Читать книгу Ist ja tierisch - Claus Beese (Hrsg.) - Страница 5
ОглавлениеDiese Katze
von Claus Beese
Manchmal passiert gar nichts und manchmal passieren viele Dinge zur selben Zeit. Warum das so ist, mag mancher mit dem Wort Zufall abtun, doch so einfach mache ich es mir nicht. Ich bemühe mich schon, zu reflektieren, ob es mit einem Fehlverhalten meinerseits zu tun haben könnte. Doch meist verlaufen diese Bemühungen im Sande, denn mir ist nicht bewusst, dass ich mich jemals fehlverhalten hätte. Lieber Leser, sie merken schon: In mir wohnt ein gesundes Selbstbewusstsein.
Ich räkele mich so gerne auf meiner alten, total ausgeleierten Liege auf dem Hof in der Sonne. Leise zischend brate ich dort vor mich hin, während ich dem Gesang der Vögel im Garten lausche. Gelegentlich gaukelt ein Schmetterling vorbei, eine Wolke zieht über den Himmel und verdeckt für kurze Zeit die Sonne, lässt es merklich kühler werden. Doch schon ist sie wieder da, und die Gänsehaut auf meiner markant-männlichen Brust verschwindet. Ich spüre, wie sich die feinen Härchen auf meinen Armen aufrichten. – Sie ist wieder da. Leise schleicht sie heran, lautlos, jedes Geräusch vermeidend. Doch ich weiß, sie ist da. Gleich wird sie um die Garagenecke biegen und mit einem scheelen Blick auf mich mit federndem, schnellem Schritt vorbeihuschen. Die Vögel werden ihren Gesang unterbrechen und anfangen zu zetern, wenn sie sie sehen. Das ficht sie nicht an, sie wird sich wie immer ihr Plätzchen unter dem Apfelbaum suchen und stumpf zur Seite fallen. Sie wird sich einmal strecken, herzhaft gähnen und dabei ihr Raubtiergebiss zeigen, sich in das weiche grüne Gras schmiegen und fast augenblicklich werden leise Schnarchgeräusche ertönen.
Ich mag sie nicht, die Katze. Es ist mein Grundstück, mein Rasen und mein Schatten, den mein Apfelbaum spendet. Doch das interessiert sie nicht im Geringsten. Sie respektiert mich nicht. Ja, schlimmer noch, sie tut so, als wäre ich gar nicht vorhanden. Ich mag sie nicht, diese Katze.
Es knirscht. Dann knackt es. Es macht „Ratsch“, und ich liege auf dem Boden. Weltuntergang! Meine liebste, alte, ausgelegene Gartenliege hat den Dienst quittiert. Ich reflektiere. Gut, es könnte sein, dass mit den bei mir im Laufe der Jahre sich ansammelnden Pfunden die Kräfte der Liege nachließen. Es könnte natürlich auch sein, dass sie ganz einfach nur altersschwach war. Sicher! Die Gerätschaften sind ja heute alle leicht und nicht mehr für die Ewigkeit gebaut. Da spielten ein oder zwei Pfund mehr Muskelmasse an meinem markant-männlichen Körper doch absolut und überhaupt keine Rolle.
Eben ist der Lieferdienst wieder abgefahren. Auf dem Hof steht meine neue Gartenliege. Starkes eloxiertes Aluminiumgestänge, mit starker Bespannung und einer doppelt dicken Auflage, die ein wohlig weiches Liegegefühl vermittelt. Der Stoff in zartgelb, dem eines Zitronenfalters ähnlich. Ein Traum von einer Gartenliege und natürlich, wie sollte es anders sein, nicht ganz billig. Doch man gönnt sich ja sonst nichts. Und manche Ausgaben müssen einfach sein, lassen sich beim besten Willen gar nicht vermeiden. Sie ruft nach mir, meine Liege. Doch so, mit der normalen Kleidung eines Arbeitstages, mag ich sie nicht einweihen. Ich gehe mich umziehen.
Locker und leger gekleidet betrete ich wenig später den Hof und … erstarre.
Meine Liege, mein neues, teures Stück Feierabendgemütlichkeit ist besetzt. Ein Knäuel aus Fell mit Tigerstreifen und weißen Pfoten fällt gerade auf der weichen Auflage stumpf auf die Seite, reckt sich wohlig und spreizt die Krallen, gähnt dabei, dass sein Raubtiergebiss alle Zähne sehen lässt, und beginnt augenblicklich leise zu schnarchen. Ich stehe ein wenig ratlos da, mit Sonnenöl und Handtuch, einem Gläschen Sekt und etwas zu knabbern. Muss ich mir das bieten lassen? Ich mag die Katze nicht.
Ich befreie meine Hände von unnötigem Ballast und schreite zur Tat.
„Heh! Du! Runter da!“
Das Schnarchen wird lauter. Zusätzlich schnurrt das Vieh in höchster Wonne. Ich tippe sie an, piekse mit meinem Finger in ihre speckige Seite. Das Schnurren stoppt, das Schnarchen bleibt. Sie reagiert nicht. Wieder einmal tut sie so, als gäbe es mich gar nicht. Ich werde rabiat, schiebe meine Hände unter den haarigen Katzenkörper und hebe ihn hoch. Der Katzenleib auf meinen Händen folgt der Bewegung, doch die Krallen an allen vier Pfoten hängen fest im Bezug der Auflage. Ich schüttele das Katzenvieh und langsam, fast in Zeitlupe öffnet sich ein Auge und schaut mich ausdruckslos an. Wenigstens hat sie das Schnarchen eingestellt. Ob das ein gutes Zeichen ist?
Was dann passiert, ist mir nicht ganz klar. Auf jeden Fall sind meine Unterarme plötzlich blutig, sie schmerzen höllisch und auf meiner Liege steht etwas, das ich so noch nie gesehen habe. Es ähnelt einer Flaschenbürste mit Buckel und kampfbereit ausgefahrenen Krallen. Es wird besser sein, wenn ich die Wunden desinfiziere. Auch wäre es nicht gut, wenn das Blut auf meine neue Liege tropft. Ich mag dieses Katzenvieh nicht.
Mit verbundenen Armen betrete ich etwas später den Hof. In mir schäumt es. Ich greife die ganze Liege und kippe sie einfach auf die Seite. Geschmeidig lässt sie sich vom Polster gleiten und steht abwartend da. Kaum stelle ich die Liege wieder in Position, ist sie wieder auf dem Polster, kippt stumpf zur Seite und …
„Chchchchchchch!“, fauche ich sie an. Es wird Zeit, dass ihr mal jemand so richtig die Meinung sagt.
„Wauwauwau!“, versuche ich es mit Fremdsprachen. Langsam, wie in Zeitlupe, öffnet sich ein Auge und schaut mich ausdruckslos an... - Es reicht. Ich trete den taktischen Rückzug an, ziehe mich vom Schauplatz des Geschehens zurück und zeige ihr so, was ich von ihr halte. Bei mir macht sie es doch auch so, ignoriert mich einfach. Allerdings bin ich mir über den Erfolg dieser Maßnahme im Zweifel, denn immer noch liegt sie auf der Liege, während ich dumm in der Gegend herumstehe. In mir beginnt es zu kochen. Ich bin jetzt bereit zum Äußersten. Ich mag diese Katze einfach nicht.
Ich laufe in die Wohnung, greife das Telefon und wähle die Nummer.
„Ja! Es eilt! Kommen Sie so schnell wie möglich! Natürlich noch heute!“, brülle ich in den Hörer. Warum müssen Menschen immer so schwer von Begriff sein? Das muss er doch hören, dass ich in einer wirklichen Notlage bin.
Er hat es gehört. Kaum eine halbe Stunde später ist der Lieferdienst wieder da, und bringt eine zweite Liege. Haha! Triumph auf der ganzen Linie. Mit Schwung werfe ich mich auf die zartgelbe Matratze, recke und strecke mich, kuschele mich wohlig in das kleine Nestchen, das mir die extraweiche Auflage bereitet. Jetzt ist auch ein Gläschen Sekt genehm, auch ein zweites und drittes. Der Alkohol und die Sonne machen mich schläfrig. Warum soll ich nicht auch nach der ganzen Aufregung ein wenig Augenpflege betreiben? Sanft dämmere ich hinüber in Morpheus' Arme, entschlüpfe der garstigen Welt und wandele in ein schöneres Leben… - und merke dabei nicht, wie sich die feinen Härchen an meinen Armen aufstellen.
Sie ist da! Lauert dort drüben auf der anderen Liege. Jetzt nimmt sie Anlauf, duckt sich zum Sprung. Sie erklimmt meinen markant-männlichen Körper und kaum, dass sie auf meinem breiten Brustkorb steht, fällt sie stumpf zur Seite, gähnt herzhaft, dass man ihr prachtvolles Raubtiergebiss sehen kann und fängt leise an zu schnarchen. Ihre Pfoten stoßen mich an und sie gibt erst Ruhe, als ich im Schlaf beginne, sie zu kraulen. Zart streichen meine Finger durch ihr wunderbar weiches Fell und ich genieße das sanfte Vibrieren dieses schnurrenden Knäuels. Ich mag sie nicht, diese Katze!