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Оглавление»Sankt Martinus kommt zu Pferd und macht den Bauer alert«, heißt ein altes Eifeler Sprichwort.
Müller-Hannes mußte nun doch daran glauben, die gekündigte Hypothek zu bezahlen; es ging ihm diesen Martini wie so vielen anderen Bäuerlein, die mit Not und Mühe ihre paar Groschen zum Zahltag zusammenschrapen. Der Laufeld wollte um keinen Preis warten; er hatte noch was Schriftliches geschickt. Und Hannes, in dem dumpfen Gefühl, daß jener ihm nicht wohlwolle, hatte auch gar keinen Versuch gemacht, ihn zur Rücknahme der Kündigung oder wenigstens zu einem Aufschub zu bewegen. Das sollte ihm einfallen, dem Laufeld gute Worte geben! Vor dem einen Kratzfuß machen – nein, niemals!
Des Hannes Gesicht sah trotzig aus, als er am Vormittag des elften November gen Manderscheid fuhr. Das Tal war eng; noch hatten die Nebel darin sich nicht gelüftet, sie hockten auf dem gewundenen Pfad und hingen um die vorspringenden Nasen der Felsen wie nasse Schleierfetzen. Jetzt war alles Grün dahin. Die Brombeeren und wilden Rosenhecken hielten nur hier und da noch ein letztes rostbraunes Blatt, eine verschrumpfte Hagebutte fest; widerlich schrie ein Häher aus dem dürren Eichenbüsch. Ein ganzer Schwarm hungriger Krähen scheute auf vom Peitschenknall und strebte mit schwerfälligem Schlagen der nassen Flügel den winzigen Saatstreifchen auf der Höhe zu.
Wild brauste die Kleine-Kyll. Das war kein Bach mehr, das war ein Fluß, der die Wiesen rechts und links überschwemmte, fast die Breite des ganzen Tälchens einnahm und kaum die Straße freiließ.
Des Müller-Hannes Stirn umwölkte sich. Hier unten, dort jenseits, da wo der Mosenberg abstürzt und seine Geröllhalde in ein sammetweiches Uferland übergeht, baute sich einer an – ein Müller! Schon stand das Haus unter Dach – nächsten Sommer war’s wohl beziehbar – schon zeigte sich das Gestühl für das große Rad, und ein paar riesige Mühlsteine lagen schon auf dem Hof. Und hier, tausend Schritt bachaufwärts, kam noch ein zweiter Müller zu wohnen, der Bruder vom unteren. Der eine eine Schneidemühle, der andere eine Mahlmühle. Schöne Aussicht das!
Hannes blickte grimmig drein. Das war ja eine ganz infame Frechheit, sich ihm so auf die Nase zu setzen! Wie konnten die sich unterstehen? War er nicht da, er, der Müller-Hannes? Für so viel Mühlen war kein Verdienst hierzuland. Und das Wasser würden sie ihm abfangen! Wenn’s mit dem Zufluß aus dem Maar knapp geworden, hatte er doch immer sein gut Teil aus der Kleinen-Kyll gekriegt, nun sollte ihm die auf einmal nicht mehr allein gehören?! No, wart, das wollte er ihnen zeigen, was es heißt, den Müller-Hannes schikanieren! Das ließ er sich nicht gefallen, und sollte er vor Gericht gehen!
Zornig hieb er auf die Pferde ein: weiter, weiter, daß er nur nichts mehr von dem Ärgernis sah!
Heute waren beide Gäule eingespannt, trotzdem der Weg nicht weit und sie daheim schlecht zu entbehren gewesen. Ei, was, die Leute konnten eben einen Tag länger auf ihr Mehl warten, – lästig genug, daß man es ihnen noch vors Haus fahren mußte – der Laufeld war einspännig gekommen, nun kam er dem heute zweispännig. Fürnehm genug sah’s aus, das gelblackierte Chaischen; und alles Lederzeug blank gewichst, das Riemenzeug mit Silber beschlagen. Müller-Hannes schmunzelte. Ja, die Manderscheider würden Augen machen, akkurat wie gestern die Wittlicher! Dort war er gewesen und hatte sich aus der Sparbank dreitausend Taler geholt, die diese ihm als neue Hypothek auf die Mühle gegeben. Zweitausend Taler hatte ihm der Schwiegervater vorgestreckt, aber erst nach langem Zureden und Anhalten – die Tina hatte extra darum an die Mosel hinunterfahren müssen – wahrhaftig, es war nicht angenehm, zu jemandem »Danke!« zu sagen. Das brauchte man wenigstens bei der Bank nicht, die kriegte ja Sicherheit in der neuen Hypothek. Da war es gar keine Gefälligkeit, da war’s eben ein Geschäft.
Befriedigt war Hannes gestern durch Wittlich zurückgefahren, die Dreitausend im Sack, aller Sorgen ledig. Die Gäule waren dahingestoben, als hätten sie statt des Blutes Feuer im Leib. Das Pflaster hatte Funken gesprüht unter ihren Hufen. Hui, durch die Gassen, daß groß und klein an die Türen eilte und die Mädchen rasch die Gardinchen von den Fenstern beiseite rissen. Er hatte allen zugewinkt; sein rundes Gesicht blühte in einem jovialen Lachen, die Straße im grauen Novemberlicht wurde hell davon. »Kucktelhei, dän Müller-Hannes, dän Müller-Hannes!« Das hörte er gern.
Heute konnte er die frohe Laune von gestern nicht finden. Hatte der Wein, den er im Wittlicher Gasthaus »Zur Traube« getrunken, ihm den Kopf schwer gemacht? Er fühlte einen ungeheueren Brand. No, nur ein halb Stündchen Geduld, dann war er oben in Manderscheid, da gab’s was zum Löschen!
Schon fingen die großen Kehren an, die langsam zum Plateau hinaufführen. Es war derselbe Weg, den er einst in hochzeitlicher Seligkeit mit seinem jungen Weib hinuntergefahren. Dazumal hatte der Mond silberne Rosen gestreut, und alle Wunder der Maiennacht hatten sich geoffenbart. Er erinnerte sich heute nicht mehr daran. Aber wie damals guckte er hinüber zum Mosenkopf, der sich jetzt in ganzer Mächtigkeit über dem Vorland niederer Höhen erhob.
Der trug noch immer kein stolzes Haus auf dem Buckel, von dem man hinunterspucken konnte auf die Welt. Aber – des Müller-Hannes finsteres Gesicht hellte sich ein wenig auf – das würde schon noch kommen, ’s würde schon noch kommen; warum die Hoffnung aufgeben, wenn man stark ist und in den besten Jahren, und – wenn man noch mal was zu erwarten hat?! Nicht, daß er dem alten Knauserer an der Mosel das Leben mißgönnte, nein, nein! Es war nur schön, daß man doch noch einmal einen gehörigen Batzen kriegte. Was der Schwiegervater immer von schlechten Zeiten stöhnte, war einfach nicht zu glauben; und auf der Tina Gerede war erst gar nichts zu geben. Die sah alles schwarz. Hatte sie nicht gesagt, es käme dem Alten sehr sauer an, als sie mit den zweitausend Talern zurückkehrte? Ach, was war die für eine Wehklage geworden, eine »Quiesel« noch dazu! Wenn sie durchs Haus ging, bewegte sie oft still die Lippen, sie betete bei sich. War das nicht zum Ärgern?! Eine Betschwester hatte er doch nicht zu freien gedacht, sondern eine Junge, Frische, voller Lebenslust. Hübsch war sie auch nicht mehr, klapperdürr; und seit sie ein paarmal »Malheur« gehabt, kränkelte sie. War’s nicht eine Schande, nur einzig die Fränz im Haus und keinen Sohn?!
»Verflixt!« Der starke Mann sah an sich herunter und steifte die kräftigen Lenden. Nein, an ihm lag es nicht, er hätte der Jungen in die Welt setzen können, wie weiland der Erzvater Jakob, zwölf an der Zahl, ein gewaltiges Geschlecht, das die Welt bevölkert.
Ein Gefühl, das er bis jetzt noch nie so deutlich empfunden, erhob sich plötzlich in ihm. War es Enttäuschung, Zorn, Haß gegen die Schwache? Nein, nein, die Tina war ein kreuzbraves Weib, sie hatte keinen Willen und tat, wie er befahl. Aber Empörung war doch in ihm. Ja, Empörung. Warum gebar sie ihm keinen Sohn, einen gesunden, strammen, so einen, wie er selber war?! Die Fränz war hübsch und kräftig, ließ sich ganz gut an, aber was soll’s mit einem Mädel, kann die einmal regieren? Einen Sohn, einen Sohn!
Er ließ die Pferde gehen, wie sie wollten; so knapp bogen sie am Rand der Kehren um, daß oft ein Rad überm Absturz hing. Aber es war nicht sorgloser Leichtsinn mehr, der den Herrn also unachtsam machte; eine zornige Bitterkeit war in ihm aufgewallt, und das zu Kopf steigende Blut hatte seine Augen getrübt. Er nagte an der Unterlippe. Wenn er jetzt die Tina bei sich hätte, wahrhaftig, er könnte ihr einen Schlag geben, mitten hinein in das blasse, wehleidige Gesicht, das ihm nicht mehr gefiel. Unwirsch sah er hinter sich; aber da saß nur sein Hund, der Nero, breit auf dem Kutschsitz.
Nun hatten die Pferde die Höhe gewonnen. Da war schon das Waschhaus, das, wie auf Vorposten hinausgeschoben, die Nähe des Dorfes kündet. An der Quelle, die, durch die Mauer geleitet, drinnen in die steinernen Tröge plätschert, stand ein Mädchen und spülte Leinzeug. Sie war jung und drall und rief lachend: »Gud Zeit!«
Da machte der Müller: »Brr!« Die Pferde standen.
War wo ein Strählchen Sonne hinter den Wolken, hier oben am Waschhaus traf das. Hier sangen den ganzen Sommer über die Grillen im Gemäuer, und waren die im Winter gestorben, so sangen noch die jungen Mädchen von Manderscheid, und ein Summen und ein Gurren tönte weithin von emsig sich rührenden Zungen. Heut war die eine allein hier, aber sie galt für zehn, Hannes glaubte lange nicht, eine so hübsche gesehen zu haben. Sie bespritzte ihn zwar mit Wasser und schwenkte ein nasses Handtuch zur Abwehr vor sich her – aber es war ja der Müller-Hannes, dem schlug man ein Küßchen nicht ab.
Die Pferde scharrten schon ungeduldig, und der Hund bellte dumpf, da stieg ihr Herr endlich wieder auf. Noch ein Nicken, ein schäkernder Gruß, ein Lachen, das das Echo am Mosenkopf herausforderte, und Müller-Hannes raste dem Dorf zu. Nun war er wieder wohlgemut. Ihn dünkte schier, die Kleine am Waschhaus hatte die Sonne hervorgehext. Richtig, da guckte die bleiche Novembersonne auch schon aus den Nebeln! Jetzt zur Mittagszeit hatte sie noch Kraft und brannte ihn förmlich auf den breiten Rücken. Ein Behagen sondergleichen durchrieselte ihn: ah, nun war’s pläsierlich!
Aus dem ersten Häuschen des Dorfes rief ihn einer an. Es war der Bäcker Driesch; dürftig nur war sein Lädchen, dem Mann standen die Sorgen auf der Stirn. Schon lange war er schuldig fürs Mehlmahlen und für manchen Scheffel Korn, den er noch dazu beim reichen Müller entlehnt.
An die zwanzig Taler machte die Rechnung. Nun konnte er heut endlich zahlen, wenn es dem Hannes genehm war, das Geld selber mitzunehmen. Der sprang vom Wagen und ließ es sich in blanken Talern auf die Theke zahlen; fast reute es ihn, das einzustecken, denn dem Driesch schien das Geld an den Fingern zu kleben, und die Frau mit dem verarbeiteten Gesicht, die durch die Türspalte zusah, folgte jedem Talerstück mit einem langen Blick. Wie konnte man nur so an den paar Talern hängen!
Pfeifend schwang sich Müller-Hannes wieder auf seinen Wagen und hielt bald danach vor des Laufeld Haus.
Jakob Laufeld wohnte der Kirche gerade gegenüber. Sein Haus war stattlich und fein zartgrün gestrichen; Stallung und Remise gehörten dazu, und auf dem Hof breitete sich ein stattlicher Misthaufen.
Auf der Bank vor der Tür saß ein halbwüchsiger Knabe; Nero sprang vom Kutschsitz und fuhr ihm an die Hose. Aber da bekam er einen Tritt mit dem nägelbeschlagenen Absatz gegen die Schnauze, daß er winselnd unter den Wagen kroch. Diesmal hatte er sich geirrt, dies hier war kein armseliger Handwerksbursche oder ein elendes Bäuerlein, dies war des Laufeld Joseph.
Die Hände in den Hosentaschen, stand das Josephche und starrte den Müller an.
»Es Dein Vadder zo Haus?«
»Gieht sälwer kucken!«
Der Junge rührte sich nicht. Es blieb Hannes nichts übrig, als selber die Zügel der Pferde um den Haken in der Mauer zu schlingen und schweren Trittes in den Flur zu stampfen. Niemand kam ihm entgegen.
Der Laufeld saß in der großen Stube zu ebener Erde am Zylinderbureau, über dem die große Lithographie des Abgeordneten Windthorst hing, und hatte durchs Fenster alles draußen gesehen. Was, der von der lumpigen Mühle kam zweispännig, der wollte sich wohl gar vermessen, er sei reicher wie er? Oho, wenn die Leute auch sprachen: »Der reiche Müller – der reiche Laufeld« – der einzig Reiche in Wahrheit war doch nur er, er allein! Mochte der Hannes nur immer draußen ein wenig warten.
Mit leisen Schritten ging Jakob Laufeld rasch durch die Stube und machte die Tür zum Nebenzimmer breit auf, damit der Besucher die roten Plüschmöbel sehen könnte, die goldgerahmte Öldrucke an den Wänden und das breite Tafelklavier, das Prachtstück der Einrichtung, die im Dämmerlicht der immer geschlossenen Läden wie neu erschien.
Es pochte.
»Angtree!«
Müller-Hannes trat ein.
»Boschur,« sagte er unbefangen. Er hatte den schlechten Empfang wohl übel vermerkt, aber er war zu stolz, um das zu zeigen. »Boschur, Laufeld.«
Jakob Laufeld tat sehr überrascht.
»Ihr seid et, Hannes – nä, ech saon doch, esu en Üwerraschung! Ech haon neist gehört. Plaziert Eich! Wuh stechen dann de Knecht? Michel, Lorenz, Steffen!« Er machte die Tür zum Flur auf, und nun schrie er auch noch nach den Mädchen: »Bäbbche, Kättche, Adelheid! spannt dem Müller de Perd’ aus! Bringt des Bernkastler on zwei Gläser!«
»Laoßt nor dat Ausspannen,« sagte Hannes hochfahrend. Er hatte sich nicht gesetzt, aber während der andere ihm den Rücken kehrte, einen Blick in die gute Stube nebenan geworfen. Hei, war die nobel, viel nobler als seine zu Haus! Und ein Klavierchen! Kotzdonner, wahrhaftig ein Klavierchen! Schwer riß er den Blick davon los.
Aus der rechten Hosentasche zog er einen Beutel mit Geld, aus der linken auch einen. Mit einem Plumps ließ er beide auf die Platte des Zylinderbureaus fallen. »Hei, zählt noren, et stimmt,« sagte er nachlässig. »On dann, hei« – aus der Brusttasche brachte er nebst einem Bündel verknüllter Kassenscheine die ihm von der Bank vorgeschriebene Quittung zum Vorschein – »hei, unnerschreiwt dat, on dann sein mir quitt!«
»Hm,« machte der Laufeld; und dann fing er an, nachzuzählen: »Zwanzig, vierzig, sechzig, achtzig, hunnert,« bis die Fünftausend voll waren. Dabei ärgerte er sich; wahrhaftig, der Hannes machte ein Gesicht, als seien die Fünftausend ein Gassendreck! War der wirklich reicher, als man dachte? Das hätte er gern gewußt. Er schlug auf den Strauch.
»No, Müller-Hannes, Ihr seid sao gud geteert?«
»Gud geteert, noch besser geschmeert,« sprach der.
»Ihr haot woll dat gruße Los gezillt, dat Eich de Goldstückelcher esu ahfgiehn, wie annern Leit die Würm?«
»Kann sein!« Der Müller-Hannes lachte: nun wußte er’s, der Laufeld ärgerte sich, hatte wohl gar gedacht, er solle kommen und betteln und jammern. »En Zehr-, en Ehr-, en Not-, en Wehrpfennig muß mer immer im Haus haon,« sagte er höchst ehrenwert und klapperte mit den Talern, die er beim Driesch eingenommen, in der Hosentasche, während der Laufeld sein Geld packte und sorgfältig ins Zylinderbureau verschloß.
Die unterschriebene Quittung steckte nun Hannes gelassen ein und griff nach seinem Hut. Eben kam ein Mädchen herein, das die Flasche Bernkastler unterm Arm trug und ein Tablett mit zwei Gläsern vor sich her. Hinter ihr kam der Junge, der vorhin draußen auf der Bank gesessen.
»Meine Joseph,« sagte der Laufeld, gleichsam vorstellend.
Es gab Hannes einen Stich durchs Herz: was hatte der Laufeld für einen hübschen, strammen, kecken Jungen, und er – er hatte keinen! Alles Blut schoß ihm zu Kopf. Er starrte den Knaben an, und dieser starrte wieder mit dem dreisten Blick des verwöhnten Jüngsten. Die älteste von den Schwestern des Josephchen war verheiratet, die andere: Nönnchen im Kloster; der Junge wußte es wohl, ihm allein fiel hier das Anwesen zu.
Draußen fing jetzt das Glöckchen der Kirche an zu läuten. Jakob Laufeld schlug rasch ein Kreuz und sah dann etwas verlegen nach Hannes hin: sollte er wegen dem da die Mittagsandacht versäumen, noch dazu am Tage des mildtätigen Heiligen, des Bischof Martinus?!
Hannes bemerkte seine Unruhe.
»Ech giehn schuns,« sagte er. Und dann mit gutmütigem Spott: »Lauft noren, Laufeld, lauft, dat Ihr net zu spiet kommt. Ech denken, dat sein net alleweil de Frömmsten, die in der Kerch dat größte Kreiz schlaon!«
Dem Laufeld wurde heiß, gern wäre er dem frechen Lästerer übers Maul gefahren, aber er bezwang sich. Groß Maul und Übermut tun selten gut – der würde schon die Heimzahlung kriegen!
Die Flasche Bernkastler blieb ungetrunken.
Auf der Gasse fing jetzt plötzlich der Nero an, zu rumoren, sein wütendes Gebell mischte sich ins Gebimmel des Glöckchens und ins Gejauchze des Josephchen. Der Bube, der sich schnell wieder hinausgeschlichen, war auf einen hohen Stoß Klafterholz gestiegen und schoß nun von dort den fremden Hund mit Erbsen aus seinem Pustrohr.
Als Hannes jetzt aus der Tür trat, sah er es und mußte laut lachen: ei, wi schoß der Jung’ so gut, und wie dumm war der Nero! ’s waren ja keine Schrote, nur Erbsen, die auf seinem dicken Fell abprallten!
Aber jetzt, halt, das war ein Wehgeheul! Dicht am Auge war die Erbse angeprallt; wie von einem Schuß getroffen, wälzte sich das große Tier winselnd im Staub. Josephchen stieß ein Siegesschrei aus, aber Hannes sprang mit einem Fluch zu: das konnte dem Hund das Auge kosten!
»Dau Biwak!« schimpfte er und drohte dem Knaben. »Maach! Ech verhauen Der dän Buckel!«
Der Junge lachte und schnitt eine Grimasse, sein hübsches Gesicht, Augen, Wangen, Mund, Nase, alles schrumpfte zusammen wie bei einem Kautschukmännchen; und nun streckte er die Zunge heraus. Er fühlte sich auf dem Holzstoß sicher.
Aber der große Mann langte hinauf und packte ihn bei den Beinen. Ehe das Josephchen sich’s versah, war es heruntergezogen, stand auf der Gasse, und die breite Hand des Müllers fiel ihm schwer auf die Kehrseite.
Ind diesem Augenblick trat Jakob Laufeld aus der Tür; er wurde blaß und rot bei dem, was er sah.
»Vadder!« schrie der Junge durchdringend.
Aber Hannes ließ sich nicht beirren, wieder und wieder fiel seine schwere Hand nieder. »Exkusört,« sagte er entschuldigend, »de Jong hat meine Hund geschoss’, eweil moß hän sein Prüjel kriehn.«
»Dat es meine Saach,« rief der Laufeld gereizt.
»Vadder, Vadder,« kreischte der Junge dazwischen und schrie viel mehr, als die Prügel weh taten.
»Laoßt de Jong los!«
»Nä!« Hannes wurde nun auch gereizt durch den befehlenden Ton. »Wurscht widder Wurscht!« Die Empörung überkam ihn, als er jetzt, da Nero an ihm in die Höhe sprang, das blutende Auge des Tieres sah. »Wann dat Dier blind gieft, schicken ech Eisch de Rechnung. Äwer fürerscht soll Eiren dreckige Jong …«
Seine aufs neue erhobene Hand wurde festgehalten; der Laufeld schrie ihn an, zitternd vor unterdrückter Wut:
»Onnerstieht Eich! Wißt Ihr dann net, wän Ihr vor Eich haot? Rührt de Jong net mieh an! Ech schicken Eich dän Scher-schant uf dän Hals – in’t Loch met dem, dän onschullige Könder schlät!«
»Oho!« Des Müllers Augen fingen gefährlich an zu funkeln. »Wän sei Ihr dann, dat Ihr hei dat gruß Maul hatt? Ech sein akkerat esu vill wie Ihr. Dän Müller-Hannes braucht sich vor keinem zu schenieren, vor Eich am allerwenigsten, dat Ihr’t wißt. Hei, haste noch einen« – er hieb dem Jungen noch einen derben auf – »on nau lauf on erzähl, dän Müller-Hannes haot der dän Hintern beschlaon!«
Heulend lief das Josephchen fort. Ein paar Weiber und Kinder hatten sich schon angesammelt; nun fanden sich auch noch einige Männer dazu. Sie zogen alle lachend die Mäuler breit und freuten sich, daß die zwei Großen sich zankten. Der Müller stand wie ein streitbarer Recke. Die Weiber guckten nach ihm: was war der Müller-Hannes doch für ein schöner Kerl!
Jakob Laufeld fühlte sein Ansehen schwinden. Nicht, daß er dem andern an Länge nachgestanden – er war auch hoch wie ein Baum –, aber er hatte nicht die gleiche Ochsenkraft. Der Klügere gibt nach, und er war der Klügere.
»Ech giehn eweil,« sprach er, »de Kerch da drum ze versäumen, wär waohrhaftigens Gott Sünd. Awer geschenkt es et Der net, Müller-Hannes – mir zwei sprechen ons noch ehs!« Und damit eilte er, anscheinend ruhig, hinüber zur Kirche.
Hannes sah ihm nach mit schallendem Lachen. Dann bückte er sich und untersuchte seinen Hund. Ein gefälliges Weib füllte einen Napf am Brunnen und brachte auch ein Stück altes Schürzenzeug. Gefährlich verletzt schien das Auge des Hundes weiter nicht, das Bluten hörte gleich auf, und Hannes wurde sehr vergnügt. Lange nicht hatte ein solches Gefühl der Genugtuung seine Brust gehoben: dem hochmütigen Kerl, der dem Besucher nicht einmal entgegenkam, dem hatte er’s jetzt aber ordentlich gegeben. Fröhlich lud er die Leute, die sich so teilnehmend gezeigt, zu einem Schöppchen ins Wirtshaus.
Die Pferde wurden ausgespannt und in den Stall geführt. Der Hund bekam als Schmerzensgeld einen ganzen Teller Braten, der Herr ließ sich auch ein Essen auftragen. Und jetzt hub das Trinken an. Aus einem Schöppchen wurden viele. Die Wirtsstube saß gestopft voll, einen Freitrunk ließ sich keiner entgehen. Und sie hatten den Müller-Hannes wirklich alle gern; die Freude, traktieren zu können, stand dem ja auf dem Gesicht, und jeden Neuzukommenden begrüßte er mit Hallo.
Das war ein Anstoßen: »Prost! Eier Wohl! Ihr sollt läwen! Hannes, uf Dein Spezielles!«
Das war ein Gläserklirren, ein Austrinken und ein Einschenken, ein Auf-den-Tisch-Stoßen, ein dröhnendes Gelächter und ein wirres Durcheinander. Jeder drängte sich heran, Hannes die Hand zu schütteln.
Die Wirtsstube faßte längst nicht mehr alle Gäste. Draußen unterm Fenster standen die, die nicht mehr hinein konnten, man reichte ihnen von innen die gefüllten Gläser heraus. Manch ein Glas ging dabei in Scherben, aber das machte nichts, der Müller-Hannes zahlte ja alles.
Der war selig, berauscht von dem vielen Händeschütteln, dem unausgesetzten Zutrinken. Jeder hob sein Glas gegen ihn: »Prost, Hannes.« Er kannte seine Gäste gar nicht alle.
So ging es den ganzen Nachmittag. Die Dorftraße hinunter brauste der Jubel, und die Kunde flog von Haus zu Haus: »Dän Müller-Hannes es in Schneidersch! Juhe, juhe, laoße mir aach derhin giehn!«
Auch die Kinder rannten herbei und drängten sich an der Wirtshaustür. Müller-Hannes rief ein paar näher, das flachsköpfige Karlchen und das schwarzhaarige Pittchen. Er strich ihnen über die wassergestrählten Scheitel und steckte jedem von ihnen einen Groschen in die Hand:
»Lauf, kaof der ebbes!«
Glückstrahlend stoben die beiden davon. Und nun faßte bald eine ganze Schar auf der Gasse Posto, und viele Kinderaugen bettelten. Wie eine Tracht junger Füchse lauerten sie. Ein besonders Kühner stimmte das Martinslied an:
»Heiliger Sankt Märtes,
Met de siewe Kärze,
Flieg zu einem reiche Mann,
Bring mer eine Dahler dann,
Mir eine – Dir eine,
De freche Könder gar keine!«
Hannes hatte sich erhoben und war ans Fenster getreten – schon stand er nicht mehr ganz fest –, sein rundes, jetzt sehr rotes Gesicht strahlte wie die liebe Sonne.
Da wurde der Gesang immer kecker, die Kinder bekamen Mut. Er nickte ihnen zu, sie nickten wieder; die Kinderaugen lachte, die seinen auch.
»Hah!« – Ein staunendes Aufatmen.
Müller-Hannes hatte in die Tasche gegriffen – wie ein Stern schoß ein blanker Taler durchs Fenster. Nun lag der auf dem Pflaster.
»Hah!« Noch einer und noch einer!
Ein gellender Jubelschrei stieg empor. Hei, wie dei Kinderschar übereinanderstürzte! Sie rannten, stolperten, purzelten, kugelten. Ein Knäuel wälzte sich auf der Gasse: braun, blond, schwarz, Ärmchen, Beinchen, Höschen, Röckchen, dicke Mädchen, dünne Mädchen, rote, blaue, grüne Strümpfchen, alles durcheinander. Hundert Fingerchen packten zu. Raufen, Stoßen, Schlagen, Puffen, Kreischen, Jauchzen, Lachen und Weinen.
Der große Mann am Fenster lachte sich halbtot. Wieder griff er in die Tasche.
»Lenche, Tinche, Kättche, Juppi, ufgepaaßt!«
Die erdarbten Taler des Bäcker Driesch flossen als silberner Regen aufs Straßenpflaster; und nicht nur die Kleinen fingen ihn auf, auch die Großen. Es war ein Jubel ohne Grenzen. Ein donnerndes Vivat brauste vom Wirtshaus hin zu des Laufeld Haus und stieg jauchzend empor bis zum Abendstern.
Nicht einen einzigen Taler behielt Müller-Hannes zurück; das Hinauswerfen machte ihm gar zu viel Spaß.
Bis spät in die Nacht dauerte die Trinkerei. Nur war es längst kein Trinken mehr. Die Soliden waren heimgegangen, aber die ledigen Burschen, die eben vom Militär zurückkehrten oder die bald dazu kamen, die hielten bei Hannes aus. Mitternacht war schon vorbei, da tönte noch das Grölen zu den Fenstern heraus und störte die auf, so schlafen wollten. Laute Schreie gellten doppelt laut in der schweigsamen Nacht und ärgerten die wachsamen Hunde, daß sie aus ihren Hütten fuhren und Antwort heulten. In den Koben grunzten die Schweine, verschlafene Hähne fingen an zu krähen. Das ganze Dorf wurde wachgehalten. Nur die harmlosen Kindlein schliefen und träumten vom Talerregen.
Der Laufeld drehte sich in seinem Bett: war das ein Skandal! ein Skandal! Doch er freute sich darüber. Mochte der Liederjahn nur saufen, immerzu, immerzu!