Читать книгу Vegane Waffeln - Claudi Feldhaus - Страница 12
ОглавлениеSamstag, der 3. Oktober. Mit einem großen Korb voller Minimuffins und Flyern bewaffnet sowie mit Familie Crusq im Schlepptau machten wir uns auf den Weg ins Stadtzentrum. Pamis Brüder verschwanden ziemlich schnell in der Menge, die zum Volksfest auf der Straße des 17. Juni pilgerte. Dorthin wollten wir dieses Jahr aber nicht. Weil das Wetter wie so oft am Tag der Deutschen Einheit bombastisch war, breiteten wir auf der Wiese vor dem Bundestag zwei Picknickdecken aus und machten es uns zu sechst bequem. Gut sichtbar für Passanten, stellten wir ein paar von den schwarz-rotgelb verzierten Muffins mit goldenen Zuckerperlen auf ein Tablett. Und immer wenn uns jemand fragte, ob er mal probieren dürfe, reichten wir einen Flyer dazu. Mehrmals wurden wir für diese Werbeaktion gelobt. Ruckzuck war der Korb leer. Pami und ich gaben uns ein High Five für diese gelungene Idee.
»Großartig, Aili!« Auch Lucrecia freute sich.
»Aber das war doch unser beider Plan«, wiegelte ich ab.
»Stimmt nicht, das hast du allein dir einfallen lassen!«, rief Pami sofort.
»Stell dein Licht nicht so untern Scheffel!«, befahl Rhys grinsend und biss von seinem belegten Brot ab.
Ich schüttelte den Kopf und wechselte das Thema. Gegen sechzehn Uhr wurde es so voll, dass die Polizei die Zugänge dichtmachte und nur noch Leute hinausließ. Wir lauschten noch ein wenig den Trommlern, die aber bald von der Bühnenshow am Brandenburger Tor übertönt wurden, und packten dann zusammen. Die Sonne verschwand bald, und die Luft kühlte ab.
»Das waren dieses Jahr die letzten Stunden über zwanzig Grad«, sinnierte Lucrecia traurig.
Ich atmete durch. Den ganzen Tag hatte ich kaum an Sam-Arschkrampe gedacht, und das hatte saumäßig gutgetan. Auf meiner Nase kribbelte gar ein kleiner Sonnenbrand.
Am Abend kehrten wir im »You’re welcome«, einem süßen Bistro in Mitte, ein. Während ich mir meine Dinkelbratlinge schmecken ließ, tauschte sich Pami mit der Besitzerin über Rezepte für vegane Nusskuchen aus. Ich war vom Tag unheimlich müde, aber meine quietschfidele Freundin verwickelte die Inhaberin tatsächlich in ein Verkaufsgespräch. Als sie ihr unsere Karte gab und zusicherte, ihr morgen ein Probeangebot zusammenzustellen, glitzerten meine Augen ebenso stolz wie die ihrer Eltern.
In der Nacht schlief ich wie ein Stein, doch als das Schwarz am Horizont zu Blau wurde, weckte mich ein Geistesblitz: Ich könnte, was das Schlussmachen mit Sam anging, meine Mutter um Rat bitten. Von einem Kerl verlassen zu werden war ihr die größte Schande. Jedoch selbst einen Nicht-Lohnenden, wie sie zu sagen pflegte, in die Wüste zu schicken, das betrachtete sie als Königsdisziplin ihrer jungen Jahre. Wir hatten zwar kein besonders gutes Verhältnis, dennoch sagte mir mein Bauchgefühl, dass es die richtige Idee sei. Verpflichtete sie denn überdies nicht irgendeine Art von Mutterschaftseid dazu, mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen?
Ich wusste, dass sie jeden Morgen um sieben Uhr an der Havel Power Walking machte. Den restlichen Tag geisterte Klaus um sie herum. Ich schälte mich also um halb fünf aus dem Bett und zog mich an. In meiner Müdigkeit vergaß ich, die schäbigen Klamotten zu wählen. Als ich die schmeichelnden Jeans und den schwarzen Rolli anhatte, dachte ich mir, vielleicht sei es sowieso besser, mich schick zu zeigen. Schließlich wollte ich etwas von Bea. Pami brauchte den Wagen später, um mit ihrer Mutter auf den Stoffmarkt zu fahren, deswegen nahm ich die Monatsfahrkarte aus der Schüsselschale. Wir teilten uns das Ticket, sodass es immer bei derjenigen war, die das Auto gerade nicht hatte.
In der morgendlichen Frische lief ich zum S-Bahnhof Springpfuhl. Leider hatte der kleine Backwarenstand »Star Backshop« auf dem Bahnsteig noch geschlossen, andernfalls hätte ich mir einen dieser leckeren Mini-Latte-macchiato genehmigt. Die S 75 Richtung Westkreuz kam als nächste. Ich fuhr bis zur Friedrichstraße, kaufte mir dort fix einen Kaffee bei »Cuccis« und sprang in die nächste S5 nach Spandau. Glücklicherweise schaffte ich es in den N 34, der um diese Zeit immer noch fuhr, und fiel auf einen Sitz über einer Heizung. Meine Füße froren in den dünnen Sneakers, und die Imitatlederjacke über dem dünnen Pulli wärmte keinesfalls ausreichend. Lucrecia behielt recht: Merklich hielt die feuchte Kälte Einzug in Berlin, auch wenn die Tage zumeist noch sehr sonnig waren. Bald würde das bitterkalte Grau die Stadt erobert haben und sie für die gefühlten nächsten sieben Monate völlig beherrschen. Vielleicht haben wir ja mit dem November Glück, hoffte ich und sah mir auf der Fahrt zur Haveldüne die bunten Blätter der Bäume an. Ein wenig munterten sie mich auf.
Kurz vor meiner Ankunft schrieb ich meiner Mutter eine Nachricht: Guten Morgen! Hättest Du Zeit für ein Mutter-Tochter-Gespräch? Mir war der hochtrabende Stil bewusst, aber da Bea viel auf den äußeren Schein gab, würde ihr das gefallen. Zwei Minuten später wurde mir angezeigt, dass sie meine Worte gelesen hatte. Erst als ich kurz vor drei viertel sieben an der Haveldüne ausstieg, wurde angezeigt, dass sie schrieb. Und sie schrieb … und schrieb … und schrieb … Ich war schon bis zum Höhenweg gelaufen, als endlich ihre offenkundig fünfmal umformulierte Antwort aufpoppte. Oh, das klingt aufregend … Wann möchtest Du bei uns vorbeikommen?
Ich versteckte mich an der nächsten Ecke, denn ich vernahm bereits ihre Schritte. Dann wackelte sie auch schon mit angespannten Beinen und zusammengepressten Pobacken an mir vorüber. Ob sie nur einen Hauch von Ahnung hatte, wie albern sie dabei aussah? Das Beste war ihr Gesicht: hoch konzentriert, als höre sie die Schreie der Kalorien, die sie verbrannte. Sie trug ein superenges Set aus glänzendem dunkelrosa Stoff, das zwar alles außer ihrem Kopf bedeckte, jedoch wenig der Fantasie überließ. Als ich sie in den Leggins von hinten sah, musste ich neidvoll zugeben: Die Frau war in Form!
»Guten Morgen, Bea!«, sagte ich.
Die schrie auf und drehte sich um. »Um Himmels willen, Kind, du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Sorry, ich dachte, du stehst auf so einen Auftritt.«
»Bist du nur wegen mir hergekommen?«, fragte sie daraufhin und musterte mich. Ihr schien die Jeans aufzufallen und dass ich mich im Vergleich zu unserer letzten Begegnung zurechtgemacht hatte.
»Wegen wem denn sonst? Verzeih, dass ich dich so überrumpelt habe, Bea, aber ich wollte gerne mit dir alleine reden. Ist das okay?«
In ihren Augen glomm etwas auf. Ja, sie schien gerührt von meiner Aktion. »Na, dann komm, Kind, ich laufe auch langsam für dich!«
Ich steckte meine Hände in die Taschen und ging neben ihr her, während sie sich wieder mit komischen Verrenkungen vorwärts bewegte.
»Bea, du weißt schon, dass man Power Walking auch ganz normal betreiben kann? Was du hier abziehst, erinnert an die olympische Disziplin Gehen! Und du siehst aus wie eine kokettierende Ente.«
»Dann ist mein Ziel erreicht!«, gab sie mit seltsam spitzer Stimme zurück.
Irgendetwas hatte ich mit der Bemerkung wohl angestoßen.
»Du bist doch sicher nicht den weiten Weg gekommen, um über meine Walkingtechnik zu diskutieren«, sagte sie nach einer Weile.
Ich musste mir nicht nur eingestehen, dass ich nach einem Anfang suchte, sondern auch, dass mich ihre Geschwindigkeit aus der Puste brachte. »Kannst du bitte normal laufen? Ich kann mich bei dem Anblick nicht konzentrieren!«
»Ach!«, stieß sie aus und schüttelte sich. Dann machte sie ein paar Dehnübungen, so lange suchte ich nach einem Einstieg ins Thema.
Ich hatte mich mit ihr noch nie über Männer unterhalten, und es war mir zuwider, mit fast dreißig damit anzufangen. Als Bea mich schließlich auffordernd betrachtete, sagte ich schlicht: »Es geht um einen verheirateten Kerl, der mich nicht in Ruhe lässt.«
Das Gesicht meiner Mutter entspannte sich, und dann strahlte sie plötzlich wie ein Honigkuchenpferd. »Kindchen! Das hast du von mir. Fängst zwar etwas spät an, dir die Männer zu Willen zu machen, aber …«
»Bea, darum geht’s doch gar nicht! Der Typ ist verheiratet und ein Kunde.«
»Du hast es faustdick hinter den Ohren!« Bea freute sich und kniff mir doch tatsächlich in die dicken Wangen.
Ich schüttelte ihre Hände weg. »Ich will ihn loswerden, und er kapiert das nicht!«
»So!« Bea stellte sich auf ein Bein, streckte das andere nach vorne aus und drehte sich wie ein Kind auf ihrer Sohle. Je älter sie wurde, desto mehr Possen dieser Art gewöhnte sie sich an. Ich konnte mir vorstellen, dass Klaus darauf stand. »Erzähl mir mal alles – von Anfang an!«, verlangte sie und schlug den Weg zum Wasser ein.
Während wir am Ufer entlanggingen, berichtete ich ihr brav und endete mit der SMS von Freitag und meinem Entschluss, zu ihm zu gehen und ihn zur Vernunft zu bringen.
»Doktor Samuel Lindner und meine Aileena – nein, das ist was! Ich kenne seine Frau, reizendes Geschöpf! Es ist gut, dass du sie da rauslässt, sie wäre am Boden zerstört.«
»Bist du gerade ernsthaft stolz auf mich, weil ich diesen Typen klargemacht habe?«
»Natürlich!« Bea grinste und fuhr dann ernst fort: »Du wusstest nicht, dass er verheiratet ist, und du warst verliebt und blind. Das passiert jedem. Und als du es herausbekommen hast, hast du es beendet. Du hast dir also nichts vorzuwerfen. Bist du denn nicht selbst ein kleines bisschen stolz auf so einen Fang?«
»Nein!«, log ich.
Bea sah mir vermutlich an der Nasenspitze an, dass ich nicht die Wahrheit sagte, ging aber nicht weiter darauf ein. »Mir zeigt es jedenfalls, dass du etwas an dir hast, das du selbst nicht siehst. Und dass er nicht von dir loskommt, zeigt es noch mehr.«
Ich betrachtete sie von der Seite. Ihr, die es immer als größte Schande angesehen hatte, von einem »lohnenden« Mann abserviert zu werden, imponierte meine Situation unweigerlich.
»Es ist wohl die Tatsache, dass er mich nicht haben kann, die ihn fasziniert.«
»Ah, die Mon-Chéri-Taktik!«
»Bitte was?«
»Du machst dich rar!«
Spätestens in dem Moment bezweifelte ich, dass das hier eine gute Idee gewesen war, aber Bea blieb stehen und sah sinnend zum Himmel. »Entschuldige, ich bin nicht so geübt in alledem«, bekannte sie sanft.
Dann griff sie auf einmal nach meiner Hand und zog mich die Scharfe Lanke entlang zum »Café Wasserblau«. Sonntags war hier immer ab neun geöffnet.
»Hier ist noch keiner!«, sagte ich deshalb.
»Doch, die müssen ja vorbereiten!«
Ich sah tatsächlich zwei Leute hinter den hohen Glasscheiben. »Ich denke, das ist Sperrgebiet?«
»Nur weil sich Klaus mit dem Wirt überworfen hat, hab ich doch kein Hausverbot!«
Ich wollte fragen, wer sie ist und was sie mit meiner Mutter gemacht hatte, war jedoch zu verwundert, auch nur einen Piep von mir zu geben.
Bea klopfte an die Scheibe, und ein Mann näherte sich. Das musste der Typ sein, mit dem Klaus Streit gehabt hatte. Bis dahin waren Klaus und Bea oft im »Wasserblau« zu Gast gewesen. Nach dem Zerwürfnis war das Restaurant auf die schwarze Liste gesetzt worden. Dass Bea rebellierte, war meines Wissens noch nie vorgekommen. Ich fragte mich kurz, worum es bei dem Streit gegangen war, doch als ich sah, wie Bea von dem Typen begrüßt und sofort hineingebeten wurde, erübrigte sich meine Frage. Uns wurde ein Tisch hergerichtet, und Bea bestellte kohlenhydratreiches Brot mit den Worten »Wir brauchen gleich eine Basis«. Ich wusste nicht, wann ich meine Mutter das letzte Mal in ein Brötchen hatte beißen sehen. Sie verschlang es gierig, und dann bestellte sie zwei kleine Gläser und eine Flasche Nordhäuser Doppelkorn. Ich starrte ungläubig auf das Gedeck.
»So, Kind, wir klären das jetzt!«, bestimmte Bea. Und für einen kurzen Moment sah ich sie als Anfang Zwanzigjährige mit ihrer Dauerwelle neben Oma in der Küche sitzen, als die genau diese Worte zu ihr sagte.
Sie schenkte ein. Ich nahm verstört mein Gläschen entgegen. Unser erstes Mutter-Tochter-Gespräch und unser erstes Gelage in einem. Wir tranken.
»Du willst ihn loswerden?«, fragte Bea, das Antlitz verzogen wegen des Schnapses, der ihre Kehle hinabfloss.
Ich nickte, während das Gesöff mir die Innereien anheizte, und musste an mich halten, als ich in ihr ernstes Gesicht sah. Sie füllte erneut beide Gläser und sah mich entschlossen an. Wieder einmal fiel mir auf, was für hübsche Hände und Fingernägel meine Mutter hatte. Warum war die Natur so ungerecht?
Wir tranken, und kaum hatte sie den Korn hinuntergeschluckt, sagte sie zu mir: »Sag ihm knallhart, aber respektvoll, dass es vorbei ist. Respekt ist das Wichtigste, auch wenn er ihn nicht verdient.« Sie fügte hinzu: »Männer neigen andernfalls zu großer Ungerechtigkeit.«
Ich schaute verdutzt, und Bea sagte: »Glotz nicht wie ’ne Kuh, wenn’s donnert!« Wir tranken ein weiteres Glas, ehe sie erklärte: »Wir übn dit jeze. Ik bin Sam, und du bist du!«
Ich setzte an, und Bea unterbrach mich rüde. Ich versuchte es erneut, wieder fiel sie mir ins Wort, und schließlich gab sie mir den mütterlichen Rat: »Respektvoll heißt nicht, dass du um den heißen Brei reden sollst! Los, noch mal!«
Sie schenkte mir ein, wir tranken. Ich versuchte es erneut – diesmal knallhart. Da ließ sie mich ausreden, um mir am Ende eine Szene zu machen, dass mir bange wurde. Sie tat wirklich so, als sei sie Sam. Dann bekam ich noch eine Chance – und noch eine und noch eine. Zwischendurch tranken wir nur noch winzige Schlucke Nordhäuser. Bea gab derweil alle möglichen Männerreaktionen zum Besten. Irgendwann konnten wir nicht länger an uns halten und lachten, lachten, lachten.
Danach wurden wir mit einer großen Portion Rührei überrascht, die wir mitsamt den Brötchen und der Butter gierig verschlangen. Bea hatte kein Geld dabei, also bezahlte ich alles. Draußen an der frischen Luft wurde uns erst schlecht, doch dann ging es uns richtig gut.
»Ich rufe ihn jetzt an – wenn du hier bleibst«, sagte ich zaghaft, und meine Mutter nickte heftig, während sie meine Hand drückte.
Doktor Arschkrampe ging sofort dran. Der Alkohol hatte meine Zunge gelockert und zähmte meine Wut, sodass ich selbstbewusst zu reden begann. Ich gab die Entschlossene, dann die Kumpelhafte, und schließlich fragte ich ihn gestellt zärtlich: »Es ist aus – hast du das verstanden?«
Er schwieg.
»Willst du deswegen wirklich den Vertrag kündigen und meinem Geschäft schaden?«
»Nein«, bekannte er zu meiner Überraschung.
»Ich freue mich, euch weiter zu beliefern. Wenn du willst, macht Pami das künftig immer.«
»Wird nicht nötig sein. Mir egal, wer liefert.« Er klang wie ein bockiges Kind.
»In Ordnung, dann bis bald!« Kaum hatte ich den Satz beendet, legte er auf. Mir war, als fiele ein zehn Zentner schwerer Stein von meinem Herzen.
Meine Mutter strahlte mich stolz an, sie sah aus, als würde sie mir gleich um den Hals fallen. Ich erinnerte mich nicht, dass es jemals so einen Moment zwischen uns gegeben hatte. Plötzlich surrte ihr I-Phone, das sie an ihrem Oberarm befestigt hatte. Vorhin hatte sie den Ton komplett ausgestellt. Klaus, der Troll rief sie an.
»Beatrix, endlich!«, hörte ich seine Stimme knurren. »Ich suche dich seit Stunden, ich habe über zehnmal angerufen!«
Er hatte offenbar alles versucht, außer loszugehen und sie zu finden.
»Beruhige dich, Schätzchen!« Bea sprach so nüchtern und hochdeutsch, wie sie konnte. »Ich habe eine Freundin getroffen, und wir haben uns festgequatscht.«
»Ja, aber …«
»Ach, Liebster«, gurrte sie, »wie süß, dass du dir Sorgen machst! Ich wollte dich nicht erschrecken. Sei nicht böse mit mir, ja?«
Ich wurde Zeuge, wie sie ihn um den Finger wickelte. Noch eine Seite, die ich an meiner Mutter so zuvor nie beobachtet hatte. Es gelang ihr, ihn zu beruhigen und aufzulegen.
Inzwischen standen wir auf dem Bürgersteig, nicht sicher, was als Nächstes passieren sollte. Umständlich streckte ich die Arme aus. Bea schien auf diesen Moment gewartet zu haben und tat es mir gleich. Eine hölzerne Umarmung folgte. Ich hätte sagen können, dass ich sie lieb hatte, aber die Worte blieben mir im Hals stecken.
»Meld dich Mittwoch, wie’s gelaufen is’«, flüsterte sie, als wir uns voneinander lösten.
»Mach ich, und vielen Dank!«
Sie strich mir zum Abschied über die Wange und bog dann in den Höhenweg ein. Ich sah ihr noch kurz hinterher und ging schließlich zurück zur Bushaltestelle. In meinem Bauch rumorte eine friedliche Mischung aus Doppelkorn und Zuneigung.
Der Bus 134 fuhr gerade vor, als ich an der Ecke ankam. Der Busfahrer sah mich und wartete. Ich lächelte zum Dank, torkelte an ihm vorbei und nahm im Augenwinkel wahr, dass er den Kopf schüttelte. Erst wollte ich protestieren, dass ich gar nicht betrunken sei, dann fiel mir aber ein, dass es gelogen wäre. Ich ließ mich wieder auf einen Sitz über einer Heizung nieder und dachte über meinen Morgen nach. Am Bahnhof Spandau nahm ich die Regionalbahn Richtung Cottbus, um erst nach Lichtenberg und von dort aus mit der S-Bahn zurück nach Springpfuhl zu fahren. Etwa auf der Höhe vom Zoo zückte ich kurz entschlossen mein Telefon und verfasste eine lange Nachricht an Bea. Ich schrieb, dass der Morgen toll gewesen war, dass sie toll war, dass unser Verhältnis jetzt richtig toll würde und dass wir unser Treffen bald wiederholen sollten. Ich nannte sie sogar Mutti und endete mit Ich hab Dich lieb. Die Nachricht wurde mir erst als gelesen angezeigt, als ich schon über den Helene-Weigel-Platz lief. Bis dahin hatte Bea vermutlich mit Klaus zu tun gehabt. Kurz wurde angezeigt, dass sie mir schrieb, dann schien sie ihr Telefon nicht mehr anzufassen: Zuletzt online um 11 : 58.
Am Nachmittag kam Pami vorbei und hörte sich meinen Bericht an. Sie fand die Entwicklungen großartig, wurde aber aus meinem traurigen Gesicht nicht schlau.
Ich zeigte ihr daraufhin meine letzte Nachricht und fragte: »Meinst du, ich bin zu weit gegangen? Wollte ich in meinem Dusel zu schnell zu viel?«
»O mein Gott!«, stieß sie aus. »Du bist ja genauso unsicher wie nach einem ersten Date!«
Mit laut klopfendem Herzen bestieg ich am Mittwoch den Fahrstuhl zum Immobilienbüro Lindner. Doch ehe ich mehr als drei Schritte in den Empfangsbereich getan hatte, sprang mir Chris entgegen.
»Hallo, Aileen! Ich habe schlechte Nachrichten.«
»Oh!«
»Keine Ahnung, was Sie dem Chef gesagt haben. Aber er hat mich wissen lassen, dass wir den Dauerauftrag auslaufen lassen sollen«, erzählte sie mir, während sie neben mir her in die Küche lief.
»Ach«, sagte ich, »Bäumchen wechsel dich!« Als wir an Sams Büro vorbeikamen, ging die Tür auf, und Doktor Arschkrampe trat heraus. Instinktiv wich ich zur Seite, mein Körper spannte sich an, bereit, jederzeit einen Verteidigungsgriff durchzuführen. Sam sah jedoch durch mich hindurch und schritt an mir vorbei.
Erst als Chris und ich in der Küche ankamen, ergriff ich zaghaft das Wort. »Hat er sonst noch etwas gesagt?«
»Nein. Für diesen Monat bezahlen wir Sie noch. Es tut mir so leid, ohne Ihre Cupcakes wird hier etwas fehlen!« Sie trat einen Schritt auf mich zu. »Ich werde übrigens bald kündigen. In meinem neuen Büro werde ich sehen, was ich für Sie tun kann.« Sie zwinkerte mir zu, und ich grinste.
Noch im Fahrstuhl rief ich Pami an und berichtete ihr von dem bockigen Jungen, der es sich anders überlegt hatte.
»Hätte schlimmer kommen können«, sagte sie. »Solange er bei seinen Geschäftsfreunden keinen Rufmord an uns betreibt, sind wir noch fein raus.«
»Nur müssen wir deinen Eltern jetzt sagen, dass wir ihnen diesen Monat keine Rate zahlen können. Zudem ist Sparen angesagt.«
»Sieht so aus. Aber mach dich mal nicht nass, das kriegen wir schon hin!«