Читать книгу Meschugge sind wir beide - Claudia S. C. Schwartz - Страница 4
Drei Hallelujas
ОглавлениеIrgendetwas läuft hier schief. Pfarrer Manske schwankt hinter seinem Rednerpult beunruhigend hin und her. Gefährlich sieht das aus. Währenddessen singt der Chor das Halleluja nun schon zum zweiten Mal. Unter meinem weißen Hochzeitskleid zieht sich mein Magen spürbar zusammen. Warum leuchtet die Nase des Pfarrers so verdächtig dunkelrot? Hat er etwa vorab schon mal vom Kirchenwein probiert? Einen Grund, das Glas zu heben, hätte er. Schließlich ist heute sein letzter Arbeitstag, mit unserer Trauung geht er quasi in Rente.
Kurz bevor Pfarrer Manske ganz sein Gleichgewicht verliert, hält er sich gerade noch rechtzeitig am Rednerpult fest. Dabei lächelt er uns freundlich zu und lehnt sich nach vorn Richtung Mikrofon. Dieses gibt ein krächzendes Geräusch von sich. Alle Gäste in der Kirche zucken zusammen.
»Liebes Brautpaar, Claudia und … Raoul!«
Meine Trauzeugin Julia fängt hinter vorgehaltener Hand an zu glucksen.
»Ick freu mir, dass ick bei euch heute bin mit all euren lieben Jästen, von nah und fern. Dit is ja dit erste Mal, dit ick so ne bunte Müschung von Leuten aus der janzen Welt hier sehe.«
Mein Bräutigam dreht sich um und strahlt seine Familie an. Sechzig Hände winken begeistert zurück. Meine Verwandten halten hingegen brav und fromm die Hände im Schoß gefaltet. Bei unseren Gästen trifft Schwäbische Alb auf Wüste. Spätzle auf Hummus. »Schaffe, schaffe, Häusle baue!« auf »Alles langsam, alles gut!«.
»Wo wir Menschen merken«, berlinert Pfarrer Manske weiter, »wir alle sind gleich, ejal ob wa ne andre Sprache sprechen, ne andre soziale Bindung haben. Wir ham alle nur eene Nase, die gleiche Nase. Eenen Mund, Ohrn …«
Ich stöhne innerlich auf. Worauf will er mit seiner Hochzeitsrede hinaus?
»… und – so hoffe ick – een warmet, mitfühlendet Herz. Für euren jemeinsamen Lebensweech, liebet Brautpaar, Claudia und … Paoul!«
Jetzt kann Julia sich nicht mehr zurückhalten, ihr Lachen ist deutlich zu hören. Wäre ich nicht die Braut, würde ich mitgackern, doch noch versuche ich, irgendwie Contenance zu bewahren. Man könnte meinen, ich heirate heute drei unterschiedliche Männer, dabei hatte ich mich doch eigentlich nur für den einen entschieden. Nämlich für meinen Shaul. Dieser Name scheint dem Pfarrer allerdings völlig entglitten zu sein.
»… isses wichtig, tolerant zu sein. Den anderen anzunehmen, och mit seinem Anderssein. Vielleicht och mit seinen Macken.«
Mein Bräutigam Shaul zwinkert mir zu, dreht sich zu unseren Hochzeitsgästen und macht eine demonstrative Kopfbewegung in meine Richtung. Ein Lachen geht durch die Kirchenbänke. Ich verziehe das Gesicht. Was soll das denn? Ich habe keine Macken, bitte schön. Im Gegenteil, ich bin ganz pflegeleicht. Und überhaupt sind wir hier nicht beim Komödiantenstadl, sondern auf einer Hochzeit. Bin ich die einzige hier, die diese Zeremonie ernst nimmt?
»Aber zur echten Liebe jehört eben dieses Anderssein. Und wir alle, die wa hier leben, wissen, wat Intoleranz bedeutet. Wo man in Deutschland jesacht hat, es jibt Menschen, die nichts wert sind.«
Die Stirnfalte zwischen meinen Augenbrauen wird dicker und dicker. Ich werde auf den Hochzeitsfotos bestimmt ganz entzückend aussehen.
»Russen, Juden, Afrikaner – Juden … ja, Juden … Nur die Deutschen sind wat wert! Eene furchtbare Ideologie und die Intoleranz ham dazu jeführt, dass Millionen Menschen ermordet wurden und ihr Leben lassen mussten.«
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Was hat der Holocaust an unserem Hochzeitstag zu suchen? Heute ist definitiv nicht der passende Moment, um unsere Familien daran zu erinnern!
Es ist auf einmal beunruhigend still in der Kirche. Pfarrer Manske scheint den Faden verloren zu haben. Ich drehe mich um. Merken die Hochzeitsgäste auch, was hier gerade vor sich geht? Ich schaue zu meinen Trauzeuginnen, sieben an der Zahl – meine engsten Freundinnen. Wunderschön sehen sie aus. Meine Schwägerin Merav wirft mir eine Kusshand zu. Auf der anderen Seite sind Shauls Trauzeugen – auch seine besten Freunde, auch sieben … Halt! Da sitzen nur sechs! Ich schaue noch mal hin. Das kann nicht sein, wer fehlt denn? Ron. Mein Magen zieht sich noch mehr zusammen. Er ist tatsächlich nicht da. Er ist den ganzen Weg aus Israel angereist, um letzten Endes doch nicht zu unserer Hochzeit zu kommen.
»Ja, jenau …« Pfarrer Manske streicht sich über seine Glatze. Da scheint ihm wieder einzufallen, worauf er hinauswollte: »Jenau! Wir aber sprechen jetze nicht von Intoleranz, sondern über Toleranz und über menschliche Wärme und mir alle wünschen euch von janzem Herzen, dass ihr beede glücklich werdet. So sejne euch Gott, der eene Gott, nicht der Gott de Christen, sondern unser jemeinsamer Gott – der über uns allen steht.«
Ich atme erleichtert auf. Der Pfarrer hat noch mal die Kurve gekriegt, oder? Ich streichle über Shauls Hand. Er drückt meine ganz fest. Wir lächeln uns verliebt an.
Langsam und vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzend, geht Pfarrer Manske nun von seinem Rednerpult hinüber Richtung Altar. Dort angekommen, breitet er bedächtig seine Arme weit aus und schließt dabei die Augen. Der Pfarrer holt tief Luft und ruft mit bedeutungsvoller Stimme: »Wir beten für dit Brautpaar, dass se och in schweren Zeiten füreinander da sind. Wir beten, dass se viele Kinder kriejen und jute Eltern sein werden. Wir beten für Frieden inner Welt, Frieden unter den Menschen, unter den Völkern. Und wir beten für all die im Holocaust ermordeten Familienmitglieder von … Raoul!«
Das Lächeln auf meinem Gesicht friert ein. Das darf nicht wahr sein! Wir haben den Holocaust nicht zu unserer Hochzeit eingeladen – und der Pfarrer hält ihm schön weit die Tür auf. Ich möchte am liebsten vor Scham im Kirchenboden versinken …
Shaul scheint jedoch von all dem nichts mitzubekommen. Er dreht sich noch einmal zu seiner Familie um und winkt ihnen freudig entgegen. Wieder winken sechzig Hände ganz lebhaft zurück.
Ich bin heilfroh, dass Shauls Familie kein Deutsch versteht, um den Worten des Pfarrers folgen zu können. Das alles hier ist für sie sowieso schon aufregend genug. Bei dem Gedanken, dass Shaul als jüdischer Israeli in einer katholischen Kirche und dazu noch in Deutschland heiratet, mussten einige Familienmitglieder und Freunde schon schwer schlucken. Und um heute hier dabeizusein, traten viele von ihnen sogar die erste Reise nach Deutschland überhaupt an. Dass sie das für uns getan haben, macht uns beide sehr glücklich.
Pfarrer Manske scheint derweil als einziger tief im Gebet versunken zu sein. Die Arme hält er immer noch weit von sich gestreckt. Irgendwie hatte ich mir diese Trauung anders vorgestellt. Doch die Unruhe in der Kirche spiegelt ein Stück weit auch das wider, was in diesen Wochen jenseits des katholischen Gemäuers geschieht. Wir schreiben den Sommer 2014 und im Nahen Osten tobt der Gaza-Krieg. Auch Europa tobt: Wuppertal, Paris, Bremen, Bischofshofen. In Berlin wird siebzig Jahre nach dem Holocaust besonders heftig gegen Juden gehetzt. Bei einer pro-palästinensischen Demonstration skandiert ein Mob: »Jude, Jude, feiges Schwein! Komm heraus und kämpf allein!« Es kommt zu Ausschreitungen, Juden werden angegriffen und beleidigt.
Inmitten dessen feiern wir eine deutsch-israelische Hochzeit. Katholisch und jüdisch am gleichen Tag. Und das im Wedding – einem Berliner Kiez mit einem hohen Anteil an palästinensischen und arabischen Mitbürgern. Es sind in diesem Sommer ein paar neue Graffiti auf den Häusern dazugekommen: »Free Gaza« und »Fuck Israel«. Ich hoffe, Shauls Familie wird auf dem Weg von der Kirche im Prenzlauer Berg zu der Location, in der wir feiern, nicht so genau die Weddinger Mauerwände betrachten …
Plötzlich öffnet Pfarrer Manske die Augen, lässt seine Arme fallen und torkelt dann in einem irren Tempo nach vorn direkt auf uns zu. Im letzten Moment, einen Schritt vor der Stufenkante, bleibt er abrupt stehen und flüstert so laut, dass es auch in der letzten Kirchenbank zu hören ist: »Frau Schwartz, jetzt müssen Se uffstehen.« Ich hieve mich in meinem pompösen Brautkleid nach oben. Meine Schwägerin und Julia springen an meine Seite, um die Schleppe zu richten. Der Pfarrer fasst sich an den Kopf: »Ähm, nee … noch nich. Bitte, setzen Se sich noch mal hin.« Ich gebe mein Bestes, um nicht die Augen zu verdrehen. An meinem Hochzeitstag wird meine Geduld auf die größte Probe gestellt. Testet mich da Gott höchstpersönlich?
Julia und meine Schwägerin lassen sich auch nichts anmerken, als sie mir mit dem Kleid noch mal beim Hinsetzen helfen. Graziös schweben sie zurück zu ihren Plätzen in der ersten Reihe – als wäre nichts geschehen. Da schaut Pfarrer Manske mich mit entsetzten Augen an: »Dit Halleluja! Jetzt kommt dit Halleluja! Frau Schwartz, Se müssen uffstehen!«
»Ich bleibe sitzen«, knurre ich durch geschlossene Zähne. Hatten wir nicht gestern erst den ganzen Ablauf geprobt? Der Pfarrer bringt hier tatsächlich die ganze Trauung durcheinander.
Er fuchtelt mit seinen Armen dem Chor zu: »Bitte! Dit Halleluja.«
Der Chorleiter steht irritiert von seinem Platz auf. Einer der Sänger flüstert hörbar verzweifelt: »Aber wir haben doch schon zweimal das Halleluja gesungen …«
Pfarrer Manske ist nicht aufzuhalten. Dem Chor bleibt nichts anderes übrig und er stimmt mit kräftigen Stimmen das Halleluja an. Zum dritten Mal.
Aber vielleicht braucht so eine Beziehung wie die unsere drei Hallelujas?