Читать книгу Die Musik der Sprache - Claudia Schweitzer - Страница 9
Mischformen
ОглавлениеHeute erinnert an diese Gemeinsamkeit die Technik des 1897 von Engelbert Humperdinck begrifflich eingeführten und besonders seit der Wiener Schule (zum Beispiel bei Arnold Schönberg und Alban Berg) entwickelten Sprechgesangs,1 bei der sich Sprech- und Gesangsstimme einander annähern. Dazu werden feste Parameter wie ein exakter Rhythmus oder eine genaue Tonhöhe für die Sprechstimme fixiert, die damit Allusionen an die Gesangsstimme erhält. Für den Vortragsstil der Grande Dame des französischen Chansons, Juliette Gréco (1927-2020), sind effektvoll eingesetzte Passagen im Sprechgesang typisch (Wicke, 2016). Bei einer im März 2021 durchgeführten Umfrage zum französischen Chanson, an der sich 35 Personen mit französischer Muttersprache und 53, für die das Französische nicht ihre Muttersprache darstellt, beteiligten, bezeichneten die Befragten ihre Eindrücke der Stimme französischer Chansonniers wie folgt (Tabelle 1, vgl. auch Bsp. 1):
Gesangsstimme | Beinahe gesungen | Zwischen Singen und Sprechen | Eher gesprochen | |
Georges Brassens („Le bricoleur“, 1956) | 23 | 21 | 33 | 8 |
Léo Ferré („Les Corbeaux“, 1964) | 9 | 17 | 33 | 24 |
Maxime Le Forestier („San Francisco“, 1972) | 65 | 12 | 2 | 5 |
Alain Bashung („Jamais d’autres“, 2002) | 1 | 3 | 62 | 16 |
Tabelle 1:
Eindrücke zur verwendeten Stimmart in französischen Chansons (Umfrage März 2021)
Ein signifikanter Unterschied der Wahrnehmung bei den muttersprachlichen und nicht-muttersprachlichen Personen ist nicht festzustellen. Neben klaren Tendenzen (gut 77 % bewerten die Stimme Maxime Le ForestierLe Forestier, Maximes2 als Gesang und weitere 14 % als „beinahe gesungen“, während nur eine Person für Alain BashungBashung, Alain3 von Gesang und drei Personen von „beinahe gesungen“ sprechen) ist auffällig, dass oftmals eine genaue Zuordnung schwierig erscheint, und dies unabhängig von der jeweiligen Muttersprache oder der Tatsache, dass Sänger und/oder Chanson bekannt oder unbekannt sind. Georges BrassensBrassens, Georges4 spricht nicht, aber wie weit seine Stimme sich dem Gesang nähert, scheint nicht eindeutig zu sein: 21 Personen bezeichnen seinen Chansonvortrag als „beinahe gesungen“ und 33 als „zwischen Singen und Sprechen“. Bei Léo FerréFerré, Léo5 und Alain BashungBashung, Alain tendieren die Befragten zu einer von der Sprechstimme zumindest deutlich geprägten Ausdrucksweise: Für FerréFerré, Léo wählen insgesamt 69 % die Antwort „zwischen Singen und Sprechen“ und „eher gesprochen“,6 bei BashungBashung, Alain sind es sogar 92 %. Die unterschiedlichen Eindrücke erklären sich ebenso durch verschiedene persönliche Wahrnehmungen wie durch unterschiedliche Erwartungen oder sogar Definitionen für eine Gesangsstimme. Wir haben hier einen weiteren Beweis für die fließenden Grenzen zwischen den Gattungen.