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Kapitel 4
ОглавлениеJude folgte seiner Schwester zur Eingangstür des Pubs und wurde von Rob aufgehalten, der eine Hand um seinen Ellbogen legte. Sein Griff war so entschlossen wie sein Tonfall. »Wir müssen reden.«
»Nicht jetzt.« Jude riss sich los und trat nach draußen, um seine Schwester am Hafen entlang joggen zu sehen. Er folgte ihr, als sie auf die Deichmauer hüpfte und dann auf der anderen Seite hinunterkletterte. Die Felsen dort waren glitschig, übersät mit Seegras, die violetten Kuppeln der Anemonen lugten hervor, während der Rest bis zur nächsten Flut versteckt war. Louise war flink, als sie durch flache Felspfützen platschte und auf den geschwungenen Vorsprung der nahen Landzunge zusteuerte. Als Kinder hatten sie hier so oft gespielt, und ihr Vater hatte ihnen all die schönen Dinge gezeigt, die normalerweise versteckt waren – Krabben, Seetang und Strandschnecken – eine Diät, von der er versprochen hatte, dass sich jeder davon ernähren könne. Jetzt planschte Jude durch dieselben Pfützen mit kühlem Wasser, die noch nicht von der Sonne erwärmt waren, wie sie es am Mittag sein würden.
Rob fluchte, und Jude schaute zurück.
Er wirkte hier nicht halb so sorglos wie bei Lou in der Küche oder so entspannt, wie er im Bootshaus geschlafen hatte. Robs Arme waren jetzt ausgestreckt, als würde er auf einem Drahtseil laufen, das Gesicht vor Konzentration angespannt. Er geriet ins Straucheln; das Seegras war glitschig unter seinen Füßen. Er war kurz davor zu fallen, bis Jude zurückwich, um ihn zu retten.
Jetzt war er an der Reihe, eine Hand auszustrecken. Robs ganzer Körper war starr, als er versuchte, nicht zu fallen. Irgendwie fiel es ihm leicht, ihn zu necken, trotz des vorangegangenen Streits, wie schon gegen Ende des Wettkampfs. »Was ist?«, fragte Jude. »Weißt du nicht, wie du dein Gleichgewicht halten kannst? Habe ich endlich etwas gefunden, das Daddy dir nicht kaufen konnte?«
»Fick dich, Fischgesicht«, trällerte Rob, eine weitere Erinnerung an ein vergangenes Leben, in dem es sich normal angefühlt hatte, sich gegenseitig zu ärgern. Es war etwas, auf das sich Jude freute. Es hatte begonnen, sich wie ein Vorspiel anzufühlen.
Jude hielt Rob fest, auch nachdem er sich beruhigt hatte, und ließ den Abstand zwischen ihnen und Louise wachsen. »Hör zu. Du hast ja recht. Wir müssen reden.«
Rob nickte. »Ja.« Die Brise zerzauste das Haar, durch das Jude erst einmal seine Hände hatte gleiten lassen, nachdem er es schon seit Ewigkeiten gewollt hatte. Er sah Rob zu, wie er genau das jetzt tat und es mit den Fingern zurückschob, während er hinzufügte: »Jude, du musst wissen, dass ich heute Morgen den Schock meines Lebens bekommen habe, als Lou sagte, du seist tatsächlich nach Hause kommen.« Sein Blick huschte zu Louise in der Ferne. »Ich wusste nicht, wie du darauf reagieren würdest, dass ich hier bin.« Er presste die Lippen zusammen, wie er es früher getan hatte, während er gegen die Uhr kochte, fokussiert auf eine Weise, wie er es bei seinem Vater offenbar nie schaffte. »Ich habe ihr nicht von uns erzählt.« Seine Augen trafen die von Jude nur einen Augenblick lang. »Was hätte ich denn tun sollen? Sagen: ›Ach, übrigens, es könnte ein bisschen unangenehm werden, weil ich mal mit deinem Bruder geknutscht habe, aber keine Sorge, er ist gegangen, bevor ich die Chance hatte, ihn zu ficken? Bleiben wir von nun an rein geschäftlich?‹« Rob riss sich los und begann, die Felsen zu überqueren. »Außerdem«, rief er über seine Schulter, »habe ich ziemlich schnell herausgefunden, dass sie nichts von dir weiß. Ich bin nicht hier, um dich zu outen.« Er klang entschlossen, aber er verlor fast wieder den Halt.
»Halt dich an mir fest«, befahl Jude, bevor er nachsah, wo Louise war. Sie hatte bereits die Landzunge erreicht, wo der Küstenweg zum Strand und zum Campingplatz führte. Dies war der perfekte Zeitpunkt, um zu sprechen, ohne dass sie ihn hörte, und vielleicht seine letzte Chance. »Sag mir, ganz ehrlich, was machst du hier?« Rob hatte eine so große Zukunft in London, die Restaurants seines Vaters waren ein Erbe, das niemand aufgeben würde, der halbwegs vernünftig war. »Ich verstehe das nicht. Was um alles in der Welt ist hier für dich?«
Robs Blick fiel auf seine Lippen.
Jude redete lieber weiter, als in einer Glut zu stochern, die durch die monatelange Abwesenheit nur schwer zu ersticken war. »Ich habe gehört, du hast gewonnen«, sagte er, um das Thema zu wechseln. »Den Wettbewerb, meine ich. Glückwunsch.«
»Das hättest du mir damals selbst sagen können.«
Jude schüttelte den Kopf. »Da war ich schon weg.« Er war gegangen, und zwar nicht, um monatelang an seiner Sonnenbräune zu arbeiten. Stattdessen war das der Beginn eines lebhaften Albtraums gewesen.
»Du hättest mich anrufen können«, sagte Rob trocken. »Oder auf eine der Nachrichten antworten können, die ich dir hinterlassen habe. Hast du es nicht gehört? Es gibt diese brandneue Sache namens E-Mail. Es gibt sie erst seit ein paar Jahrzehnten, aber manche Leute sagen, sie sei praktisch.« Er holte sein Handy heraus, die Schärfe in seinem Tonfall wurde kaum von Humor überdeckt. »Und alle coolen Kids benutzen heutzutage dieses Ding namens Social Media.« Kunstvolle Schnappschüsse von Essen füllten ein Raster auf dem Bildschirm. »Siehst du? Du machst ein Foto mit deinem Handy, und dann fügst du eine Nachricht hinzu.« Er schob das Handy in Richtung Jude, auf dem Bildschirm ein Foto von Louise, die die Augen verdreht und einen weißen Farbklecks auf der Nasenspitze hat. »In Kontakt zu bleiben ist so einfach, selbst jemand, der so beschäftigt ist wie du, könnte das schaffen. Ich habe gehört, dass es auf dem ganzen Planeten funktioniert.« Er hielt sein Handy eine Sekunde lang hoch und tippte dann ein paar Worte. Ein Foto von Judes Gesicht füllte nun den Bildschirm mit den Worten »Ich bin ein gedankenloser Arsch« als Bildunterschrift. Robs Stimme wurde leiser. »Ich sage nicht, dass ich Schwanzbilder von dir erwartet habe, aber es hätte mir nichts ausgemacht, zu wissen, dass du noch gesund und munter bist.«
Jude war überrascht, dass Rob so verletzt klang. »Es tut mir leid.«
»Nicht nötig.« Rob steckte sein Handy in die Tasche. »Wir hatten eine einmalige Sache. Nicht einmal das. Ein Kuss. Das ist doch nichts, oder? Es ist ja nicht so, als wären wir zusammen gewesen. Ich bin gut über dich hinweggekommen.«
Das war nicht das, was Louise gestern Abend gesagt hatte, es sei denn, sie hatte von jemand anderem gesprochen, mit dem Rob während des Wettbewerbs zu tun gehabt hatte, aber sicherlich hätte Rob seinen Mund nicht halten können, wenn er bereits einen Partner hatte? Irgendwie stach die Vorstellung davon wie Seewasser in einem kleinen Schnitt – scharf und unerwartet. Jude zwang sich, fortzufahren. »Du hast recht. Ich hätte einen Weg finden sollen, mit dir zu reden, aber …« Die Wörter zu finden, um es zu erklären, kostete ihn alles, was er hatte, und erschöpfte ihn, als er zugab: »Ich … ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, wie es war, die Nachricht zu bekommen, die wir bekommen haben. Es gab so viel zu regeln, und niemand hatte eine Antwort.«
»Ich hätte geholfen.« Der Wind wehte Robs nächste Worte fast weg, bevor Jude sie hörte. »Ich hätte es gewollt. Aber das war, bevor du mich ignoriert hast. Ich hab’s verstanden, auch wenn ich dachte, Ghosting sei nur etwas für Gelegenheitssex – für Beziehungen, die man bereut, und nicht für jemanden …« Rob schnaufte und ging dann los, wobei er an Tempo zulegte, als er die letzten tückischen Felspfützen hinter sich gelassen hatte.
Jude eilte hinter ihm her. »Rob …«
»Vergiss es«, beharrte Rob und kletterte die Landzunge hinauf. »Ich habe es schon vergessen.«
»Warum bist du dann noch hier?« Jude folgte ihm und nahm Robs ausgestreckte Hand nahe der Spitze.
»Deswegen«, sagte Rob, als er Jude die letzte steile Stufe hinaufzog. Dann stellte er sich neben Louise und beide beobachteten, wie Jude zum ersten Mal auf den Strand blickte.
Statt einer herrlichen Bucht sah er nur noch Verwüstung, kein einziges Sandkorn mehr.
Statt eines Campingplatzes hinter niedrigen Dünen durchfurchten Schluchten die Landschaft.
Vorbei war der Strand, der seit Generationen Jahr für Jahr Familien angezogen hatte – so vollständig ausgelöscht, als hätte er vielleicht nie existiert.
Wenn Jude bei vollem Tageslicht nach Hause gesegelt wäre, hätte er sein Fehlen bemerkt. Jetzt, vom Aussichtspunkt der Landzunge aus, sah es aus, als ob die Küste blutete, eisenrote Erde, die das Meerwasser blutig machte, als ob das Land verwundet wäre. Der Weg, der die Hauptstraße mit dem Campingplatz verband, war leer; keine Möglichkeit für Touristen, die Spalten an seinem Eingang zu überqueren. Selbst wenn sie es könnten, gab es keinen Platz mehr, um ihre Zelte aufzuschlagen, und keinen sicheren Weg für sie, um den Küstenpfad zu erreichen, der sie zum Anchor bringen würde.
»D-dieser Sturm …« Jude stotterte. »Der Sturm, den du mir gezeigt hast, online …«
»Ja«, sagte Louise schlicht. »Dieser Sturm hat hier alles verändert, über Nacht und ohne Vorwarnung, genau wie der Taifun, der …« Sie ließ den Rest des Satzes unausgesprochen. »Jude«, sagte sie, viel leiser. »Jude, es war der Sturm, der den Anchor kaputtgemacht hat, nicht ich.«
»Fast kaputt.« Robs Stimme trug die Art von Zuversicht, die eine ganze Küche zum Zuhören bringen konnte. Er klang in diesem Moment so sehr nach seinem Vater, dass Jude es fast gesagt hätte, bis Rob ihn direkt ansah. »Es gibt keine Möglichkeit, diesen Aspekt zu reparieren.« Er gestikulierte auf eine Szene der Verwüstung, deren Anblick Jude kaum ertragen konnte. »Es gibt keine Möglichkeit, die Natur zu besiegen oder den alten Kundenstamm des Anchor aus Low-Budget-Campern zurückzuzaubern.«
Er hatte recht. »Hier gibt es nichts mehr für sie.« Jude nahm die Hand seiner Schwester in die seine. Und das alles war passiert, kurz nachdem er gegangen war? »Warum hast du nicht …?« Er verschluckte sich an seinen Worten, als er sich vorstellte, wie Louise so kurz nach dem Verschwinden ihrer Eltern zum zweiten Mal in einer Katastrophe aufwachte, und dieses Mal war er nicht da gewesen, um ihr eine tröstende Schulter zu bieten. »Wie hast du das …?«
»Bewältigt?«, fragte Louise trostlos und weinerlich zum dritten Mal, seit er zurückgekommen war. »Habe ich nicht. Konnte es nicht. Nicht allein. Ich konnte das alles nicht schaffen.« Sie gestikulierte dorthin, wo sich der Strand einst gekrümmt hatte, der jetzt abgesperrt war wie ein Tatort. »Aber ich wusste, dass du es auch nicht konntest. Es hatte keinen Sinn, dich zurückzurufen. Ich hätte den Papierkram mit der Versicherung wegen der Sturmschäden am Pub genauso gut erledigen können wie du. Aber wenn es eine Versicherung gibt, die den Verlust unseres gesamten Gewerbes abdeckt, und das so lange, dann haben Mom und Dad nie eine abgeschlossen.«
»Und was hast du dann gemacht?«, fragte Jude, lauter, als der Wind auffrischte und tobte.
»Was ich gemacht habe?« Endlich strahlte Louise. »Ich habe genau das gemacht, was Dad uns immer beigebracht hat, wenn wir im tiefen Wasser in Schwierigkeiten geraten sind.« Sie ergriff Robs Hand, ihre eigene winzig klein in seiner. »Ich habe um Hilfe gerufen und dann versucht, mich so gut es geht über Wasser zu halten, bis Rob kam, um mich zu retten.«