Читать книгу Yoga Shanti - Colleen Saidman Yee - Страница 9

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EINLEITUNG:

WISSE, DASS DU GUT GENUG BIST

Ich beobachte die Brust von Frauen, ihr Fußgewölbe, die Stellung ihres Beckens und wie sie ihren Kopf halten. Ich beobachte Frauen, die versuchen, ihren Körper unter Kontrolle zu halten, aus Angst, sie könnten den Boden unter den Füßen verlieren, wenn sie in diesem Bemühen nachließen. Ich beobachte Frauen, die sich dafür schämen, zu altern und die sich nicht liebenswert fühlen. Ich beobachte, wie Frauen zusammenbrechen. Ich beobachte aber auch die Perfektion, den Mut, das Mitgefühl und die Anmut von Frauen: Wir Frauen können unseren Kopf hoch über unserer stolz erhobenen Brust tragen, gestützt von kräftigen Beinen, die fest auf der Erde stehen. Wir können unsere Fußgewölbe anheben und unsere Gesichtszüge weicher werden lassen. Wir können uns vertrauensvoll und mühelos in die Welt einbringen.

In den letzten knapp zwanzig Jahren habe ich Tausende von Frauen (und Männern) in Yoga unterrichtet. Wir Frauen sind stark und schön, leiden aber auch unter früheren oder aktuellen körperlichen, emotionalen oder psychischen Verletzungen. Wir erwarten voller Sorge, was uns die Zukunft wohl bringen wird, persönlich oder beruflich. Die Frauen in meinen Kursen kämpfen mit Abhängigkeiten, mit körperlichen Problemen oder Beziehungsproblemen, mit Schwierigkeiten in ihrer Mutterrolle, mit Konkurrenzdenken und der Unfähigkeit, ehrlich zu sein. Alles Dinge, die für Stagnation und Spannungen im Körper sorgen. Yoga gibt uns Hilfsmittel an die Hand, mit denen wir innere Hindernisse überwinden und Freiheit, Freude und Dankbarkeit finden können. Ich sehe, warum Frauen zum Yoga kommen: Sie wollen etwas in sich selbst zurückerobern. Es begeistert mich, wenn ich erkenne, wie Frauen dank Yoga eine andere Sicht gewinnen und sich in ihren Körper verlieben.

Dreißig Jahre lang habe ich als professionelles Model gearbeitet, ohne eine klare Vorstellung davon, welchen Wert ich abgesehen von meinem Äußeren habe. Ich hatte in meinem Leben großen Erfolg, musste aber auch viele Traumata verkraften. Immer war ich auf der Suche nach etwas Höherem, jenseits dessen, was ich sehen, hören, riechen, schmecken und berühren kann. Eine vage Vorstellung davon gewann ich im Gebet, durch intensives Training und durch Drogen. Wirklich zu mir selbst geführt wurde ich jedoch erst durch Yoga; es hat mir gezeigt, dass dieses Geheimnisvolle, nachdem ich mein Leben lang gesucht hatte, genau hier, in mir selbst ist. Ich brauchte nichts weiter zu tun, als nicht mehr davor wegzulaufen.

Mein Weg zu mir selbst begann im Jahr 1987, als eine Freundin mich überredete, mit ihr in New York City einen Yogakurs zu besuchen. Nach der ersten Stunde fühlte ich mich anders als je zuvor in meinem Leben. Als ich auf die Straße trat, schien alles verändert zu sein – Farben, Lichter und Gerüche waren so klar und deutlich wie nie zuvor. Etwas Wichtiges hatte sich gewandelt und in mir geöffnet. Ich fühlte mich auf eine völlig neue Art lebendig.

Besonders gut gefällt mir in diesem Zusammenhang die Definition einer meiner ersten Lehrerinnen, Sharon Gannon: »Yoga ist der Zustand, in dem nichts fehlt.« Wann hatten wir das letzte Mal das Gefühl, dass nichts fehlt? Vielleicht im Bauch unserer Mutter.

Der Begriff satya bedeutet auf Sanskrit »Wahrhaftigkeit«. Viele von uns belügen sich selbst. Wir legen uns eine Identität zu, hinter der wir verbergen, wer wir wirklich sind. Wenn wir wahrhaftig sind, wie beim Yoga, fehlt nichts. Wir sind präsent und vollständig.

Selbst nach den vielen Jahren, die ich inzwischen Yoga übe und lerne, kann ich nicht behaupten, ich wüsste, was »Erleuchtung« ist oder ob Yoga mich dazu führen wird. Aber ich weiß, dass Yoga Stress reduziert, die Haltung, Durchblutung und Verdauung verbessert, dass es die Gelenke beweglich hält und für den richtigen Muskeltonus sorgt. Zudem ist es möglicherweise das beste Antiaging-Training und kann uns helfen, unser Idealgewicht zu erreichen. Yoga lindert die alltäglichen Schmerzen und Frustrationen, es macht uns gütiger und mitfühlender. Es stärkt den Körper und stabilisiert die Psyche. Yoga kann unseren Geist erhellen und uns von den Fesseln unserer individuellen Geschichte befreien, die häufig unsere Sicht darauf verdeckt, wer wir sind und wozu wir fähig sind.

Wenn Sie sich mithilfe von Atemarbeit, Achtsamkeit und den verschiedenen Yoga- Positionen durch die inneren Landschaften Ihres Körpers bewegen, erkennen Sie, ob etwas zuvor Gesagtes, Getanes oder Gedachtes ein schlechtes oder gutes Gefühl hinterlassen hat. Vor einigen Jahren sprach mein vierjähriger Neffe Johnny mit meinem ältesten Bruder Mark. Johnny sagte: »Onkel Mark, ich mag alle Leute!« Mark antwortete: »Wirklich Johnny? Ich mag nicht alle Leute. Ich habe sogar ein paar Feinde.« Johnny schüttelte den Kopf und sagte: »Das ist aber nicht schön, Onkel Mark. Da musst du dich ja richtig schlecht fühlen.«

Dieses Bewusstsein ist der erste Schritt zum richtigen Denken, Sprechen und Handeln, vielleicht sogar der erste Schritt zum Frieden. Es könnte so einfach sein.

Eines Abends surften mein Mann Rodney und ich im Internet und stießen dabei auf das YouTube-Video eines Fiona-Apple-Konzerts. Das bedeutete ein Aha-Erlebnis für mich. Ich dachte: Diese Frau sagt mit ihrem Körper die Wahrheit. Ihre Bewegungen hatten nichts Tänzerisches, und es kümmerte sie offenbar nicht, wie sie dabei aussah – sie wirkte völlig unverstellt und echt. Allen inneren Verletzungen und Grenzen zum Trotz bewegte sie sich wahrhaftig. Sie versteckte sich hinter keiner Fassade, hatte keine Angst, sich in ihrer Verwundbarkeit zu zeigen, sich durch ihre Stimme und ihre Bewegungen zu offenbaren.

Ihr Mut und ihre Aufrichtigkeit machten ihre Performance faszinierend kraftvoll. Sie berührte etwas tief in mir.

Wenn Sie jemandem mit der in Indien gebräuchlichen Begrüßungsformel Namaste grüßen, wofür schon eine Geste genügt, bei der Sie die Innenseiten der Hände aneinanderlegen und in der Nähe des Herzens zur Brust führen, ehe Sie sich kurz verneigen, bedeutet dies: »Der tiefste Teil in mir ehrt den tiefsten Teil in dir.« Das Gleiche schien Fiona Apple zu mir und zu meinem Körper zu sagen: Namaste. Ich wünsche mir den Mut, in meinem Leben, in meinem Unterricht und in diesem Buch so aufrichtig zu sein, wie sie es bei ihrem Auftritt war.

In der Yoga-Praxis lernen Sie Ihren Körper besser kennen. Viele Menschen sind ihrem Körper zeitlebens entfremdet oder kämpfen mit ihm. Yoga kann an tiefe Emotionen rühren, die viele gar nicht wahrnehmen wollen oder können. Unser Körper ist intelligent, er ist – mehr noch als unser Geist – eine Quelle direkter Wahrheit, wobei wir nur selten auf die Weisheit hören, die in ihm verborgen liegt wie in einer Schmuckschatulle.

Ich wurde Yogalehrerin, weil ich selbst erlebt habe, welche Veränderung Yoga bewirken kann. Mit Yoga fühlte und fühle ich mich in meiner Haut wohl. Yoga half mir, aufrichtiger zu werden, meinen Körper und meine innere Stimme zu entdecken. Das zeigt, dass jeder ein Yogi werden kann – sogar ein Mädchen irisch-italienischer Abstammung aus dem Herzen Indianas.

Yoga bringt ans Licht, was wir fühlen und wissen müssen. Der im August 2014 im Alter von fünfundneunzig Jahren verstorbene B. K. S. Iyengar, vielleicht der bedeutendste Yogalehrer seiner Zeit, sagte einmal, man könne mit anderen nur so vertraut sein wie mit sich selbst. Schicht für Schicht legt Yoga unser innerstes Wesen frei. Dazu passt eine Songzeile von Bob Dylan: »How long, babe, will you search for what’s not lost?«

Dies ist die Lebensgeschichte einer Frau – meine Geschichte, mit und ohne Yoga. Diese Geschichte ist nicht immer schön, aber ich erzähle sie so ehrlich, wie mein Gedächtnis es zulässt. Ich habe einige Lektionen herausgegriffen – schmerzliche, aber auch überaus glückliche –, um jeder davon eine Yogasequenz zuzuordnen. Die Sequenzen für schmerzliche Lebensumstände sollen beruhigen und aufbauen, die für Wachstumsphasen und weitere Lebensübergänge sollen zu einem Fest werden und Sie zu eigenen Einsichten führen. Diese von mir entwickelten Sequenzen behandeln Themen wie Entfremdung, Sucht und Unsicherheit ebenso wie das Finden der eigenen Stimme und die Teilhabe am unendlichen Potenzial von Akzeptanz und Liebe.

Ziel dieser Yogasequenzen ist jeweils eine körperliche, eine emotionale und eine spirituelle Wirkung. Der Weg dahin führt über das Erforschen des eigenen Körpers: Achten Sie auf seine Signale, um vertrauter mit ihm zu werden und so Ursache und Wirkung besser zu verstehen.

Auf den folgenden Seiten erwartet Sie eine Art Yoga-Spielwiese. Die von mir zusammengestellten Sequenzen werden hoffentlich den blauen Himmel enthüllen, der Sie in Ihrem Inneren erwartet.

Heute bin ich fünfundfünzig Jahre alt und glücklich verheiratet. Ich nehme keinerlei Drogen und bin Vegetarierin. Statt einem synthetischen Rausch hinterher zu jagen, habe ich gelernt, mich an der Schönheit eines ganz normalen Tages zu erfreuen. Ich habe erkannt, dass das beste Hochgefühl in der Freude, der Traurigkeit oder der Banalität des gegenwärtigen, ungefilterten Augenblicks liegt.

Im Jahr 1999 eröffnete ich mein erstes eigenes Studio, Yoga Shanti. Shanti bedeutet »Frieden«, »Ruhe«, »Glückseligkeit«. Dank Yoga kann ich auf den Wellen surfen oder im Schlamm sitzen und dabei flüchtige Blicke auf den jeweiligen Grund erhaschen: auf mein wahres Selbst.

Ich hoffe, Sie werden mit diesem Buch ähnliche Erlebnisse haben. Namaste.

Yoga Shanti

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