angenies fürchtete sich vor dem Umwerfen; das Wägelchen kippelte höchst bedenklich und schaukelte wie ein Schiff von einer Seite zur andern.
Jetzt, da sie die Mühlenschlucht verließen und einbogen ins Tal der Kleinen-Kyll, stieß die Tante einen lauten Kreischer aus und fuhr sich mit beiden Händen an die Ohren: hinter ihnen krachte und knallte es plötzlich und donnerte gefährlich in vielfachem Echo von den felsigen Wänden wider. Nun noch einmal und noch einmal! Die Pferde bäumten sich.
Aber Tina lächelte still selig in sich hinein, streifte das verhüllende Tuch vom Kopf und lauschte, die heißen Wangen frei dem kalten Eifelwind bietend – das tat ihr Hannes, ihr Bräutigam, der weckte die toten Berge mit Freudenschüssen und zeigte ihnen seinen Hillig[1] an.
Der Abend war sehr dunkel geworden, so dunkel, daß Hannes, der noch spät die Mühle verließ, beinahe ins Maar gepatscht wäre, hätte er nicht so genau gewußt, daß man hier, wo die finsteren Berge der Talschlucht auseinandertreten und sich jäh erweitern zum Kessel des Maars, nicht rechts umbiegen muß beim Steinkreuz, sondern links, wo das Heiligenbild den Pfad durch die moorige Wiese zum Dorf weist.
»Kotzdonner noch ehs!« Hätte er sich doch eine Laterne mitgenommen! Die Hände in den Hosentaschen, schrill pfeifend, trabte er voran. Vom Maar her zog’s, der Maarwind kam und stieß ihn in die rechte Seite. Da blieb er einen Augenblick stehen. Allerhand Getöns war in der schwarzen Nacht, der auch der Schnee kein Licht gab. Aber sein scharfer Blick sah doch das Maar, den farblosen Spiegel, umkränzt von nackten Höhen, die jetzt, ins Ungeheuerliche vergrößert, an den Himmel stießen. Und dort, ganz im Winkel, dem steilen Hange angequetscht, in nächtigem Flor: Maarfelden.
Wanderer gehen nicht gern hier bei Nacht, der Boden schwankt eigen unter der Last der Trittes. Es war vor Zeiten hier einmal alles Maar gewesen – Maar, wo jetzt die Hütten stehen und die Kirche mit dem tiefblauen Schieferdach – Maar, wo jetzt die schilfigen Wiesen sich breiten – Maar, die Wände des Kessels bis hoch hinauf bespülend, wo jetzt die winzigen Äckerlein sich herauswinden aus Ginstergestrüpp und Brombeergerank. Die Maarfrau sitzt jetzt in die Tiefe gebannt, unten in ihrem Kämmerchen und spinnt, zieht den Faden, so lang und fein wie ihr dunkles Haar, und lauert, daß sie sich einen herunterziehe zum Zeitvertreib. Müller-Hannes lachte übermütig hinüber: die Maarfrau, puh, was ging die ihn an?! Landscheids Seph, die hatte noch längeres, noch schöneres Haar, Strähnen wie schwarze Seide! Und ein heißer Schatz war die, recht was für so eine kalte Nacht.
Jedermann wußte es im Dorf: Landscheids Seph war dem Müller-Hannes sein Schatz, seit der vom Militär heimgekommen war. Jetzt schlief sie noch nicht; sie lauschte. Der Wind stieß den Laden vor ihrem Fenster auf und klappte mit dem Riegel – horch, ob er noch nicht kam?! Sie konnte es nicht abwarten. Mit Mühe öffnete sie die kleine Scheibe im verquollenen Rahmen und zwängte den Oberkörper hinaus. Der Wind stemmte sich ihr entgegen und stieß sie vor die Brust. Aber sie wich nicht; sie war groß und stark, und lebenswarm lief ihr das Blut durch die Adern.
Der Wind wurde zum Sturm und scheuchte die finsteren Wolken überm Maar auseinander, wie eine Herde schwarzer Schafe. Nun gab’s ein wenig Licht, ein wenig zitternden, gejagten Mondschein; er verfing sich in der Seph Haaren und goß blankes Silber auf den schwarzen Scheitel. Der heftige Wind hob die schweren Strähnen und wehte sie lang zum Fenster heraus. Die nackten Arme des Mädchens, blinkend im nächtlichen Dämmer, streckten sich aus, dem Müller-Hannes entgegen.
[1]. Verspruch