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Kapitel 3

SUCHT

Ohne Schmerz gibt es keine Bewusstwerdung. Menschen tun alles, egal wie absurd, um ihrer eigenen Seele nicht zu begegnen. Man wird nicht erleuchtet, indem man sich Figuren aus Licht vorstellt, sondern indem man die Dunkelheit bewusst macht.

C. G. Jung

Gegen Ende eines dreitägigen Heroin-Trips lagen wir zu mehreren auf einem riesigen achteckigen Wasserbett, als mein Dad anrief. Benommen nahm ich das Gespräch an und hörte, wie er mir unmissverständlich mitteilte, dass er erwarte, mich am Spätnachmittag bei der Highschool-Abschlussfeier meines Bruders Nick zu sehen.

Im Vorjahr, 1978, hatte ich im ersten Studienjahr an der Ball State University in Muncie, Indiana, mein Studium hingeschmissen und meinen Freund geheiratet, den Schlagzeuger einer Rockband. Jeff hatte schöne Augen und fuhr ein schickes Auto, dessen Räder glänzende Sportzierblenden besaßen und dessen Subwoofer einen vollen Sound lieferten. Er war einfach der coolste Typ, und ich war total in ihn verknallt.

Meine neun Monate auf dem College waren erbärmlich gewesen. Jeden Freitag fuhr ich nach Hause, und jeden Sonntagabend, wenn ich zurückfahren musste, war ich furchtbar nervös. Ich wollte meine Zeit am liebsten nur mit Jeff und der Band verbringen. Drogen spielten in diesen Jahren überall eine große Rolle. Wohin ich auch kam, immer schien es einen Kaffeetisch mit Spiegel, aufgerollten Dollarscheinen und einer Line zu geben – damals noch vorwiegend Kokain, aber bald darauf wurde auch Heroin dazugemixt, was in der Kombination aus stimulierender (Kokain) und sedierender (Heroin) Wirkung zum Speedball wird: ungeheuer euphorisierend, und noch gefährlicher als jede dieser Drogen für sich allein genommen.

Ich war verrückt nach Partys. Ein Mädchen, das oft mit der Band abhing, war schwerst drogensüchtig – eine von denen, die sich manchmal nicht einmal mehr die Mühe machten, zwischen zwei intravenösen Dosen die Manschette vom Arm zu nehmen. Ich vergötterte sie. Wir waren wie Schwestern. Eines Tages wollte ich sie in meiner Mittagspause besuchen und fand sie völlig durchgedreht, weil sie keine Vene finden konnte, die unbeschädigt genug war für eine Spritze. Sie bat mich, ihr den Gefallen zu tun und die Spritze an einer Stelle zu setzen, die sich die meisten noch nicht einmal vorstellen wollen. Auch ich war schockiert, überwand aber meine Skrupel, weil ich ihr unbedingt helfen wollte. Ich staune noch immer darüber, wie intensiv ihr Bedürfnis war und wie weit zu gehen sie bereit war, um Erleichterung zu finden.

Der Aufforderung meines Vaters gehorchend, erschien ich brav zu Nicks Abschlussfeier. Nur trug ich dummerweise einen dünnen weißen Polyester-Overall mit der Innenseite nach außen, bis zum Nabel aufgeknöpft und keine Unterwäsche. Ich war total high, torkelte herum und musste mich immer wieder mal an der Wand abstützen. Mom dachte, ich sei sturzbetrunken, und bat Peggy, dafür zu sorgen, dass ich in diesem Zustand nicht mit zur Feier bei uns zu Hause mitkäme. Daraufhin sagte Peggy zu Mom und Dad, sie befürchte, dass ich bis oben hin voll mit anderen Drogen sei …

Dad rief mich an und verlangte von mir, dass ich eine Entziehungskur mache. Ich wollte das auf keinen Fall und sagte zu Jeff, wir müssten die Stadt verlassen.

Von Peggy fühlte ich mich verraten. Bis dahin hatten wir uns doch immer gegenseitig geholfen. Warum verpetzte sie mich jetzt? »Geliebtes Wesen, mache dir folgendes klar. Vorwürfe lassen das Trauerspiel nur weitergehen«, heißt es bei Hafiz. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich erkannte, dass Peggy mir damals wahrscheinlich das Leben rettete.

Jeff und ich hatten immer davon gesprochen, mal in New York City leben zu wollen. Also packten wir ein paar Koffer, setzten uns ins Auto und fuhren los. Die größte Stadt, die wir beide bis dahin gesehen hatten, war Fort Wayne, Indiana. Dementsprechend überwältigend war der erste Eindruck vom Big Apple: »Wow«, sagte ich, als wir zum Times Square kamen. »Hier fällt also an Silvester immer der berühmte ›Zeitball‹, mit dem der Beginn des Neuen Jahrs angekündigt wird!«

Nicht nur hier am New Yorker Times Square machte man aus den Silvesterfeierlichkeiten ein riesiges Spektakel – auch bei uns zu Hause in der Familie Zello bedeutete Silvester immer eine große Sache. Mom und Dad kamen von irgendeiner Party nach Hause, um Mitternacht mit uns Kindern zusammen zu sein. Dad filmte mit der Videokamera den herabfallenden Times Square Ball vom Fernseher ab und machte anschließend einen Schwenk durchs Zimmer auf uns schläfrige Kinder. Wenn der Zeiger auf die Zwölf vorrückte, küssten Mom und Dad sich meist viel zu lange – während wir sie mit kleinen Geschenken bewarfen und kreischten.

Nun waren Jeff und ich endlich selbst an jenem Sehnsuchtsort, den Dad Jahr für Jahr vom Fernseher abfilmte – wir fühlten uns wie am Nabel der Welt.

Allerdings war der Times Square damals noch nicht das glitzernde Touristenmekka von heute, sondern ein düsterer, gefährlicher Ort. Jeff und ich checkten in einem heruntergekommenen Hotel namens »Piccadilly« auf der West 54th Street ein – ohne jeden Plan. Wir schleppten unsere Koffer aufs Zimmer und ließen uns erst einmal nieder, um high zu werden. Bryant Park, damals eine Drogenoase, war nur wenige Blocks entfernt.

Genau ein Jahr zuvor saß ich mit meinem Vater auf der Veranda unseres Hauses in Bluffton und erzählte ihm, ich würde die Uni verlassen und Jeff heiraten.

»Colleen«, antwortete er, den Kopf in die Hände gestützt. »Du bist noch ein Teeanger. Ich gebe dir alles, was ich auf meinem Bankkonto habe – dreitausend Dollar – wenn du das nicht machst.« Doch ich hörte ihm gar nicht zu. Er begann zu weinen. Es war das erste Mal überhaupt, dass ich ihn so sah. Es verfolgt mich bis heute, dass ich ihm diese Qualen bereitet habe.

An unserem ersten Morgen im Piccadilly wachte ich kribbelig auf – ein Gefühl, das mir nur zu vertraut werden sollte. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich Drogen brauchte, um mich wie mich selbst zu fühlen. In meinem Kopf begann es zu rattern. Ich hatte in Indiana ein bisschen Geld verdient, als ich Werbeinserate für eine Zeitung namens Farmers’s Advance verkaufte. Jeff besaß noch etwas Bargeld von einem Auftritt mit seiner Band, aber nicht einmal, wenn wir beide zusammenlegten, hätten wir genügend Geld gehabt, um uns das Leben in einem Hotel leisten zu können – schon gar nicht in New York City. Das, was wir an einem einzigen Tag in Manhattan ausgaben, hätte uns zu Hause einen Monat lang gereicht.

Was sollten wir machen? Ich hatte kein Studium, keine Ausbildung – plötzlich schoss mir etwas durch den Kopf: Ich kannte in Indiana ein paar Mädchen, die in Stripclubs gutes Geld verdienten – vor allem durch die großzügigen »Trinkgelder«, die ihnen manche Gäste in Hinterzimmern für bestimmte Add-ons zahlten.

Glücklicherweise setzte ich die Idee nicht in die Tat um.

Es schockiert mich noch heute, dass ich den Gedanken überhaupt zuließ, Sex zu verkaufen. Was war nur aus mir geworden? War ich wirklich nur einen Schuss und einen Blowjob davon entfernt, so tief zu sinken?

Andererseits amüsiert es mich aber nun, fünfunddreißig Jahre später, sogar ein bisschen, wenn ich darüber nachdenke, dass ich selbst in meiner damaligen Verzweiflung in der Lage war, das wirtschaftliche Für und Wider solcher Überlegungen relativ nüchtern zu betrachten. Ich war eben schon immer praktisch veranlagt. Niemals hätte ich so leben wollen wie meine Eltern, die mit dem Scheckbuch in der Hand in ihrer Küche saßen, auf dem Tisch verstreut lauter Rechnungen vor sich, um sich mit der Entscheidung zu quälen, welche davon sie am Monatsende bezahlen könnten.

Als ich zehn Jahre alt war beschloss ich, ihnen durch Babysitten und Rasenmähen zu helfen. Mit vierzehn bekam ich einen Job in Coopers’ Pflegeheim als Animationsassistentin. Ich liebte den Umgang mit alten Menschen und hatte das Gefühl, einen guten Beitrag zu ihrer Unterhaltung leisten zu können.

Am selben Tag, an dem ich für einen kurzen Moment ernsthaft über eine Stripclubkarriere nachgedacht hatte, machte irgendetwas in mir »klick«. Ich ging den Korridor entlang zum Gemeinschaftsbad, versperrte die Tür, schaute in den Spiegel und fing an zu weinen. Ich erkannte das Mädchen kaum noch, das mich da aus dem Spiegel heraus ansah. Normalerweise hätte ich in einem solchen Augenblick versucht, mich irgendwie zu betäuben. Aber diesmal wusste ich gar nicht mehr, was ich wollte oder tun sollte. Also nahm ich erst einmal ein Bad.

Ich weiß nicht, wie lange ich in der Wanne lag, nur, dass ich mich darin sicher fühlte. In den folgenden Tagen machte ich einen kalten Heroinentzug. Ich ignorierte die anderen Hotelgäste, die an die Tür klopften und wütend fragten, wann ich denn endlich fertig sei. Ich bekam einen Juckreiz. Ich musste mich erbrechen. Ich zitterte am ganzen Leib wie Espenlaub. Ich hatte das Gefühl, da sei etwas in meinem Körper, das ich unbedingt loswerden wollte.

Das Schlimmste an diesem Entzug war aber gar nicht der physische Aufruhr, in den mein Körper geriet – es war die Erinnerung an den Blick meines Vaters, als er mich bei Nicks Abschlussfeier sah; seine Verzweiflung, seine Qual. Zu erkennen, welchen Schmerz ich ihm damit zugefügt hatte, wurde für mich zu einem heilsamen Schock: Dieser Mann hatte alles für uns geopfert. Ich konnte ihm und der übrigen Familie nicht noch mehr Kummer bereiten. Ich wollte mich nicht den Menschen, die ich am meisten liebte, entfremden. Ich musste mit den Drogen aufhören und mich endlich auf mich selbst verlassen.

Die buddhistische Nonne Pema Chödrön spricht darüber, dass wir Menschen unsere Augen nicht vor dem verschließen dürfen, was unser Handeln verursacht. C. G. Jung schrieb, dass es keine Verwandlung geben kann, solange wir nicht unserem »Schatten« gegenüberstehen – der dunklen Seite unserer Natur, die unserem Bewusstsein verborgen bleibt und von primitiven Trieben wie Zorn, Wut, Begierde und Selbstsucht geleitet wird. Wenn »Erleuchtung« voraussetzt, dass das Ego mehr und mehr reduziert wird, hatte ich einen Tiefpunkt erreicht. Viele Lehren besagen, dass man von dort aus die größten Möglichkeiten zu neuer Entfaltung hat. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich auch dann noch selbst aus meinem Schlamassel wieder hätte herausziehen können, wäre ich noch tiefer gesunken.

Das ist vielleicht die wichtigste Yogalektion überhaupt: Sich gewahr zu werden, dass Selbstsucht und Selbstzerstörung auch die Menschen in unserem Umfeld in Mitleidenschaft ziehen. Als mir bewusst wurde, dass ich andere verletzte, versetzte mir dies den sprichwörtlichen Tritt in den Hintern, und so fasste ich den Entschluss, damit aufzuhören.

Heute kommen viele Menschen, die mit einer Sucht zu kämpfen haben, in die Yogaklassen von Rodney Yee und mir – egal ob es bei dieser Sucht um Essen, Beziehungen, Sex, Macht, Alkohol oder Drogen geht. Sucht scheint zum Wesen des Menschseins zu gehören. Unser guter Freund, der Psychologe Dr. Robby Stein, sagt, dass wir alle nach etwas suchen, das unseren Schmerz lindert. Egal, was wir wählen, es erzeugt ein besonderes Gefühl – einen neurologischen Pfad, den Robby einen »Fluss im Sand« nennt. Wir assoziieren die jeweilige Substanz mit einer Abnahme von Beklemmung, mit Erleichterung und Vergnügen. Welche Droge wir auch gewählt haben, wir wiederholen dieses Verhalten, das immer tiefere Furchen in unsere Psyche gräbt, bis die Abhängigkeit darin fest verankert ist. So werden wir zu Gefangenen unserer eigenen Gewohnheiten. Die Maßnahmen, die wir ergreifen, um unser Leiden zu erleichtern, erzeugen Abdrücke – sogenannte Samskaras –; diese entsprechen im Yoga Robbys »Fluss im Sand«. Wir trinken ein Bier, rauchen einen Joint oder eine Zigarette, essen Schokolade und fühlen uns besser. Also machen wir es wieder. Aus einem Verhalten wird eine Gewohnheit, aber die Erleichterung ist immer nur vorübergehend, sie löst niemals das zugrunde liegende Problem: unseren Schmerz und unsere Entfremdung von uns selbst. Deshalb sind die erfolgreichsten Reha-Programme diejenigen, die der abhängigen Person dabei helfen, eine spirituelle Dimension zu entdecken – ganz egal, wie wir das nennen: eine höhere Macht, Gott, das Göttliche. Im Yoga sehen wir das wahre Selbst als etwas Transzendentes. Die Arbeit, die wir auf uns nehmen, um diesen Teil von uns zu enthüllen, enthält das Versprechen einer Verwandlung, einer Befreiung und vielleicht sogar einer Erleuchtung. Die achte und letzte Stufe des klassischen Yoga, Samadhi, bedeutet das völlige Aufgehen in diesem Zustand.

Vier Jahre lang hatte ich täglich irgendeine Form von Drogen genommen. Als das erste Mal Heroin in meinen Blutkreislauf kam, dachte ich, das sei das Ende meines Leidens. Aber Sucht ist eine Form des Weglaufens vor unseren Gefühlen.

Was sind das für Empfindungen, vor denen wir fliehen müssen?

Was für Substanzen verwenden wir, um uns selbst zu betäuben?

Ist der Schmerz des Lebens so unerträglich?

Sind wir so abgekoppelt von uns selbst und voneinander, dass wir uns hoffnungslos entfremdet und einsam fühlen?

Ich war auf der Suche nach einem Ausweg aus der Intensität meiner Gefühle, sei es die Verwirrung über die Traurigkeit meiner Mutter, die Frustration über meine schwächer gewordenen schulischen Leistungen nach dem Unfall oder die Scham, vorzeitig von der Uni abgegangen zu sein.

Im Yoga und bei der Meditation lernen wir, unsere Gefühle auszuhalten. Wir werden gewahr, wo die Empfindung sitzt und wie sie sich verändert. Wir lassen die Geschichte los, die mit dieser Empfindung verbunden ist. Zu wissen, dass ein Gefühl – wie irritierend oder schmerzlich es auch sein mag – wieder vergehen wird, ist eine Befreiung.

Bei einem der ersten Yoga-Workshops von Rodney, an denen ich teilnahm, sagte er: »Wir haben alle einen Ort in uns, an den zu rühren für uns unerträglich ist. Deshalb sperren wir ihn weg. In der Yoga-Praxis beginnen wir, diesen Ort zu berühren. Langsam öffnen wir die verborgenen Abteile von Scham, Kummer und Trauma, die in unseren Körpern verborgen sind.«

Es gibt einen Grund dafür, dass in den Traditionen der Kontemplation künstlich veränderte Bewusstseinszustände keine Bedeutung haben: Das in den Atemübungen (Pranayama) und der Meditation erfahrbare Glück ersetzen jeden chemisch erzeugten Zustand der Hochstimmung – und ich weiß genau, wovon ich da rede.

Heute beziehe ich meine »Kicks« daraus, lange aufzubleiben und Videos mit Iyengar-Yoga anzuschauen. B. K. S. Iyengar, der 2014 im Alter von fünfundneunzig Jahren gestorben ist, war ein Meister des Körpers. In einem Video folgt ihm ein Interviewer ständig und stellt Fragen – man sieht, wie Iyengar allmählich ungehalten wird. Der Interviewer fragt: »Meister Iyengar, warum ist das von Ihnen gelehrte Yoga nicht spirituell?« Der Meister schaut ihn lange an und erwidert dann: »Waren Sie sich jemals jeder einzelnen Körperzelle gleichermaßen bewusst? Nein? Nun gut, sobald das einmal der Fall war, kommen Sie bitte wieder und erzählen mir, dass das keine spirituelle Erfahrung sei.«

Eines Sommers wurde ich eingeladen, zusammen mit mehreren anderen Lehrern einen Outdoor-Yogakurs am Times Square abzuhalten. Als ich meinen Platz auf der Bühne eingenommen hatte und auf ein Meer von sechstausend Gesichtern schaute, fühlte sich das an wie eine vertraute Zusammenkunft von Menschen jeden Alters, jeder Ethnie und jeden Geschlechts. Eine so ruhige Einigkeit hatte ich nicht erwartet. Am Ende des Kurses, als jeder in der Menge zum Abschluss mit einem schönen, kollektiven Om geendet hatte, drehte ich mich um und schaute die Straße entlang. Ich konnte das riesige Marriott Marquis Hotel sehen, das heute an der Ecke Broadway und 54th Street steht. Genau an dieser Ecke stand einst das Piccadilly Hotel – in dem ich vor langer Zeit diese elenden, jedoch lebensverändernden Tage erlebte. Und da war ich nun, drei Blocks, fünfunddreißig Jahre und eine wunderbare Yogameile von meinem früheren, verwirrten und verzweifelten Selbst entfernt.

Yoga-Sequenz: Gewohnheiten beobachten und loslassen

Einmal kam ein sechsundzwanzigjähriges Mädchen in eine meiner Yogastunden. Ich wusste, dass sie auf Entzug war. Ich konnte die Anspannung in ihrem Kiefer und die Unruhe in ihren Beinen sehen, Anzeichen für einen inneren Kampf und das Verlangen, wegzulaufen. Ich habe diese Symptome selbst gespürt und erkenne sie bei anderen, die mit der Sucht leben.

Yoga kann ein wirksames Hilfsmittel sein, um sich von einer Sucht zu befreien. In unserer Übungspraxis lernen wir, Empfindungen, Emotionen und Geschichten »auszuhalten«, ohne darauf (in Form einer Befriedigung der Sucht) reagieren zu müssen.

Meine hier vorgestellte ausgleichende Übungsfolge ist für alle diejenigen, die mit irgendeiner Gewohnheit oder Sucht oder einfach mit offensichtlicher Unruhe oder Rastlosigkeit zu kämpfen haben. Sie öffnet die Hüften, löst Spannungen im Kiefer und lindert Ruhelosigkeit in den Beine – einige der Körperpartien, in denen sich emotionale Blockaden manifestieren und von denen Kampf- oder Fluchtimpulse ausgehen. Wir üben diese Haltungen alle im Vinyasa-Stil, bei dem jede Stellung weich in die nächste Stellung übergeht und die Atmung dabei als Verbindung dient.

Diejenigen, die sich von einer Sucht befreit haben, sollten sich stolz hinstellen und verstehen, dass sie vielleicht die Tapfersten im Raum sind. Hier zu sein und auf einer Matte Shavasana zu machen, statt irgendwo im Straßengraben zu liegen, bedeutet eine enorme Kraft zu haben, mit der sich selbst der steilste Berg besteigen ließe.

Am Ende der Yogastunde beobachtete ich die Frau bei ihrer Abschlussentspannung. Ich sah, dass ihre Augen immer noch nervös umherirrten. Deshalb ging ich zu ihr und hielt sanft, aber fest ihre Füße. Sie fing ganz still an zu weinen. Ein Damm war gebrochen, und die Energie, die in ihrem Körper blockiert war, wurde freigesetzt. Ich sah, wie sich ihr Kiefer entspannte und die Beine nachgaben. Das war die Erleichterung, die sie brauchte.

Yoga-Lehrer sehen Haltungen zur Hüftöffnung oft als reine Auswärtsdrehung und Abduktion wie im Vollständigen Lotussitz (Padmasana) oder im Festgehaltenen Winkel (Baddha Konasana). In der hier vorgestellten Übungsfolge ist es mein Ziel, das Bewegungsspiel der Hüftgelenkspfanne in seinem weiten Raum zu nutzen und die dazugehörige Erleichterung spürbar zu machen.

Angenehme Stellung (Sukhasana). Sitzen Sie mit gekreuzten Schienbeinen, das linke vor dem rechten Schienbein (a).


Angenehme Stellung (a)

Atmen Sie aus und beugen Sie den Oberkörper nach vorne über die Beine in die Angenehme Stellung mit Vorwärtsbeuge (b).


Angenehme Stellung mit Vorwärtsbeuge (b)

Fünf Atemzüge lang halten. Atmen Sie ein, richten Sie sich auf und schwingen Ihr linkes Bein gerade hinter das Becken nach hinten.

Modifizierte Einbeinige Königstaube (Eka Pada Raja Kapotasana). Legen Sie die rechte Ferse direkt vor die linke Hüfte; das rechte Knie steht dabei nur wenig über die rechte Hüftlinie hinaus. Richten Sie Ihr Becken vorne so parallel wie möglich zur Vorderkante Ihrer rutschfesten Matte. Stützen Sie Ihren aufgerichteten Oberkörper, indem Sie die Hände in den Boden drücken (a).


Modifizierte Einbeinige Königstaube mit Rückwärtsbeuge (a)

Wandern Sie mit den Händen nach vorne, legen Sie den Oberkörper nach vorn, lösen Sie Nacken und Kopf und bleiben Sie 5 Atemzüge in dieser Haltung (b).


Einbeinige Königstaube mit Vorwärtsbeuge (b)

Nehmen Sie anschließend das rechte Bein nach hinten, stellen Sie die Zehen auf und kommen Sie in die Stellung des Nach unten schauenden Hundes (c).


Nach unten schauender Hund (c)

Treten Sie mit den Füßen abwechselnd 30 Sekunden bis zu einer Minute auf der Stelle. Anschließend setzen Sie die Knie auf den Boden, kreuzen die Schienbeine, das rechte vor dem linken, und wiederholen die Angenehme Stellung, die Angenehme Stellung mit Vorwärtsbeuge und die Einbeinige Königstaube auf der anderen Seite. Beenden Sie die Übungsfolge mit dem Nach unten schauenden Hund.

Drehsitz (Ardha Matsyendrasana). Vom Nach unten schauenden Hund gehen Sie mit dem rechten Fuß in einen Ausfallschritt nach vorne und schieben das linke Knie außerhalb des rechten Fußes auf den Boden. Setzen Sie sich zwischen Ihre Fersen (evtl. auf einen Klotz). Ihr rechter Fuß drückt außen vor dem linken Oberschenkel fest gegen den Boden. Drehen Sie den Oberkörper nach rechts und schlingen Sie den linken Arm um den rechten Oberschenkel, ziehen Sie dabei den Oberschenkel im Drehsitz zum Bauch (a).


Drehsitz (a)

Fünf Atemzüge lang halten, dann das rechte Knie zum Boden senken, den Knöchel direkt außen vor dem linken Knie positionieren und in die Haltung Knöchel über Knie (Svastikasana) kommen (b).


Knöchel über Knie mit Vorwärtsbeuge (b)

Falls das zu schwierig ist, sitzen Sie in der Angenehmen Stellung. Fünf Atemzüge in der Vorwärtsbeuge bleiben. Atmen Sie ein, richten Sie den Oberkörper zum Sitzen auf, schieben Sie den rechten Fuß vom linken Knie weg und drücken Sie die Fußsohlen zusammen; die Knie liegen auf dem Boden, Sie sitzen in der Stellung Festgehaltener Winkel (c).


Gebundener Winkel (c)

Bleiben Sie ein paar Atemzüge lang in dieser Haltung, stellen Sie dann die Füße auf den Boden und drücken Sie sich ab in die Tiefe Hocke (Malasana, d).


Tiefe Hocke (d)

Stellen Sie die Innenfußseiten aneinander (oder so nah zusammen, wie Sie können), öffnen Sie die Knie und beugen Sie den Oberkörper für 5 Atemzüge zwischen die Beine. Heben Sie dann die Hüften und strecken Sie die Beine langsam in die Stehende Vorwärtsbeuge (e).


Stehende Vorwärtsbeuge (e)

Die Knie sind durchgedrückt, die Kniescheiben aktiv Richtung Becken gezogen. Wenn Ihre hintere Oberschenkelmuskulatur fest ist oder Sie eine Anspannung im unteren Rücken spüren, beugen Sie die Knie leicht an. Halten Sie die Position 5 Atemzüge lang. Gehen Sie dann zurück in die Haltung des Nach unten schauenden Hundes (f).


Nach unten schauender Hund (f)

Wiederholen Sie diese sechs Haltungen auf der anderen Seite. Kommen Sie in der Berghaltung (g) zum Stehen.


Berghaltung (g)

Vorbereitung für den König des Tanzes (Natarajasana). Beugen Sie das rechte Knie an, umfassen Sie mit der rechten Hand den rechten Knöchel und ziehen die Ferse so nah wie möglich ans Gesäß; das Knie zeigt zum Boden. Dies entspannt Ihren Quadrizeps und den Psoas-Muskel. Strecken Sie den linken Arm nach oben. Öffnen und schließen Sie den Kiefer und bewegen ihn von einer Seite zur anderen. Fünf Atemzüge lang diese Position halten. Die Seiten wechseln. Wenn beide Füße wieder auf dem Boden stehen, machen Sie einen großen Schritt nach rechts.


Vorbereitung für den Königdes Tanzes

Krieger II (Virabhadrasana II). Drehen Sie die linken Zehen 15 Grad nach innen und die rechten Zehen 90 Grad nach außen. Atmen Sie ein, halten Sie dabei die Arme parallel zum Boden und beugen Ihr rechtes Knie im 90-Grad-Winkel; achten Sie darauf, dass es über dem Knöchel positioniert ist. Summen Sie dreimal »Om«, um Ihren Geist zu fokussieren und Ihren Kiefer zu lockern. Auf der anderen Seite wiederholen, wieder »Om« summen, anschließend die Füße zusammenstellen und nach vorne an die Matte treten. Die Krieger-Haltung fördert Mut und Stärke.


Krieger II

Berghaltung mit Löwe, nur mit dem Gesicht (Tadasana mit Simhasana). Stehen Sie in der Berghaltung, beugen Sie dann leicht die Knie und drücken Ihre Hände auf die Oberschenkel. Öffnen Sie den Mund und brüllen Sie wie ein Löwe; strecken Sie dabei die Zunge heraus, um Spannung aus dem Kiefer und angestaute Spannung im Bauch zu lösen. Dreimal durchführen. Die Löwenstellung hat viele günstige Wirkungen – eine Anregung der Schilddrüse etwa und eine verbesserte Durchblutung. Mir hat es immer geholfen, Scham und anderen emotionalen Stillstand herauszubrüllen.


Berghaltung mit Löwe

Sonnengruß A (Surya Namaskar A). Stehen Sie in der Berghaltung (a),


Sonnengruß A – Berghaltung (a)

Atmen Sie ein und strecken Sie die Arme über den Kopf (b).


Arme über den Kopf (b)

Atmen Sie aus in die Stehende Vorwärtsbeuge (c).


Stehende Vorwärtsbeuge (c)

Atmen Sie ein, beugen Sie die Knie und blicken Sie nach vorne, atmen Sie aus, gehen oder springen Sie zurück in das Brett (Chaturanga Dandasana, d).


Brett (d)

Falls es Ihnen nicht möglich ist, Ihr eigenes Gewicht nur mit den Händen und Fußballen zu halten, beugen Sie die Knie zum Boden, schnellen Sie anschließend auf Ihre Fußrücken und bringen Sie beim Einatmen Ihre Brust zwischen den Armen in die Haltung des Nach oben schauenden Hundes (e),


Nach oben schauender Hund (e)

Anschließend atmen Sie aus in den Nach unten schauenden Hund (f).


Nach unten schauender Hund (f)

Fokussieren Sie Ihren Geist auf 5 Atemzüge. Am Ende der 5 Atemzüge beugen Sie die Knie und gehen oder springen nach vorne in die Stehende Vorwärtsbeuge (g).


Stehende Vorwärtsbeuge (g)

Atmen Sie ein, heben Sie die Arme zum Umgekehrten Schwan (h)


Umgekehrter Schwan (h)

Und kommen Sie zurück in die Berghaltung (i).


Berghaltung (i)

Führen Sie den Sonnengruß A 3- bis 5-Mal aus. Wichtig ist der Rhythmus dieser Übungsfolge; er hilft, das Nervensystem zu beruhigen. Nach der letzten Sequenz stehen Sie in der Haltung des Nach unten schauenden Hundes und senken anschließend die Knie auf den Boden.

Heldensitz (Virasana). Bringen Sie Ihre Knie zusammen und setzen Sie sich nach hinten zwischen Ihre Füße. (Wenn Ihre Hüften nicht bis auf den Boden kommen, sitzen Sie auf einem Klotz.) Bleiben Sie 5 Atemzüge lang in diesem Sitz und summen beim Ausatmen wie eine Biene, was den Kiefer leicht zum Schwingen bringt. Kreuzen Sie die Schienbeine und setzen Sie sich hinter Ihre Füße.


Heldensitz

Umgedrehter Tisch (Purvottanasana). Mit gebeugten Knien und den Füßen und dem Gesäß auf dem Boden platzieren Sie Ihre Hände 15 cm hinter sich. Atmen Sie anschließend ein und heben Gesäß und Oberkörper so hoch Sie können in die Haltung des Umgedrehten Tisches. Lassen Sie den Kopf in einer relativ neutralen Position. Senken Sie sich mit einer Einatmung ab, heben und senken Sie sich noch 2-mal. Set- zen Sie sich nun in die Angenehme Stellung.


Umgedrehter Tisch

Angenehme Stellung (Sukhasana). Sitzen Sie mit gekreuzten Schienbeinen, das linke vor dem rechten Schienbein, und führen Sie das Schädelleuchten (Kapalabhati) aus, eine reinigende Übung (Kriya), die der Vorbereitung der bewussten Atmung (Pranayama) dient. Atmen Sie nur durch die Nase ein. Jedes Ausatmen erfolgt in einem scharfen Stoß, die Einatmung ist ein passives »Zurückkommen«. Führen Sie von der Übung drei rhythmische Runden aus, das Ganze 9-mal. Zwischen den Runden 3-mal natürlich atmen. Anschließend gehen Sie in die Rückenlage.


Angenehme Stellung

Abschlussentspannung (Shavasana). Binden Sie Ihre Beine in der Mitte der Oberschenkel mit einem Gurt zusammen und legen Sie ein Gewicht auf Ihre Oberschenkel. (Sandsäcke oder Gewichte auf den Oberschenkeln können zusätzlich beruhigend wirken). Verwenden Sie ein Augenkissen, um einen unruhigen Blick zur Ruhe zu bringen. Öffnen und schließen Sie den Mund und wackeln Sie mit dem Kiefer oder massieren Sie ihn. Strecken Sie die Arme mit den Handflächen nach oben neben dem Körper aus. Falls Ihre Augen sich unter den geschlossenen Lidern weiterhin ruhelos bewegen und/oder Ihr Atem schnell wird, entfernen Sie die Gewichte und das Augenkissen. Bleiben Sie 7 Minuten in dieser Stellung. Hält die innere Unruhe an, setzen Sie sich im Schneidersitz zur Meditation.


Abschlussentspannung

Yoga schenkt uns eine Gemeinschaft, aber auch einen »Link« zu unserem wahren Selbst. (Sie können das auch unsere »Seele« oder unseren »Geist« nennen.) Diese Verbindung bringt uns zu der angeborenen Schönheit und Liebe, die von unseren Begierden überdeckt werden. Ergänzend zu unserer täglichen Arbeit an unseren Suchtgewohnheiten können wir auch mit einzelnen Haltungen gegen die Sucht arbeiten.

Yoga Shanti

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