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Vom memoriellen Umgang mit der Vergangenheit

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Der „Griff nach der Vorherrschaft über Europa“63 endete für die Deutschen am 8. Mai 1945 in einer totalen Niederlage. Während dieses Datum im französischen Erinnerungshaushalt den militärischen Sieg über das nationalsozialistische Deutschland bzw. den ehemaligen Besatzer versinnbildlicht und zum Staatsfeiertag erklärt wurde, taten sich die Deutschen über Jahrzehnte eher schwer mit dieser Interpretation, stand dieser Tag für die große Mehrheit doch eher für Zusammenbruch, Kapitulation und Niederlage des eigenen Landes64. Dass die DDR im Jahr 1950 den 8. Mai zum Tag der Befreiung erklärte und sich damit in einem geschichtspolitischen Geniestreich an die Seite der Sieger stellte65, ändert nichts an diesem erfahrungsgeschichtlichen Befund. Eine wichtige Etappe auf dem westdeutschen Weg zu einer geschichtspolitischen Umwertung bildete die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985, so dass dieser Tag im Rückblick schließlich auch in der Bundesrepublik zum Tag der Befreiung mutieren konnte.

Waren die „langen Schatten des Nationalsozialismus“ in der deutschen Nachkriegsgesellschaft auch nicht zu übersehen66, so war doch – anders als nach dem Ersten Weltkrieg – für deutschen Revanchismus im Jahre 1945 kein Platz mehr, denn die Niederlage war zu eindeutig und die Präsenz der alliierten Truppen für jeden sichtbar. Durch die Verbrechen an den europäischen Juden und den anderen Völkern in von der Wehrmacht besetzten Gebieten richtete sich der Blick der Weltöffentlichkeit auf die Deutschen, die nunmehr ‚von außen‘ mit ihrer Schuld konfrontiert wurden“67. Nachdem nicht wenige noch kurz zuvor in großdeutschen Machtphantasien geschwelgt hatten, mussten sie an diesem Tiefpunkt der deutschen Geschichte erleben, wie ihr Vaterland in den Abgrund eines besiegten und am Boden liegenden Objekts in den Händen der Sieger abstürzte, das seine Souveränität und zusätzlich 24 % seines Territoriums von 1937 verlor, auf dem mit ca. 10 Millionen Menschen etwa ein Siebtel der Vorkriegsbevölkerung gelebt hatte.

Zu den wenigen Deutschen, die das Kriegsende bereits zum damaligen Zeitpunkt als Befreiung empfanden68, gehörten die Überlebenden der Konzentrationslager und der nationalsozialistischen Gefängnisse sowie die (zu wenigen) Regimegegner und Widerständler, die sich nun nicht mehr vor Repressionen zu fürchten brauchten. Wie die Deutschen das Kriegsende erlebten, hing also ganz entscheidend von ihrer persönlichen Situation, ihrem Aufenthaltsort, ihrem Alter, ihrem Geschlecht und ihrem Verhältnis zum gerade untergegangenen Regime ab. Diese bisweilen widersprüchlichen Reaktionen zeichnen auch die von vielen damals beschworene, mittlerweile jedoch zum Mythos degradierte „Stunde Null“ aus: Für die einen war sie Ausdruck totaler Hoffnungslosigkeit angesichts von Zerstörung, Niederlage und Perspektivlosigkeit, für die anderen Anlass zur Hoffnung auf einen grundlegenden Neuanfang69. Aus erfahrungsgeschichtlicher Perspektive spricht Konrad H. Jarausch daher zu Recht von einer „Mischung aus Erleichterung, Hoffnung und Angst – Erleichterung wegen des eigenen Überlebens, Hoffnung auf eine bessere Zukunft und Angst vor einer möglichen Bestrafung“70.

An eine bessere Zukunft dachten im Moment des Kriegsendes die wenigsten Deutschen; die meisten atmeten erst einmal durch, bedeutete die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht doch nicht nur das Ende der nächtlichen Luftangriffe und der Boden- bzw. Häuserkämpfe, sondern zugleich auch das Ende des nationalsozialistischen Terrors, der sich in den letzten Wochen des „amoklaufenden Regimes“71 immer stärker auch gegen die eigene Bevölkerung gerichtet hatte. Bei nicht wenigen ehemaligen Trägern des NS-Regimes endete die Desillusion im Selbstmord; andere flüchteten sich in Selbstmitleid bzw. Selbstentlastungsmechanismen. Neben einer Indifferenz gegenüber den Opfern gehörte zu dieser Selbstviktimisierung, dass sich nach einer bis zu einem Hitlerkult gesteigerten Loyalität im Anschluss an die „Enttäuschungserfahrung“ das Gefühl breitmachte, vom „Führer“ verraten worden zu sein. Es ließ sich – so Hans Mommsen – aus einem apologetischen Bedürfnis heraus eine „Eskamotierung der Verantwortung nach oben“ beobachten72, um sich der moralischen Verantwortung für die nach und nach ans Tageslicht tretenden Verbrechen zu entziehen. Diese Strategie der Externalisierung führte dazu, dass der Umgang der westdeutschen Gesellschaft mit dem Nationalsozialismus lange zwischen Erinnerungspflicht und Verdrängungsneigung, zwischen Schweigen und einer selektiv kommunizierten Vergangenheit hin- und herpendelte, in der die jüdischen und ausländischen Opfer keinen Platz fanden73. In der SBZ/DDR wurde das kollektive Gedächtnis an den Krieg zunehmend in den parteilichen Erinnerungsbahnen der SED kanalisiert, für die das normierte Gedenken ein Mittel war, mit dem die kommunistische Parteiherrschaft abgesichert werden sollte74.

Frankreich hatte sich 1944/45 einer dreifachen Belastung zu entledigen, der deutschen Besatzung, des Zweiten Weltkriegs und des autoritären Kollaborationsregimes von Vichy unter der Führung von Marschall Philippe Pétain. Ausgangspunkte für die Befreiung waren die alliierten Landungen in der Normandie am 6. Juni 1944 und in der Provence ab dem 15. August 194475. Dieser alliierten Militärmacht, zu der auch ca. 500.000 französische Soldaten – sie stammten zumeist aus Übersee – zählten, war die deutsche Wehrmacht in der Folge immer weniger gewachsen und sah sich darüber hinaus einer Résistance gegenüber, die seit den ersten Anzeichen für eine deutsche Niederlage einen verstärkten Zulauf verzeichnen konnte. Stadt um Stadt wurde unter dem Jubel und dem Überschwang der einheimischen Bevölkerung über die einrückenden Truppen nun befreit, Freudentaumel in den Straßen bestimmte diesen „drôle de paix“, die Trikolore schmückte als Zeichen wiedergefundener Freiheit die Häuser in mehr und mehr Städten Frankreichs, Glockengeläut und Musik schallten durch die Straßen, patriotische Zeremonien fanden in fast allen französischen Städten und Dörfern statt und waren Ausdruck von ehrlicher Freude und tiefer Erleichterung. Wie uneinheitlich aber die Erfahrungen zu dieser Zeit noch waren, dokumentiert der 25. August 1944: Während an diesem Tag die Befreiung von Paris mit großem Pomp gefeiert wurde, massakrierte eine deutsche Einheit 124 Einwohner des Dorfes Maillé unweit von Tours, nachdem bereits am 10. Juni Oradour-sur-Glane dem Erdboden gleichgemacht worden war76. Zum Jahreswechsel 1944/45 war schließlich fast das gesamte französische Territorium befreit; zu den wenigen Ausnahmen gehörten u.a. die Atlantikhäfen La Rochelle und Saint-Nazaire, die für die nach Deutschland drängenden amerikanischen Truppen keine strategische Priorität mehr besaßen und deshalb erst nach dem 8. Mai 1945 kapitulierten. Dafür befand sich die 1. Panzerdivision von General de Lattre de Tassigny bereits seit dem 19. März 1945 auf deutschem Boden und blieb dort bis zur Auflösung des Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF) am 14. Juli77.

Am Ende dieses mehrschichtigen Übergangs vom Krieg zur Nachkriegszeit standen die Befreiung, die Rückkehr der Republik und die Aufnahme in den Kreis der Siegermächte. Freude, Gewalt und Angst mischten sich in Anbetracht einer ungewissen Zukunft78. Die Libération und die Kapitulation des „Dritten Reiches“ hatten noch nicht umgehend den inneren und äußeren Frieden gebracht, denn um zu der so sehr ersehnten Normalität zurückzukehren, bedurfte es zuerst einer kulturellen, mentalen und materiellen Demobilisierung. Die Toten waren zu zählen, die Rückkehrer zu integrieren, die Familien wieder zu vereinen und die Bilder des Krieges aus den Köpfen zu vertreiben. Diese kollektive Aufgabe rieb sich an den unterschiedlichen Erfahrungen, die Franzosen während des Zweiten Weltkriegs gemacht hatten79, war es für die mentalen Aufräumarbeiten doch von erheblicher Bedeutung, ob der Einzelne Soldat, Widerstandskämpfer, Häftling, Deportierter, Zwangsrekrutierter oder Zwangsarbeiter gewesen war80. Zu differenzieren galt es jedoch nicht nur bei den Überlebenden, sondern auch bei den Opfern, wie Henry Rousso betont: „Es gab große Unterschiede zwischen einem im Juni 1940 gefallenen Soldaten, einem in Buchenwald umgekommenen Widerstandskämpfer und einer in Auschwitz vergasten Familie“81. Doch die Realität war zu Kriegsende eine andere. Berichtet wurde über das Schicksal der „Franzosen“, der „Deportierten“, der „Häftlinge“82; eine Differenzierung des Leids unterblieb83. Die „gewöhnlichen Schrecken“ bestimmten das Bild vom Leid der Deportierten. Weitgehend ausgeblendet blieben hingegen die Erfahrungen der Massenvernichtung und der Extremtraumatisierung.

Die den Gaskammern entkommene spätere erste Präsidentin des Europaparlaments, Simone Veil, erlebte nach ihrer Rückkehr eine französische Gesellschaft, die sich unfähig zur Kommunikation zeigte und Wahrnehmungssperren aufwies84. Da der großen Mehrheit der Franzosen die psychologischen und intellektuellen Werkzeuge zu einem besseren Verständnis fehlten, sahen sich die Deportierten immer wieder mit der Tatsache konfrontiert, dass ihnen nicht ausreichend Aufmerksamkeit in Anbetracht ihres Leidens entgegengebracht wurde85. Sie erlebten eine tief gespaltene französische Gesellschaft, die das Trauma der Niederlage und der Besatzung so schnell wie möglich vergessen wollte86, und einen Staat, der das Regime von Vichy für illegal und illegitim erklärte und es auf diese Weise über Jahre tabuisierte:

„Diese Ausgrenzung der Regierung der Jahre 1940–44 aus der französischen Geschichte ermöglichte es, die Résistance als einzige legitime Repräsentantin Frankreichs zu sehen und zugleich die nationale Identität und Kontinuität über den geleisteten Widerstand zu definieren“87.

Viele Überlebende der Vernichtungslager waren dabei hin- und hergerissen zwischen dem eigenen Verlangen, das Erlebte mitzuteilen, und der eigenen Unfähigkeit, es in Worte zu fassen. Jene wenigen, die in der Lage waren Zeugnis abzulegen, stießen sich vielfach an dem Schweigen anderer Überlebender. Nach Marginalisierung, Stigmatisierung und Deportation schien für die Mehrheit der überlebenden französischen Juden das Schweigen ein Weg, um in die nationale Gemeinschaft zurückzufinden88. Man wollte der von der großen Masse herbeigesehnten Rückkehr zur Normalität nicht im Weg stehen und nahm dafür in Kauf, dass das spezifische Leid der jüdischen Opfer über lange Jahre ausgeblendet blieb.

Keinen Platz im offiziellen Erinnerungsdiskurs der Nachkriegszeit fanden die „Kinder der Liebe“, die aus Beziehungen zwischen deutschen Soldaten und französischen Frauen hervorgegangen waren und in Frankreich das Licht der Welt erblickt hatten89. Ihnen haftete jetzt der Makel an, „Kinder der Schande“ zu sein, passten doch die Liebesbeziehungen zwischen deutschen Soldaten und Französinnen nicht zu dem in der Nachkriegszeit so gerne präsentierten Bild des moralischen Siegers – und schon gar nicht die daraus hervorgegangenen Kinder90. Ihre Erinnerungen fördern heute die Pluralisierung der deutsch-französischen Erinnerungslandschaft91 – manchen mögen sie gar wie Vorboten der Aussöhnung erscheinen –, in der Nachkriegszeit fanden ihre Stimmen jedoch kein Echo; ein Schicksal, das sie mit jenen Kindern teilen mussten, die aus den Beziehungen zwischen den während des Krieges in Deutschland weilenden französischen Zwangsarbeitern bzw. Kriegsgefangenen und deutschen Frauen hervorgegangen waren. Ihre deutschen Mütter schwiegen in der Regel über die wahre Herkunft der Väter, nachdem sie gerade in den letzten Kriegsjahren vielfach Opfer von Verfolgung und Denunziation geworden waren92. Wenig besser erging es den Kindern, die mit ihren deutsch-französischen Elternpaaren nach Kriegsende nach Frankreich übersiedelten, wo ihnen von den Familien ihrer lange abwesenden Väter oftmals Feindseligkeit entgegenschlug93.

Auf empfangsbereite Ohren mussten auch die Elsässer lange warten, die dem Zweiten Weltkrieg nur mit tiefen seelischen Wunden entkommen waren. Die besondere Situation dieses „Landes dazwischen“ hatte Traumata und tragische Schicksale geschaffen, die nicht nur das Verhältnis des Elsasses zu Deutschland über mehrere Jahrzehnte belasten sollten, sondern im besonderen Maße auch die Beziehungen der Elsässer zu den „Français de l’intérieur“94. Hier herrschte eine komplexe Bewusstseinslage, hatte das Elsass doch wie 1870 und 1914 den Krieg auf der Seite der Verlierer beendet, um sich aber schließlich wieder auf der Seite der Sieger zu befinden. Nach Kriegsende bedurfte es nicht nur großer materieller Anstrengungen, sondern zugleich eines politisch-historischen Taktgefühls, um die Wunden der Vergangenheit vernarben zu lassen und die Elsässer untereinander zu versöhnen, denn ihre Schicksale und Erfahrungen waren uneinheitlich95. So galt es, die in der Provinz Gebliebenen und die nach der Evakuierung zurückgekehrte Bevölkerung mit den demobilisierten Zwangseingezogenen, den Malgré-nous (André Weckmann: „Der Unterdrückte musste die Stiefel der Unterdrücker anziehen“), den aus den deutschen und sowjetischen Gefangenenlagern entlassenen Kriegsgefangenen, den Widerstandskämpfern, den in ganz Europa und den im übrigen Frankreich versprengten Elsässern wieder zusammenzuführen. Diese geographischen, kulturellen und mentalen Entwurzelungen durch die Evakuierungen, die Schicksale der Malgré-nous (vgl. Kap. I.4) und die Germanisierungsversuche der Nationalsozialisten hatten die moralische Widerstandskraft der Elsässer noch weiter beeinträchtigt und hinterließen im Jahre 1945 ein Erbe, das mit dem restlichen schwerlich in Einklang zu bringen war:

„Die Nichtübereinstimmung des offiziellen kollektiven Gedächtnisses und der elsässischen Erinnerungen war stärker als die vordergründige patriotische Einhelligkeit. Die eigenen, authentischen Erfahrungen konnten nicht artikuliert werden, dafür mussten die Erinnerungen der Anderen, andere Erinnerungen übernommen werden“96.

Mit der spezifischen Last ihrer Vergangenheit gingen Deutschland und Frankreich beide – angesichts der aus dem Krieg resultierenden Bedingungen – in eine ungewisse Zukunft. Die französische Republik konnte sich in ihrem Status als Siegermacht einrichten, musste aber zugleich ihre Integrität und die von de Gaulle angestrebte „Größe“ der Nation wiederfinden97. Im besetzten Deutschland stand nach der totalen Niederlage die Zukunft der Nation allgemein in Frage. Gedanken über das Verhältnis zur eigenen Nation bestimmten jedoch nicht den Alltag der Nachkriegszeit. Beide Gesellschaften hatten neben dem Wiederaufbau des eigenen Landes in erster Linie gewaltige Integrationsleistungen zu bewältigen. Auf beiden Seiten des Rheins hatte der Krieg zu einer sozialen Desintegration geführt, die sich parallel zur politischen Neuordnung zur größten Herausforderung entwickelte. Die Franzosen konnten beim Wiederaufbau ihres politischen Lebens an ihre republikanischen Traditionen anknüpfen, während der Weimarer Republik in Deutschland der Ruch des Untergangs und des Versagens anhing, so dass es den Vätern des Grundgesetzes darum gehen musste, die „Lehren aus Weimar“ zu ziehen und die strukturellen Schwächen der Weimarer Verfassung zu beheben, um den (West-)Deutschen eine streitbare und wehrhafte Demokratie zu geben98.

Die Inkommensurabilität von Vichy-Regime und „Drittem Reich“ steht außer Frage, doch gerade auf biographisch-existentieller Ebene lassen sich Ähnlichkeiten im Umgang mit der gerade überwundenen Vergangenheit in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht übersehen. Franzosen und Deutsche richteten auf ihre Weise den Blick vor allem nach vorne, suchten nach Lösungen für die materiellen Probleme und erinnerten sich an den Krieg nur auf sehr selektive und sprachlich dekonkretisierte Weise. Nach dem weiterhin virulenten „Syndrom von 1940“ und dem auf das Debakel folgenden Trauma der Besatzungszeit gelang de Gaulle der positive Bezug auf die Vergangenheit mit dem von ihm entworfenen Résistance-Mythos, den er zum Zweck der nationalen Versöhnung und zur Stärkung des positiven Selbstbildes ins Leben rief. Die Erinnerung an Widerstandshelden bzw. Märtyrer ließ nur wenig Platz für abweichende Narrative. Von dieser selektiven Erinnerung waren neben den Überlebenden der Vernichtungslager und den Elsässern auch die französischen Opfer der angloamerikanischen Bombenangriffe betroffen, die über ihr Leid auch deswegen nicht sprachen, weil sie es in der Regel als unumgängliche Vorleistung für die Befreiung ihres Landes von den Deutschen ansahen.

Angesichts der von den Deutschen entfesselten exzessiven Gewalt, die im aggressiven Angriffskrieg begann und in der Shoah kulminierte, hatte Deutschland „jegliche Selbstdeutung in der heroischen Semantik der Ehre verwirkt“99. Dafür verschaffte sich ein selbstbezogener Opfer- und Verlustnarrativ Raum, der den „fundamentalen Unrechtscharakter des NS-Regimes und seines Eroberungskrieges aus dem kollektiven Bewusstsein“100 ausblendete. Nur die wenigsten wollten sehen, dass es ohne die Verbrechen von Deutschen keine Verbrechen an Deutschen gegeben hätte. Die Mehrheit sah sich als Opfer des Krieges, der wie ein Naturereignis über die Welt gekommen zu sein schien. Vor diesem Hintergrund kann es nur wenig überraschen, dass im Nachkriegsdeutschland „schuldverdrängende Verharmlosung, Vergangenheitsabwehr und Schuldabwälzung“101 überwogen. Nach den massiven Gewalterfahrungen während des Krieges verloren sich die Deutschen mehrheitlich in einem passiven und resignativen Selbstmitleid und suchten nach Schutz bzw. materieller Sicherheit für die Zukunft. Sie bildeten eine „Exkulpationssolidarität“102 aus, die als Meistererzählung bis Ende der 1950er Jahre eine gesellschaftliche Integrationskraft entfalten konnte. Ob mit dieser Schlussstrichmentalität ein neuer demokratischer Staat aufzubauen war, musste sich erst noch herausstellen.

1 Vgl. KREBS, OBERLÄNDER 1997 [1283]; HERBERT, SCHILDT 1998 [1274]; RUSINEK 2004 [1294]; VAÏSSE 2005 [691]; MÜLLER, UEBERSCHÄR 2005 [421].

2 JUDT 2006 [322],S .29ff.

3 Vgl. WEGNER 2002 [172]; KÜHNE 2000 [144]; MAZOWER 2009 [1285].

4 Vgl. BESSEL, SCHUMANN 2002 [1267]; DEFRANCE, ECHTERNKAMP, MARTENS 2008 [117].

5 FREVERT 2003 [1213], S. 11.

6 Vgl. zur Problematik der Zählung: LAGROU 2002 [1284].

7 WEHLER 2003 [434], S. 942.

8 SÜSS 2007 [1249].

9 MANZ 1985 [966]; ECHTERNKAMP 2003 [395], S. 20.

10 Vgl. allgemein: STEINER 2004 [1441].

11 ABELSHAUSER2004 [380],S.71.

12 1958 [11], S. 51–55.

13 1960 [12], S. 11–14.

14 PLATO, LEH 1997 [1291], S. 44f.

15 Vgl. HEYDEMANN 2003 [403],S. 1.

16 KOSSERT 2008 [1282].

17 RIOUX 1980 [371], S. 33.

18 Vgl. ABELSHAUSER 2004 [380], S. 236.

19 Vgl. Mouvement économique en France de 1938 à 1948, Paris 1950.

20 RIOUX 1980 [371], S.32; GRENARD 2008 [1273].

21 SCHOR 2004 [375], S. 258.

22 Vgl. RIOUX 1985 [1292]; HÜSER 2000 [1060].

23 Vgl. ECHTERNKAMP 2008 [1271].

24 SCHILDT 2007 [425], S. 10; ROTHENBERGER 1980 [1238]; HUDEMANN 1988 [564], S. 74ff.

25 Vgl. zu ihrem besonderen Schicksal mit weiteren Literaturangaben: HIRSCH 2003 [1277].

26 JUDT 2006 [322], S. 32.

27 Vgl. BROSZAT, HENKE, WOLLER 1990 [1350].

28 Vgl. CATTURUZZA 2008 [1268].

29 BEER 2005 [1265], S. 109.

30 MIQUEL 2003 [365].

31 Vgl. zu den nicht immer übereinstimmenden Zahlen: HOCHSTUHL 1984 [361], S. 286ff.; ERBE 2002 [358], S. 174ff.; VOGLER 1995 [377], S. 251ff.; PARISSE 1978 [368], S. 437ff.

32 WEHLER 2003 [434], S. 941.

33 ECHTERNKAMP 2003 [395], S.41.

34 Vgl. Dokumentation der Vertreibung; BENZ 1995 [1266]; AUST, BURGDORFF 2003 [1264].

35 Vgl. NAIMARK 1999 [422]; KOWALCZUK, WOLLE 2001 [412], S. 27ff.; MERRIDALE 2006 [264]; GAUGER, KITTEL 2006 [1272].

36 HIRSCH 2003 [1277], S. 21; vgl. für die SBZ/DDR: AMOS 2009 [281].

37 Vgl. JACOBMEYER 1985 [1280].

38 Vgl. COCHET 1999 [1269]; THÉOFILAKIS 2004 [1296]; THÉOFILAKIS 2008 [1297]; THÉOFILAKIS 2008 [903]; OVERMANS 2008 [1288].

39 ECHTERNKAMP 2003 [395], S. 160.

40 Vgl. WOLFRUM 2003 [182]; WEINKE 2006 [1337]; WIEVIORKA 2006 [1339]; GÖRTEMAKER 2007 [1314].

41 Vgl. VOLLNHALS 1991 [1335]; BORGSTEDT 2001 [1305]; BORGSTEDT 2008 [1309]; VINCENT 2008 [1331].

42 Vgl. GROHNERT 1991 [1315]; MÖHLER 1992 [1324].

43 REICHEL 2001 [1240], S. 36.

44 Vgl. NIETHAMMER 1982 [1286]. Der „Mitläufer“ wurde sogar in den Kreis der deutschen Erinnerungsorte aufgenommen; vgl. SCHWAN 2001 [1247].

45 Vgl. SCHILDT 2007 [425],S. 3.

46 HEIM 2005 [1316], S. 425.

47 WEBER 2000 [37], S. 10.

48 MAHLERT 1998 [417], S. 29.

49 Vgl. MEINICKE 1984 [1322]; WELSH 1989 [1338]; WILLE 1993 [1341]; RÖSSLER 1994 [1326]; van MELIS 1999 [1323]; VOGT 2000 [1334].

50 Vgl. HENKE, WOLLER 1991 [1317].

51 BUTTIN 1948 [1309].

52 NOVICK 1985 [1287].

53 BUTON 2004 [1308].

54 Über den Charakter der Épuration und ihre Rechtmäßigkeit sind gerade in den letzten Jahren maßgebliche Studien veröffentlicht worden; vgl. KUPFERMAN 1980 [1319]; LOTTMANN 1986 [1321]; BOURDREL 1988/1991 [1307]; ASSOULINE 1990 [1301]; ROUSSO 1993 [1328]; BARUCH 2003 [1303]; VONAU 2005 [1336]; VERGEZ-CHAIGNON 2010 [1330].

55 Die „wilden Säuberungen“ entwickelten sich darüber hinaus schnell zu einem Wettlauf der verschiedenen politischen Gruppierungen, die sich in dieser Umbruchphase mit ihren revolutionären Zügen politische Legitimation für die Zukunft verschaffen wollten; vgl. ROUSSO 1992 [1327].

56 VIRGILI 2004 [1333]; VIRGILI, ROUQUET, VOLDMAN 2007 [1299].

57 Vgl. MARTENS 2006 [364].

58 Vgl. ORY 1977 [366].

59 ROUSSO 1980 [373]; COINTET 2003 [357].

60 WEISENFELD 1997 [379], S. 29.

61 Vgl. zur Verurteilung von Ministern und hohen Beamten den Überblick bei: ROUSSO 2007 [374], S. 104f.

62 Vgl. als Überblick mit Fallbeispielen aus dem Elsass: KOHSER-SPOHN 2009 [1318], S. 370–388.

63 WINKLER 2000 [436], S. 116.

64 Vgl. SCHRÖDER 1997 [1246]; KIRSCH, 1999 [1223]; HURRELBRINK 2005 [1219].

65 Vgl. WOLLE 2004 [438], S. 3f.

66 GLIENKE, PAULMANN, PERELS 2008 [1376].

67 GILCHER-HOLTEY 2000 [1214], S.61.

68 Vgl. DEFRANCE 2000 [768], S. 154.

69 Vgl. KLESSMANN 2000 [1224].

70 JARAUSCH 2005 [1281], S. 231.

71 WOLFRUM 2006 [437], S. 20.

72 MOMMSEN 2003 [1233], S. 103.

73 Vgl. SOLCHANY 1997 [1248]; ASSMANN, FREVERT 1999 [1196]; REICHEL 2001 [1240]; KÖNIG 2003 [1225]; LONGERICH 2007 [1230]; DÖRNER 2007 [1205].

74 Vgl. DANYEL 1995 [1204]; HERF 1997 [1218].

75 SIMONNET 2004 [355].

76 Vgl. MALINVAUD, PLAS, PASCAL 2000 [1231].

77 WILLIS 1962 [500],S. 6f.

78 Vgl. AZÉMA, WIEVIORKA 1993 [348]; BUTON 2004 [355]; KNAPP 2007 [363].

79 Vgl. BURRIN 1995 [354]; COINTET 2000 [356]; ROUSSO 2007 [374].

80 Vgl. HERBERT 1999 [1274]; SPOERER 2001 [1295]; FRANCK 1996 [359]; BARCELLINI 1996 [1199]; DREYFUS 2005 [1206].

81 »La guerre est finie« Entretien avec Henry Rousso, in: Les Collections de l’Histoire »Les drames de l’été 1945. Les procès, le deuil et l’espoird« 28 (2005), S. 7.

82 Vgl. Nicole GAUTHIER, Comment la presse française a (dé)couvert la libération des camps, in: Libération, 20.1.2005.

83 WIEVIORKA 1996 [1258].

84 Vgl. VEIL 2007 [68], S. 98ff.; WIEVIORKA 2003 [1259], S. 170.

85 LALIEU 2001 [1228].

86 Vgl. CONAN, ROUSSO 1996 [1203]; ROUSSO 1990 [1243]; FRANK 2000 [1210]; GILZMER 2002 [1215]; FRANÇOIS 2003 [1209]; PFEIL 2006 [1238].

87 GILCHER-HOLTEY 2000 [1214], S.63; vgl. zur Historisierung der Résistance: BÉDARIDA 2003 [102], S. 165ff.

88 Vgl. WIEVIORKA [1259] 2003.

89 Mit dem Schicksal der der Besatzungskinder in den Niederlanden, Dänemark, aber vor allem in Norwegen beschäftigt sich DROLSHAGEN 2005 [788].

90 Vgl. VIRGILI 2005 [912]; VIRGILI 2009 [913]; PICAPER, NORZ 2004 [1289].

91 Im Februar 2009 machte die Bundesregierung dieser Personengruppe das Angebot, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben zu können.

92 Vgl. PICAPER 2005 [1290].

93 Vgl. COCHET 2005 [1270].

94 Symptomatisch für die Spannungen war der Prozess von Bordeaux (1953) gegen die das Massaker von Oradour-sur-Glane verantwortende SS-Panzerdivision „Das Reich“, in deren Reihen auch über zwölf Elsässer (Malgré-nous) gedient hatten. Während Politik und Justiz keine Einwände gegen einen gemeinsamen Prozess hatten, forderten alle führenden politischen Vertreter (außer den Kommunisten) aus dem Elsass, die Verhandlungen gegen die französischen (elsässischen) Angeklagten von dem Verfahren gegen die deutschen Täter abzutrennen; vgl. VONAU 2003 [692]; MOISEL 2004 [645], S. 148ff.

95 VONAU 2005 [1336].

96 HARTWEG 1996 [1216], S. 268f. Vgl. auch HARTWEG 1997 [1217].

97 Vgl. NAMER 1983 [1234].

98 Vgl. ULLRICH 2009 [1252].

99 ASSMANN 2006 [1197], S. 67.

100 FREI 2000 [1212], S. 80.

101 WOLFRUM 2001 [1261], S. 109.

102 KIELMANSEGG 1989 [1222], S. 35.

WBG Deutsch-französische Geschichte Bd. X

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