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Auf der Suche nach „Grandeur“ und Sicherheit

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Die Deutschlandpolitik de Gaulles in der unmittelbaren Nachkriegszeit rankte sich um die drei Pole: Rang, Sicherheit und Reparationen (besonders Kohle), wobei es ihm deutlich mehr auf Sicherheit als auf wirtschaftliche Überlegungen ankam16. Er hatte seine Lehren aus der Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gezogen, als die Politik gemäß der Parole „Der Boche wird alles bezahlen“ schließlich im Bankrott des Friedens17 geendet hatte. Die Juli-Direktiven 1945 spiegeln die Festsetzung der Prioritäten wieder, deutlich zugunsten der französischen Deutschlandpolitik vor der Politik in der französischen Besatzungszone in Deutschland18.

De Gaulle hatte während des Zweiten Weltkriegs zu seinem großen Missfallen beobachten müssen, wie Frankreich in der Welt an Rang und Einfluss eingebüßt hatte. Als Provokation und Beleidigung musste er es verstehen, dass der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt Frankreich im Jahre 1944 noch als besiegte Nation behandeln und folglich dort ein Allied Military Government for the Occupied Territories (AMGOT) einsetzen wollte. Den von de Gaulle seinerseits angestrebten Rang als Siegermacht gedachte er u.a. durch die Beteiligung an den alliierten Konferenzen über die Zukunft Deutschlands und die Mitwirkung einer französischen Armee an der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus zu erreichen. Ein Ziel war erreicht, als die drei Alliierten seine Provisorische Regierung am 23. Oktober 1944 anerkannten, doch fühlte er sich ein weiteres Mal brüskiert, als sich Amerikaner, Sowjets und Briten einig zeigten, ihn nicht zur Konferenz von Jalta im Februar 1945 einzuladen. Es mag ihn nur wenig befriedigt haben, dass schließlich doch seiner Forderung entsprochen wurde, Frankreich eine eigene Besatzungszone und einen Platz im Alliierten Kontrollrat als oberster interalliierter Kontrollinstanz zuzugestehen19. Dieses Entgegenkommen war vor allem dem wachsenden Misstrauen Churchills gegenüber der UdSSR geschuldet, wollte sich Großbritannien doch nicht – im Falle eines bis dahin immer noch als wahrscheinlich geltenden Abzugs der amerikanischen Truppen im Anschluss an den gewonnenen Krieg – als alleiniger Vertreter des westlichen Lagers der Sowjetunion gegenübersehen, wie der britische Premierminister de Gaulle bei seinem Besuch in der französischen Hauptstadt am 11. November 1944 erklärte20. Doch auch in der Haltung gegenüber dem zukünftigen Deutschland warf der Kalte Krieg seine Schatten voraus, wie Manfred Görtemaker betont:

„Insbesondere Churchill und die britische Regierung gelangten bereits 1944 zunehmend zu der Einsicht, dass vielleicht schon in Kürze ein einheitliches Deutschland als Gegengewicht gegen eine übermächtige Sowjetunion auf dem europäischen Kontinent benötigt werde“21.

Anders als bei Churchill wog beim General zum damaligen Zeitpunkt die „Gefahr einer Renaissance deutschen Hegemonialstrebens schwerer als die Gefahr einer Expansion der Gegenseite im Ost-West-Konflikt“22. Der Chef des „Freien Frankreichs“ wollte die Einheit der Alliierten gegenüber der deutschen Gefahr wahren, weshalb er keine klare Stellung in dem aufkommenden Konflikt zwischen den Westmächten und Moskau bezog23. Das französische Selbstverständnis brachte Außenminister Georges Bidault in der ersten außenpolitischen Debatte nach der Libération vor der Provisorischen Beratenden Versammlung am 21. November 1944 zum Ausdruck: „Niemals wird Frankreich akzeptieren, auf den westlichen Teil der Welt beschränkt zu sein“24.

Ausdruck fand dieses demonstrativ zur Schau gestellte Selbstbewusstsein wenige Wochen später, als der General im Dezember 1944 zum erklärten Missfallen von Churchill nach Moskau reiste, um mit der Sowjetunion eine tragfähige Allianz gegen Deutschland zu schmieden, die fortan Grundlage für die Sicherheit Frankreichs sein sollte. Die Reise nach Moskau schlug sich perspektivisch in einer Verhärtung der französischen Deutschlandpolitik nieder25. Neue Weisungen verlangten die Abtrennung von Ruhrgebiet und Rheinland sowie eine Reihe von rechtsrheinischen Brückenköpfen26 und die ständige Besetzung dieser Regionen durch Frankreich und andere europäische Länder. In seinen Gesprächen mit dem sowjetischen Diktator erklärte sich der General mit den sowjetischen Plänen einer Westverschiebung Polens einverstanden, musste jedoch seinerseits feststellen, dass Stalin seine Rhein-, Ruhr- und Saarpläne nicht teilte. Der Kremlchef hatte zum damaligen Zeitpunkt zum einen kein Interesse daran, die Beziehungen zu Engländern und Amerikanern zu belasten, zum anderen wollte er sich vor der Weltöffentlichkeit nicht als der Spalter, sondern als Garant der deutschen Einheit präsentieren. Langfristig hatte die Kontrolle ganz Deutschlands somit den Vorzug vor einem Bündnis mit Frankreich. So einigten sich beide Seiten zum großen Leidwesen de Gaulles nur auf ein bilaterales Abkommen, das keine Koalition bzw. keine Allianz gegen einen Partner zuließ, aber die Oder-Neiße-Linie und die sowjetische Mitwirkung bei der Ruhrkontrolle anerkannte27.

Auch de Gaulle beschäftigte sich nun mehr und mehr mit dem sowjetischen Risiko und äußerte gegenüber Briten seine Furcht vor den „Russen am Rhein“ bzw. vor einer sowjetisch dominierten deutschen Zentralregierung28. Als Folge der für ihn enttäuschend verlaufenen Moskau-Reise nahm er nun die Gedankenspiele vom Frühjahr 1944 zur Bildung einer europäischen Union wieder auf, der neben Frankreich auch die Niederlande, Belgien, Luxemburg und das westdeutsche Territorium angehören sollten29 und die als Westblock ein Gegengewicht gegen den sowjetischen Expansionismus bilden sollte.

Mochte de Gaulle bisweilen auch ein „Mann ohne Augenmaß sein, der die Realitäten der Rolle, die Frankreich in diesem Krieg gespielt hat, nicht sehen will“30, wie Stalin gegenüber Roosevelt urteilte, so besaß doch zumindest der Quai d’Orsay eine klare Vorstellung von den eigenen machtpolitischen Schwächen, die Frankreich hinderten, eine unabhängige Außen- und Deutschlandpolitik zu führen. Die eigene Wirtschaftskrise war einzig über großzügige Kredithilfe aus den USA in den Griff zu bekommen, und die eigene Sicherheit schien angesichts der nicht zu übersehenden militärischen Schwäche nur durch die dauerhafte amerikanische Truppenstationierung in Westeuropa gewährleistet. Dass französische Vertreter nicht zur Potsdamer Konferenz (Juli/August 1945) eingeladen worden waren, zeigte den Verantwortlichen in Paris zudem, dass sich Frankreich weiterhin „mit der Fiktion einer Großmachtstellung begnügen“ musste31. Ziel sollte es aber bleiben, die Gefahr eines einseitigen Abhängigkeitsverhältnisses zu umgehen und das Beziehungsgeflecht zwischen beiden Ländern auf eine wechselseitige Grundlage zu stellen. Dabei kam es den Regierenden in Paris zugute, dass die USA den wachsenden Einfluss der PCF auf das politische und kulturelle Leben Frankreichs mit großem Misstrauen verfolgten und eine zunehmende Einflussnahme der Kommunisten auf die westeuropäische Politik befürchteten.

Wie sahen die großen Linien der Deutschlandpolitik de Gaulles im Jahr 1945 aus? Aus Sicherheitsgründen verlangte der General vor allem die Aufteilung des ehemaligen Reiches mit aller Doppeldeutigkeit des Begriffs, die von „Zersplitterung“ (morcellement) bis „Dezentralisierung“ (décentralisation) reicht32. De Gaulle forderte aus hauptsächlich strategischen Gründen die Abtretung des linken Rheinufers – inklusive des Saargebiets33 – und auch des Ruhrgebiets sowie seine Internationalisierung, um die Deutschen von ihrer Rüstungsindustrie abzuschneiden34. Bei einigen Reden im Herbst 1945 schlug er sogar annexionistische Töne an, obwohl er nur wenige Monate zuvor noch öffentlich erklärt hatte, er sei in diesem Punkt frei von jeglicher Versuchung. Die Reden während seines Besuchs in der französischen Besatzungszone im Oktober 1945 unterstreichen die Komplexität seines Standpunkts (vgl. Kap. II.1). Einerseits richtete er versöhnliche Botschaften an die Bevölkerung im Saar- und Rheinland; auf der anderen Seite hielt er vor französischen Offizieren in Baden-Baden eine Rede mit deutlich maximalistischen Untertönen:

„Ziel unserer Aktion ist, Frankreich hier Fuß fassen zu lassen […], d.h. Frankreich diejenigen Gebiete zur Verfügung zu stellen, die von Natur aus mit ihm verbunden sind. Darunter verstehe ich das linke Rheinufer mit der Pfalz, Hessen, Rheinpreußen und das Saargebiet. […] Was den Rest der deutschen Länder angeht, so werden sie ihrem Schicksal, einem traurigen Schicksal, entgegengehen“35.

Kurz nach dieser Reise in die französische Besatzungszone wusste der Quai d’Orsay nicht mehr, wie er sich auf dem Felde der Rheinlandpolitik positionieren sollte, wie ein Vermerk vom 16. Oktober 1945 bekundet, der nicht mehr vom Rheinstaat sprach, sondern nur noch vom Rheinstatut und linksrheinisch „eine Art Bündnispolitik bzw. auf dem rechten Rheinufer eine Art Interessenpolitik verteidigte. Es herrschte die Vorstellung, Frankreich könne eine gewisse Mittlerfunktion für das Rheintal einnehmen, das für alle Austauschformen durchlässig sein sollte“36. Bis zur Moskauer Außenministerkonferenz im März 1947 bestand die offizielle französische Position notwendigerweise darin, die Abtrennung des linken Rheinufers, die Eingliederung des Saargebiets in den französischen Wirtschaftsverband und einen internationalen Status des Ruhrgebiets zu verlangen, selbst wenn sich in den Kulissen Alternativlösungen abzeichneten, was Dietmar Hüser die „doppelte Deutschlandpolitik Frankreichs“ nennt37 (vgl. Kap. II.1).

Unabhängig von den westlichen Pufferzonen des ehemaligen Reiches beschäftigte sich de Gaulle auch mit dem Wiederaufbau der traditionellen deutschen Länder (bis auf Preußen, das endgültig von der Landkarte verschwinden sollte), die er sich als eine irgendwie geartete konföderale Verbindung38 vorstellte, d.h., de Gaulle dachte eher an eine Dezentralisierung des ehemaligen Reichsgebiets als an sein Auseinanderbrechen.

Der Rücktritt des Generals am 20. Januar 1946 bedeutete weder außennoch deutschlandpolitisch eine entscheidende Zäsur. In der Dreiparteien-Regierung unter der Führung des Sozialisten Félix Gouin setzte insbesondere der weiterhin als Außenminister amtierende Volksrepublikaner Georges Bidault auf eine territoriale Aufteilung Deutschlands und somit auf die Fortführung der vom General eingeleiteten Politik, was Andreas Wilkens zutreffend als „Stabilitätsbedingung der Koalition“ bezeichnet39. Nicht zu vergessen ist auch, dass sich der Revanchediskurs als integratives Mittel zur tripartistischen Einbindung der PCF anbot, solange die Kommunisten noch an der Regierung beteiligt waren (bis Mai 1947)40.

Realistisch betrachtet waren die Aussichten zur Aufrechterhaltung einer „harten Politik“ im Jahre 1946 jedoch schon nicht mehr gegeben. Weder die USA und Großbritannien noch die Sowjetunion ließen sich zu einer Abtrennung von Rheinland und Ruhrgebiet bewegen; im Gegenteil, denn im Sommer 1946 begannen die amerikanisch-britischen Verhandlungen zur Einrichtung der Bizone. Die von Bidault weiterhin formulierten französischen Maximalforderungen erscheinen vor diesem Hintergrund eher taktischer Natur, um in den anstehenden Verhandlungen mit den anderen Alliierten zumindest die unmittelbaren wirtschaftlichen Ansprüche Frankreichs nach Kohlelieferungen von der Ruhr durchsetzen zu können. Paris versuchte daher, die innenpolitische Instabilität als Trumpf gegen den amerikanischen Druck einzusetzen. Dabei galt es, sich durch Starrsinnigkeit in deutschlandpolitischen Fragen als schwieriger Partner zu profilieren und offizielle Positionen erst dann aufzugeben, wenn die Obstination mehr Nach- als Vorteile zu versprechen schien, wie Dietmar Hüser betont:

„Diese Konstellation ermöglichte es der französischen Regierung, die ‚relative Stärke des Schwachen‘ gegenüber der ‚relativen Schwäche des Starken‘ auszuspielen […]. Immer wieder wurde dabei versucht, die von den USA eingeforderten Korrekturen der Deutschlandpolitik an amerikanische Gegenleistungen zu koppeln, um die eigenen Handlungsspielräume zu erweitern“41.

Frankreich kam es nun zugute, dass es als Siegermacht zu den Mitgliedern bzw. Teilnehmern des Alliierten Kontrollrats und der Außenministerkonferenzen gehörte und dank seines doppelten Vetorechts über wichtige Trümpfe zur Verhinderung deutscher Zentralverwaltungen im zukünftigen Deutschland verfügte. Indem es das bei den Sitzungen und Treffen beider Instanzen geltende Prinzip der Einstimmigkeit rigoros zur Durchsetzung eigener Interessen zu nutzen schien, galt Frankreich wegen dieser als Obstruktion wahrgenommenen Haltung vielfach als Verantwortlicher für das Scheitern einer gemeinsamen Politik der „Vier“ (vgl. Kap. II.1). Die Gesetze deuten jedoch eher darauf hin, dass die Franzosen im Bereich der Sozialpolitik wesentlich mehr vom Kontrollrat initiierte Projekte realisierten als Amerikaner und Briten42.

WBG Deutsch-französische Geschichte Bd. X

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