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Kapitel 3
ОглавлениеJude wachte auf und wusste, dass etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht. Die Aphrodite lag viel zu still im Wasser, nicht einmal ein sanftes Schaukeln war unter ihm zu hören. Es gab auch nicht das Knarren der Gäste über seinem Kopf, die an Deck die Aussicht genossen, bevor er ihr Frühstück servierte.
Scheiße.
Frühstück.
Er saß da und war erneut desorientiert, weil er nicht die gemütliche Enge seines Quartiers sah. Nein, dies war ein Zimmer, das seine Mutter früher als Gästezimmer vermietet hatte, unverändert bis auf die verblichene Tapete und das Waschbecken in der Ecke. Jetzt war es mit den Habseligkeiten seiner Schwester gefüllt; sein Seesack lag neben einem Stapel Pappkartons. Er warf einen Blick in einen, während er schnell ein paar Klamotten anzog, und ihm fielen einige der College-Lehrbücher auf, die in seinem alten Zimmer fehlten. Ein anderer Karton enthielt wahllosen Schnickschnack. Er kramte eine Tasse heraus, die Louise ihm zu einem vergangenen Geburtstag geschenkt hatte.
Der schlimmste Bruder der Welt.
Damit hatte sie nicht unrecht gehabt.
Er nahm sie mit, als er sich auf den Weg zur Treppe machte, und hielt auf dem Weg an, um noch einmal durch die Tür seines alten Zimmers zu schauen. Die Einrichtung war sicherlich ein Upgrade, eine stilvolle leere Leinwand im Vergleich zu dem, wie er es verlassen hatte, aber sein ganzes Leben in einer Schachtel zu finden, verunsicherte ihn immer noch. Mit der Tasse in der Hand ging er weiter den Flur entlang.
Die Traufe in Louises altem Schlafzimmer war schräg, die Wandbalken aus Eichenholz waren dort zu sehen, wo sie früher Fernschwimmrosetten aufgehängt hatte, die jetzt durch ihre Abwesenheit auffielen. Stattdessen hingen mehr neue Kunstwerke an den Wänden. Er bewunderte eines, das viel ruhigere Gewässer darstellte, dessen türkisgrüne Schattierungen auch außerhalb des Fensters dieses Raumes zu sehen waren. Das Ankermotiv wiederholte sich auch, wie er feststellte, auf den neuen Vorhängen, die die Aussicht einrahmten, und auf einer Frühstückskarte, die auf dem Nachttisch lag.
Er nahm es in die Hand, um den Preis für ein vollwertiges englisches Frühstück zu lesen. »Wie viel?« Mein Gott, das war das Vierfache von dem, was seine Mutter von den üblichen Touristen verlangte – Familien aus der Arbeiterklasse, die das ganze Jahr für eine Woche am Strandcampingplatz sparten. Es gab keinen Grund, ihnen die Welt zu berechnen, hatte seine Mom immer gesagt. Auf diese Weise würden sie für ihr Mittag- und Abendessen zurückkommen. »Achtzehn fünfzig«, murmelte er vor sich hin. Das zeigte, wie wenig Rob wusste, der Londoner Preise für eine viel bodenständigere Bevölkerungsschicht verlangte. Und was sollte diese ganze New-Anchor-Beschilderung? Okay, Jude war eine Weile weg gewesen, und er hatte viel um die Ohren, aber wenn Louise auch nur einmal erwähnt hätte, dass sie ihr Haus umbenannt hatten, hätte er sich daran erinnert. Der Gewinnrückgang konnte nicht durch so viel unnötiges Rebranding aufgefangen werden.
Er trat in den Flur, Speisekarte und Tasse in der Hand, und sah sich der Tür zum Schlafzimmer seiner Eltern gegenüber.
Er wich lieber zurück, als sie zu öffnen. Da drin hätte sie bestimmt nichts angerührt. Nein, der Pub müsste kurz vor der Schließung stehen, bevor Louise die Karten, die diese Wände tapezierten, abnehmen oder ihre Besitztümer einpacken würde.
Unten öffnete und schloss sich eine Tür, eine Männerstimme rief nach seiner Schwester.
Rob.
Jude wandte dem Zimmer seiner Eltern den Rücken zu und folgte dem Geräusch der Antwort seiner Schwester. Er fand sie beide in der Küche, wo sie über einer Kiste mit Schalentieren brüteten, ein weiterer Grund, warum ihr Kontostand unter Druck stehen könnte. Er hielt in der Tür inne, um zu sehen, wie Rob einen Hummer aus der Kiste zog und so tat, als würde er Louise in die Nase beißen. Sie gaben ein hübsches Bild ab, seine Schwester lächelte und errötete, während Rob sie anstrahlte.
Gott, aber er sah gut aus.
So gut.
Bei Tageslicht war es noch offensichtlicher. Seine Augen waren so dunkel wie sein Haar, die Stoppeln zeichneten einen sexy Schatten auf sein Kinn. Rob strich Louise sanft eine Strähne hinter das Ohr, und Jude sprach lauter, als er beabsichtigt hatte. »Wie viel hat das alles gekostet?«
Louise erschrak über seine Stimme, Rob stellte sich zwischen sie und Jude, als wäre er eine Bedrohung und nicht ihr einziger Bruder. Louise trat erschrocken hinter ihm hervor. »Viel weniger, als du denkst«, sagte sie. »Nicht, dass es dich etwas angehen würde, aber Rob hat einen Deal mit Carl abgeschlossen. Er hat gesagt, er kocht spezielle Mahlzeiten, wann immer er will, wenn er uns für den Rest der Saison einen ausreichend großen Rabatt gibt.«
Das schien unwahrscheinlich. Carl war vielleicht wie ein Onkel für ihn und Lou, aber er war auch ein harter Verhandlungspartner. Bevor er die Chance hatte, das zu sagen, streckte Rob die Hand aus. »Schön, dich wiederzusehen, Jude.« Seine Lippen hoben sich nur leicht, als wäre es Jude nicht wert, ein ganzes Lächeln zu investieren. Sein Blickkontakt war direkt, wenn auch viel kühler als beim letzten Mal, als sie sich gesehen hatten. »Endlich«, fügte Rob hinzu, eine leise Zurechtweisung, die Jude nicht kommentarlos hinnehmen wollte.
»Ich habe Lou gesagt, dass ich für die Sommersaison zurückkomme. Also danke, dass du eingesprungen bist, aber jetzt bin ich hier und übernehme.« Er zog die Kiste mit den Muscheln über die neue Stahlarbeitsplatte zu sich herüber und hielt sie fest, als ob ihn das davon abhalten könnte, sich in einem Zuhause, das so gar nicht so war, wie er es in Erinnerung hatte, fremd zu fühlen.
»Solltest du nicht schon längst zurück sein?« Rob zuckte mit den Schultern, bevor er hinzufügte: »Scheint, als wäre ich seit Monaten der einzige Koch in dieser Küche.« Er zerrte die Kiste zurück auf seine Seite der Arbeitsplatte. »Du hattest Zeit, an deiner Bräune zu arbeiten, wie ich sehe.« Dann neigte er den Kopf in Richtung Türöffnung. »Wäre eine Schande, wenn sie verblasst. Wenn du dich beeilst, kommt vielleicht bald eine andere Jacht vorbei, auf der du dich verstecken kannst.«
»Du sagst mir ernsthaft, ich soll aus meiner eigenen Küche verschwinden?« Jude ahmte Robs Kopfneigung nach. »Um 12 Uhr fährt ein Bus nach Truro. Wenn du dich beeilst und packst, kannst du ihn noch erwischen. Von dort nimmst du den nächsten Zug nach London, dorthin, wo es einfacher ist, Narren ihr Geld abzuluchsen.« Es gab keine Entschuldigung für das, was er als Nächstes sagte; selbst wenn er so lange auf emotionaler Sparflamme gelaufen war, war das keine Rechtfertigung für offenkundige Unhöflichkeit. »Wenn du unbedingt ein eigenes Restaurant haben willst, lauf zurück zu deinem Daddy. Er würde dir eins von seinen geben, auch wenn du es nicht verdienst.«
»Jude!«, rief Louise erschrocken. »Auf ein Wort«, sagte sie und wartete an der Tür, bis Jude ihr folgte. Bei seinem letzten Blick über die Schulter sah er Robs breites Lächeln, als hätte er ihr Sparring genossen. Es war so irritierend.
Louise war wütend. Und das ließ sie ihn spüren, sobald die Tür hinter ihnen geschlossen war. »Was zum Teufel sollte das denn? Du warst so unhöflich zu Rob«, sagte sie, als hätte Jude einen Welpen getreten.
»Wir brauchen ihn nicht.« Jude merkte, dass er brüsk klang, aber es musste gesagt werden. »Nicht jetzt, wo ich wieder da bin.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir brauchen keine zwei Köche. Es gibt nichts, was er nicht kann, also warum ihn bezahlen, vor allem, wenn es stimmt, was du über die rückläufigen Einnahmen gesagt hast?« Er konnte sich nicht verkneifen, hinzuzufügen: »Kein Wunder, dass nicht genug Geld da ist.«
Er hatte nicht mit Louises spöttischem Schnauben gerechnet und auch nicht damit, dass sie sich umdrehen und in das kleine Büro schleichen würde, in dem ihre Mutter die Einnahmen zählte. Der Schreibtisch war an diesem Morgen leer, abgesehen von einem zugeklappten Laptop und einem Stapel Speisekarten, die auf cremigem, dickem Karton gedruckt waren. Der Schriftzug »New Anchor«, der auf deren Ecken gedruckt war, provozierte weitere Fragen von ihm. »Und was soll das ›New‹, das überall draufgepappt ist? Dieser Ort ist schon immer der Anchor gewesen. Es war der Anchor, lange bevor Mom und Dad ihn gekauft haben. Da ist nichts Neues dran, und jeder Einheimische wird es wissen.« Wenn sie sich so sehr um den Gewinn sorgte, was war dann mit den alten Pub-Speisekarten, die man hätte sauber wischen können? Diese Karten würden nicht einmal die Hälfte der Saison überstehen. Er öffnete den Mund, um das zu sagen. Jude sah das Gesicht seiner Schwester und zögerte.
Ihre Augen glitzerten, eine Träne lief ihr die Wange hinunter, bevor sie sie wegwischen konnte.
»Lou …«
»Tu das nicht.« Sie drehte sich um, um sich noch einmal über das Gesicht zu wischen, und drehte sich nicht mehr um, als sie sagte: »Tu das einfach nicht.« Ihr Atemzug war rau, das hörte und sah er an dem Zittern ihrer schmalen Schultern. »Du hast keine Ahnung von dem, was es braucht, um diesen Ort über Wasser zu halten.«
Das war nicht fair, oder? »Du hast gesagt, ich soll gehen, Lou. Und du hast gesagt, es macht dir nichts aus, wenn ich noch ein bisschen länger wegbleiben muss.« Im Ernst, sie war die Erste gewesen, die zugestimmt hatte, als er das erste Mal abgesagt hatte, nach Hause zu kommen. »Du hast nichts davon erwähnt, dass Geld in letzter Zeit ein Problem ist. Ich dachte, du hättest alles unter Kontrolle.«
Sie wirbelte herum und schrie: »Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.« Noch mehr Tränen flossen. Sie wischte sie weg, verärgert über sich selbst. »Ah. Ich hasse es, wenn ich so werde.«
»Dafür kannst du Mom danken.« Sie hatte auch schnell geweint, aber genauso schnell wieder weitergemacht.
Louise schlang ihre Arme um ihn. »Ich wollte nicht, dass du denkst, ich könnte das nicht schaffen. Den Pub am Laufen halten, meine ich«, sagte sie, ihre Stimme dumpf an seiner Brust. »Nicht nachdem ich versprochen hatte, auf den Anchor aufzupassen, während Dad und Mom auf Reisen gingen.« Sie zog sich zurück. »Aber die Dinge haben sich geändert, seit du weg bist.«
Die Bürotür knarrte. Rob hielt auf der Schwelle inne, als würde er auf Erlaubnis warten, ein Tablett in den Händen, auf dem drei Tassen und eine French Press standen. Diesmal war sein Lächeln anders, fast so, als hätte er Mitleid mit Jude. Sein Blick war warm, so wie Jude sich erinnerte, statt wie an jenem Morgen.
»Die Dinge haben sich zum Schlechten verändert«, beharrte Louise, als Rob das Tablett abstellte und Judes Schlimmster-Bruder-Tasse fast bis zum Rand füllte. »Aber Rob ist ein Teil der Lösung.«
* * *
Jude saß neben seiner Schwester, der Laptop fuhr hoch, als er seine Tasse in die Hand nahm. Ein Laut der Anerkennung über den ersten Schluck überkam ihm unwillkürlich.
Louise stupste sein Knie mit ihrem eigenen an. »Das ist guter Kaffee, nicht wahr?«
»Mmm.« Jude nippte erneut. Es war leicht so gut wie das Gebräu, das er an Bord der Aphrodite serviert hatte. »Das ist nicht Moms Üblicher.«
»Nö.« Robs Ton war neutral, auch wenn seine Augen funkelten. »Ich habe das Letzte davon benutzt, um die Abflüsse zu reinigen.«
Louise stöhnte, als wäre das ein alter Witz, den sie schon mehr als ein paarmal gemacht hatten. »So schlimm war er nicht.«
»Er war grauenhaft.« Rob nahm einen Schluck und schaute Jude an. »Und bei Weitem nicht gut genug für die Kunden, die wir jetzt anlocken müssen.«
Bevor Jude Robs Verwendung von »wir« bestreiten konnte, unterbrach Louise ihn. »Sieh mal.« Sie klickte auf das Trackpad ihres Laptops und öffnete eine Tabellenkalkulation. »Diese Seite zeigt den Umsatz der letzten fünf Jahre.« Der Rückgang war ein langsames Abrutschen, offensichtlich in Form eines Diagramms, aber sicher nicht verheerend.
Sie öffnete eine weitere Registerkarte.
Jude inhalierte fast seinen Kaffee.
Ein Diagramm zeigte, dass die Einnahmen des Pubs sanken, als ob ein Taifun sie verfolgte. »Wie konntest du …?« Jude presste die Lippen zusammen, aber Louise beendete einen weiteren gedankenlosen Satz, den er sofort bereute.
»Wie konnte ich es nur so schlimm werden lassen?« Ihre Augen glitzerten wieder. »Wie konnte ich ein Geschäft kaputtmachen, das jahrzehntelang gut lief?« Rob legte ihr eine Hand auf die Schultern und drückte sie, eine Handlung, die eigentlich Jude hätte machen sollen, anstatt ihr die Schuld zuzuschieben. Louise flüsterte: »Wie konnte es unter meiner Leitung nur Monate dauern, bis die Bank mit der Wiederinbesitznahme drohte?«
Jude fühlte sich schrecklich und versuchte, es wiedergutzumachen, in der Hoffnung, dass er nicht zu spät war. Er hielt ihre Hand. »Eher: Wie konntest du mich davonsegeln lassen, wo du doch so besorgt gewesen sein musst?«
Auf der anderen Seite seiner Schwester stieß Rob einen überraschten Laut der Zustimmung aus. Er wich zurück und bewegte seinen Arm von ihrer Schulter, damit Jude seine Schwester ganz trösten konnte. »Dachtest du wirklich, ich wäre nicht sofort nach Hause gekommen, wenn ich davon gewusst hätte?«
Sie drehte ihr feuchtes Gesicht gegen seinen Hals, ihre Wangen waren heiß und ihr Atem ging zitternd. »Ich … ich wollte nicht, dass du nach Hause kommst. Ich wollte, dass du weitersuchst.« Sie zog einen letzten Atemzug ein und sagte: »Außerdem habe ich einen Weg gefunden, das geradezubiegen.«
»Ich verstehe immer noch nicht, wie es so schnell so schlimm werden konnte.« Jude bemühte sich, seiner nächsten Frage auch nur den Hauch eines Vorwurfs zu nehmen. »Hat das denn niemand kommen sehen?«
Rob beugte sich vor, klickte einen Internetbrowser an und tippte ein paar Worte ein. Auf einer Nachrichten-Webseite lief eine Diashow über einen Sturm, der rauer war als jeder, den er an Bord der Aphrodite erlebt hatte. »Warte.« Jude schaute genauer hin. »Ist das hier …?« Himmel, das war es. Auf dem Laptop-Bildschirm peitschte eine hohe Welle aus weißem Schaum und Wut gegen die Kirchturmspitze am Ende des Hafens. Das nächste Bild zeigte ein Fischereifahrzeug, das wie eine riesige Wippe auf der Deichmauer kippte, im Hintergrund war der Pub zu sehen. Weitere Fotos zeigten die Art von Verwüstung, die Jude kürzlich viel näher am Äquator erlebt hatte, und die Schlagzeile auf der Webseite kündigte den schlimmsten Sturm an, der die Küste Cornwalls seit Generationen heimgesucht hatte. »Wann genau war das?«
»Ein paar Wochen nachdem du weg warst.«
»War der Pub komplett überschwemmt?« Das war der einzige Grund, den er sich für den starken Umsatzrückgang vorstellen konnte. »Hat der Sturm das Dach beschädigt?« Das würde auch die vielen Renovierungen im Obergeschoss erklären. »Kein Wunder, dass du das Geschäft geschlossen hast.«
»Nein, der Pub wurde nicht schwer beschädigt.« Das Erdgeschoss bestand aus Steinplatten, die Wände aus Naturstein, gebaut, um gelegentlichen Fluten zu trotzen. »Das Austrocknen hat nicht lange gedauert.«
»Warum sollten wir also ändern, wie wir das Geschäft führen?« Jude klickte zurück auf die Tabellenkalkulation. »Ja, die Wintereinnahmen waren miserabel, aber die Touristen werden jeden Moment kommen. Wenn wir allen, die auf dem Campingplatz am Strand übernachten, das Essen und Trinken hier zu teuer machen, werden die Zahlen auch nicht besser.«
»Ich denke«, sagte Louise, als sie den Laptop zuklappte, »der einzige Weg für dich zu verstehen, ist, es selbst zu sehen.«