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3. Akt (Rigoletto)

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Drei Stunden vor Beginn der Aufführung betrat Wotan das Opernhaus durch den Künstlereingang. Er nahm sich die Zeit, ein paar freundliche Worte mit dem Pförtner und einigen guten Geistern, die hinter der Bühne für das Gelingen zu sorgen hatten, zu wechseln. Mit Manu, der Regieassistentin, die ihn mit ihren guten Einfällen immer wieder beeindruckte und die er in sein Herz geschlossen hatte, flachste er ein wenig länger und sprach ihr seine Anerkennung für ihre Arbeit aus.

Vor seiner Garderobe kam die gute alte Tessi Braun auf ihn zu, fragte nach seinem Befinden und wann sie mit der Maske beginnen solle.

„Es bleibt noch Zeit. Ich will mich erst mal einsingen und vor allem Caro und Thomas Armsden begrüßen und ihnen Glück wünschen“, entgegnete Wotan.

Caro klopfte kurz danach an die Tür seiner Garderobe, trat ein und umarmte ihn. Ihre weibliche Intuition ließ sie spüren, dass eine nicht greifbare Veränderung mit Wotan vorgegangen war. Besorgt fragte sie: „Ist etwas nicht in Ordnung, mein Lieber?“

Wotan erwiderte mit einem Stirnrunzeln: „Was lässt dich das denn vermuten? Was soll nicht in Ordnung sein? Ich freue mich auf den Abend, auf unseren Abend.“

Zärtlich nahm er sie in seine Arme und küsste sie in einem plötzlich aufflammenden Ausbruch seiner unerfüllten Liebe. Caro erwiderte seinen Kuss, etwas mehr als nur freundschaftlich, suchte dann aber, erschrocken über sich selbst, das Weite mit dem Hinweis, sich noch in Ruhe einstimmen zu müssen.

Die Vorbereitungen hinter dem Vorhang nahmen ihren gewohnt routinierten Gang. Trotz der Bedeutung dieser Vorstellung kam keine Hektik auf. Johannes Holtz, heute Abend Intendant, Regisseur und Dirigent in Personalunion, wünschte allen Beteiligten auf und hinter der Bühne ein gutes Gelingen und klopfte ein letztes Mal laut hörbar auf Holz, bevor er hinunter in den Raum der Musiker ging, um letzte Anweisungen zu erteilen.

Wotan zeigte sich begeistert, von der Mühe, die Tessi Braun sich mit seiner Maske gab. Sie half ihm in das Kleidungsstück eines Hofnarren des 16. Jahrhunderts – wie auch die übrige Ausstattung der Zeit nachempfunden war. Zum Schluss rückte sie ihm das Buckelkissen zurecht und fixierte es. Sie wusste nur zu gut, welch körperliche Anstrengung Wotan bevorstand, den ganzen Abend in gebeugter Haltung zu gestalten. Abschließend musterte sie ihr Werk noch einmal gründlich und sagte: „Perfetto, Signore, und toi, toi, toi.“

„Herzlichen Dank, Tessi“, antwortete Wotan. „Was machte ich nur ohne dich? Die Narrenkappe setze ich mir später selbst auf.“

Während Tessi sich noch um ein paar andere Mitwirkende kümmerte, schloss Wotan sein Einsingen mit ein paar leichten Übungen ab.

Die Karten für die Galavorstellung hatten zum Teil ausgelost werden müssen, so groß war die Nachfrage gewesen. Ein gut gelauntes Publikum füllte das Theater in Erwartung eines unvergesslichen Opernabends. In einer der Ranglogen nahm eine rotblonde Frau von etwa dreißig Jahren in einem aufregend schwarzen Cocktailkleid Platz. Sie zog die bewundernden Blicke zahlreicher männlicher Besucher auf sich. Ihre leuchtenden Augen und wachen Ohren waren indes nur darauf erpicht, Wotan auf der Bühne zu erleben.

Als Johannes Holtz pünktlich auf die Sekunde den Orchestergraben betrat und auf sein Podest stieg, wurde er bereits mit stürmischem Applaus begrüßt als Dank für die vielen schönen Abende, mit denen er seine Besucher stets beglückt hatte. Nachdem erwartungsvolle Stille im Auditorium eingekehrt war, hob er den Taktstock. Das Orchester schenkte ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Schon die Ouvertüre ließ keine Zweifel aufkommen, dass die Musiker in Bestform waren und gewillt, zum Gelingen des Abends ihren Beitrag zu leisten. Im Zuschauerraum sprang sofort der Funke der Begeisterung über. Jetzt konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Auch der Chor in seinen prachtvollen Kostümierungen wollte nicht nachstehen, was jeder Zuhörer bereits zu Beginn des 1. Aktes beim Fest am Hofe des Herzogs von Mantua vernehmen konnte.

Der erste große Auftritt war an diesem Abend Thomas Armsden in seiner Rolle des Herzogs von Mantua vorbehalten, einem Weiberhelden par excellence. Nachdem er einigen Schönen den Hof gemacht hatte, immer wieder angestachelt durch seinen Hofnarren, der buckelnd um ihn herumscharwenzelte, setzte der Herzog zu einer Ballade Questa o quella per me sono pari … (Freundlich blick ich …) an. Ein erster donnernder Zwischenapplaus belohnte seine Darbietung.

Wotan zeigte sich präsent, wieselte von Gruppe zu Gruppe und spielte sein perfides Spiel mit den Höflingen, vergoss dämonisch seinen Hohn und Spott über die Hofschranzen, die ihn wegen seiner Behinderung verlachten. Als der Graf von Monterone auftrat, um vom Herzog Genugtuung für die Verführung seiner Tochter einzufordern, zeigte sich Wotan in seinem Element. In Szenen wie diesen war sein Können als Schauspieler gefragt. Er äffte ihn nach und verhöhnte ihn grausam, woraufhin der Graf ihn verfluchte und Rigoletto betroffen zusammenbrach.

Als sich der Vorhang am Ende des 1. Aktes senkte, brandete ein erster Beifallssturm auf. In diesem Moment registrierte Wotan, dass Caro sich schon eine Zeit lang in der Kulisse versteckt gehalten hatte. Da nur eine kurze Umbaupause anstand, ging Wotan nicht zurück in seine Garderobe, sondern ließ sich nur eine Flasche Wasser reichen.

Caro kam auf ihn zugelaufen, umarmte und gratulierte ihm. „Du bist grandios, mein Lieber. Für mich bist du immer noch der Rigoletto schlechthin“, flüsterte sie ihm zu und küsste ihn.

Der 2. Akt forderte Wotans Schauspielkunst im höchsten Maße heraus. Er fühlte sich, getragen von der Begeisterung, in seinem Element und wurde ihr in allen Belangen gerecht. Jeder Ausdruck auf seinem Gesicht, jeder Ton, den er sang, jeder Schritt, den er machte, jede Bewegung, alles stimmte.

Thomas Armsden sang und spielte zwar hervorragend mit, doch an diesem Abend konnte er mit Caro und Wotan nicht mithalten..

Stehend dargebrachter, lang anhaltender Beifall dankte den Akteuren auf der Bühne, bevor sie nach einigen Vorhängen in die Pause entlassen wurden. Caro und Wotan offenbarten durch ihr intensives Spiel und ihren Gesang an diesem denkwürdigen Abend, was aus den dargestellten Figuren herauszuholen ist. Selbst Verdi als Zuschauer wäre erstaunt gewesen, auf welch eindrucksvolle Weise inspirierte Künstler seine Vorlage auszulegen fähig sein konnten.

Atemlos hatte das fachkundige Publikum das Geschehen auf der Bühne verfolgt, manchem Besucher war ein Schauder den Rücken hinuntergelaufen. Die schöne Frau mit den rotblonden Haaren in der Rangloge hatte aufmerksam durch ihr Opernglas das Geschehen auf der Bühne verfolgt, das innige Zusammenwirken von Wotan und Caroline Bogaert erkannt und gedeutet. Ihre Begegnung mit Wotan sah sie durch diese Erkenntnis nunmehr in einem anderen Licht. Auch sie hatte, wie andere auch, mit Tränen der Rührung zu kämpfen.

In der Lobby vermerkten die anwesenden Fachjournalisten, dass das Theater, soweit sie sich erinnern konnten, noch nie zuvor eine solch intensive Aufführung erlebt hatte, eine Meinung, die das Publikum voll und ganz teilte.

Wotan kam sich vor, als schwebe er in musischen Sphären weit über allen Wirklichkeiten. Beim letzten Vorhang hatte er Eileen in der Loge entdeckt. Er erblickte auch seine Frau, die mit steinernem Gesicht dem Geschehen auf der Bühne folgte. Sie hatte die Gerüchte, die sich um ihn und Caro rankten, immer für bare Münze genommen. Auch seine Tochter, die neben seiner Frau saß, hatte die weite Anreise in Kauf genommen, ohne ihm das vorher verraten zu haben, um ihren Vater noch einmal auf der Bühne live zu erleben. Ein Gefühl unendlichen Glücks erfüllte ihn.

Im 3. Akt stand sein großer Auftritt bevor. Er schwelgte in Vorfreude darauf. Jedermann wartete gespannt darauf. „Cortigiani, vil razza damnata, per qual prezzo vendeste il mio bene? …“ (Hofschranzen, verdammtes, feiges Geschlecht, zu welchem Preis habt ihr mein Gut verkauft? …) schallte seine Stimme durchs Haus. Von jeder Wand, aus jeder Ecke des Hauses hallte seine Verzweiflung wider. Ein jeder spürte und erlebte beim Vortrag dieser Arie, dass Wotan sich inzwischen voll und ganz in Rigoletto verwandelt hatte. Er war nicht mehr der Sänger Wotan van Geel, er war nur noch der bucklige, verzweifelte Hofnarr Rigoletto auf der Suche nach seiner gekidnappten Tochter. Nach der Arie erhob sich das Publikum von den Sitzen und verlangte mit unüberhörbaren Da-Capo-Rufen nach einer Wiederholung. Holtz brach das Dirigat ab, verständigte sich mit dem Orchester und Wotan, der daraufhin die Arie nochmals sang.

Der 4. Akt trieb das tragische Geschehen dem Höhepunkt zu. Nach der Umbaupause führte Rigoletto seiner Tochter die Treulosigkeit des Herzogs vor Augen, der sich inzwischen an die Schwester des Banditen Sparafucile herangemacht hatte. Er forderte Gilda auf, die Stadt zu verlassen. Sparafucile engagierte er, den verhassten Herzog zu ermorden, der wegen eines Unwetters in der Herberge übernachtete. Die Schwester des Meuchelmörders überredete ihn jedoch, ihr den Liebhaber zu belassen. Sie beschlossen, den ersten Gast zu ermorden, der die Herberge betritt. Gilda hatte gelauscht und opferte sich, da sie den Herzog noch immer liebte. Als das Unwetter abgeklungen war, erschien Rigoletto, um den Sack mit der vermeintlichen Leiche des Herzogs in den nahen Fluss zu werfen. Da jedoch hörte er dessen Stimme, als er singend das Haus verließ. Zitternd öffnete er den Sack und erkannte voller Entsetzen seine im Sterben liegende Tochter, die ihn um Vergebung anflehte. Die Bühne wurde in Dunkel gehüllt, die Scheinwerfer richteten sich allein auf Wotan und Caro, die er zärtlich in seinen Armen hielt. Beim Duett der beiden, mit dem die Oper endet, rannen Rigoletto Tränen über sein Gesicht, als seine geliebte Tochter ihr Leben aushauchte. Die Scheinwerfer verblieben auf Wotans Gesicht haften, als die letzten Töne erklangen und der Vorhang sich schloss.

Holtz hielt danach seinen Taktstock erhoben. Bewegt schwiegen die Besucher noch einen ungewöhnlich langen Augenblick. Erst als Holtz den Taktstock endlich senkte, brach ein Beifallssturm los, der das Haus in seinen Grundfesten erschütterte. Die Lüster in den Gängen klirrten. Der Sturm verwandelte sich gar in einen Orkan, als der Vorhang sich öffnete und die drei Hauptdarsteller ihren Lohn in Empfang nahmen.

„Dein Abend!“, sagten Caro und Thomas aus einem Munde, als nach dem Vorhang der Applaus kein Ende nehmen wollte. Sie forderten Wotan auf, allein vors Publikum zu treten. Was dann geschah, hätte sich Wotan nicht im Traum vorstellen können. Das Publikum raste vor Begeisterung. Er bedankte sich sichtlich gerührt, mit Tränen in den Augen.

Minutenlang dauerten die Ovationen an, immer wieder wurden die Akteure vor den Vorhang gerufen. Unmengen von Blumensträußen landeten auf der Bühne, darunter auch ein Strauß herrlicher Rosen aus einer Rangloge.

Langsam machte sich Erschöpfung breit, sowohl auf der Bühne als auch im Saal, in den Logen und im Parkett. Als Wotan schließlich durch eine Handbewegung andeutete, dass sie inzwischen zu ausgelaugt seien, um weitere Huldigungen entgegenzunehmen, gab sich das Publikum zufrieden und entließ die Künstler, die ihm einen unvergesslichen Abend beschert hatten.

Auf der Bühne und dahinter knallten die Sektkorken. Alle Beteiligten gingen spontan zum Feiern über. Nach und nach gesellten sich Prominenz aus Gesellschaft und Kultur sowie namhafte Sponsoren hinzu. Ein schöner und langer Abschluss des Abends kündigte sich an.

Caro und Wotan begaben sich in ihre Garderoben, um sich abzuschminken und umzuziehen. Zuvor hatte Caro ihm zu verstehen gegeben, dass sie nicht lange auf der Feier zu verweilen gedenke und gerne mit ihm alleine noch ein Glas Wein trinke.

Der Sekt floss in Strömen, der Oberbürgermeister, der Vorsitzende des Theatervereins, einige Sponsoren und schließlich auch Johannes Holtz als Intendant hielten kurze Ansprachen, brachten den einen oder anderen Toast aus und schwelgten in Lobeshymnen über die Aufführung. Caro und Thomas Armsden hatten sich inzwischen ebenfalls unter das feiernde Bühnenvolk gemischt.

Die Stimmung entwickelte sich ausgelassen wie selten zuvor. Es war kaum auszumachen, ob jemand und wer vielleicht fehlte. So fiel eine Weile nicht weiter auf, dass Wotan, der Held des Abends, noch nicht erschienen war, wenn auch bekannt war, dass er solchen Feiern gerne aus dem Wege ging. Als die besorgte Caro ihn nach einiger Zeit immer noch nicht entdecken konnte und auf ihre Nachfragen auch niemanden fand, der ihn gesehen hatte, wandte sie sich an Holtz, der Tessi Braun bat, nach Wotan Ausschau zu halten. Tessi lief ohne Umschweife, mit einem Glas Sekt in der Hand, denn sie feierte gerne und ausgiebig, in Wotans Garderobe. Dort traf sie ihn zusammengebrochen und offensichtlich besinnungslos in seinem Sessel sitzend an.

Sie stieß einen Schreckensschrei aus und eilte zurück, um den Intendanten zu informieren. Unter den feiernden Gästen befand sich Professor König, Chefarzt des örtlichen Klinikums, der sich auf Holtz’ Bitte sofort um Wotan kümmerte. Ein Rettungswagen wurde herbeigerufen. Ohne dass jemand etwas davon bemerkte, wurde Wotan ins nahe Krankenhaus gefahren. Erst als dies geschehen war, rief Johannes Holtz die Hauptdarsteller und seine engsten Mitarbeiter zusammen, um sie über Wotans Zusammenbruch zu informieren.

Da die nächste Aufführung aus Termingründen erst in zwei Wochen stattfinden sollte, war Zeit, die weitere Entwicklung erst einmal abzuwarten, bevor irgendwelche Entscheidungen getroffen werden mussten. Holtz war noch immer davon überzeugt, Wotan zu einem nochmaligen Auftritt überreden zu können. Die gute Stimmung war jedoch dahin.

Caro verabschiedete sich sofort. Sie wollte noch im Klinikum vorbeischauen, um ihrem Freund Beistand zu leisten. Dort wurde sie allerdings freundlich abgewiesen. Professor König bedauerte: „Ich kann einen Besuch frühestens in zwei oder drei Tagen gestatten und im Moment nur die Familienangehörigen zulassen. Bitte haben Sie Verständnis. Besorgt begab sich Caro zurück ins Hotel.“

Beispielhaft

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