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Von Seeleuten und Hosentaschen

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Die bremische Geschichte berichtet von vielen schillernden Persönlichkeiten und Figuren, jedoch wusste man bisher von keiner so wenig wie vom Vegesacker Jungen. Das wird wohl daran liegen, dass der Norden des kleinsten Bundeslandes für die Bremischen Pfeffersäcke schon immer als weit abgelegen und ein wenig exotisch galt. Vielleicht auch daran, dass sich noch niemand die Mühe machte, im spannenden Leben dieses Originals zu forschen und seine Geschichte zu dokumentieren. Das soll sich mit diesem Büchlein ändern.

Aus dem Dunkel der Vergangenheit taucht das Bild eines verkannten Genies auf, ohne dessen Wirken sich die Geschichte des Bremer Nordens, ja, bisweilen sogar der ganzen Hansestadt nur schwer vorstellen lässt. Lernen wir ihn also etwas näher kennen, den bemerkenswerten Taugenichts, den man damals Jan Kiekut rief.

Obwohl ihn keine zehn Pferde in die Schule brachten, kannte Jan sich aus. Er war plietsch, also aufgeweckt und gescheit, und wenn er etwas nicht wusste, so kannte er jemanden, den man fragen konnte. Er hielt sich an das, was sein Opa immer gesagt hatte: „Jan, der Mensch kann dumm sein, er muss sich nur zu helfen wissen!“ – Schließlich war Jans Opa mindestens so schlau gewesen wie der Herr Pastor.

Jans größter Bewunderer war sein bester Freund Emil, der Sohn des Hafenkaufmanns. Wenn Emil noch versuchte, ein Problem zu erfassen, hatte Jan meistens schon die Lösung parat. Oft sah man beide zusammen an der Weser stehen, wo sie nicht nur angelten, sondern sich auch über die Welt unterhielten.

„Jan, ich denk schon die ganze Zeit drüber nach, wieso unser Ort so heißt.“ Ganz langsam und bedächtig gab Emil diese tiefschürfende Überlegung von sich. „Vegesack – was mag das wohl bedeuten?“

Jan Kiekut spuckte in hohem Bogen ins Wasser, legte den Kopf in den Nacken und schien nachzudenken.

„Willst du die offizielle Version hören oder die Wahrheit?“, fragte er nach einer Weile, denn er hatte keine Lust, beide zu erzählen.

„Du weißt das? Nich möglich! Jan, hast du schon mal daran gedacht, Lehrer zu werden?“

„Bist du bregenklöterig? Eher heuere ich als Klabautermann auf einem Walfänger an“, schimpfte Jan. Dann bemerkte er den neugierigen, aber auch zweifelnden Blick seines Freundes.

„Gut! Dann also beide“, stöhnte er. „Die offizielle Erklärung ist die, dass der Name von Feeg-Sack, also von einer Bucht am Fluss kommt.“

„Bucht? Haben wir doch gar nicht!“, wunderte sich Emil. Jan atmete tief ein. Manchmal war es nicht leicht, Emils bester Freund zu sein.

„Und der Hafen, du Dösbaddel? Was glaubst du, was an der Stelle früher mal war, bevor der gebaut wurde.“

Emils Stirn legte sich in tiefe Denkerfalten, seine Augen richteten sich ein wenig zur Nase hin aus, so als wolle er in sich hinein blicken. Dann hob er den Kopf und schaute Jan freudestrahlend an, als sei ihm eben ein ganzer Kronleuchter aufgegangen.

„Klar! Du hast recht, Jan. Mensch, was du alles weißt! Und der wirkliche Grund?“

„Na, weil den Seeleuten hier in den vielen Kneipen der Geldsack utfeegt ward, also ausgefegt wurde. Wenn sie aus den Schänken kamen, waren ihre Taschen so leer, dass sie sie nach außen stülpen konnten, ohne dass noch etwas herausfiel.“

Demonstrativ stand er auf, langte in seine Hosentaschen und drehte das Innerste nach außen. Emil klatschte sich die flache Hand vor die Stirn.

„Geniaaaal“, hauchte er.

Jan deutete mit dem Daumen nach hinten über seine Schulter. Emil drehte sich automatisch um, konnte aber nicht entdecken, was sein Freund meinen könnte.

„Wie heißt die älteste Kneipe im Ort?“, fragte Jan, um Geduld bemüht. Emils Blick fiel nun auf das Gebäude neben dem Havenhaus, an dessen Fassade eine Matrosenfigur aufgemalt war, die eben die leeren Taschen aus der Hose zog. Darunter stand der Name der Schänke: Thom Fegesacke.

„Und die steht da schon seit mindestens 1453“, trumpfte Jan auf. „Kapitän Harmssen sagt, das sind so ungefähr 350 Jahre, da waren sogar unsere Eltern noch klein. – Haste noch nie gesehen, nich?“

Emils Augen wanderten wieder zur Nase, doch die Denkerfalten blieben aus. Scheinbar war der Geistesblitz diesmal schneller gewesen.

„Jan, was meinst du? Ob die hier in Vegesack das alle wissen?“

Jan schaute seinen Freund mit einem merkwürdigen Ausdruck an. „Ja. Ich glaube, mit ganz wenigen Ausnahmen, ja“, murmelte er erschüttert.


Jan Kiekut

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