Читать книгу Drehschluss - Claudia Rossbacher - Страница 16
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ОглавлениеJackies gellender Schrei hatte die Finca mitten in der Nacht schlagartig mit Leben erfüllt. Jetzt wartete alles auf die Ankunft der Polizei.
Conny, die Produktionsleiterin, dachte wohl, dass die Beamten schneller eintreffen würden, wenn sie wie ein gefangener Tiger in der Eingangshalle auf und ab lief. Reimann und sein Kameramann Martin Rosen saßen Kette rauchend auf der steinernen Treppe und schmissen mit wilden Theorien um sich, wer da wohl über die Terrassentür in die Räume der Benz eingedrungen war.
Clara war als Erste in Jackies Suite gewesen, um nachzusehen. Dabei hätte sie die Angst vor einem Verbrecher, der sich möglichweise noch hier aufhielt, beinahe gelähmt. Dennoch schaffte sie es barfuß und mit schlotternden Knien bis ins Schlafzimmer zu gelangen, wo sie die nackte Schauspielerin in ihrem Bett vorfand. Arme und Beine waren an die Bettpfosten gebunden. So viel konnte Clara im fahlen Mondlicht erkennen. Jackie zappelte und zerrte an ihren Fesseln wie ein Fisch, der an Land gezogen worden war. Sie lebte noch, Gott sei Dank! Clara hatte bereits das Schlimmste befürchtet. Als plötzlich das Licht im Zimmer anging, erschrak sie fast zu Tode.
Reimann stürmte an ihr vorbei ans Bett und riss Jackie die Schlafmaske von den Augen. Jackie blinzelte kurz, warf dann ihren Kopf hin und her.
»Ruhig, Jackie. So halt doch still!«, sagte Reimann. Mit der Linken griff er sich ihr Kinn, mit der Rechten zog er das lila Seidenhöschen aus ihrem Mund. Bei allem Schrecken konnte er nicht umhin, das Ding zwischen seinen Fingern amüsiert zu betrachten, ehe er es vorsichtig beiseitelegte.
Jackie hustete und schnappte nach Luft, während Clara versuchte, eine der Fußfesseln aufzuknoten.
Reimann hatte wohl zu viele Krimis gesehen oder auch selbst gedreht, denn er schlug vor, die Stricke so zu belassen, wie sie waren, bis die Polizei am Tatort eintraf.
»Du hast sie wohl nicht mehr alle, Reimann? Willst du mich hier allen Ernstes so liegen lassen, bis die Bullen kommen? Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, ich bin verdammt splitterfasernackt!«, schimpfte Jackie. »Mach mich sofort los, Clara!«
»Warte einen Moment.« Reimann zog ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche, während Jackie lauthals weiterschimpfte.
»Jetzt macht schon! Und ihr dort drüben schert euch zum Teufel! Raus hier! Ruft lieber die Polizei!«, rief sie ihrem Co-Star und der Produktionsleiterin zu, die wie festgenagelt im Türrahmen standen und sie fassungslos anstarrten.
»Schon erledigt, Jackie. Die Polizei wird gleich hier sein«, antwortete die sonst so resolute Conny Krämer kleinlaut, ehe sie Ben Schlesinger aus dem Zimmer schubste und die Tür von außen schloss.
»Wird’s jetzt endlich?«, schnauzte Jackie den Regisseur an, der sich an ihrem Handgelenk zu schaffen machte.
»Du musst schon still halten. Ich kann sonst die Stricke nicht durchschneiden, ohne dich zu verletzen. Und die Knoten will ich auch nicht zerstören. Die könnten, wie gesagt, ein wichtiger Hinweis auf den Täter sein.«
»Mann, Reimann! Dreh hier keinen Film!«, schrie Jackie ihn an und rieb sich die rot gescheuerten Handgelenke, als diese endlich befreit waren. »Jetzt mach meine Beine los! Worauf wartest du denn?«
»Was ist hier eigentlich passiert?«, wollte Clara wissen, während Reimann an Jackies rechter Fußfessel herumsäbelte.
»Autsch! Pass doch auf, du Idiot! Jetzt hast du mich geschnitten!«, fuhr sie ihn an.
»Höchstens gepiekst hab ich dich … Sorry, Jackie. Aber dein Bein ist total glitschig«, murmelte er.
»Was soll das?«, fragte Jackie wütend, während Reimann mit den Fingerkuppen zuerst über das eine, dann über ihr anderes Bein strich.
»Es fühlt sich an, als ob du gerade rasiert worden wärst. Guck mal, da ist noch Seife dran«, sagte er verwundert und rieb etwas zwischen seinen Fingern.
»Zeig her«, meinte Clara und inspizierte zuerst seine feuchten Finger, bevor sie sich über Jackies Bein beugte. »Darf ich mal?«, fragte sie.
»Aber sicher doch. Lasst euch ruhig Zeit, ihr beiden. Ich laufe euch schon nicht davon«, meinte Jackie süffisant und beobachtete, wie Claras Finger langsam über ihre Beine glitten.
Das Rechte war glatt wie ein Kinderpopo, beim Linken war der Täter wohl durch ihren Schrei gestört worden, denn das Schienbein war nur zum Teil spiegelglatt. »Verdammt, Jackie, da hat dir wirklich jemand die Beine rasiert«, bestätigte Clara.
»Was? Wozu das denn?« Jackie versuchte, sich aufzusetzen, um selbst nachzusehen. »Hilf mir mal«, befahl sie Clara und streckte ihr die Arme entgegen, um sich von ihr hochziehen zu lassen.
»Das ist voll pervers«, murmelte Reimann und sah zu, wie Jackie ihre gespreizten Beine, die noch immer an die Pfosten gefesselt waren, mit Claras Unterstützung begutachtete. Es war ein Bild für die Götter, wie sich die pudelnackte Benz in mühsamen Verrenkungen wie ein Walross im Bett wälzte. Reimann fiel es sichtlich schwer, sich zurückhalten, um nicht lauthals loszulachen.
»Perverses Schwein«, stellte Jackie fest und ließ ihren Oberkörper zurück in die Laken plumpsen. »Mach weiter mit den Fesseln, Reimann. Aber pass gefälligst auf«, ordnete sie an.
»Also, was ist passiert?«, wiederholte Clara ihre Frage und bedeckte Jackies nackten Körper mit dem Morgenmantel, der zuvor auf der Truhe am Fußende ihres Bettes gelegen hatte.
»Woher soll ich das denn wissen? Ich wurde plötzlich wach und bemerkte, dass ich gefesselt war. Durch meine Schlafmaske konnte ich ja nichts sehen. Also habe ich geschrien, und dann wurde mir etwas in den Mund gesteckt. Fast wäre ich daran erstickt.«
»An dem sexy Ding da.« Reimann zeigte mit seinem Messer auf Jackies Höschen, das nun neben ihren Schlaftabletten auf dem Nachtkästchen lag.
»Klappe, Reimann! Schneid lieber weiter!«
»Und dann?«, fragte Clara.
»Dann seid ihr aufgetaucht. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Und was ist das?« Clara deutete zu der emaillierten Schüssel, die neben dem Bett umgestürzt in einer Pfütze auf den Holzdielen lag.
Jackie beugte sich hinunter. »Die Schüssel stand vorher auf der Kommode. Ich hab das olle Teil noch nie angerührt.«
»Dann hat er sie wohl für die Rasur benutzt«, meinte Clara nachdenklich.
Reimann klappte sein Messer zu.
»Na endlich.« Jackie setzte sich auf, um ihre rot gescheuerten Fußknöchel zu untersuchen.
»Brauchst du einen Arzt?«, fragte Reimann.
»Wofür denn? Du kannst dich verziehen, Reimann. Bitte«, fügte sie hinzu und schlüpfte in ihren Morgenmantel, ohne das Bett zu verlassen.
»Nur, wenn ihr mir versprecht, dass ihr nichts anrührt, bis die Polizei kommt. Schon gar nicht diese Schüssel.« Reimann verließ das Schlafzimmer.
»Scheiße. Wer war das, Clara?«, fragte Jackie, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war.
»Derselbe, der dir die SMS geschickt hat?«, vermutete Clara.
Jackie nickte nachdenklich. »Anzunehmen.«
»Vielleicht sollten wir deine Biografie doch lieber ad acta legen«, schlug Clara vor.
»Kommt gar nicht in Frage.«
»Er hat dich ausgezogen, Jackie. Und rasiert.« Clara setzte sich auf die Truhe.
»Ich muss ziemlich tief geschlafen haben«, stellte Jackie fest.
Clara fröstelte, während Jackie weitererzählte.
»Er hat mir über die Wange gestreichelt und mich beim Namen genannt«, erinnerte sie sich mit geschlossenen Augen. »Es klang zärtlich.«
»War er ein Deutscher oder ein Spanier? Ist dir ein Akzent aufgefallen?«
Jackie schüttelte den Kopf. »Er hat ja nur meinen Namen genannt … warte mal … nein, ich weiß es nicht.«
»Kam dir seine Stimme bekannt vor?«
»Nein, aber jetzt erinnere ich mich an ein Scheppern.« Jackie öffnete die Augen und sah Clara an. »Er muss über die Schüssel gestolpert sein, als er floh«, fuhr sie fort.
»Das ist ziemlich beängstigend, Jackie. Der Typ spaziert mitten in der Nacht in dein Zimmer, zieht dich aus, fesselt dich und rasiert dir die Beine. Wer weiß, was er sonst noch alles mit dir angestellt hätte, wenn du nicht aufgewacht wärst?«
»Nur gut, dass ich heute keine Schlaftablette genommen habe.«
»Ja, das war wohl dein großes Glück. Lass uns die Biografie lieber vergessen, bevor er wiederkommt und dir was Schlimmeres antut.«
»Kommt gar nicht infrage. Der wollte mir doch nur einen Schrecken einjagen.«
»Was mich anbelangt, so ist ihm das gelungen. Der meint es ernst, Jackie. Das ist ein Irrer. Ehrlich gesagt, habe ich Angst.«
»Du hast Angst? Und ich habe dich für eine taffe Frau gehalten.«
»Denk doch an das Ultimatum. Ich glaube, dieser Wahnsinnige ist mitten unter uns und beobachtet dich.«
»Möglich«, räumte Jackie ein.
»Es muss einer von der Filmcrew sein.«
»Oder eine.«
»Du meinst, es steckt eine Frau dahinter? Na ja, warum nicht?«, meinte Clara nachdenklich. »Eve de Angeli zum Beispiel … Die hätte doch ein Motiv, deine Biografie zu verhindern«, fuhr sie fort. Vielleicht hatte sie einen männlichen Handlanger.
»Eve?« Jackie lachte und schüttelte energisch den Kopf. »Niemals. Das war nicht Eve.«
»Und warum bist du dir da so sicher?«
»Die hätte sich nicht mit meinen Beinen aufgehalten, sondern mir gleich die Kehle aufgeschlitzt.« Jackie lachte herzlich über den eigenen Galgenhumor.
Clara war überhaupt nicht zum Lachen zumute.
Als es plötzlich an der Tür klopfte, fuhren beide Frauen erschrocken zusammen.
Eine uniformierte Polizistin steckte den Kopf herein und bat sie zur Zeugeneinvernahme in die Halle. In der Zwischenzeit wollte sich die Spurensicherung dem Tatort widmen.
Kurz vor 6 Uhr morgens hatten die Beamten ihre Arbeit in der Finca fürs Erste erledigt und entließen die erschöpften Filmleute in ihre Betten. Claras Angebot, die restlichen zwei Stunden bis zum Aufstehen bei ihr zu verbringen, lehnte Jackie dankend ab. Clara hätte in dieser Horrorsuite kein Auge mehr zugetan. Jackie hingegen schien den nächtlichen Vorfall einfach wegzustecken. Leider. Wäre es nach Clara gegangen, hätte sie die Arbeit am gemeinsamen Buchprojekt lieber heute als morgen abgebrochen. Doch Vertrag war Vertrag. Und Clara würde ihn erfüllen. Selbst wenn sie die Vorstellung, im Schlaf ausgezogen, gefesselt und rasiert zu werden, beängstigend fand. Wer immer das getan hatte, hätte Jackie auch umbringen können. Und vielleicht kam er schon bald zurück, um dort fortzufahren, wo er aufgehört hatte. Oder er stattete zur Abwechslung ihr, der Autorin der unerwünschten Biografie, einen Besuch ab. Clara fröstelte unter ihrer dünnen Sommerdecke. An Schlafen war noch immer nicht zu denken. Sie knipste das Nachttischlämpchen an, um eine Wolldecke aus dem Schrank zu holen. Und eine der Pillen, die ihre Angst betäuben würde.
***
Berauscht von deinem himmlischen Duft,
betört von deiner samtenen Haut,
begeb ich mich denn zur Ruh’,
die ich doch erst finde,
wenn du mir gehörst.
***