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Montag, 4. Juni 2007

Clara saß in der Morgenmaschine der Air-Berlin nach Palma de Mallorca, die den Flughafen Tegel mit über einer Stunde Verspätung verlassen hatte, und nippte an ihrem Tomatensaft. Warum sie ausgerechnet im Flugzeug immer wieder die Lust auf diesen Gemüsedrink überkam, wie so viele andere Passagiere auch, hatte sie erst neulich wo gelesen. Der niedrige Luftdruck in Flughöhe beeinflusste das Geschmacksempfinden. Salz und Zucker wurden weniger stark wahrgenommen. Das fruchtige Aroma von Tomaten blieb hingegen stabiler und schmeckte intensiver. Clara stellte den halb vollen Plastikbecher auf ihrem Klapptischchen ab.

Jan Decker hatte nur kurz gezögert, als sie ihm vor drei Monaten von Jackies verlockendem Angebot erzählt hatte. Schließlich hatte er ihr sogar zugeredet, diese einmalige Chance wahrzunehmen. Sie waren übereingekommen, dass Clara sich für zwei der insgesamt vier Wochen ihres Aufenthalts auf Mallorca Urlaub nehmen würde. Die restlichen Arbeitstage zählten als geschäftlicher Auslandseinsatz. Dafür musste Clara der UP Exklusivberichte von den Dreharbeiten liefern.

Die Tatsache, dass die nicht gerade als zimperlich verschriene Chefredakteurin des meistgelesenen Klatschmagazins Jackie Benz’ Biografie schreiben würde, war in den letzten Wochen in den konzerneigenen Medien ausgeschlachtet worden, was die Auflagen erfreulicherweise in die Höhe getrieben hatte. Clara hatte der Öffentlichkeit einen gewagten Blick hinter die Kulissen der Filmbranche angekündigt, gespickt mit persönlichen, amüsanten bis skandalträchtigen Anekdoten der Diva. Und sie plante ihr Versprechen zu halten, auch wenn sie damit den einen oder anderen Prominenten ans Messer liefern würde. Die sensationshungrige Klatsch- und Tratschgemeinde wartete schon begierig darauf, was oder besser wen sie da demnächst verschlingen würde.

Die einzigen Bedenken hatte Clara wegen Jackies berüchtigter Launen. Sie konnte mit Allüren nicht besonders gut umgehen, schon gar nicht, wenn sie diesen über einen längeren Zeitraum hinweg ausgesetzt war. Bisher war die Schauspielerin ihr gegenüber stets freundlich, für einen Star ihres Kalibers beinahe pflegeleicht gewesen. Doch wer wusste schon, wie das bei enger Zusammenarbeit aussehen würde? Hoffentlich packte die Diva nicht ihre gefürchteten Zicken aus. Andererseits war Clara die Chefredakteurin der UP und die Benz lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass sie auch in Zukunft auf ihr Wohlwollen angewiesen war. Ohne Medien mochte sie eine gute Schauspielerin sein, doch gewiss keine Celebrity, der ein Millionenpublikum zu Füßen lag. Schlussendlich bestimmte die Öffentlichkeit ihren Marktwert, und Jackie war clever genug, um sich mit der Journaille zu arrangieren. Auch mit der unbestechlichen Clara Bodenstein.

Kurz bevor der Airbus A320 auf der Landepiste aufsetzte, erhaschte Clara von ihrem Gangplatz aus einen Blick aus dem Fenster. Erfreut stellte sie fest, dass die Sonne auch unterhalb der Wolkengrenze vom mallorquinischen Himmel schien. Nach ziemlich ruppiger Landung bremste der Pilot die Maschine herunter. Einige Passagiere klatschten Beifall, was Clara ein genervtes Augenrollen entlockte, das alsbald in ein zauberhaftes Clara-Bodenstein-Lächeln überging. Jetzt, da sie in Palma gelandet war, freute sie sich so richtig auf die neue Herausforderung. Clara liebte ihren Job bei der UP und hatte im Verlag noch einiges vor, aber ein Buch zu schreiben war die Erfüllung eines lang gehegten Traums. Ihre Autorenkarriere hatte sie zwar erst für einen späteren Zeitpunkt geplant, aber wenn es sich jetzt schon ergab, umso besser. Sie brannte darauf, Jackie Benz’ Biografie zu schreiben. Und Mallorca war allemal eine willkommene Abwechslung. Überhaupt, wo es in diesem Jahr in Berlin einfach nicht warm werden wollte.

Jackies Fahrer erwartete Clara am Flughafen, um sie zum geheimen Filmset zu bringen, wo in den nächsten Wochen der 90-Minüter Straße ohne Schatten gedreht werden sollte. Drei Wochen lang hatte die Crew bereits in der Inselhauptstadt Palma de Mallorca gearbeitet. Ab sofort diente eine Finca als Location, die irgendwo im Hinterland in der Nähe von Pollença vor den südlichen Ausläufern der Serra de Tramuntana lag. Mehr wusste Clara nicht.

Conny Krämer, die übervorsichtige Produktionsleiterin der Filmproduktion hatte befürchtet, dass sie den Drehort in der UP verraten und damit schaulustige Touristen anlocken könnte, was Clara reichlich paranoid fand. Immerhin hatte sie sich vertraglich verpflichtet, ihre Exklusivberichte von den Dreharbeiten erst nach Drehschluss zu veröffentlichen, zudem ausschließlich die Bilder des Set-Fotografen zu verwenden. Schon ein merkwürdiges Völkchen, diese Filmleute, dachte Clara, ohne zu wissen, wie recht sie damit hatte.

Während sie im Fond der Mercedes-Limousine Platz nahm, hievte der untersetzte Fahrer namens Pedro ihren riesigen knallroten Koffer unter wildem, katalanischem Fluchen in den Kofferraum. Wieder einmal hatte Clara viel zu viel eingepackt. Wer wusste schon, was man um diese Jahreszeit bei einem Filmdreh im gebirgigen Norden Mallorcas benötigte? Vier Paar High Heels waren vermutlich ein wenig übertrieben, aber es konnte ja keinesfalls schaden, auch outfitmäßig auf alles vorbereitet zu sein.

Im Wagen zückte Pedro ein blassblaues Baumwolltaschentuch. Schnaufend wischte er sich damit den Schweiß von der Stirn und aus dem wulstigen Nacken und startete den Motor.

20 Minuten später jagte er die Limousine über die Autobahn, die sie von der Küste durch die Ebene im Landesinneren immer näher ans Gebirge heranführte. Zu dieser Jahreszeit präsentierte sich die Insel noch recht grün, fand Clara, die Mallorca bislang nur im brütend heißen, trockenen Hochsommer kannte. Eine halbe Stunde später fuhr Pedro von der Autobahn ab. Sie passierten die drittgrößte mallorquinische Stadt Inca, die auf riesigen Schildern für ihre Lederwaren warb. Danach fuhren sie durchs malerische Provinzstädtchen Selva, das am Fuße des majestätischen Tramuntana-Gebirges lag. Nach der nächsten Ortschaft Caimari bog Pedro in die Nebenstraße ein. An deren Ende hielt er vor der Hotel-Finca an. Hier waren der Regisseur Sebastian Reimann, der Kameramann Martin Rosen, die Produktionsleiterin Conny Krämer und die wichtigsten Darsteller einquartiert. Und Clara als Jackie Benz’ persönlicher Gast. Der Rest der rund 50-köpfigen deutsch-spanischen Filmcrew verteilte sich auf mehrere kleinere Unterkünfte in der Umgebung, erklärte ihr Pedro in passablem Deutsch. Die ganze Fahrt über hatte er beleidigt geschwiegen. Jetzt, da sich ein junger Spanier mit Claras schwerem Koffer abmühte, plauderte er munter auf sie ein, während er sie zu ihrem Zimmer im Erdgeschoss begleitete. Um 12 Uhr wollte er sie vor der Finca wiedertreffen, damit er sie zum Mittagessen zum Set fahren konnte.

Clara steckte dem Kofferträger zwei Euro zu, schloss dann die Tür hinter den Männern. Dem Fahrer wollte sie später ein größeres Trinkgeld geben. Irgendwie war ihr der stolze Pedro sympathisch. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Ihr blieb noch eine knappe Stunde, um sich zu duschen und ihren Koffer auszupacken.

Danach schlüpfte sie in ihre Designerjeans und die weiße Bluse, legte frisches Make-up auf und steckte ihre schulterlange weizenblonde Lockenmähne locker hoch.

Es war Punkt 12 Uhr, als sie Pedro im Mercedes aus seiner Siesta riss. Die Zehn-Euro-Note, die sie ihm nach vorne reichte, versöhnte ihn augenblicklich. Lächelnd steckte er das Trinkgeld in die Brusttasche seines Hemds und startete erneut den Motor, um zum ominösen Drehort aufzubrechen.

Wenig später passierten sie das pittoreske Straßendorf Campanet, das um die Mittagszeit völlig ausgestorben war. Jeden Samstag sei hier Wochenmarkt, erklärte ihr Pedro und fuhr weiter durch Pollença in Richtung Gebirge. Der Mercedes folgte nun den engen, holprigen Straßen, die sich im Naturschutzgebiet bergauf und bergab schlängelten, vorbei an kargen Felsen, malerischen Olivenhainen und Pinienwäldchen, ehe er in einen staubigen Weg einbog, der steil nach oben bis zu einem gut versteckten Landgut führte.

Dort lag sie also. Die geheimnisvolle Location, auf der die mit Abstand kostspieligste TV-Produktion des Jahres gedreht wurde. Der alte Turm der Finca war Clara schon aus einiger Entfernung aufgefallen. Jetzt erst nahm sie das emsige Treiben vor dem steinernen Gebäude wahr. Pedro hielt den Wagen an und wirbelte dabei eine dicke Staubwolke auf, die langsam, aber unaufhaltsam in Richtung Set zog.

Clara stieg aus dem Wagen.

»Psst! Wir drehen«, zischte ihr die junge Frau mit den aschblonden Dreadlocks zu, die plötzlich neben dem Mercedes aufgetaucht war. »Leise, bitte«, flehte sie im Flüsterton und hielt die offene Autotür verzweifelt fest.

»Guten Tag. Ich bin …«

»Psst!«, wiederholte die junge Frau, ihren Zeigefinger beschwörend an die Lippen legend. Ihr banger Blick folgte der Staubwolke, die dem Set bedrohlich nahe war.

»Und Schnitt! Großartig, Jackie! Genau die war es! It’s a wrap!«, meinte Reimann beglückt.

»Check the gate!«, rief der Regieassistent.

Der Kameraassistent beugte sich über die Kamera und überprüfte das Bildfenster auf etwaige Fusseln, Abrieb oder Haare, die die Aufnahme unbrauchbar gemacht hätten. »Sauber«, antwortete er. Die Szene war im Kasten.

»Puh, das ist ja grad noch mal gut gegangen«, meinte die Aschblonde erleichtert zu Clara. »Der Reimann hätte mir den Arsch aufgerissen, wenn ihr ihm den Take vermasselt. Ich sollte den Weg schon weiter unten absperren, damit keiner hoch kann, während wir drehen. Aber ich musste dringend Pipi«, erklärte sie in rasantem Sprechtempo, während sie Clara die Hand schüttelte. »Herzlich willkommen!«, fügte sie hinzu.

»Danke«, erwiderte Clara wenig begeistert und wischte sich die Hand an ihrem Hosenbein ab.

»Siesta! Mittagspause bis 14 Uhr!«, rief der Regieassistent in die Menge.

»Du kannst fahren!« Das Rasta-Mädchen wandte sich Pedro zu, der prompt eine neue Staubwolke aufwirbelte, die nun aber niemanden mehr kümmerte.

»Ich bin Elke. Assistentin der Aufnahmeleitung«, plapperte die Kleine munter weiter auf Clara ein.

»Ich bin Clara Bodenstein. Chefredakteurin der UP«, stellte sich Clara vor. Dabei stand ihr Name ohnehin fett gedruckt auf der heutigen Dispo. Jeder, der den Zeitplan gelesen hatte, sollte wissen, dass die Journalistin heute am Set erwartet wurde.

»Wie cool ist das denn? Die UP lese ich jede Woche«, meinte Elke schwer begeistert.

»Das freut mich. Könnte ich jetzt bitte zu Jackie Benz? Wir sind verabredet.«

»Ja, klar. Komm mit!« Federnden Schrittes und suchenden Blickes ging Elke voraus. »Lucy! Weißt du, wo Jackie steckt?«, rief sie in das Chaos hinein. Jeder wollte so rasch wie möglich seine sieben Sachen in Sicherheit bringen und zum Catering-Wagen, wo die hungrige Filmmeute abgefüttert wurde.

»Wahrscheinlich ist sie schon oben in ihrer Suite«, erwiderte die schrille, knallrothaarige Person, die Lucy hieß. In ihrer pinkfarbenen Schürze steckten jede Menge bunte Pinsel und Haarklammern. Naheliegend, dass sie für die Maske zuständig war, dachte Clara. Und schon war Lucy wieder fort, um sich vor dem Wohnmobil, das zur Küche umfunktioniert war, ums Mittagessen anzustellen.

Clara folgte Elke in den ersten Stock der Finca.

Vor einer der massiven Holztüren hielt das Rasta-Mädchen an, um anzuklopfen. »Jackie? Bist du da? Clara Bodenstein möchte dich sprechen!«, kiekste sie.

»Ich komme schon«, hörte Clara die samtige Frauenstimme antworten, die unverkennbar Jackie Benz gehörte.

»Ich geh dann mal essen. Tschü-üs«, verabschiedete sich Elke und hüpfte eilig die Treppe hinunter.

»Mahlzeit«, murmelte Clara ihr hinterher. Süß war sie ja, die Kleine, aber doch reichlich überdreht. Als sie sich umdrehte, stand Jackie Benz vor ihr im Türrahmen.

»Meine Liebe! Wie schön, dass du hier bist«, säuselte sie, als wären sie seit Jahren die allerbesten Freundinnen. Dabei hatten sie sich vor Jackies Abreise nach Mallorca ein einziges Mal in Berlin getroffen, um über ihr gemeinsames Projekt zu sprechen. Jackie kam näher und küsste die Luft neben Claras Wangen, um ihr Make-up nicht zu ruinieren.

Diese vermeintliche Vertrautheit und die Duzerei von der ersten Sekunde an, die in der Filmbranche üblich waren, fand Clara gewöhnungsbedürftig. »Guten Tag, Frau Benz. Vielen Dank für die Einladung.”

»Ich bitte dich … Nenn mich Jackie. Schließlich wirst du in den nächsten Wochen meine engste Vertraute sein, nicht wahr, Clara? Komm bitte weiter.« Jackie drehte sich auf dem Absatz ihrer Mules um.

Clara folgte ihr durch die großzügige Suite, die der Diva als Garderobe und Rückzugsort diente, hinaus auf die Terrasse. Der Panoramablick über das Seitental war schier atemberaubend.

»Nimm doch bitte Platz! Du bist sicher hungrig nach der Reise.«

Clara nickte. »Eine Kleinigkeit könnte ich schon vertragen.«

»Papperlapapp! Ich lasse uns ein anständiges Mittagessen bringen. Hungern kannst du wieder nach dem Drehschlussfest. Du glaubst ja nicht, wie wunderbar hier gekocht wird. Das beste Catering der Welt. Wenn das so weitergeht, platze ich noch aus meinen Kostümen.«

»Aber wo denn, Jackie? Du bist doch so schlank«, entgegnete Clara und war froh, dass sie sich die Einschränkung »für dein Alter« gerade noch verkniffen hatte.

»Danke, meine Liebe! Aber ich muss schon sehr aufpassen. Du weißt doch, dass man vor der Kamera mindestens fünf Kilo fetter wirkt, als man tatsächlich ist.« Jackie seufzte und fasste sich mit einer theatralischen Geste an ihr kaum vorhandenes Bäuchlein. »Aber manches Mal muss man einfach sündigen. Heute zum Beispiel. Ich lasse Darius Bescheid geben. Er soll uns ein paar Häppchen hochbringen.«

»Darius? Doch nicht etwa Darius Schneyder?«, fragte Clara überrascht.

Jackie nickte. »Doch. Genau der. Wieso denn nicht?«

»Darius ist hier auf Mallorca? Er wollte sich doch nur noch um sein Lokal in Berlin kümmern.«

»Er hatte wohl Lust, wieder einmal aus seiner Promikneipe rauszukommen und ein bisschen Filmluft auf Mallorca zu schnuppern. Back to the roots.« Jackie drückte die Sprechtaste auf dem Walkie-Talkie, das eben vor ihr auf dem Holztisch gelegen hatte. »Sarah!«

»Ja, Jackie?«, schepperte es prompt aus dem klobigen schwarzen Gerät.

»Sag Darius bitte, er soll Tapas für zwei in meine Suite bringen lassen.«

»Tapas für zwei. Verstanden, Jackie.«

Sieh einer an! Darius’ Catering. Der Auftrag gefiel Clara immer besser. Sie lächelte ihr perfekt geschminktes Gegenüber an.

»Wie wär’s mit einem Gläschen Cava?«, schlug Jackie vor.

»Aber wirklich nur ein klitzekleines Schlückchen.«

»Ja, klar. Schließlich sind wir zum Arbeiten hier.« Jackie verschwand in der Suite, um mit zwei Gläsern eisgekühltem spanischen Schaumwein zurückzukehren. »Auf unser Buch!«, prostete sie Clara zu.

»Auf unseren Bestseller!«, erwiderte Clara lächelnd. Die beiden Gläser stießen klirrend aneinander. Der erste Schluck prickelte ihre Kehle hinunter, als es an der Tür klopfte.

»Herein!«, rief Jackie.

Darius betrat mit einer Karaffe Wasser, das mit Minzblättern und Zitronenscheiben aromatisiert war, die Terrasse.

Der junge Spanier in seinem Schlepptau balancierte ein Tablett voller Köstlichkeiten auf seiner muskulösen Schulter. Ein kleiner Teller nach dem anderen landete vor ihnen auf dem Tisch.

»Wünsche den Damen wohl zu speisen.« Darius verbeugte sich galant.

»Wie lieb von dir, Darius. Danke schön«, meinte Jackie überschwänglich. »Du kennst doch Clara Bodenstein von der UP? Sie wird meine Memoiren schreiben.« Jackie warf dem zierlichen Mann mit den glatten pechschwarzen Haaren, die ihm fast bis zum Kinn reichten, einen verführerischen Blick zu.

Darius sah Clara an.

»Grüß dich, Darius! Was für eine Überraschung«, kam Clara seiner Antwort zuvor. Ihre Sprache veränderte sich augenblicklich, als sie ihren Landsmann begrüßte.

Darius verbeugte sich und nahm ihre Hand. »Grüß dich Gott, liebe Clara! Gestatte mir bitte, dir meinen Dank für die Erwähnung in deiner Kolumne auszusprechen«, sagte er mit der ihm eigenen Höflichkeit, die stets etwas unterwürfig wirkte. Dazu verlieh das Schönbrunner Deutsch, das er sprach, seinen Worten einen altmodischen Charme.

»Bitte gerne. Das war hochverdient.« Clara lächelte ihn an. Sie konnte sich nicht erinnern, den zurückhaltenden Mann jemals lachen gesehen zu haben. War es deshalb so schwierig, sein Alter zu schätzen? War er Mitte 30? Oder doch schon 40 plus? Nur, wenn er über seine kulinarischen Kreationen sprach, blitzte Leidenschaft aus seinen dunklen Augen, und der Anflug eines Lächelns lag auf seinen schmalen Lippen. In solchen Momenten fand sie ihn durchaus attraktiv. Auf eine eigenartige Art und Weise. In ihrer letzten Kritik hatte sie Darius Schneyder mit einem Wiener Adeligen aus dem 19. Jahrhundert verglichen, über den sie kurz zuvor ein Buch gelesen hatte. Der Name war ihr mittlerweile entfallen. Darius hatte ihr den Vergleich offenbar nicht übel genommen.

»Es freut mich, dass dir das Carpaccio vom Wagyu-Rind gemundet hat«, fügte er hinzu.

»Das sieht ja auch alles wieder sehr lecker aus«, lobte Jackie die kleinen, duftenden Portionen, die darauf warteten, ihre verwöhnten Gaumen zu erfreuen und die hungrigen Mägen zu füllen. »Ich danke dir vielmals, mein Lieber.« Mit einem »Gracias y adios« entließ sie die Männer aus ihrer Pflicht.

»Schräger Vogel«, murmelte Clara.

»Darius?« Jackie pflückte mit ihrer Gabel eine Scheibe Serranoschinken vom Teller.

Clara nickte. »Findest du nicht?«

»Er ist außergewöhnlich, ja. Mit durchschnittlich kommst du heutzutage auch nicht sehr weit«, meinte Jackie.

Damit hatte sie nicht unrecht, überlegte Clara und lud sich frittierte Sardinen auf ihren Teller.

»Du weißt doch, dass alle erfolgreichen Menschen mehr oder weniger durchgeknallt sind. Du kennst sie doch am besten, die ganze prominente Mischpoche.«

Und das aus dem Mund der erfolgsverwöhnten Diva. Clara hielt Jackies prüfendem Blick stand. Ihre blauen Augen erinnerten sie nicht nur auf der Leinwand und auf dem Fernsehschirm an Veilchen. Ob sie farbige Linsen trug? »Nun ja, ich kenne die Masken, die ihr so in der Öffentlichkeit aufsetzt, die Rollen, die ihr spielt.« Clara schob sich eine Sardine in den Mund.

Jackie nickte. »Du kennst die, die wir vorgeben zu sein.«

»Oder die, die ihr gerne wärt.« Clara war nun doch ein wenig überrascht über dieses Gespräch. Jackie gab sich kein bisschen abgehoben.

»Und dir macht es Spaß, uns zu entlarven, nicht wahr?«

»Das gehört zu meinem Job«, meinte Clara.

»Ach, komm schon, Clara! Es ist doch mehr als das. Sonst wärst du nicht so gut, in dem, was du tust«, unterstellte ihr Jackie grinsend.

Wer führte dieses Interview eigentlich? Irritiert griff Clara zur Wasserkaraffe. Warum sollte sie nicht zugeben, dass sie diesen Moment am meisten liebte? Diesen Moment, in dem die prominente Maske fiel. Wenn sie sich Jackie jetzt offenbarte, würde sie vielleicht rascher Vertrauen zu ihr fassen. Für ihr gemeinsames Projekt konnte das nur von Vorteil sein. »Du hast recht, Jackie«, sagte sie. »Es ist ein geiles Gefühl, wenn so ein Star aus seiner einstudierten Rolle fällt. Wenn plötzlich das wahre Gesicht hervorblitzt. Das hinter der perfekt geschminkten Maske. Und sei es auch nur für einen kurzen Moment. Das hat was. Ja, das hat fast etwas Heiliges.«

»Wunderbar, meine Liebe! Dann wirst du dich in den nächsten Wochen wie im Himmel bei mir fühlen«, versprach Jackie und schenkte Clara ihr berühmtes kehliges Lachen.

***

Deine Augen, sie funkeln wie Sterne.

Zwei strahlende Sterne in finsterer Nacht,

die mir leuchten den Weg.

Den Weg zu dir, den ich gehen muss.

Deine Musik begleitet mich,

dein Lachen, die zauberhafteste Melodie.

***

Drehschluss

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