Читать книгу Vegane Waffeln - Claudi Feldhaus - Страница 9
ОглавлениеAm folgenden Sonntag pellte ich mich schon um sieben Uhr aus dem Bett, vorsichtig, ohne Lina zu wecken. Dann schlüpfte ich in meine schweinchenrosa Jogginghose mit dem Berlin-Schriftzug und in ein besonderes Shirt.
In der Küche rührte ich für Lina ein Frühstück aus Müsli, Nüssen und Quark an, in das ich noch Bananen- und Erdbeerwürfel schnippelte, bevor ich es für sie in unserem Privatkühlschrank bereitstellte. Für mich gab es nur Kaffee und ein weiches Toast, während ich die Platten mit den veganen Fruchttörtchen aus dem großen Kühlschrank holte und all mein kreatives Können aufwandte, um sie zu verzieren. Sie sahen so toll aus, dass ich ein Foto für unsere Website machte. Dann verstaute ich die Platten in unsere Transportboxen, stellte sie vorsichtig auf unser Vehikel und rollerte damit langsam zum Auto, einem weinroten Kastenwagen, etwas angestoßen und mit kleinen Rostflecken, aber mit der schönsten Beschriftung, die es gab. Lina hatte einen ganzen Nachmittag gebraucht, um den Namen unseres Unternehmens mit Telefonnummer und E-Mail-Adresse in kunterbunter Schnörkelschrift auf den Schiebetüren zu verewigen.
Ich hatte eine lange Fahrt vor mir und wollte sachte fahren – die Törtchen mussten aus persönlichen Gründen unversehrt ankommen und perfekt aussehen. Meine Route verlief über die Allee der Kosmonauten zur Märkischen Allee, dann quer durch die Innenstadt, vorbei am Großen Stern, und über die Heerstraße, bis es um mich herum wieder grün wurde. Im Seitenfach klemmte eine halbvolle Flasche Club Mate. Die von der Nacht eiskalte Flüssigkeit rann meine Kehle hinunter und entfachte in meinem Magen ihre aufputschende Zauberkraft. Die ganze Fahrt über war ich hellwach und euphorisch. Die Havel glitzerte in der Morgensonne, und der Tag versprach, für Ende September sehr warm zu werden. Ich ließ das Fenster herunter und schnupperte frische Luft. Gatow hatte wirklich wunderschöne Ecken. Vorsichtig kroch ich mit dem Auto über die engen Straßen mit Kopfsteinpflaster. In der Innenstadt hatte ich vornehmlich Klubheimkehrer angetroffen und laut Musik gehört. Hier waren schon die ersten Siebzig-plus-Spaziergänger unterwegs, ich stellte die Mucke komplett ab. Die Hände auf dem Rücken verschränkt und meist in eine beigefarbene Jacke gekleidet, traten die Leutchen an den Straßenrand, um meinen Wagen durchzulassen. Ich nickte zum Dank. Endlich bog ich in meinen Zielweg ein und fuhr fast bis zum Ende. Ich stellte mich rückwärts vor eine Einfahrt und stieg aus.
Zuallererst öffnete ich die Ladetür und sah nach den Törtchen: Alles perfekt. In mir glomm ein Gefühl von Genugtuung auf, dann hörte ich hinter mir Stöckelschuhe.
Eine spindeldürre Blondine, die aussah wie fünfunddreißig, aber schon fast fünfzig war, schaukelte elegant auf mich zu. Sie schien sich zu freuen, musterte mich dennoch kritisch von oben bis unten, vom weiten T-Shirt bis zu den abgelatschten Sneakers und zurück. Schwungvoll öffnete sie das Gartentor und begrüßte mich. »Hättest du dich nicht etwas besser anziehen können?«
Ich verkniff mir ein Lächeln und den Kommentar, dass sie so eben nicht vor ihren Etepetete-Freundinnen mit mir angeben könne. »Bea, ich bin dreißig! Meinst du nicht …«
»Das bist du nicht!«
»Gut, ich bin Ende zwanzig.«
»Mitte zwanzig!«
»Bea, nein! Siebenundzwanzig ist Ende zwanzig. Finde dich endlich damit ab, dass deine unverheiratete Tochter bald dreißig wird!«
»Wenn sie sich jetzt noch etwas besser anziehen würde …«
»Du mich auch!«
Kein Grund, ihr zu gestehen, dass ich megaschicke Blusen mit Logo hatte anfertigen lassen, die wir eigens für Lieferungen und Verhandlungen benutzten und zu denen wir immer seriöse Stoffhosen und passende Schuhe trugen. Aber wenn ich den Brunch meiner Mutter belieferte, hatte ich die Berlin-Hose und ein Shirt an, auf dem Zuckerbrot ist alle! stand.
Bea drückte mich an sich. Ihr knochiger Körper pikte warm in meine Speckschichten. Dann öffnete sie das Hoftor, und ich kletterte zurück auf den Sitz, um den Wagen bis zur Haustür zu fahren.
Schließlich stieg ich aus, öffnete den Laderaum, hob vorsichtig eines der Pakete hoch und folgte Bea ins Haus. Drinnen war das Büfett aufgebaut. Vermutlich hatte Bea für die eine Hälfte davon die ganze Nacht in der Küche gestanden und für die andere Klausens Lieblingscatering beauftragt. Mir wurde schlecht beim Anblick der Haxen und des Grünkohls neben dem Rechaud mit Rührei und Speck und der Milch, die sofort all diese Gerüche aufnehmen und bestialisch auf dem Müsli schmecken würde. Ich brachte nach und nach die Platten hinein, stellte sie auf dem dafür vorgesehenen Tisch ab und rückte sie noch etwas zurecht.
Bea kam mit einem Fotoapparat und machte Bilder. »Wunderschön hast du das gemacht!« Sie lächelte, und in meinem Körper breitete sich Wärme aus.
Ich ignorierte mein rot anlaufendes Gesicht und nahm die Milch. »Erlaubst du, dass ich das hier dorthin stelle, wo es nicht nach Grünkohl und Ei …«
»Lass das ma, Knubbelchen!«, brummte plötzlich eine Männerstimme.
Klaus Kirchner himself schlurfte die Treppe herab. Sein schneeweißes Haar akkurat geschnitten, die Ärmel des legeren Hemds aufgerollt, dazu eine dunkle Cordhose. Eigentlich sah der Ehemann meiner Mutter immer gleich aus. Seine nach unten gezogenen Mundwinkel, sein miesepetriges Gebrumme und sein unleidlicher Charakter wurden von der gewissenhaft gebügelten Kleidung nicht aufgewogen. Pami und ich hatten ihn schon vor Jahren »Klaus, den brummeligen Troll« getauft.
»Deine Mutter hat die Aufstellung seit Wochen geplant. Lass die Milch, wo sie ist! Du hast doch deinen Katzentisch. Wir bezahlen dich fürs Liefern – nicht dafür, dass du alles durcheinanderbringst!« Er kam zu uns und legte einen Arm um Bea.
»Ach, meine kleine Köchin will ja nur helfen!«, beschwichtigte die und schmiegte sich an Klaus.
Der Troll musterte meine Jogginghose, die meinen Arsch – zugegeben – noch fetter machte, und schnaufte. »Klein, ha!«
»Nun hör doch auf!« Bea lachte. »Schau, wie schön sie die Platten angerichtet hat!«
»Ganz passabel, muss ich sagen. Hast du das gemacht oder die kleine Schwarze?«
»Das habe ich zubereitet, und der Name meiner Freundin lautet Pamela!«
»Jaja, kein Grund, frech zu werden, Knubbelchen!«, sagte er und tätschelte meine Schulter.
Ich schüttelte seine mit Altersflecken übersäte Hand ab, als es klingelte. Klaus tappte zur Tür, ohne mich weiter zu beachten.
»Da sind sie schon!«, stellte Bea überflüssigerweise fest. »Willst du bleiben, Aileena?« Seit sie in bessergestellten Kreisen wandelte, nannte sie mich so und sich selbst Beatrix statt Beate. Sie musterte erneut meine Kleidung und setzte leise nach: »Ich könnte dir ein hübsches Wickelkleid borgen, in dem sähest du gescheit aus. Du könntest ein paar Visitenkarten verteilen, Aileena.«
»Lass nur, Beatrix! Ich gehe und werde dich nicht blamieren«, sagte ich deutlich. »Aber vielleicht erlaubst du, dass ich ein paar Flyer auf meinen Katzentisch lege?«
»Ach du, du blamierst mich doch nicht! Du weißt, wie stolz ich auf meine selbstständige, unabhängige Tochter bin!«, rief sie mit einem Auge auf die Damen, die sich gerade näherten.
»Unabhängig, ha!«, grunzte der Troll, der schon wieder neben Bea stand.
Ich schluckte meinen Groll hinunter. Auch der Troll hatte uns Geld für das Unternehmen geliehen. So gerne hätte ich ihm als Erstem alles zurückgezahlt, damit er still war. Obwohl nur ein Drittel des Startkapitals von ihm stammte, ritt er immer wieder auf dem Thema herum. Die Crusqs sprachen von selbst gar nicht über das Geld, dabei war es für sie tatsächlich ein Opfer. Deswegen zahlten wir jeden Cent, der übrig war, an sie aus. Aber es brachte nichts, darüber zu streiten. Ich hatte von Klaus genau so etwas erwartet. Er hatte mir das Geld nicht geliehen, weil er mich mochte oder gar an mich glaubte, sondern weil Bea ihn überredet hatte.
Ich holte schweigend meine Flyer aus dem Auto, verteilte sie auf dem Tisch, verabschiedete mich von meiner Mutter und verschwand.