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Ein Wort vorab

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Die Idee zu diesem Buch entstand in der Zeit nach der Veröffentlichung der von der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in Auftrag gegebenen Studie mit dem sperrigen Titel „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“, nach den Standorten der Institute der beteiligten Wissenschaftler*innen, Mannheim, Heidelberg und Gießen, kurz „MHG-Studie“ genannt.1 Die Inhalte der Studie überraschten mich nicht. Als Betroffene von sexuellem Missbrauch durch einen Priester bin ich in den vielen Jahren der not-wendigen Aufarbeitung tief hinabgestiegen in die Abgründe des Männerbundes Katholische Kirche. Un-er-träglich aber sind für mich die Lippenbekenntnisse der Kirchenoberen, die sich bestenfalls in Reförmchen verlieren, statt das Übel an den Wurzeln zu packen und die unübersehbaren Zusammenhänge von sexualisierter Gewalt und dem Missbrauch klerikaler Macht anzuerkennen und ernsthaft zu bearbeiten.

Dies ist kein Buch über Missbrauch und auch keines über die haltlosen Zustände in den christlichen Kirchen oder anderen Religionsgemeinschaften. Ich erzähle davon nur so viel, wie als Begründung für meine Auffassung einer dringend notwendigen Erneuerung nötig ist. Um einen Sumpf trockenzulegen, braucht man ihn nicht noch mit Aufmerksamkeit wässern. Deshalb habe ich das Buch in zwei Teile gegliedert: Der zweite, kürzere Teil beschreibt die Zustände, wie ich sie wahrnehme und für zwingend reformbedürftig halte. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir uns der Realität des Ist-Zustandes stellen, so unangenehm die Auseinandersetzung damit auch ist. Ursprünglich sollte das Buch mit diesem Teil beginnen. Ich hatte zunächst die kirchlichen Missstände beschreiben und dann übergehen wollen zu meiner Vision von einem spirituellen Leben im Christusbewusstsein und einer für mich wünschenswerten lebendigen Religionsgemeinschaft. Doch als ich wahrnahm, wie mich die Beschreibung dieser schlimmen Zustände energetisch schwächte und dass sich der Hebel hin zum Neuen und Freudvollen nur schwer umlegen ließ, beschloss ich, die Zukunftsthesen voranzustellen und den kirchlichen Sumpf hintan. Wenn wir uns zu sehr beim Thema Kirche und den damit verbundenen Missständen aufhalten, verlieren wir leicht den Zugang zu der Vorstellung, wie sich Glaube und Spiritualität anders anfühlen könnten.

Das ist das Problem unserer und, wenn wir nicht schleunigst etwas anderes vorleben, der nachfolgenden Generationen: Wir verbinden die christliche Religion so sehr mit den kirchlichen Machtstrukturen, dass wir größtenteils auch mit der Ursprungsidee nichts mehr zu tun haben wollen. Dieses Problem erzeugt Kirche selbst und hält es in ihrem sturen Beharren auf überkommenen Positionen aufrecht. Solange die Vertreter dieses Systems weiterhin das Monopol beanspruchen für die Weitergabe des christlichen Glaubens und die Art, wie er auszugestalten sei, werden sich immer mehr Menschen kopfschüttelnd abwenden. Von Kirchenvertretern wird oft der in unserer Gesellschaft vorherrschende Trend zur Individualisierung beklagt. In religiöser Hinsicht war diese Emanzipation bitter notwendig, um aus dem engen Korsett der Normen und Vorschriften auszubrechen, den der kirchliche Machtapparat, egal welcher Konfession, im Lauf der Jahrhunderte zur Perfektion brachte. Diese Ketten zu sprengen war ein echter Befreiungsschlag, allerdings mit weitreichenden Folgen, die uns vielleicht nicht nur guttun. Machen wir uns nichts vor: Die Mehrheit der aufgeklärten Menschen in unserer westlichen Welt interessiert sich keinen Funken mehr für das, was Kirche ihnen vorschreiben will. In einer TV-Talkshow rutschte mir einem Bischof gegenüber heraus: „Ihr macht unsere Religion kaputt!“ In BILD online brachte es dieser emotionale Ausbruch zum „Zitat des Tages“, eine zweifelhafte Auszeichnung, die mich nachdenklich macht: Wo liegt der Grund für den medialen Applaus? Vermutlich spürten auch die Medienvertreter die darin enthaltene Wahrheit: Der klerikale Machtapparat in seiner Erstarrung und Verkommenheit trägt dazu bei, dass Menschen sich zugleich auch von der eigentlich so segensreichen und wohltuenden Religion abwenden. Diejenigen, die die Mühe auf sich nehmen, Glaube, Religion, Christentum und Kirche auseinanderzusortieren, finden oft zu einer freudvollen, lebendigen Spiritualität mit unmittelbaren Christusbegegnungen und Gotteserfahrungen zurück. Dabei gehen viele von ihnen ihren Weg mutterseelenallein, meist nur begleitet von guten Büchern und, mit etwas Glück, von der ein oder anderen Freundin, mit der sich über etwas anderes reden lässt als über die letzte Urlaubsreise oder die neuesten Errungenschaften in Haus und Hof. Jetzt aber ist es an der Zeit, allmählich aus den Löchern zu kriechen und sich wieder zusammenzutun, um intensiven Austausch zu pflegen, tragfähige Gemeinschaften zu bilden und miteinander neue Wege zu gehen – auf einer alten, aber ungebrochen aktuellen Basis, nämlich dessen, was uns dieser Jesus Christus an heilsamen und freudvollen Botschaften gebracht und hinterlassen hat. Wenn dieses Buch einen kleinen Beitrag dazu leistet, hat es seinen Sinn erfüllt.

Im Februar 2020

Claudia Mönius

Religion ohne Kirche

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