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1 Klassen führen – was ich wissen muss

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«Teachers find classroom management difficult because it is a difficult skill.»

(Emmer & Stough 2008, S. 141)

Für jede Lehrkraft – ob Anfängerin oder Expertin – ist eines klar: Ohne Klassenführung kann kein sinnvoller und ertragreicher Unterricht stattfinden. Diese Binsenwahrheit ist so alt wie brisant. Helmke und Helmke (2015) halten denn auch fest: «Effiziente Klassenführung ist nicht alles, aber ohne sie geht alles andere gar nicht». In der Forschung zur Klassenführung wird denn auch festgestellt, dass die von Lehrkräften empfundene Belastung besonders hoch ist, wenn Klassenführungsmaßnahmen nicht greifen; wenn also Disziplinstörungen auftreten und das Klassenklima schlecht ist (vgl. Byrne 1999). Aber nicht nur für eine Lehrkraft stellt die gelungene Klassenführung eine Ressource dar. Regeln für ein sozial akzeptables Gesprächsverhalten bilden beispielsweise ebenfalls Ressourcen für Lernende (vgl. Kiel, Frey & Weiß 2013, S. 15 f.).

Merkmale von Unterricht

Um den Gestaltungsraum von Lehrkräften zu erfassen, muss Unterricht definiert werden: Unterricht ist die planmäßige Zusammenarbeit von Lehrenden und Lernenden an selbst- oder fremdgestellten Aufgaben zum Zwecke der Persönlichkeitsbildung und zum Aufbau von Sach-, Methoden- und Sozialkompetenz [sowie Selbstkompetenz; Ergänzung. d. Verf.]. Unterricht

–ist zielorientiert

–ist inhaltsbezogen

–hat seinen eigenen zeitlichen Rhythmus

–findet in verschiedenen Sozialformen statt

–wird durch das didaktisch-methodische Handeln der Lehrkraft und der Schülerinnen und Schüler inszeniert

–bedarf einer vorbereiteten Umgebung (vgl. Meyer 2007, S. 56)

Kiper und Mischke erweitern diese Sichtweise, indem sie die Perspektive verschiedener Akteure einnehmen. Zwei Ergänzungen machen die Bandbreite der Anliegen, die mit Unterricht verbunden sind, deutlich:

–«Unterricht wird als Ort der Sozialisation, Qualifikation, Integration und Selektion verstanden.

–Unterricht erscheint als Sozial- und Lebenswelt der Kinder, als Ort kindlicher Kommunikation und Interaktion, als Ort des Umgangs der Geschlechter, als Ort der Anbahnung und Gestaltung von Freundschaften» (Kiper & Mischke 2006, S. 16 f.).

Wer selbst Unterricht erteilt, erfährt deshalb ganz schnell, dass Unterricht ein höchst komplexes Interaktionsgefüge ist. Er ist durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet:

–Multidimensionalität: Es findet eine große Anzahl an Ereignissen statt, die zum Teil vernetzt sind und multiple Konsequenzen mit sich bringen.

–Simultanität: Verschiedene Ereignisse finden gleichzeitig statt.

–Unvorhersehbarkeit: Viele Ereignisse nehmen eine unerwartete, unvorhersehbare Wendung. Sie werden gemeinsam produziert und sind daher nur sehr schwierig antizipierbar.

–Öffentlichkeit: Schulen und Klassenzimmer sind öffentliche Räume. Ereignisse werden in der Regel von einem Großteil der Lernenden miterlebt.

–Historizität: Frühere Erfahrungen in Klassen können die nachfolgenden Ereignisse beeinflussen.

–Unmittelbarkeit: Ereignisse in Klassenzimmern geschehen sehr schnell und folgen rasch aufeinander (vgl. Doyle 1986; Haag 2018).

Damit eine Lehrkraft erfolgreich unterrichten kann, erfordern diese Merkmale neben einer guten Analysekompetenz der Lehrkraft vor allem eine gute Klassenführung (vgl. Syring et al. 2013, S. 75). «Der Klassenführung kommt deshalb eine Schlüsselfunktion im Unterricht zu», bringt es Weinert (1996, S. 124) auf den Punkt.

Führung im Kontext von Schule

Es stellt sich nun die Frage, was Führung im Kontext von Unterricht bedeutet. In den 1980er-Jahren wurden die Tätigkeiten, Herausforderungen und Führungsaufgaben von Lehrkräften einmal wie folgt dargestellt: «Wahrscheinlich gibt es nicht viele Berufe, an die die Gesellschaft so widersprüchliche Anforderungen stellt: Gerecht soll er sein, der Lehrer, und zugleich menschlich und nachsichtig, straff soll er führen, doch taktvoll auf jedes Kind eingehen. Begabungen wecken, pädagogische Defizite ausgleichen, Suchtprophylaxe und AIDS-Aufklärung betreiben, auf jeden Fall den Lehrplan einhalten, wobei Hochbegabte gleichermaßen zu berücksichtigen sind wie Begriffsstutzige. Mit einem Wort: Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen» (Müller-Limmroth 1988, zit. in: Schratz & Schrittesser 2011, S. 177). Was hier in überspitzter Form dargelegt wurde, lässt sich in einen Kanon von Führungsaufgaben von Lehrkräften verdichten. Sie sollen (so Thiel 2016):

–Initiativen ergreifen

–Aktivitäten planen, organisieren und koordinieren

–Ausführungen kontrollieren

–Entscheidungen treffen und begründen

–Interessen von Individuen, von anderen Klassenmitgliedern und von der Gesamtklasse systematisch berücksichtigen

–Informationen bereitstellen

–Transparenz über Informationen, Kommunikation sowie Leistungserwartungen ermöglichen

–Beratungen sachverständig durchführen

–Feedback konstruktiv geben

–sozial integrierend wirken

–Möglichkeiten für Autonomie und Beteiligung schaffen

–individuelle Leistungen sowie Klassenleistungen wertschätzen

–im Sinne des Erfolgs einer Lerngruppe situationsgerecht agieren und reagieren

–die Klasse nach außen vertreten

–Interesse am persönlichen Wachstum der Lernenden zeigen

Diese lange Aufzählung von Führungsaufgaben macht deutlich, dass Unterricht – wie eingangs beschrieben – ein komplexes Geschehen ist und hohe Anforderungen an Lehrkräfte stellt.

Klassenführung: Definitionen

Doch was versteht man eigentlich unter Klassenführung? In der fachwissenschaftlichen Literatur lässt sich eine Vielzahl an Definitionen finden. So halten Gold und Holodynski (2011) und Ophardt und Thiel (2013) zusammenfassend fest, dass Klassenführung die Art und Weise bezeichnet, wie eine Lehrkraft die einzelnen Unterrichtsaktivitäten wie beispielsweise das Unterrichtsgespräch, die Lehrerinstruktionen oder -demonstration einvernehmlich mit den Lernenden einrichtet und ihren reibungslosen, störungsfreien Ablauf gewährleistet. So besteht das Ziel von Klassenführung in der Maximierung der Lernzeit für jede und jeden Lernenden. Sie bildet damit eine wesentliche Voraussetzung, um eine anregende Lernumgebung für eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern zu gestalten.

Helmke und Helmke (2015, S. 8) definieren Klassenführung wie folgt: «Sie umfasst Konzepte, Strategien und Techniken, die dem Ziel dienen, einen störungsfreien und reibungslosen Unterrichtsverlauf zu ermöglichen und damit aktive Lernzeit zu maximieren: durch Regeln und Prozeduren, die Allgegenwärtigkeit der Lehrkraft, den Aufbau erwünschten Verhaltens und einen angemessenen Umgang mit Störungen».

Kiel, Frey und Weiß (2013, S. 16) nehmen zusätzlich eine didaktische Dimension in ihre Definition auf: «Klassenführung steht für eine Interaktion im institutionellen Rahmen einer Schulklasse, die durch ein hohes Maß an Unsicherheit und Komplexität geprägt ist. Klassenführung will Unsicherheit und Komplexität strukturieren und reduzieren, um einerseits Lernarbeit zu ermöglichen und andererseits einen Rahmen für die Entfaltung und den Schutz des Einzelnen zu etablieren. Beides, das Ermöglichen von Lernarbeit und die Etablierung eines geschützten Rahmens, geschieht wesentlich dadurch, dass Störungen durch präventive oder interventive Maßnahmen unterbunden werden. Beides, die Entwicklung eines geschützten Rahmens und die Ermöglichung von Lernarbeit, wird

–aktiviert

–angeleitet

–begleitet durch Beratung

–unterstützt (durch Zielsetzung, Diagnostik, angemessene Interventionen; durch die Bereitstellung oder das Kreieren von Ressourcen)

–zur Verpflichtung von Schülerinnen und Schülern gemacht

–verpflichtend durch Lehrpersonen geplant, durchgeführt und evaluiert […]»

Bei den aufgeführten Definitionen zur Klassenführung spiegelt sich wider, dass Unterricht in allen seinen Facetten ein komplexes Interaktionsgefüge ist, das nie nur monokausale Zusammenhänge bringt.

Immer wieder ist auch der Begriff Classroom Management zu hören. Classroom Management bündelt verschiedene Unterrichts(qualitäts)merkmale und umfasst deutlich mehr als Klassenführung. Beim Classroom Management geht es verstärkt um die Aktivität von Schülerinnen und Schülern, um Selbstregulation und -verantwortung – womit eine Lernendenorientierung erkennbar wird (vgl. Syring et al. 2013, S. 75 ff.).

Wirkung von Klassenführung

Die Bedeutung der Klassenführung für den Lernerfolg von Lernenden konnte in Metaanalysen klar bestätigt werden (vgl. Seidel & Shavelson 2007; Wang, Haertel & Walberg 1993). In der viel beachteten Studie von Wang, Haertel und Walberg (1993) war das Klassenmanagement als eines von 28 verschiedenen Merkmalen am stärksten mit dem Lernerfolg der Lernenden verknüpft, und zwar noch vor der Metakognition und der Kognition. Bei Hattie findet sich eine mittlere Effektstärke (d = 0,35) (Beywl & Zierer 2018). Die Hattie-Studie ist für einen Bericht des Forschungsstandes zur Klassenführung allerdings nicht sonderlich ertragreich, weil sich Hattie (2013, S. 122; S. 124 f.) auf sehr wenige Metaanalysen zur Klassenführung und zum «Reduzieren von Unterrichtsstörungen» stützen kann (vgl. Helmke & Helmke 2015, S. 7).

Helmke dagegen stellt fest, «dass kein anderes Merkmal so eindeutig und konsistent mit dem Leistungsniveau und dem Leistungsfortschritt von Schulklassen verknüpft ist wie die Klassenführung» (Helmke 2003, S. 78). Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Klassenführung in den Merkmalskatalogen zu gutem Unterricht jeweils eine besondere Stellung eingeräumt wird (vgl. bspw. Meyer 2004; Helmke 2006, Lipowsky 2007). Sowohl in der Scholastik-Studie (vgl. Weinert & Helmke 1997) als auch in der MARKUS-Studie (vgl. Helmke & Jäger 2002) zeigte sich, dass die «Optimalklassen» beziehungsweise die leistungsstärksten Klassen durch eine überdurchschnittlich gute Klassenführung gekennzeichnet sind. Dazu gehören Elemente wie beispielsweise die Präsenz der Lehrkraft, die jederzeit über Störungen im Klassenzimmer im Bild ist, oder die Klarheit von Regeln. Diese Art der Klassenführung ermöglicht eine besonders konzentrierte Arbeitsweise (vgl. Kiel, Frey & Weiß 2013, S. 16 f.). Eine gute Klassenführung trägt neben hohen Lernleistungen auch zum Wohlbefinden der Lernenden (vgl. Eder 2004; Hascher 2004) sowie zu geringerer Belastung der Lehrkräfte bei (vgl. Helmke 2003).

Prinzipien der Klassenführung

Spätestens seit den bedeutenden Grundlagen von Kounin (1976), aber auch von Emmer und Evertson (2012) ist klar, worauf es letztlich ankommt. Kounin als eigentlicher «Klassiker» der Klassenführung nennt verschiedene Prinzipien, die eine effiziente Klassenführung ausmachen:

–Allgegenwärtigkeit, Dabeisein (Withitness): Die Lernenden sollen das Gefühl erhalten, dass ihre Lehrkraft sämtliche ihrer Aktivitäten im Blickfeld hat. Die Lehrerin oder der Lehrer trägt also quasi ihre Augen und Ohren auch auf dem Rücken. Ebenso ist den Schülerinnen und Schülern bewusst, dass heikle Entwicklungen nicht toleriert und störende Vorfälle nicht absichtlich «übersehen» werden.

Für die Störungsfreiheit des Unterrichts ist kein anderer Bereich der Klassenführung so wirksam wie die Allgegenwärtigkeit der Lehrkraft; die Effektstärke beträgt d = 1,42 (vgl. Hattie 2013, S. 122).

Im Unterrichtsalltag im Mehrklassensystem erkennen die Lernenden, dass jede Lehrkraft, die sie während ihres Schultages besuchen, genau weiß, wer im Klassenzimmer sitzt, wer sich wie anstellt und die auch exakt weiß, wo die «neuralgischen» Punkte in einer Klasse sind. Sie spricht bereits präventiv und sehr geschickt mögliche (negative), sich abzeichnende Ereignisse klar an.

–Überlappung (Overlapping): Die Lehrkraft bearbeitet verschiedene Probleme gleichzeitig und hält dabei den Ball flach. Sie reagiert auf verschiedene Bedürfnisse ihrer Lernenden, und zwar so, dass dies ohne großes Aufsehen erfolgt. Auftauchende Disziplinprobleme werden «nebenher» und ohne großes «Aufsehen» erledigt. Der Unterrichtsfluss wird möglichst nicht unterbrochen. Auch der Einsatz verschiedener Medien erfolgt routiniert. Das ermöglicht es der Lehrkraft, ihre Klasse weiterhin im Blickfeld zu haben.

Im Unterricht gelingt es der Lehrkraft auch in äußerst heterogenen Klassen, auf die Bedürfnisse der Lernenden einzugehen, sie hält den Unterricht am Laufen und beobachtet, während sie einer Kleingruppe Unterstützung bietet, die restliche Klasse.

–Zügigkeit, Reibungslosigkeit, Bewegung im Unterricht, Schwung (Momentum): Dank einer angemessenen Unterrichtsplanung werden unnötige Unterbrechungen des Unterrichtsflusses vermieden. Der Unterricht ist weder von Hektik noch von Langeweile geprägt; es gibt also angemessen viel Lernstoff, der aber nicht monoton vermittelt wird. Die Lehrkraft schweift bei ihren Erklärungen nicht ab, es herrscht kein Leerlauf, und Kleinigkeiten bleiben Kleinigkeiten. Im Unterrichtsalltag lässt sich die Lehrkraft auch bei großem Interesse der Klasse nicht auf Seitenpfade verleiten und reitet keine Steckenpferde. Häufig erkennen Lernende solche Schwächen ihrer Lehrkraft schnell und nutzen diese – vermeintlich zu ihren Gunsten – aus.

–Geschmeidigkeit (Smoothness): Der Unterricht erfolgt ohne sachlogische Brüche, ist also geschmeidig; dieses Prinzip ähnelt dem Qualitätskriterium der Kohärenz. Es gibt keinen sprunghaften Unterrichtsverlauf, ebenso wird die Engführung von Unterrichtsgesprächen vermieden.

Auch hier zeigt sich im Unterrichtsalltag, dass ein angemessen vorbereiteter, zielgerichteter Unterricht dazu beiträgt, dass keine Brüche entstehen und die Lektionen wie aus einem «Guss» ablaufen.

–Gruppenaktivierung (Group Focus): Die Lehrkraft behält den Fokus auf die Klasse oder eine Gruppe, auch wenn beispielsweise gerade nur eine Lernende am Sprechen oder Erklären ist.

So erteilt die Lehrkraft zum Beispiel während des Unterrichts klare Aufträge, bevor sie sich mit einzelnen Lernenden beschäftigt, und behält alsdann die Klasse im Auge.

–Übergangsmanagement (Managing Transitions): Übergänge zwischen verschiedenen Unterrichtsphasen – beispielsweise von einem Inputreferat zu einer Gruppenarbeit oder von letzterer zurück ins Plenum – sollen durch kurze und eindeutige Überleitungen und ohne Zeiteinbuße stattfinden.

Gerade in Schulformen, in denen die Lernenden nur wenige Lektionen bei derselben Lehrkraft sind, ist das Übergangsmanagement zentral, da oft nur wenig Unterrichtszeit zur Verfügung steht und häufig großer Stoffdruck herrscht.

–Vermeidung vorgetäuschter Teilnahme (Avoiding Mock Participation): Lernende haben in ihrer «Karriere» als Schülerin oder Schüler oft clevere Tricks, Rituale und Techniken entwickelt, ausgefeilt und perfektioniert, um so zu wirken, als würden sie aufmerksam beziehungsweise interessiert sein oder nachdenken.

Eine Lehrkraft muss diese «school survival skills» im Alltag erkennen können, um nicht dem Irrglauben zu verfallen, die Lernenden seien beim Unterricht aktiv dabei.

Selbstverständlich gelingt es auch einer äußerst erfahrenen und versierten Lehrkraft nicht immer und vor allem nicht gleichzeitig, das Augenmerk auf alle diese Bereiche zu legen, allerdings sind ihr die Aspekte der Klassenführung gut bekannt, und sie handelt möglichst vorausschauend.

Klassenführung und Disziplin

Bezüglich der Klassenführung zeigen sich in der Forschung klare Unterschiede zwischen «Novizen» (Junglehrkräften) und «Veteranen» (Lehrkräften mit viel Berufserfahrung). Die Novizen setzen «effiziente Klassenführung» weitgehend identisch mit «Disziplin» (Lernende unter Kontrolle haben, mit störenden Lernenden umgehen, sie zum Zuhören bewegen, ihnen klarmachen, wer hier «der Chef» ist). Bei den «Veteranen» kommt der Begriff «Disziplin» dagegen praktisch nie vor. Studien zeigen, dass für sie der Begriff «Klassenführung» etwas komplett anderes bedeutet. Sie verstehen darunter sorgfältiges und rechtzeitiges Planen der Unterrichtsstunde, Organisieren von Unterrichtsmaterial, das bei den Lernenden Interesse weckt sowie rechtzeitiges und entschiedenes Festlegen klarer Regeln des Verhaltens in der Klasse – kurz: Vorbeugung beziehungsweise Prophylaxe (vgl. Good & Brophy 1994; zit. in: Helmke 2003, S. 78–84). Bei der Klassenführung geht es also nicht darum – wie vielfach angenommen –, primär Disziplin und Ruhe im Klassenzimmer herzustellen, sondern darum, die Lernenden «zu motivieren, sich möglichst lange und intensiv auf die erforderlichen Lernaktivitäten zu konzentrieren, und – als Voraussetzung dafür – den Unterricht möglichst störungsarm zu gestalten oder auftretende Störungen schnell und undramatisch beenden zu können» (Weinert 1996, S. 124).

Klassenführung als ein Element von Unterrichtsqualität

Die Klassenführung trägt, zwar nicht explizit, aber doch wesentlich zur Unterrichtsqualität bei. Sie taucht dabei weder bei Meyer (2004) im Buch «Was ist guter Unterricht?» noch bei Helmke (2003) als eigenes Qualitätsmerkmal auf. Pietsch (2010, S. 141) beschreibt effektiven Unterricht anhand «differenzierter Facetten, die jedoch nicht als unabhängig voneinander zu betrachten sind» und bettet die Klassenführung in ein abgestuftes Bündel von Unterrichtsqualität ein.

Lernklima und pädagogische Strukturen sichern–Sicherung eines lernförderlichen Unterrichtsklimas–klare Strukturen des Unterrichts–vereinbarte Regeln werden eingehalten–klar formulierte, schülerorientierte Aufgaben
Klassen effizient führen und Methoden variieren–vorausplanendes Handeln der Lehrkraft–Optimierung der aktiven Lernzeit–Variation von Methoden–Lob und Ermutigung zur Verstärkung positiver Lernfortschritte–bedarfsgerechte Anpassung der Unterrichtsgeschwindigkeit
Schülerinnen und Schüler motivieren, aktives Lernen und Wissenstransfer ermöglichen–Motivation der Lernenden auf vielfältige Art und Weise–schülerorientierter und partizipativer Unterricht–Befähigung zum aktiven und selbstständigen Lernen–Bereitstellung von Transfermöglichkeiten zur Auseinandersetzung mit Unterrichtsinhalten
Differenzieren, Schülerinnen und Schüler wirkungsund kompetenzorientiert fördern–Binnendifferenzierung und Individualisierung hinsichtlich des Lernens–Fokus auf nachhaltigem Kompetenzerwerb–Reflexion des eigenen Lernens als Bestandteil des Unterrichts

Tabelle 1: Abstufungen von Unterrichtsqualität nach Pietsch (2010)

Es wird sichtbar, wie fein verwoben die Klassenführung mit anderen Bereichen von qualitätsvollem Unterricht ist. Sie ist unter anderem verortet in der Sicherung eines lernförderlichen Unterrichtsklimas, in der klaren Strukturierung des Unterrichts, in den geltenden Regeln, dem vorausplanenden Handeln der Lehrkraft, in der Optimierung der zur Verfügung stehenden Lernzeit, der Variation von eingesetzten Unterrichtsmethoden, dem lernendenorientierten und partizipativen Unterrichtsstil oder auch in der Binnendifferenzierung und Individualisierung bezüglich des Lernens (vgl. Syring et al. 2013, S. 79).

Merkmale erfolgreichen Führungsverhaltens

«Viele Wege führen nach Rom», so lautet eine weit verbreitete Version des bekannten Sprichworts. Dies trifft auch für die verschiedenen Arten von Klassenführung zu. Es gibt also nicht die eine spezielle Art erfolgreichen pädagogischen Handelns. Manche Lehrkräfte scheinen diesbezüglich einen persönlichen Stil aufzuweisen, den sie ziemlich unabhängig von äußeren Umständen realisieren, andere schlagen

–je nach Unterrichtssituation – unterschiedliche Wege ein. Mayr (2006, S. 236) ermittelte in einer Studie zum Führungsverhalten von Lehrkräften auf der Sekundarstufe II folgende vier Muster von «erfolgreiche(re)n Lehrpersonen»:

–Muster A zeichnet sich vor allem durch einen hohen Wert beim Faktor Unterrichtsgestaltung (das heißt: bedeutsame Lernziele, strukturierter Unterricht, klare Arbeitsanweisungen, interessanter Unterricht, Fachkompetenz, positive Erwartungshaltung sowie Verlässlichkeit) und eine ausgeprägte Tendenz zur Kontrolle des Schülerverhaltens aus. Lehrkräfte dieses Musters weisen aber auch einen akzeptablen Wert im Fördern sozialer Beziehungen auf.

–Muster B versucht das Verhalten der Lernenden vor allem durch Beziehungsförderung zu beeinflussen; was den Faktor Unterrichtsgestaltung betrifft, liegen diese Lehrkräfte praktisch mit jenen des Musters A gleich auf. Was die Verhaltenskontrolle betrifft, weisen Lehrkräfte dieses Musters den niedrigsten Wert von allen Gruppen auf. Es zeigt sich hier ein kommunikativ-beziehungsorientiertes Handlungsmuster.

–Muster C zeigt sich in einem ausgeglichenen, überall im Mittelbereich liegenden Verhalten. Es kann als neutrales Muster bezeichnet werden.

–Muster D liegt bezüglich der Beziehungsförderung und Unterrichtsgestaltung signifikant unter allen anderen Gruppen. Dass es trotzdem eine erfolgreiche Klassenführung ermöglicht, liegt wahrscheinlich an der angemessen praktizierten Verhaltenskontrolle. Es kann als disziplinierendes Handlungsmuster angesehen werden (vgl. ebd., S. 236 f.).

Die Studie bestätigt es also: Eine erfolgreiche Klassenführung kann über verschiedenartig fokussierte Wege erfolgen. Klar wurde in der Untersuchung aber auch, dass sich die Muster A und D hinsichtlich aggressiven Schülerverhaltens signifikant unterscheiden. Es ist anzunehmen, dass hier die typenspezifischen Differenzen bei der Unterrichtsgestaltung und beim Fördern sozialer Beziehungen durchschlagen. Zudem ergaben sich auch Hinweise auf Unterschiede bezüglich der Strategien, nach denen außerhalb des Unterrichts gelernt wird: So sind beim (kontrollierenden) Muster D die Einprägungsstrategien signifikant verbreiteter als bei den anderen Gruppen; beim (beziehungsfördernden) Muster B sind sie das dagegen am wenigsten. Spiegelbildlich dazu belegen diese beiden Muster die Randpositionen bei den Elaborationsstrategien (vgl. ebd., S. 237).

Verhalten von Lehrkräften und Lernenden

Die Ergebnisse der oben erwähnten Studie von Mayr (2006) bei Lernenden der Sekundarstufe II zeigen im Hinblick auf die Klassenführung eine enge Verknüpfung zwischen dem Lehrer- und Schülerverhalten. Obwohl keine direkte Wirkungsrichtung ausgemacht werden kann, ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf die hierarchische Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden das Verhalten der Lehrkräfte starken Einfluss auf die Lernenden hat:

–Merkmale der Unterrichtsgestaltung (so insbesondere die Interessantheit des Unterrichts, dessen klare Strukturierung und eine für die Lernenden erkennbare Bedeutsamkeit des Unterrichtsstoffs fürs spätere Leben) korrelieren substanziell mit dem Engagement der Lernenden im Unterricht. Die Merkmale der Unterrichtsgestaltung zeigen in der Tendenz auf, welches erfolgreiche Lehrkräfte sind und welches Lehrkräfte sind, die in der Klassenführung weniger Wirkung erzielen.

–Förderung sozialer Beziehungen: Dasselbe gilt für Strategien, die auf eine Förderung sozialer Beziehungen innerhalb der Klasse fokussieren. Dazu zählt im Speziellen ein wertschätzender Umgang mit den Lernenden sowie die Authentizität der Lehrkraft. Zusammen mit einer ausgeglichen-humorvollen Haltung sowie mit einfühlsamem Verstehen, sind dies Handlungsweisen, die auch präventiv gegen Aggressionen in der Klasse wirken.

–Maßnahmen der Verhaltenskontrolle, die sich in Studien bei jüngeren Lernenden stets als besonders effizient herausgestellt haben, dürften bei Lernenden der Sekundarstufe II weniger wirksam sein. Dies zeigen ähnliche Befunde bei Eder (2004). Günstige Effekte scheinen aber auch bei älteren Lernenden klare Verhaltenserwartungen, Aufmerksamkeit für die Vorgänge im Klassenzimmer und das Anerkennen konstruktiver Verhaltensweisen der Schülerinnen und Schüler zu haben.

Klassenführung und Gesundheit

Probleme mit der Klassenführung führen, so zeigen verschiedene Forschungen zur Gesundheit von Lehrkräften, zu Belastungen im Berufsalltag und zu Burnout (bspw. Farber 1991; Brouwers & Tomic 1999; Ghanizadeh & Jahedizadeh 2015, Gaertner 2016) und dazu, dass Burnout sowie Frühpensionierungen auf der Liste der genannten Gründe ganz oben zu finden sind. Es zeigen sich Argumentationslinien, wie die Beziehungen zwischen ineffizienter Klassenführung und Lehrergesundheit aussehen:

–Nach Stähling (2000) kann bei der Klassenführung ein regelrechter Aufschaukelungsprozess in Gang gesetzt werden. So führt ineffiziente Klassenführung zum Sinken der Aufmerksamkeitsrate der Lernenden. Die führt zu Erhöhung des Stresses der Lehrkraft, was wiederum dazu führt, dass es zum Sinken beziehungsweise zu Inkonsequenzen der Handlungsregulation kommt.

–Es zeigen sich signifikante Zusammenhänge zwischen Burnout und der erlebten Diskrepanz, die sich aus dem zum Teil ernüchternden Berufsalltag und den teilweise idealistischen Erwartungen über die Vorstellung, was eine gute Lehrkraft ist, ergeben (vgl. Byrne 1999). Noch schlimmer wird es, wenn Lehrkräfte in ihren Klassen keine Ordnung mehr durchsetzen können, gleichzeitig aber annehmen, ihre Kolleginnen und Kollegen hätten überhaupt keine Probleme damit (vgl. Brouwers & Tomic 1999).

Enttäuschungen sind also vorprogrammiert, da im unterrichtlichen Kontext viele widersprüchliche Handlungserwartungen, die jeweils für sich gesehen ihre Berechtigung haben, aufeinandertreffen (vgl. Haag 2018).

Führung und Struktur

Wie viel Struktur und wie viel Führung ist im Unterricht überhaupt zulässig? Meyer (2004, S. 38) beantwortet die Frage wie folgt: «Durch eine klare Strukturierung des Unterrichts werden die Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen gelegt. Dabei hat der Lehrer zunächst die führende Rolle. Mit der Zeit sollen die Schülerinnen und Schüler aber lernen, diese Aufgabe gemeinsam mit ihren Lehrern zu bewältigen». Daraus lassen sich acht Tipps für den Unterricht ableiten:

–Klare Ziele formulieren: Die Lernenden müssen zu jedem Zeitpunkt wissen, was zu tun ist. Zu Beginn des Unterrichts werden die Ziele bekannt gegeben. Durch klare und gut verständliche Zielformulierungen ergibt sich für die Lehrkraft und für die Lernenden ein roter Faden durch die Unterrichtsstunde oder den Schultag. Der «Fahrplan» wird schriftlich festgehalten und ist für die Lernenden jederzeit sichtbar.

–Bedeutung der Inhalte hervorheben: Die Lernenden interessieren sich dann besonders für ein Unterrichtsthema, wenn sie dessen Bedeutung für sich selbst erfassen können. Bezugspunkt ist, wenn immer möglich, die Lebens- und/oder Arbeitswelt der Lernenden. Mithilfe von konkreten Beispielen aus dem Alltag und mit stufengerechten und aktuellen Unterrichtsmaterialien können die Lernenden motiviert werden, sich mit einem Thema zu beschäftigen. Lernende fordern von den Lehrkräften außerdem einen lebensweltlichen Bezug zum Thema (vgl. Pfiffner & Walter-Laager 2009).

–Hektik vermeiden: Hektik entsteht immer dann, wenn die Lehrkraft zu viel Stoff in eine Unterrichtsstunde packt und dann selbst unruhig und nervös wird, weil nicht alles behandelt werden kann oder sich große Wissenslücken auftun. Weniger ist manchmal mehr – so lässt sich die notwendige Ruhe in den Unterricht bringen, die als Basis für die weiteren gemeinsamen Lernschritte von großer Bedeutung ist.

–Zeitmanagement: Unterrichtszeit soll vor allem «Lernzeit» sein! Organisatorische Belange wie zum Beispiel Kontrolle der Anwesenheit oder Informationen zu Schulanlässen dürfen zeitlich nicht ausufern, sondern sollen kurz und klar eingebracht werden. Gibt es beispielsweise erst knapp vor der großen Pause ein Zeitfenster für den «Organisationkram», so beschränken sich die Lernenden in der Regel auf die wesentlichen Rückfragen.

–Erfolge ermöglichen: Die Lernenden erhalten regelmäßig eine sachbezogene Rückmeldung zu ihren Leistungen. Feedback ermöglicht ihnen, ihr Verhalten zu verändern. Wohldosiertes Lob für eine sehr gute Arbeit fördert die Motivation und ist Garant für weitere Erfolge.

–Humor und Freude: Humor, Freude und Zuversicht sind unersetzbare Pfeiler eines guten Unterrichts. Humor schafft Vertrauen, fördert die soziale Interaktion und wirkt auf allen Ebenen motivierend. Aber Achtung, die Lehrkraft muss immer authentisch bleiben. Sie muss selbst Freude am Inhalt und am Umgang mit den Lernenden haben und Zuversicht ausstrahlen. Wer mit Freude unterrichtet und Sinn für Humor beweist, wird von den Lernenden geschätzt und gehört letztlich zu den erfolgreichen Lehrkräften.

–Anforderungen stellen: Die Lernenden wollen im Unterricht gefordert und gefördert werden. Sie wollen ihr Wissen erweitern und etwas Neues lernen. Deshalb ist es wichtig, die Aufträge so zu formulieren, dass die Lernenden herausgefordert werden, selbst etwas entwickeln müssen und das anwenden können, was sie im Unterricht bereits gelernt haben. Neben Kenntnisaufgaben sollen die Lernenden deshalb vor allem häufig Anwendungs- und Problembearbeitungsaufgaben erhalten.

–Störungen im Unterricht (sofort) angemessen ansprechen: Lehrkräfte sollen (sofort) auf mögliche Störungen reagieren, und zwar angemessen. Wie bereits erwähnt, gilt das Motto «den Ball flach halten». Vereinbarte Maßnahmen müssen allerdings konsequent umgesetzt werden, sonst wirkt die Lehrkraft innerhalb kurzer Zeit unglaubwürdig und untergräbt dadurch ihre Führungsfunktion.

Für den Unterricht und auch für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern spielt die Klassenführung eine zentrale Rolle (vgl. Gaertner 2016, S. 29). Wie sich zudem gezeigt hat, gehört die Klassenführung «zu den herausfordernden Aufgaben von Lehrkräften, die zu subjektivem und objektivem Belastungserleben führen kann» (ebd., S. 7). Von einer gelingenden Klassenführung profitieren Lernende wie Lehrende also gleichermaßen.

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