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Fährmann, hal över !
ОглавлениеDie Handelswege waren zu Jan Kiekuts Zeiten noch nicht so gut ausgebaut wie heute, und so kam es schon mal vor, dass man sich nasse Füße holte, wenn man einen Fluss überqueren wollte. Da es damals an den Flüssen kaum Brücken gab, war man darauf angewiesen, eine Furt, also eine flache Stelle im Wasser, oder an den größeren Strömen eine Fähre zu finden. Eine Brücke gab es weiter oben an der Lesum, wo die Burg stand, denn dort verlief der alte Heerweg von Bremen nach Wesermünde, der in Friedenszeiten als Handelsweg genutzt wurde. Hier unten, bei dem kleinen Städtchen Vegesack, wo die Lesum in die Weser floss und beide Flüsse so tief waren, dass die großen Segelschiffe noch gut ihre Fracht anlanden konnten, ließ man sich vom Fährmann über den Fluss staken oder rudern.
Der Fährmann, der die Wegverbindung der Uferstraße zwischen Bremen und Vegesack sicherstellte, hieß Hinnerk Paul und war ein angeheirateter Onkel von Jan. Gelegentlich half Jan ihm bei seiner anstrengenden Arbeit und sie ruderten den schweren Kahn dann gemeinsam über die Lesum. Onkel Hinnerk hatte daher auch keine Bedenken gehabt, Jan die Fähre einmal ganz anzuvertrauen. Onkel Hinnerk sollte nämlich noch einmal Vater werden und hatte sich zur Geburt einen freien Tag gegönnt.
So saß also Jan Kiekut mit vor Stolz geschwellter Brust auf der Ruderbank und schipperte seine Fahrgäste zwischen dem alten Vegesacker Tief auf der einen Seite des Flusses und dem Schönebecker Sand auf der anderen Seite hin und her. Eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe, denn der Schiffsverkehr auf der Lesum war zu diesem Zeitpunkt schon recht dicht. Jan musste höllisch aufpassen, dass er nicht einem der behäbigen Torfkähne, die vom Teufelsmoor her die Hamme und Lesum hinab segelten, vor den Bug geriet.
Onkel Hinnerk hatte ihm sehr ans Herz gelegt, an Bord für Ordnung zu sorgen. „Jung!“, hatte er gesagt. „Nix is schlimmer als Unordnung an Bord. Stell dir vor, der Herr Pastor würde während der Überfahrt über irgendeinen Krempel stolpern und über Bord fallen, nicht auszudenken wär das!“
Nun, so verführerisch der Gedanke auch war, dem Prediger zu einem unfreiwilligen Bad zu verhelfen – Onkel Hinnerk hatte natürlich recht: Unordnung an Bord durfte es nicht geben. Jan war stolz auf sich, denn seinen wachen Augen entging nichts. Auch jenes kleine Tauwerk, welches dort vorn vorwitzig unter der Bank hervorlugte, hatte da eigentlich gar nichts zu suchen. Am besten wäre es wohl, wenn man es beiseite räumte. Noch besser, jetzt gleich, bevor noch etwas passierte. Jan hatte völlig vergessen, dass er sich gerade in der Mitte der Lesum befand. Das Gebändsel da zog ihn mit magischer Kraft an. Jawoll, wegräumen musste man das. Sofort!
Jan Kiekut legte die Riemen aus der Hand, beugte sich vor, nahm das Ende in die Hand und zog. „Oha, das hat sich irgendwo vertüdelt“, stellte Jan fest und zog stärker. Aber das Tauwerk dachte gar nicht daran, sich zu lösen. Mit einem mächtigen Ruck riss der Junge nunmehr an dem Ende, bis es nachgab.
Zu spät merkte Jan, dass es sich bei dem groben Hanfzopf um ein sehr notwendiges Bootszubehör handelte, welches Onkel Hinnerk kunstvoll in den breiten Spalt zwischen den Bodenbrettern gedrückt und mit etwas Teer verschmiert hatte. Wie aus einer Quelle sprudelte nun das Lesumwasser durch die Ritze in den Kahn, in dem Jan Kiekut wie versteinert stand. Stetig kletterte das Wasser an Jans Beinen empor, und an beiden Ufern des Flüsschens lief allerhand Volk zusammen und sah staunend zu, wie der schwere Eichenkahn langsam unter Jans Füßen wegsackte. Erst als dem Bengel das Wasser bis an den Hals stand, fiel ihm ein, dass er schwimmen konnte. Triefnass zog man den prustenden Aushilfsfährmann schließlich ans Ufer, wenn auch an das falsche. Bibbernd stand Jan Kiekut am Schönebecker Sand und schaute frierend hinüber nach Vegesack. Wie sollte er nun da wieder hinkommen? Nur gut, dass Jan sich immer zu helfen wusste. Die Menge der Schaulustigen allerdings brach in donnerndes Gelächter aus, als Jan Kiekut sich ans Ufer stellte, mit den Armen winkte und rief: „Fährmann, hal över!“