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Katrin saß im Berliner Promilokal Darius und blätterte in der UP. Das konnte doch nicht wahr sein! Henning Bach ein Vergewaltiger? Oder besser, ein mutmaßlicher Vergewaltiger. »Mutmaßlich«, murmelte sie geringschätzig vor sich hin. Dieses unscheinbare Wort vor der eigentlichen Anschuldigung mochte rechtlich gesehen zwar den großen Unterschied machen, die Leser dieses Klatschblatts würden davon jedoch kaum Notiz nehmen. Unterm Strich wurde lediglich wahrgenommen, dass Bach ein Gewaltverbrechen begangen hatte. Und die Tat würde den bisherigen Publikumsliebling für den Rest seines Lebens verfolgen. Ob er sie nun begangen hatte oder nicht, dachte sie wütend. Ihre beste Freundin hatte wieder einmal zugeschlagen. Und Bach lag womöglich für immer am Boden. Sollte er diese Sandra S. tatsächlich vergewaltigt haben, ging sein K. o. zwar okay, doch Katrin war der Meinung, dass der Mann zuerst einmal gerichtlich verurteilt werden sollte, bevor ihn die Medien fertigmachten. »Im Zweifelsfall für den Angeklagten«, hatte vielleicht früher einmal gegolten, bevor journalistische Arbeit ausschließlich an verkauften Auflagen respektive Quoten gemessen wurde. Es war zum Kotzen. Claras Artikel war zum Kotzen. Und ihr selbst war auch zum Kotzen zumute.

Angewidert steckte Katrin das bunte Klatschblatt in ihren cognacbraunen, auf antik getrimmten Lederbeutel, den sie bei der letzten Shoppingtour mit Clara erstanden hatte. Eigentlich war sie gar nicht der Typ für derlei modische Eskapaden, aber Clara hatte sie zum Kauf des Must-haves dieser Saison überredet. Das trendige Teil war dementsprechend kostspielig gewesen. Viel zu teuer für ihren Geschmack. Katrin hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie an die hohe dreistellige Summe dachte, die von ihrem Konto für eine einzige dämliche Handtasche abgebucht worden war. Der braune Beutel, der im Laden gegenüber für 69,90 Euro angeboten wurde, hätte es von ihr aus auch getan. Doch Clara war der Meinung, dass sie sich ruhig etwas Luxus gönnen sollte. Schließlich konnte sie sich ein solches Designerteil durchaus ab und zu leisten. Damit hatte die Freundin nicht unrecht.

Katrin beobachtete, wie Clara am Eingang den Regenschirm zuklappte und aus ihrem grellbunten Pucci-Regenmantel schlüpfte. Nachdem sie beides an der Garderobe abgegeben und den Raum auf bekannte Gesichter gescannt hatte, näherte sie sich lächelnd ihrem Tisch. Unterwegs nickte sie einer Männerrunde zu. Am Nebentisch hielt sie kurz an, um mit der Frau im dunkelroten Businesskostüm und deren Begleiter ein paar Worte zu wechseln. Katrin kannte keines der beiden Gesichter. Aber anscheinend waren sie wichtig. Sonst hätte Clara sie nicht begrüßt.

»Katinka! Wie schaust du denn drein? Hat dir das Wetter auf die Psyche geschlagen?« Die Freundin nahm ihr gegenüber am schlicht gedeckten Zweiertisch aus massivem Nussholz Platz. Den hatte Katrin nur deshalb so kurzfristig ergattert, weil sie ihn für Clara Bodenstein hatte reservieren lassen. Für die Chefredakteurin der UP fand sich immer und überall ein Plätzchen. Selbst im Darius, dem angesagtesten Restaurant der Stadt, das seit seiner Eröffnung vor einem Dreivierteljahr nahezu lückenlos ausgebucht war.

Clara nannte die schicke Location ihr zweites Büro. Schließlich gaben sich hier die Promis die Klinke in die Hand, von denen die Society-Reporterin gut lebte, und die umgekehrt von ihr lebten. Jedenfalls solange sie bei ihr nicht in Ungnade fielen, wie zuletzt Henning Bach.

Auch der Besitzer des Restaurants, Darius Schneyder, der sich zuvor als Caterer beim Film einen Namen gemacht hatte, wusste, dass Leute wie Clara Bodenstein über Erfolg oder Niederlage entschieden. Für sie konnte er jederzeit einen Tisch freimachen.

»Mir geht’s prima, danke«, antwortete Katrin beiläufig.

»Ich glaube dir kein Wort.« Clara heftete ihren Blick auf die breite schwarze Wandtafel hinter der Bar. Die schwungvolle Kreideschrift pries Darius’ wohlklingende Tagesspezialitäten an.

»Alles ist bestens«, versicherte Katrin wenig überzeugend.

»Na, komm schon. Was ist los mit dir? Weshalb wolltest du mich so dringend unter vier Augen sprechen?«

Ihrer besten Freundin konnte Katrin nichts vormachen. »Na schön. Ich bin vielleicht ein wenig überarbeitet. Und außerdem schlecht gelaunt«, gestand sie Clara. Ob sie ihr an den Kopf werfen sollte, dass ihr moralisch bedenklicher Artikel über Henning Bach der eigentliche Grund für ihre miese Laune war? Nein. Es war nicht der geeignete Zeitpunkt, eine Grundsatzdiskussion anzuzetteln. Die konnte getrost ein andermal stattfinden, beschloss Katrin.

Die Aufmerksamkeit ihres Gegenübers galt ohnehin längst dem prominenten, viel zu schönen Mann am anderen Ende des Speisesaals, der freundlich herüberwinkte. Clara nickte lächelnd zurück. Das blutjunge tschechische Topmodel an seiner Seite schickte ihr makelloses 10.000-Euro-pro-Tag-Strahlen hinterher.

»Sieh mal an. Ben Schlesinger mit der Kouskova. Unser Filmbeau hat gerade die Hauptrolle in einem mega Filmprojekt neben der Benz ergattert. Sie drehen ab Mai auf Mallorca. Der Reimann wird Regie führen.« Clara war wie immer gut informiert.

»Sie drehen Straße ohne Schatten. Ich weiß«, erwiderte Katrin, gelassen an einem Stück Oliven-Ciabatta kauend.

»Ach! Straße ohne Schatten? Woher weißt du das, bitte schön?« Clara sah der Freundin zum ersten Mal an diesem Tag länger als drei Sekunden in die Augen.

»Erkläre ich dir gleich. Lass uns zuerst bestellen. Ich bin ein wenig in Eile.« Katrin winkte den Kellner herbei.

»Jetzt red schon! Woher weißt du von diesem Film?« Clara rutschte auf ihrem Sessel nach vorn.

Der Kellner unterbrach ihr Gespräch, um die Bestellung aufzunehmen. Erst nachdem er verschwunden war, rückte Katrin endlich mit ihrem Anliegen heraus. »Ich habe dir ein interessantes Angebot zu unterbreiten.«

»Ach ja? Und welches?« Wenn die Neugierde einen Namen hatte, dann hieß sie Clara Bodenstein.

Katrin rutschte ebenfalls auf ihrem Stuhl nach vorn, damit Clara sie im akustischen Tohuwabohu des voll besetzten Speisesaals auch mit leiser Stimme hören konnte, ohne dass der Nachbartisch alles mitbekam. Immerhin war diese Angelegenheit topsecret. »Jackie Benz möchte ihre Biografie veröffentlichen. Und sie möchte, dass du sie schreibst«, verkündete Katrin ohne Umschweife.

Clara sah sie verblüfft an, als der Kellner die Getränke vor ihnen abgestellt hatte.

Gespannt wartete Katrin auf eine Reaktion, während sie selbst an ihrem Apfelsaft nippte. Jackie Benz’ Biografie war zweifellos ein programmierter Bestseller. Erst recht, wenn es gelang, den schillernden Filmstar und die Königin des Boulevards zusammenzuspannen. Was für den Ettinghaus-Verlag ein starker Umsatzbringer war, konnte für Katrin zu einem Meilenstein in ihrer Karriere werden. Dann nämlich würde vielleicht auch Monas schnöseliger Bruder bemerken, welches Potenzial in ihr schlummerte. Seit Monas Verschwinden hatte er das Ruder in der Firma übernommen. Von seiner Schwester gab es noch immer kein Lebenszeichen. Besonders betroffen wirkte er jedoch nicht. Oder er konnte seine Gefühle gut verbergen.

»Du meinst, ich soll für Jackie Benz die Ghostwriterin spielen?« Clara hatte die erste Überraschung verdaut und nippte an ihrem Melonensaft.

»Du wärst selbstverständlich offiziell die Autorin, falls du dieses Angebot annimmst.«

»Wie kommt sie bloß auf mich?« Clara tat, als wäre diese Idee völlig absurd.

»Sie mag eben deinen Stil. Diese unverblümt ironische Schreibe, mit der du die Leute fertigmachst, amüsiert sie.«

»Hat sie das so gesagt?« Clara fühlte sich geschmeichelt. Immerhin kam das Angebot von keiner Geringeren als der Benz. Und sie wollte ausgerechnet mit ihr zusammenarbeiten.

»So hat es ihr Agent formuliert«, erwiderte Katrin.

»Dieser langweilige Typ. Dieser … wie heißt er doch gleich noch mal? Mike, nein. Mark Soundso …«

»Mark Konrad. Der ist doch nicht langweilig. Ich finde ihn sehr nett.«

»Sehr nett … Na ja, wenn dir das reicht«, lästerte Clara.

»Ich will ihn doch nicht heiraten. Ich kenne Mark schon ewig. Er hat damals mit Klaus zusammen in der WG gewohnt. Ich hab dir doch von ihm erzählt?«

»Von Klaus, deinem peinlichen Lover? Ja, das hast du. Wie könnte ich den bloß vergessen?« Clara grinste. »Ich weiß natürlich, wer Mark Konrad ist«, fuhr sie fort. »Er läuft mir öfter bei offiziellen Anlässen über den Weg. Ich kenne ihn allerdings nur flüchtig, wie man Schauspielagenten halt so kennt. Bisher hatte ich immer nur mit Jackies PR-Agentin zu tun. Weniger mit deinem Mark ...«

»Er ist nicht mein Mark«, protestierte Katrin, was Clara mit einem spöttischen Lächeln quittierte. Warum nur stieg sie immer wieder auf die Hänseleien der Freundin ein? Es war stets dasselbe Spiel, ärgerte sich Katrin über sich selbst.

»Schon gut. Komm wieder runter, Katinka.«

Katrin lächelte säuerlich, ehe sie in geschäftlichem Tonfall fortfuhr. »Jackie Benz möchte dich zu den Dreharbeiten nach Mallorca einladen. Sie meint, ihr könntet dort die Drehpausen mit den Interviews für ihre Biografie überbrücken.«

»Ich bin doch kein Pausenclown«, entgegnete Clara forsch.

»So war es bestimmt nicht gemeint. Überleg doch mal: Du wärst live vor Ort bei den Dreharbeiten zu Straße ohne Schatten. Hautnah an der Seite des größten deutschen Filmstars. Noch dazu auf Mallorca. Schönes Wetter, leckeres Essen, jede Menge Promis und du mittendrin. Das ist doch genau dein Ding.«

»Hm. Ja, vielleicht«, meinte Clara, als der Kellner die bestellten Speisen brachte.

»Mark hat angedeutet, dass Jackie ein paar Leuten gehörig an den Karren fahren wird. Anscheinend plant sie, einige brisante Details über prominente Zeitgenossen zu enthüllen.« Katrin lehnte sich entspannt in ihrem Sessel zurück. Diesen Köder würde die Freundin schlucken, war sie überzeugt. Auf Claras Neugierde war Verlass.

»Jackie plant also eine Skandalbiografie. Das klingt tatsächlich spannend.« Clara ließ das Messer durch das dunkelrote Fleisch auf ihrem Teller gleiten und kostete den ersten Bissen. »Ausgezeichnet«, lobte sie das Carpaccio, genüsslich kauend.

»Das wird ganz bestimmt spannend. Eine solche Chance kannst du dir doch nicht entgehen lassen«, meinte Katrin aufgeregt. Ihre schlechte Laune von vorhin war verflogen.

»Gib mir ein paar Tage Zeit, um darüber nachzudenken. Außerdem muss ich erst mit Jan abklären, ob sich dieses Projekt mit meiner Position im Verlag vereinbaren lässt. Ich müsste mir dann wohl ein paar Wochen Urlaub nehmen«, überlegte Clara laut.

»Lass dir bitte nicht zu lange Zeit. Jackie scheint es eilig zu haben. Ich muss Mark deine Entscheidung spätestens in einer Woche mitteilen. Oder eine andere Autorin vorschlagen.«

Clara zog eine Augenbraue hoch. Sie hasste Ultimaten. Zumindest, wenn sie ihr gestellt wurden.

Das wusste Katrin ganz genau. »Jackie bietet dir 50 Prozent ihrer Tantiemen an. Das ist mehr als fair von ihr. Du könntest dir mit diesem Buch ein hübsches Sümmchen verdienen«, beeilte sie sich fortzufahren. »Dein Anteil am Vorschuss beträgt 20.000 Euro.«

Claras Augenbraue wanderte erneut kurz nach oben. »Ich sagte doch: Gib mir das Wochenende Zeit. Sollte ich mich dafür entscheiden, rede ich am Montag mit Decker. Und rufe dich danach gleich an.«

Katrin warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und schob ihren leeren Teller beiseite. Vorerst konnte sie nichts mehr tun. »Darf ich dir das Geld für mein Essen dalassen? Ich muss dringend ins Büro zurück.«

»Ich übernehme das schon. Geh nur.«

»Sicher?«

»Ja, klar. Geh ruhig.«

»Danke. Bis bald, Clara. Wie wär’s am Sonntag mit Kino?«

»Daraus wird leider nichts. Ich muss am Wochenende arbeiten.«

»Schade. Aber du denkst über mein Angebot nach, ja?«

»Ja-a«, betonte Clara genervt.

»Prima.« Katrin küsste die Freundin auf die Wangen und eilte zur Garderobe, um wenig später in ihrem alten beigen Wohlfühltrenchcoat aus dem Lokal zu hasten.

Clara bestellte einen Espresso und verlangte nach der Rechnung. Die Quittung steckte sie in ihre schwarze Kelly Bag, für die es jahrelange Wartelisten gab. Das sündhaft teure Stück verdankte sie einer einflussreichen New Yorker Galeristin, für deren Filialeröffnung in Berlin sie einige Promis zusammengetrommelt hatte, um anschließend in der UP über das Event zu berichten. Clara hatte jedoch darauf bestanden, die Handtasche selbst zu bezahlen, damit man ihr ja keine Bestechung vorwerfen konnte und sie nicht erpressbar war.

»Danke schön, Frau Bodenstein. Ich hoffe, es war alles zu Ihrer Zufriedenheit«, meinte die Empfangschefin, die Clara in den Mantel half.

»Es war wie immer großartig. Meine Empfehlung an den Chef.«

Das Carpaccio vom Wagyu-Rind mit jungen Löwenzahnblättern und würzigen Grana-Raspeln an extra jungfräulichem toskanischem Olivenöl hatte, wie fast alles, was aus Darius Schneyders Küche stammte, sterneverdächtig geschmeckt. Clara beschloss, ihn dafür in einer der nächsten UP-Ausgaben lobend zu erwähnen. Der begnadete Koch, der wie sie aus Wien stammte, hatte es redlich verdient.

Drehschluss

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