Читать книгу Hinter dem Schein die Wahrheit - Claudia Breitsprecher - Страница 5
Freitag, 14. November 2014, 17.12 Uhr
ОглавлениеEr hielt die Augen fest geschlossen, biss die Zähne zusammen und spannte die Muskeln an, so fest er konnte. Als es endlich vorbei war, hörte er, wie die Jungs johlend davonliefen, wie ihre Rufe sich entfernten, leiser wurden und immer leiser. Er lag gekrümmt auf der Seite und atmete in den kalten Boden hinein, hielt sich noch immer die Arme schützend um den Kopf und stöhnte vor Schmerz. So eine Scheiße! Langsam öffnete er die Augen, das Blut rann von der Braue zur Nasenwurzel hin, vermischte sich dort mit seinen Tränen, lief weiter, tropfte ins novembermatte Gras. Am liebsten wollte er zusammen mit der Flüssigkeit in der Erde versickern. O Mann, Jacob, was bist du für ein Idiot, beschimpfte er sich selbst und lauschte. Als die anderen nicht mehr zu hören waren, rappelte er sich auf, hockte auf dem Boden und wischte sich mit dem Halstuch das Gesicht trocken. Er spürte in seinen Körper hinein. Die Unterlippe tat höllisch weh, wo eine Faust sie getroffen hatte, aber die Zähne waren noch fest. Die Platzwunde über dem Auge pulsierte. Wenigstens schienen die Knochen heil geblieben zu sein, obwohl – was hatte dieses Stechen in seiner linken Seite zu bedeuten? Vielleicht war doch eine Rippe gebrochen? Ein Wunder wäre das ja nicht, so wie sie auf ihn eingetreten hatten, als er schon am Boden lag. Er betrachtete das blutige Halstuch. Warum bloß, warum? Wollten sie ihn einschüchtern, weil er von den Pillen wusste, mit denen sie dealten? Hatten sie selbst welche eingeschmissen oder waren sie einfach scharf darauf, einen wie ihn zu verprügeln? Die blöde Schwuchtel. Den Schwanzlutscher.
Er schloss die Augen wieder, spürte die Schwere im Herzen, wollte nicht denken, wollte sich nicht erinnern, aber die Bilder kamen und setzten ihm zu.
Die letzten Schulstunden der Woche waren geschafft, die feuchte Luft roch nach Schweiß, Duschgel und Deo. Er hatte getrödelt, weil auch Philipp nach dem Sportunterricht immer lange brauchte, und nun waren nur noch sie beide im Umkleideraum. Jacob musterte Philipp verstohlen, die schmalen Hüften in den engen Jeans, den nackten Oberkörper, das Spiel seiner Muskeln, als er sich die streichholzkurzen Haare trocken rieb. Plötzlich drehte Philipp sich um, als spürte er, dass er beobachtet wurde. Jacob wandte sich ab, aber es war zu spät. Philipp hatte ihn ertappt und baute sich dicht vor ihm auf.
»Na, was ist, willst du mich ficken?«, fragte Philipp und sah ihn herausfordernd an.
Jacob sackten beinahe die Knie weg. Sprachlos stolperte er einen Schritt rückwärts.
Philipp grinste hämisch. »Ich kann das ja mal den anderen erzählen. Das wird sicher ein Spaß.«
Jacob schüttelte den Kopf. Er musste sofort etwas erwidern, irgendetwas, damit sich diese Idee nicht in Philipps Kopf ausbreitete. Und er musste cool bleiben dabei, durfte sich bloß nicht anmerken lassen, wie erschrocken er war.
»Was geht denn bei dir ab?«, brachte er mühsam hervor und merkte selbst, wie wenig überzeugend er klang. So ging das nicht, da musste er mächtig zulegen. »Du spinnst doch! Hast wohl selbst von den Dingern genascht, die du sonst auf dem Schulhof vertickst.« Er deutete auf Philipps Lederjacke. »Meinst du, ich weiß nicht, was da drin ist? Wie wär’s, wenn ich darüber mal rede.«
Ja, das war schon besser. Nun verging Philipp das Lachen, es gefror förmlich auf seinem Gesicht. Jacob sah es erleichtert, er hatte einen Treffer gelandet. Eigentlich wollte er nicht drohen, er wollte auch keinen Stress mit Philipp, ganz im Gegenteil. Aber dass Philipp ihn outete, konnte er auf keinen Fall riskieren. Betont lässig schwang er sich den Rucksack über die Schulter, stieß Philipp im Vorbeigehen an und verließ den Umkleideraum in der Hoffnung, dass die Sache damit erledigt war.
Aber dann erhielt er diese Nachricht, als er zu Hause über seinen Schularbeiten brütete. Komm um fünf zum Weiher, hatte Philipp geschrieben. Lass uns reden. Und: Eigentlich find ich dich ja auch ganz süß.
Er presste das Tuch gegen die aufgeplatzte Augenbraue, und die Scham breitete sich in ihm aus wie ein schleichendes Gift. Was hatte er sich denn eingebildet? Wie hatte er nur darauf hereinfallen können und glauben, was da stand? Hätte er bloß auf seine innere Stimme gehört, die Alarm geschlagen hatte, die voll auf Abwehr gegangen war. Schließlich passte die Nachricht nicht zu Philipp. Er war nicht schwul. Eigentlich war er nicht einmal nett. Er war ein fieser Macho mit einer großen Klappe. Ein Fußballspieler. Jacob hasste Fußball, und trotzdem ging er seit Monaten immer wieder zum Sportplatz, wenn die A-Jugend spielte. Das war doch alles völlig bescheuert. Er begriff ja selber nicht, warum er sich ausgerechnet in Philipp …
Er seufzte. Eigentlich find ich dich ja auch ganz süß. Eine üble Falle hatten sie ihm gestellt, und er war hineinspaziert wie in Trance. Welche Wahl hatte man denn, wenn auch nur der Hauch einer Chance bestand? Da konnte die innere Stimme warnen, so viel sie wollte. Das Herz hörte eben schlecht, wenn es so wild vor sich hin pochte.
Ein Blick in den Spiegel. Gel ins Haar. In Windeseile mit dem Rennrad die Hauptstraße entlang und aus dem Dorf hinaus. Ein Auto hupte ausdauernd, als er quer über die Straße in den Wald abbog, ohne es vorher anzuzeigen. Gerade noch pünktlich kam er am Weiher an, stapfte über die unebene Wiese, die von Wildschweinen umgepflügt worden war. Philipp erwartete ihn schon, und sie waren so allein, wie Jacob es sich immer erträumt hatte. Die Lichtung lag im Dämmerlicht, aus dem Wasser stieg der Abendnebel in die nasskalte Luft. Jacob strahlte, aber Philipp lächelte nur, lächelte auf eine fremde Weise, hart und kalt. Das Misstrauen keimte auf und wurde Gewissheit. Hier stimmte etwas nicht.
»Glaubst du wirklich, du kannst mir drohen?« Philipp winkte mit dem Arm in Richtung der Büsche, und seine beiden Kumpel vom TSV Eschenreuth traten heraus. Die zwei wohnten nicht im Dorf, Jacob kannte sie nur vom Fußballplatz, Nummer sechs und Nummer acht, wenn er sich richtig erinnerte. Jetzt gesellten sie sich an die Seite ihres Torwarts, und Jacob begriff, was kommen würde, war schon besiegt, bevor sie begannen, auf ihn einzuprügeln.
Fuck! Er warf das Halstuch auf den Boden und befühlte die Braue; ein dickes Ei, aber wenigstens blutete die Wunde nicht mehr. Sein linkes Auge war zugeschwollen, mit dem rechten schaute er sich um. Inzwischen war es schon ziemlich dunkel. Er musste hier weg, bevor der Wald auch noch das letzte Licht des Tages schluckte.
Na los, steh auf, sagte er zu sich selbst. Das hier ist ein Kaff. Ein halbes Jahr noch, dann bist du achtzehn. Im nächsten Sommer hast du das Abi in der Tasche und kannst hier weg. In die Stadt, so wie Annette damals, als sie kaum älter war als er. Oder so wie Paps. Wenn Mama einverstanden gewesen wäre, dass sie alle bei Paps in Prag lebten, wäre das gar nicht passiert. Dann ginge er dort zur Schule und nicht auf dieses öde Gymnasium, in das er mit dem Schulbus gebracht wurde wie alle anderen aus dem Dorf. Auch Philipp. Wie sollte das denn werden in der nächsten Woche? Das ging doch nicht!
Er stand vorsichtig auf. Die linke Seite fühlte sich an, als stäche jemand im Sekundentakt mit einer Mistgabel gegen seinen Brustkorb. Er sah hinüber zu seinem Rad, das er am Wegesrand gegen eine Birke gelehnt hatte. Er würde sich nicht darauf halten können. Also zu Fuß den weiten Weg nach Hause. Wie viele Schritte waren denn zwei Kilometer? Viel zu viele mit diesem Schmerz.
Vielleicht sollte er Holger anrufen, überlegte Jacob. Auf Holger war doch Verlass, der alte Freund seiner Mutter würde ihn bestimmt mit dem Moped abholen. Auf einem Moped würde Jacob sich halten können, und Holger würde ihn nicht mit Fragen nerven und auch nicht im Dorf herumtratschen, was geschehen war. Vielleicht wäre es auch nicht schlecht, ihn in der Nähe zu haben, wenn die Mutter von ihrer letzten Kundin nach Hause kam, wenn sie ihn sah und die Wahrheit ans Licht musste.
Seine Mutter, oje. Wie sollte er ihr das beibringen? Das hatte er doch völlig anders geplant.
Er fasste in seine Jackentaschen. Das Portemonnaie war da und auch sein Schlüsselbund, aber wo war das Handy? Er fasste tiefer hinein und fand es nicht, prüfte die Innentasche – nichts. Das Blut schoss ihm heiß durch die Adern. War das Handy herausgefallen oder …?
Hektisch suchte er die umgewühlte Wiese ab, seine Finger ertasteten feuchte Blätter und verwittertes Holz, einen Kronkorken, einen Regenwurm, aber sein Handy nicht. Er suchte weiter und weiter, tastete, fluchte. Nahm das blutverschmierte Halstuch hoch, aber auch darunter kam das Handy nicht zum Vorschein. Er schleuderte das Tuch wieder weg.
O nein, nicht das Handy, dieses teure Teil mit dem schnellen Internet und dem großen Speicher! All seine Musik. All seine Bilder und Videos. DAS Video. Wenn sie ihm das Handy geklaut hatten, hätten sie ihn eigentlich auch gleich totschlagen können. Es war eingeschaltet, und sie würden nicht lange brauchen, um den Pin-Code zu erraten. Philipps Geburtsdatum. Keine sehr originelle Idee, aber wer hätte denn ahnen können, dass ausgerechnet Philipp mit seinen Freunden ihm das Ding wegschnappen würde. Vier Ziffern, dann konnten sie alles aufrufen. ALLES. Dabei hatte er das Video doch nur für seine Eltern aufgenommen. Eines Tages wollte er es ihnen schicken. Irgendwann, wenn er sich stark genug fühlte und seine Mutter in guter Verfassung war. Er konnte es ihr nicht ins Gesicht sagen. Nicht den ersten Moment erleben, wenn sie es erfuhr, von Angesicht zu Angesicht. Seine eigene Rede. Mama, Paps, ich will euch was sagen …
Er versuchte, sich zu beruhigen. Vielleicht ahnten sie es ja längst. Und außerdem hatten sie nichts gegen Schwule. Immerhin war seine Mutter mit Annette befreundet, und das schon beinahe ihr ganzes Leben lang. Er hätte wenigstens Annette schon einweihen sollen, um eine Verbündete zu haben, wenn es darauf ankam. Aber gerade das hatte er eben nicht gewollt. Erst seine Eltern, danach alle anderen. So hatte er es sich gewünscht für die Zeit, in der er endlich den Mut fand. Denn Mut gehörte nun einmal dazu.
Mama, Paps, ich will euch was sagen … Die halbe Schule war in seinem Adressbuch, die Oma, der Opa, alle Leute, die er kannte. Wie sollte er es aushalten, zu Hause zu sitzen wie auf einer Zeitbombe, die jeden Moment hochgehen konnte? Das Tuscheln im Dorf. Das Gucken und Drucksen. Mamas Kundinnen, ihre Freundinnen, ihre Eltern. Das würde sie nicht durchstehen. Sie war ja schon ausgeflippt, als er sich das Nasenpiercing hatte stechen lassen, ohne sie um Erlaubnis zu fragen. Dieser eisige Blick. Das lange quälende Schweigen. Und natürlich wieder Tabletten. Sie regte sich doch schon auf, wenn Paps in Jogginghosen zur Tankstelle ging, um die Zeitung zu holen. Das war ja zu gewöhnlich. Das gehörte sich nicht.
Er suchte weiter und immer weiter, aber das Handy war nicht da. Hilfe, schrie etwas in seinem Inneren, und er wollte fliehen vor dem, was sich da anbahnte, stolperte über die Lichtung zum Weg hinauf. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Einfach weg, irgendwohin, wo niemand ihn finden würde und wo es das Video nicht gab. War es denn nicht genug, dass sie ihn halbtot geschlagen hatten? Halbtot, jawohl, so fühlte er sich. Und eben deshalb käme er nicht weit. Allein zum nächsten Bahnhof waren es zwölf Kilometer, und am Freitagabend fuhr kein Bus mehr. Mamas Auto stand vor der Tür, aber wenn er unbegleitet damit fuhr und die Polizei ihn erwischte, gäbe es noch mehr Ärger. Wo sollte er bloß hin, bis die Beulen abgeschwollen und die Wunden verheilt sein würden? Bis er sicher sein konnte, dass keiner der Jungs das Video verschickte.
Götzls Hof. Aus dem Nichts kam ihm der Kuhstall des Bauern in den Sinn, der einen fantastischen Heuboden hatte. Wie oft war er dort gewesen, hatte Strohballen übereinander getürmt, um durch die Dachluke auf sein Zuhause auf der anderen Straßenseite hinunterzuschauen. Spiel nicht dort, hatte die Mutter ihn ermahnt, als er noch ein Kind gewesen war. Der Götzl ist ein Säufer. Glaubte sie denn, dass er immer tat, was sie sagte? In all den Jahren war der Kuhstall mit dem Heuboden darüber sein eigenes Reich gewesen. Unbemerkt vom Rest der Welt hatte er ein Volk aus Kühen, Mäusen und Ratten regiert, während niemand ihn vermisste. Manchmal hatte er seine Playmobil-Ritter ruhmreiche Taten vollbringen lassen. Die Figuren lagen sicher noch immer in dem alten Versteck. Die Playmobil-Ritter, zweite Generation. Heimlich hatte er sie auf dem Heuboden deponiert. Und heimlich musste er jetzt selbst dorthin gelangen.
Er zog sich die Kapuze auf den Kopf, als er aus dem Wald trat und an der Straße entlang zurück ins Dorf ging. Jeder Schritt tat weh, aber er musste sich beeilen. Falls er jetzt wenigstens ein bisschen Glück hatte und vor seiner Mutter zu Hause war, konnte er noch Proviant holen. Und vor allem das Notebook. Bestimmt reichte das WLAN bis hinüber zu Götzls Hof, und wenn nicht, konnte er den Stick nehmen, um ins Netz zu gehen und nachzuschauen, ob das Video irgendwo auftauchte. Bei der Vorstellung wurde ihm schwindelig. Shit! Hätte er Mama und Paps doch einfach alles gesagt. Er blieb stehen und seufzte. Einfach war ja Unsinn. Einfach war es eben nicht.
Gerade als er zu Hause ankam, begann es zu regnen. Er blickte auf und registrierte, dass keines der Fenster im Haus erleuchtet und seine Mutter weit und breit nicht zu sehen war. Erleichtert schloss er auf, schaltete das Licht im Flur ein, betrachtete sich selbst im Garderobenspiegel und erschrak. Das linke Auge sah krass aus, die Unterlippe verkrustet von geronnenem Blut. Der helle Wahnsinn, dachte er, Klitschkos Gegner nach dem K.o. Ging das von selber wieder weg oder musste er doch zum Arzt?
Mit einem Ruck löste er sich von seinem Spiegelbild, zog sich am Treppengeländer hoch und biss die Zähne zusammen, senkte den Blick und sah, dass aus dem Profil seiner Schuhe schwarze Klumpen auf die Fliesen rieselten, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Er ging in sein Zimmer. Das Notebook lag auf dem Schreibtisch. Er nahm die Schulsachen aus dem Rucksack, um Platz zu schaffen. Jetzt war er froh, dass er immer das Kabel benutzte, wenn er zu Hause arbeitete. Der Akku musste vollständig geladen sein. Jacob verstaute das Notebook im Rucksack und stieg die Treppe vorsichtig wieder hinunter; bloß keine Erschütterungen. Im Kühlschrank fand er eine volle Flasche Wasser und den Rest der Quiche vom Mittagessen. Er packte beides ein, bog ins Wohnzimmer ab, nahm auch die Äpfel und Bananen aus der Kristallschale mit. Eine überreife Birne ließ er liegen.
Wieder im Flur, hielt er inne. Musste er nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen? Er betrachtete den Notizblock auf der Kommode in der Diele. Wie üblich lagen die beiden Kugelschreiber parallel zu seiner Kante bereit – der blaue für gewöhnliche Notizen, der rote für besonders dringliche Mitteilungen, deren Beachtung keinerlei Aufschub duldete. Er nahm den roten Stift in die Hand und dachte nach. Was sollte er denn schreiben? Hallo Mama, ich bin völlig ramponiert, ich muss mich verkriechen, es wird Aufregung geben? Er legte den Stift wieder hin. Nein, keine Nachricht heute.
Behutsam schob er sich den Rucksack über die Schulter, holte eine alte Decke aus der Abstellkammer und machte sich auf den Weg.
Viel schwerer als früher fiel es ihm, die Stalltür zu öffnen. Die Kühe muhten laut, als er eintrat, liefen durcheinander, die einen zu den Futtertrögen, die anderen Richtung Melkstand, sie wateten in ihrem eigenen Dreck. O Mann, wechselte denn der Götzl jetzt nicht mal mehr das Stroh aus? So hatte es hier doch damals nicht gestunken. Jacob legte eine Hand vor Mund und Nase, aber dennoch nahm eine quälende Übelkeit ihn mit jedem Atemzug stärker in Besitz. Götzls grauweiße Katze lief auf ihn zu, strich ihm um die Beine. Unmöglich, sich zu bücken, um sie zu streicheln. Mit dem Fuß schob er sie sachte beiseite und schleppte sich vorwärts, erblickte die Leiter, die zum Heuboden hinaufführte, schaute nach oben. War das immer schon so hoch gewesen? Umständlich klemmte er sich die Decke unters Kinn, umfasste die Leiter mit beiden Händen. Komm schon, du schaffst das, feuerte er sich an, als er die erste Sprosse erklomm. Wieder stach ihm der Schmerz in die linke Seite. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, und nun war es nicht mehr aufzuhalten. Er ließ die Decke fallen, eilte so schnell es ging zum nächsten Futtertrog und erbrach sich hinein. Das Würgen war ekelhaft, und doch kam es ihm richtig vor. Die Sache mit Philipp, die Schläge und Tritte am Weiher, das gestohlene Handy; zum Kotzen war das alles, raus damit, zum Kotzen das ganze Leben in diesem Nest, raus, raus, igitt.
Als nichts mehr aus seinem Magen nach oben drängte, schlurfte er zum Wasserhahn und drehte ihn auf, spülte sich den Mund aus und schaufelte sich das kühle Nass ins Gesicht. Ja, jetzt war es besser. Jetzt würde er den Gestank ertragen können, und die Leiter würde zu schaffen sein. Sprosse für Sprosse und mit Bedacht. Als er oben angekommen war, ließ er sich ins Stroh sinken, schob sich die Decke unter den Kopf und sah Sterne. Dann wurde es dunkel.