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Das Monster
ОглавлениеVon Stefan Ilius
Was hatte ich da nur für eine Kreatur erschaffen? Hatte nicht schon Mary Shelleys Roman „Dr. Frankenstein“ gezeigt, dass man nicht mit der Schöpfung spielen sollte? Wenn ich geahnt hätte, was ich da entstehen ließ, hätte ich sicher länger darüber nachgedacht, solche Experimente durchzuführen und etwas zu erschaffen, wofür die Welt wahrscheinlich noch nicht reif war. Würde man mich dafür eines Tages wohl verdammen? Dieser dämonische Blick des Monsters, in dessen Tiefen die Feuer der Hölle zu leuchten schienen. Mich schauderte es, weil ich wusste, dass ich diesem Blick gleich wieder ausgesetzt sein würde. Es war Fütterungszeit und da war diese Kreatur besonders gefährlich. Es besaß messerscharfe Krallen in leuchtendem Rot und Fänge, die spitz und weiß aus seiner Mundöffnung strahlten, bereit jeden, dessen es habhaft werden konnte, in kleine Stücke zu zerfetzen. Mit keinem von beiden wollte ich nähere Bekanntschaft machen. Letztes Mal war es knapp gewesen, da hätte es mich mit einem Prankenschlag fast erwischt, wenn es mir nicht gelungen wäre, die dunkle Höhle, in der es nun lebte, rechtzeitig zu verlassen. Bei jeder Interaktion mit diesem Monster bestand Lebensgefahr!
Wie nur konnte ich mir einbilden, es beherrschen zu können? Es zum Wohle der Menschheit zu dressieren? Nein, es hatte seinen eigenen Willen entwickelt und war nicht mehr bereit, seinem Schöpfer zu gehorchen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte diese Kreatur bis zum Ende aller Tage, in Ketten gelegt, in seiner Höhle verbringen können. Auch meine Frau hatte panische Angst vor diesem Wesen. Jedes Mal, wenn es meine Frau sah, fauchte und knurrte es, dass man eine Gänsehaut bekommen musste. Drohend stellte es seine Nackenhaare auf, bereit sich sofort und völlig gnadenlos auf sie zu stürzen. Meine Frau schwor sich, und auch mir, nie wieder einen Fuß in die Höhle der Kreatur zu setzen! Bis auf weiteres war ich also für die Versorgung allein zuständig.
Langsam ging ich die steile Treppe zu den ausgebauten Kellerräumen hinab, darauf bedacht das Monster nicht durch übermäßig laute Schritte noch mehr zu reizen. Möglicherweise hatte es bereits meine Witterung aufgenommen, denn ich hörte, wie es schnaubte und polterte. Es schauderte mir, aber es half nichts, es musste gefüttert werden, und niemand sonst, außer mir, kam hierfür in Frage. Ich ging den schmalen Gang entlang bis an dessen Ende zum Eingang der Höhle, oder wie ich immer sage: der Hölle. Ich nahm den seltsamen Geruch war, der aus der Höhle kam und mir fast die Luft raubte, und irgendwo zwischen Hasenstall und Komposthaufen lag.
Ich atmete tief durch, so wie ich es immer tat, bevor ich mich dem Monster stellte. Mir zitterten die Hände, und ich begann zu schwitzen. Dieses flaue Gefühl im Magen! Mit jedem Tag wurde die Kreatur bösartiger, und es war nur eine Frage der Zeit, bis mir wirklich mal etwas passieren würde. Wer würde mich dann retten können? Meine Frau? Unwahrscheinlich, war ihre Angst doch noch größer als meine. Sorgfältig kontrollierte ich, ob meine Schnürsenkel auch fest genug gebunden waren, damit ich wenigstens eine Chance zum Weglaufen haben würde. Eine gute Vorbereitung ist in solch einer Gefahrensituation besonders wichtig und es kam auf jedes Detail an. Der Schweiß stand mir auf der Stirn, aber ich wusste auch, dass ich mir die Angst nicht anmerken lassen durfte. Es ist vielleicht wie bei einem bösartigen Hund, oder besser einem Grizzlybären – einfach stehenbleiben und nicht die Flucht ergreifen, sonst würden bestimmt die Jagdreflexe einsetzen.
Ich leckte mir über die Lippen und räusperte mich zwei, drei Mal, um sicher zu gehen, dass meine Stimme nicht versagen würde. Dann drückte ich ganz vorsichtig den Verschlussmechanismus des Verschlags nach unten und knarzend öffnete ich die Höhle des Monsters! Es warf den Kopf herum, sofort blickte es mich mit diesen weit aufgerissenen Augen an und ich sah wieder das Feuer in ihnen. Zwei glühende Kohlen, deren böse Blicke direkt bis ins Mark gehen. Ich war mir sicher, dass Dampf oder Rauch aus den Nüstern und den Ohren kam. Ich schluckte nochmal, und dann sprach ich es mit überspitz freundlichem Ton an: „Mama hat dich schon zwei Mal gerufen. Essen ist fertig! Kommst du jetzt bitte?“
Es war wie eine Explosion, das Monster tobte und schrie entsetzlich: „PAPA! VERSCHWINDE, ICH TELEFONIERE!“ Blitzschnell schloss ich die Tür wieder und rannte nach oben. Auf der Treppe rief ich noch: „Und lüfte mal dein Zimmer!“
„Meine Tochter ...“, murmelte ich vor mich hin. „Wie lange dauert so eine Pubertät eigentlich?“