Читать книгу Land hinter den Nebeln - Claus Bork - Страница 7
Der Schwarze Sigurd
Оглавление"Was ist mit dir?" krächzte eine rauhe Stimme.
Jesper hielt den Atem an und lauschte.
"Ts, ts," seufzte eine Stimme zu ihm hinunter. "Sicher ein Unglück."
Er nahm die Hände von den Augen und sah sich verwirrt um.
"Dann trockne dir die Augen, Fister. ICH bin zurückgekommen!"
Jesper stutzte. Er kannte die Stimme. Er sperrte langsam die Augen auf und drehte sich herum, ohne jemanden zu entdecken. "Hier oben in dem Baum," flüsterte die Stimme.
Jesper legte den Kopf zurück und starrte in die Äste der Birke. Und da, mitten in dem nassen Wiederschein der Straßenlampe neben dem Bürgersteig, saß der Rabe Schwarzer Sigurd aus Abenteuerland, glänzend und funkelnd in seiner blauschwarzen Federtracht. Er legte den Kopf leicht schräg und schaute auf den Jungen hinunter.
"Erinnerst du dich?" zischte er.
Jesper nickte und lächelte und vergaß Cherri für einen Augenblick. Der Schwarze Sigurd breitete seine Flügel aus, schwebte herunter und setzte sich auf seine Schulter.
Jesper hob die Hand und streichelte ihm über den Rücken. Verschwunden waren die Kälte des Regens, die Kälte der Nässe.
"Ach, Sigurd, wie habe ich dich vermißt," seufzte Jesper.
"Ich bin ja auch jemand, den man vermißt," sagte der Schwarze Sigurd verständnisvoll.
Jesper starrte in die schwarzen, strahlenden Augen.
"Warum hast du gerade geweint?" fragte der Rabe.
Jesper dachte wieder an Cherri, es war wie ein Schmerz, der ihn durchfuhr. Die Freude über die Wiederkehr des Schwarzen Sigurds verschwand fast ganz.
"Ich verliere gerade Cherri," flüsterte Jesper mit Verzweiflung in der Stimme.
"Wer ist Cherri?" fragte der Schwarze Sigurd mit einem leichten Anflug von Eifersucht in seiner rauhen Stimme.
"Cherri ist mein Hippiehund," flüsterte Jesper.
"Wo ist er hin? Ich kann ihn nirgendwo sehen."
Jesper zeigte auf das Haus. "Dadrin, sie liegt dadrinnen ganz alleine und ist am Sterben, Sigurd. Und ich kann nicht zu ihr hineinkommen."
"Sie?" sagte Sigurd. "Sie ist eine Hündin! Ein hübsches, weibliches Wesen in Not," murmelte Sigurd heiser. "Sie muß gerettet werden, Kleiner!"
Jesper betrachtete die dunklen, verschlossenen Fenster.
"Wie können wir sie retten, Sigurd?"
"Was fehlt ihr?" fragte Sigurd.
"Mein Vater hat ihr Gift gegeben," flüsterte Jesper zornig.
"Gift?" Sigurd bekam mitten im Regen große Augen. "Ich habe ja auch oft genug gesagt, daß du in Abenteuerland bleiben solltest. Nun verstehst du vielleicht den Sinn meiner Worte?"
Jesper nickte schweigend.
"Ich dachte ja immer, daß du merkwürdige Eltern hast," stellte Sigurd verwundert fest. "Aber, daß sie ihr Gift gegeben haben sollen?" Er schüttelte den Kopf, sodaß das Wasser nach allen Seiten spritzte.
"Du gehst wohl auch immer noch zur Schule?"
"Ja, das tue ich," antwortete Jesper.
Sigurd lehnte sich auf seiner Schulter vor und sah ihm tief in die Augen.
"Ich habe dich ja gewarnt - kannst du es nicht einsehen? Eltern - und Schule und diese..." Er überlegte einen Augenblick.
"Hausaufgaben," flüsterte Jesper.
"Jah, Hausaufgaben!" schrie der Schwarze Sigurd. "All diesen Mist haben wir überhaupt nicht in Abenteuerland. Wir haben Süßigkeiten und Kuchen und ein Schwein aus Marzipan mit einem Messer im Rücken, und wir haben einen Limonadenbach und wir haben..."
"Pst..." beschwichtigte Jesper. "Du weckst die ganze Nachbarschaft, Sigurd."
"Hm..."
Er stand ein wenig im Dunkeln, mit dem Raben auf der Schulter, und schaute mutlos durch den Regen auf das dunkle, stille Haus. Es drangen keine Geräusche heraus, kein Lebenszeichen von irgendetwas. Sigurd sah die Tränen, die von seinen Augen über die Backen herunterliefen. Er legte wieder den Kopf schräg und flüsterte aufmunternd: "Wir finden einen Rat, Fister. Wir denken nach und dann fällt uns was ein."
"Was sollte das sein?" flüsterte Jesper.
"Laß MICH denken!" zischte Sigurd, schob die Brust vor und reckte den Hals. Es verging ein kurzer Augenblick.
"Was nun?" fragte Jesper.
"Ich überlege..." krächzte Sigurd. Jesper ließ ihn in Frieden nachdenken. Gerade als er gehen wollte, geschah etwas." ICH HABS!" schrie der Schwarze Sigurd.
"Schhhh..." beruhigte Jesper. "Was hast du, Sigurd?"
"Eine Idee, Kleiner," krächzte Sigurd eifrig. Er faltete die Flügel vor den Schnabel und begann, ihm sprudelnd etwas ins Ohr zu flüstern.
"Sigurd, du spuckst mir ins Ohr."
"Ich HABS," flüsterte Sigurd schrill.
"Erzähl es mir," bat Jesper.
Der Schwarze Sigurd unterbrach auf einmal seinen Redefluß. Er schaute an sich selbst herunter und stöhnte laut.
"Was ist denn jetzt?" fragte Jesper.
"Ich habe Hunger," flüsterte der Rabe.
"Ja, ja," sagte Jesper.
"Vielleicht, nur vielleicht, sterbe ich vor Hunger, bevor ich dir von meiner brillanten Idee erzählen kann," zischte Sigurd und hielt sich mit den Flügeln den Magen.
"Wir gehen schnell zu mir nach Hause und schmieren ein paar Stullen," sagte Jesper. "Dann wird es schon wieder, du wirst sehen." Er ging hinunter zum Fahrrad, schwang sich hinauf und dann ging es mit voller Fahrt zurück, durch eine Gegend, die Paradiesviertel hieß.
Wenn an diesem späten Abend jemand auf dem Bürgersteig gegangen wäre, hätte er einen Jungen durch die Dunkelheit fahren sehen können, auf einem Fahrrad ohne Licht und mit einem Raben auf der Schulter. Aber es ging niemand dort.
"Schneller..." quengelte Sigurd. "Ich merke, daß meine Kräfte schwinden."
"Du wirst etwas zu essen bekommen," sagte Jesper beruhigend. Es ging ihm viel besser, jetzt, wo der Schwarze Sigurd ihn gefunden hatte. Er war jetzt sicher, daß ihnen irgendetwas einfallen würde, was Cherri von dem Mäusegift und den Tierärzten und all den anderen Gefahren, die auf sie lauerten befreien konnte, sie, deren Gesundheit aus dem einen oder anderen Grund aus der Balance geraten war.