Читать книгу Vergangenheitskampf - Corinna Lindenmayr - Страница 7

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2. Kapitel

Emma-Sophie war wütend. Nicht nur, dass sie ein für sie vollkommen verständnisloses Spiel gesehen hatte, nein, jetzt versetzte sie dieser Kerl auch noch. Was echt mal wieder typisch war.

Sie hätte zu Hause bleiben sollen. Es sich mit ihrer warmen Wolldecke und einer heißen Tasse Kakao auf ihrem Sofa bequem zu machen um eine Folge »Bones« anzusehen, klang im Augenblick geradezu verlockend.

Stattdessen stand sie nun hier, zitternd und kein bisschen glücklich über diese Situation.

»Es tut mir entsetzlich leid.« versicherte ihr gerade ein in grauem Anzug und roter Krawatte gekleideter Mann, den sie auf Anfang fünfzig schätze, und sich als Trainer der Mannschaft vorgestellt hatte. Sein Name war ihr bereits wieder entfallen. McIrgendwas. »Vielleicht hat ihn der Schlag im letzten Drittel doch mehr erwischt wie gedacht.« Vielleicht. Vielleicht war er aber auch einfach nur ein selbstverliebter, Frauen versetzender Idiot.

»Ist schon okay. Wirklich. Es war schon toll, von hier oben das Spiel ansehen zu können.« log Emma. In Wahrheit war es ihr kaum gelungen dem Puck zu folgen, geschweige denn zu verstehen, warum die meisten Spieler immer wieder versuchten, aufeinander einzuprügeln oder sich brutal gegen die Bande zu knallen.

»Ich spendiere Ihnen noch einen Drink.« bot der Mann ihr gegenüber an, doch sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein. Danke. Ich werde jetzt besser nach Hause gehen. Ich muss morgen ziemlich früh raus. Tschüss und es war nett Sie kennengelernt zu haben!« Emma winkte diesem McSowieso überschwänglich zu und steuerte eilig Richtung Tür. Jetzt musste sie nur noch aus diesem Gebäude heraus finden. Was in Anbetracht dieser unzählig langen Gänge gar nicht so einfach zu werden schien. Wieder einmal verfluchte sie Bea und ihre Überzeugungskraft. Nie wieder würde sie sich zu irgendetwas überreden lassen. Leider wusste sie bereits im gleichen Moment als sie das beschloss, dass es nicht zutreffen würde. Bea schaffte es nämlich mit ihrer Hartnäckigkeit so gut wie immer ihren Kopf durchzusetzen und Emma-Sophie war in dieser Hinsicht eher das Gegenteil. Mit einem leisen Seufzer lief sie los und steuerte zielsicher auf eine alte, klobige Metalltür zu. Das bereits ziemlich dämmrige Licht flackerte verdächtig und gerade als Emma-Sophie den Griff der Tür in die Finger bekam, nur um festzustellen, dass sich diese trotz mehrfachem Ruckeln und Dagegentreten nicht öffnen lies, erlosch es komplett, sodass sie nun mutterseelenallein in einem stockfinsteren Gang stand, von dem sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wo sich dort der Ausgang befand.

Konnte es noch schlimmer kommen?

Manchmal gab es Tage, die katastrophal begannen und am Abend gar nicht mehr so schlecht waren. Dann wiederum gab es Tage, die zwar ziemlich gut anfingen aber beschissen endeten. Und es gab Heute. Heute lief einfach alles schief. War es also ein Wunder, dass er mehr als nur ein bisschen genervt durch den Gang der Eishalle trottete, während er sich selbst verfluchte, seinen Autoschlüssel in der Umkleide vergessen zu haben?

Er erreichte die Kabine und lief durch die leicht geöffnete Tür hindurch. Das Erste was er dort auf einer der Sitzbänke erspähte, war, wie sollte es auch anders sein, den Schlüsselbund. Frustriert griff Max danach und schob ihn in seine linke Hosentasche.

Vielleicht hätte er sich doch einfach ein Taxi nehmen sollen. Für seine Wohnung gab es einen Ersatzschlüssel und ob sein Audi nun hier oder bei ihm in der Garage parkte spielte eigentlich auch keine große Rolle.

Da er nun aber schon einmal da war sah er sich prüfend in dem Raum um. Er genoss die Stille die er jetzt verströmte. Wenn er sich sonst hier befand, herrschte immer reges Treiben. Wenn nicht in der Kabine, dann zumindest außerhalb.

Im Augenblick jedoch war alles ruhig. Er schloss für einen kurzen Moment die Augen und dachte an die letzten Spieltage und an die, die noch anstehen würden. Er war gut in Form, genauso wie die ganze Mannschaft. Sie bräuchten noch einen Sieg, dann wären ihnen auf jeden Fall die Pree-Play-Offs sicher. Er hoffte allerdings, dass es ihnen gelang, sich einen direkten Platz in den Play-Offs zu erkämpfen.

Die Jungs waren hart im Nehmen aber diese Zeit war dennoch nicht ohne. Die Spiele wurden intensiver, die Stimmung angespannter und die Kämpfe brutaler. Die Chance auf ein paar spielfreie Tage zwischen der normalen Saison und der direkter Play-Off-Teilnahme wären daher sicherlich von Vorteil.

Tja, noch hatten sie es selbst in der Hand. Er war der Kapitän. Sie alle zählten auf ihn. Er durfte sie nicht im Stich lassen.

Entschlossen drehte Max sich um und begab sich auf den Rückweg. Was er jetzt brauchte, war eine dicke Portion Schlaf um seine schmerzenden Glieder wieder zu entspannen.

Ruckartig drückte er sich mit seiner Schulter gegen die Tür und wäre beinahe dagegen gelaufen, als diese sich plötzlich nicht mehr weiter öffnete und er einen dumpfen Aufprall hörte.

Wie aus dem Nichts traf Emma-Sophie ein Schlag. Schmerz erfüllte sie und sie taumelte benommen gegen die hinter ihr befindliche Wand.

»Himmel!« eine tiefe raue Männerstimme drang an ihr Ohr, doch irgendwie verschwamm alles um sie herum und nur mit Mühe gelang es ihr sich aufrecht zu halten.

»Hallo, hören Sie mich? Ist alles okay?« Wieder hörte sie diese Stimme. Offensichtlich war jemand in ihrer Nähe, nur fühlte es sich nicht so an. Das dumpfe Pochen an ihrem Kopf wurde stärker und sie tastete hilfesuchend die Wand nach einer Haltemöglichkeit ab.

»Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Gerade als Emma-Sophie den Kopf schütteln wollte, verlor sie die Kontrolle über ihre Beine und sank in zwei kräftige Oberarme.

»Verdammt.« Sie spürte wie sie hochgehoben wurde und sie jemand durch den Gang trug, dann schloss sie die Augen und öffnete sie erst wieder als sie auf etwas Weichem lag.

Kurz darauf hätte sie beinahe laut aufgeschrien, als etwas sehr, sehr kaltes ihre Stirn berührte.

»Das Eis wird die Schwellung lindern.« erklärte ihr die Stimme. Sie klang beruhigend und ziemlich männlich.

»Wie viele Finger sehen Sie?« Vor ihr schossen zwei Finger noch oben und sie kniff ihre Augen stöhnend wieder zusammen.

»Vier.«

Ein kurzes, ungezwungenes Lachen erhellte den Raum. »Das tut mir wirklich leid. Sie werden eine Beule bekommen.«

Mühsam rappelte sich Emma-Sophie auf und blickte nun geradewegs in die schönsten blauen Augen die sie je gesehen hatte. Leider kam ihr das dazugehörige Gesicht sehr bekannt vor. Es gehörte niemand geringerem, als Max Christensen, besagtem selbstverliebten Idiot, der sie eben noch versetzt hatte.

»Wo…wo bin ich?«

»Im Sanitätsraum der Eishalle. Ich fürchte ihr hübscher Kopf hat gerade gegen eine Metalltür den Kürzen gezogen.«

»Sie haben mir die Tür ins Gesicht geknallt?«

»So würde ich das jetzt aber nicht ausdrücken.«

»Wie denn dann?« Emma-Sophie nahm ihm den Eisbeutel aus der Hand und presste ihn auf die andere Seite ihrer Stirn. Dann versuchte sie sich in eine einigermaßen sitzende Position zu bringen. Der Mann vor ihr sah sie mit einem Blick, der irgendwo zwischen Belustigung und Reue lag, an. »Sie waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.« Er zuckte die Achseln. »Um diese Zeit schleicht normalerweise niemand durch diesen Gang.«

»Ich bin nicht geschlichen.« widersprach Emma empört und ihr Kopf protestierte gegen die kurze Bewegung, die sie dadurch machte. Stöhnend sank sie wieder zurück auf die Liege.

»Was haben Sie dann gemacht?« Sie spürte eine Hand an ihrer Schläfe, die himmlische kleine Kreise auf ihrer Haut vollführte und den Druck etwas linderte. »Und bleiben sie am besten liegen. Ich fürchte sie haben eine Gehirnerschütterung. Ist Ihnen übel?«

Übel? Nein, ihr war nicht übel. Zumindest nicht wegen ihrem Kopf. Ihr Magen mochte ein paar lächerliche Tritte von sich geben, aber das lag sicher nicht an dem Schlag den sie abbekommen hatte. «Nein.»

»Gut. Also?«

»Also was?«

»Warum waren Sie hier?«

»In dem Gang speziell oder im Allgemeinen?«

Er unterdrückte ein leises Lachen. »Beides.«

»Ich hatte eine Verabredung.« Das ließ ihn aufhorchen. »In dem VIP-Bereich eines Eishockeystadions?«

»Ja.«

»Mit wem?« Emma-Sophie runzelte die Stirn und linste zu ihm hoch. Als ob ihn das grundsätzlich etwas anginge. Allerdings sah der Mann der für all das hier verantwortlich war in keinster Weise so aus, als würde er das auch so sehen. »Mit Ihnen.«

»Mit....oh.« Jetzt wirkte er doch leicht zerknirscht. »Ich vermassle das heute wohl auch so richtig, was?«

»Ich finde nicht, dass man etwas vermasseln kann, was man gar nicht erst versucht hat.«

»Autsch.« Ihr Gegenüber verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Aber ich vermute, dass habe ich verdient.« Dann warf er ihr einen für ihren Geschmack etwa zu eindringlichen Blick zu. Seine ohnehin schon herrlichen Augen wurden eine Nuance dunkler und seine Stimme bekam einen etwas raueren Ton als er weiter sprach. »Das bedeutet wohl, ich schulde Ihnen eine Wiedergutmachung?«

Emma-Sophie versuchte das flaue Gefühl in ihrem Magen so gut sie konnte zu ignorieren. Dieser Mann bedeutete Ärger. Auch wenn er es vielleicht nicht darauf anlegte, aber das war ja wohl sonnenklar. »Nein, danke.« erwiderte sie daher diplomatisch. »Ich habe ja gesehen, wo so etwas bei Ihnen hinführt.«

Erneut erhellte Max tiefes Lachen den Raum. »Verdammt, wenn ich gewusst hätte, dass ich auf Sie treffe, wäre ich garantiert niemals auch nur auf die Idee gekommen, einen Rückzieher zu machen.«

Was sollte das nun wieder bedeuten? Fand er sie etwa tatsächlich anziehend? Naja, wie auch immer. Sie musste jetzt dringend nach Hause und endlich in ein Bett, sonst würde ihr Kopf sie noch umbringen. »Wären Sie vielleicht so freundlich mir zu zeigen, wo hier der Ausgang ist?«, fragte sie daher, während sie vorsichtig von der Liege stieg und sich bemühte den Mann vor ihr nicht anzusehen. Leider wurde dieser Versuch von zwei kräftigen Armen vereitelt, die sie festhielten und sie zwangen, doch nach oben zu sehen. Geradewegs in zwei zusammengezogene Augen, die sie immer noch eingehend musterten. »In Ihrem Zustand werde ich Sie ganz sicher nicht alleine irgendwohin gehen lassen.«

»Ich komme schon zurecht.« erwiderte Emma und zwang sich erneut, woanders hinzusehen. Rechts oben in der Ecke befand sich ein kleiner schwarzer Fleck. Und vermutlich eine Spinnenwebe, die sich ganz langsam hin und her bewegte, wenn sie ein sanfter Windstoß berührte. Perfekt. Darauf konnte sie sich konzentrieren, bis sie endlich frische Luft bekam und wieder klar denken konnte.

»Natürlich. Aber ich fühle mich nun einmal verantwortlich. Schließlich habe ich Ihren hübschen Schädel zertrümmert.«

Jetzt war es Emma-Sophie, die die Stirn runzelte. »Sie haben mir nicht den Schädel zertrümmert.«

»Vielleicht nicht zertrümmert, aber einen kleinen Knacks hat er bestimmt abbekommen. Ich bin ziemlich stürmisch gewesen.« Und gutaussehend, charmant und sexy. Aber wenn interessierte das schon. »Also gut. Wenn Sie unbedingt darauf bestehen, dann bringen Sie mich eben nach Hause.«

Max lächelte. »Unbedingt.«

Wär hätte gedacht, dass er dieses Mal auf eine Frau treffen würde, die ihn in mehr als nur einer Hinsicht faszinierte? Er steuerte seinen Audi A6 über den Asphalt und der blumige, feminine Duft der Frau neben ihm drang in seine Nase und durchströmte seine Adern bis er sich in seinem Gehirn häuslich nieder zu lassen schien. Sie hatte die Arme verschränkt und den Kopf auf seine Nackenstützte gelegt. Ihre kleine khakifarbene Handtasche lag auf ihren Beinen.

Vermutlich würde sie noch ein paar Tage starke Kopfschmerzen haben und eine fette Beule bekommen.

Plötzlich schien der Tag sich doch noch zum Guten zu wenden.

»Sie sollten sich die nächste Zeit lieber etwa schonen.« bemerkte er beiläufig. Dann fiel ihm auf, dass er noch nicht einmal ihren Namen kannte. »Wie heißen Sie eigentlich?«

»Was? Ach so. Emma-Sophie. Emma-Sophie Manning.«

»Ich bin Max. Christensen.« fügte er noch hinzu, als ob sie das nicht wüsste. »Ja. Ihr Name wurde heute das ein oder andere Mal erwähnt.« Sie rutschte tiefer in ihren Sitz. »Da vorne müssen Sie rechts abbiegen.«

Max setzte den Blinker und folgte ihrer Anweisung. »Sie sollten nicht alles glauben was Sie hören.« Die Presseleute liebten es, ihm Dinge nachzusagen, die nicht unbedingt immer der Wahrheit entsprachen. Hauptsächlich was Frauengeschichten betraf. Klar, er war kein Kind von Traurigkeit, aber er sprang auch nicht von einer Kiste in die Nächste. Er war durchaus wählerisch. Meistens zumindest. Und er war ganz sicher niemand, der die Frauen benutzte. Jede die sich mit ihm einließ, kannte die Regeln. Die meisten wollten ohnehin nur eine Nacht mit einem Eishockeyspieler. Bislang hatte ihn das selten gestört, aber in letzter Zeit fing er komischerweise an, sich vielleicht mehr zu wünschen.

»Also haben Sie nicht die Nummer 73 der gegnerischen Mannschaft mit einem Stockschlag erwischt?«

Irritiert sah er sie an. »Doch.«

»Und mit - wie hieß er noch gleich? Harry? - haben Sie sich dann wohl auch nicht geprügelt?«

Barry Lindström und ja, er hatte diesem Idioten eine rein gehauen. Sogar zwei wenn man es genau nahm. »Doch.«

»Ah.« Emma-Sophie sah ihn fragend an. »Dann stimmt es also nicht, dass Sie vor zwei Jahren zurück nach Augsburg gewechselt haben und vorher für Mannheim gespielt haben?«

Er verkniff sich einen weiteren Kommentar und seufzte. »Vielleicht wurde dieses Mal nicht ganz so viel verdreht.«

Jetzt musste Emma lachen und er spürte, dass er es genoss wenn sie das tat. Ihre Gesichtszüge wurden weich und ihre Augen begannen zu leuchten. »Keine Sorge. Über Ihr Privatleben wurde kein Sterbenswörtchen erzählt.«

»Darüber mache ich mir keine Sorgen.« log er.

»Natürlich nicht.« Emma-Sophie grinste immer noch, während sie ihre Hand hob und nach links zeigte. »Da vorne ist es.«

Max lenkte den Audi an den Straßenrand und hielt an. Bevor Emma noch etwas erwidern konnte war er auch schon ausgestiegen und öffnete ihr kurz darauf galant die Wagentür. »Danke.« Sie griff nach ihrer Tasche und trat ins Freie. Kalte Luft streifte ihre Wangen und es hatte draußen vielleicht 3 Grad, dennoch war ihr irgendwie ziemlich warm, was vermutlich daran lag, dass dieser Mann einfach eine unglaubliche Hitze verströmte. »Tja, also dann noch mal Danke fürs nach Hause bringen.«

»Gern geschehen.«

Emma wartete darauf, dass Max sich zurückziehen und wieder ins Auto steigen würde, doch er rührte sich keinen Zentimeter, sondern sah sie nur weiterhin an. »Sie werden die nächsten zwei Tage im Bett bleiben.«

Als ob das möglich wäre. Und außerdem ging ihn das nichts an. »War das eine Frage oder eine Feststellung?«

»Eine Feststellung.«

»Ich glaube, ich kann sehr gut....«

»Im Bett. Und Sie werden viel trinken. Sehr viel. Am besten Wasser. Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen. Ich weiß wovon ich rede.« Seine Stimme duldete keinen Widerspruch und da Emma-Sophie zu müde war um mit ihm zu streiten, nickte sie ergeben. Er würde es ja ohnehin nicht erfahren, wenn sie seine Anweisungen nicht befolgte.

»Gut. Ich habe am Dienstag noch ein wichtiges Spiel, aber am Mittwoch hole ich Sie ab und wir wiederholen unser Date. Ich werde um 19:00 Uhr da sein.«

»Wie bitte?« Sie musste sich verhört haben. Davon war nie die Rede gewesen. Okay, zugegebenermaßen gab es da ein paar klitzekleine Schmetterlinge in ihrem Bauch und ja, Max Christensen, war durchaus ein interessanter und attraktiver Mann und vermutlich könnte sie sich auch in ihn verlieben, aber erstens hatte sie dafür jetzt keine Zeit und zweitens, konnte sie es einfach nicht leiden, wenn man über ihr Leben bestimmte. »Ich werde nicht mit Ihnen ausgehen.«

»Ich schulde Ihnen eine Wiedergutmachung. Genauer gesagt sogar zwei.«

»Fein. Dann schenken Sie mir doch 25.000,00 EUR.«

Max verzog seine Lippen zu einem breiten Grinsen. »Vielleicht beim zweiten Date.« Flüchtig gab er ihr dann einen Kuss auf die Wange und lief zurück auf die Fahrerseite. Emma schnappe überrascht nach Luft. Doch ehe es ihr gelang ihre Stimme wiederzufinden, kam Max ihr erneut zu vor. »Mittwoch, 19:00 Uhr. Passen Sie bis dahin auf sich auf.« Die Wagentür flog zu und der Audi brauste davon.

Emma-Sophie sah zu wie die Rücklichter des Fahrzeuges immer kleiner wurden, bis sie nach einer Kurve ganz verschwanden. Okay, das war seltsam gewesen. Noch immer fühlte sie, wie ihre Beine ein wenig zitterten und ihr Puls schien es auch irgendwie eilig zu haben. Das Ganze war einfach total surreal. Noch nie hatte sie jemanden getroffen, der über den Bekanntheitsgrad des Bürgermeisters hinaus ging, geschweige denn, sich mit einem solchen unterhalten und Max Christensen, tja, dessen Gesicht schmückte nicht nur duzende von Werbeplakaten in der Stadt, nein, er war natürlich auch noch der Kapitän der Eishockeymannschaft, was ihn nicht gerade weniger bekannt machte.

Sie schlang sich ihren Mantel fester um ihren Körper und öffnete das Hofgatter. Ein Mann wie Max mochte vielleicht gut aussehen und einen fantastischen Körper haben, aber er war sicherlich niemand auf den man sich verlassen konnte. Aber genau das war es, was sie wollte. Irgendwann. Wenn sie bereit dafür war, wieder einen Mann in ihr Leben zu lassen.

Sie tastete nach ihrem Schlüssel und fand ihn erst, nach dem sie ihre Handtasche zweimal vollständig durchwühlt hatte. Sie öffnete die Haupteingangstür des dreistöckigen Wohnblocks und lief die Treppen zu ihrer Wohnung im Dachgeschoss hinauf.

Ihr Kopf hämmerte noch immer wie ein Pressluftgerät und allmählich spürte sie zu dem dumpfen Schmerz auch ein wenig Übelkeit. Das Licht im Treppenhaus flackerte und auch wenn sie hier bereits seit beinahe zwei Jahren lebte und die Lampe seit ihrem Einzug noch nie richtig funktioniert hatte, wurde ihr auf einmal mulmig zumute.

Der Wind schlug gegen irgendetwas und das Rauschen vermischte sich mit einem leichten Pfeifen.

Bildete sie sich das nur ein oder war plötzlich ein dunkler Schatten an der Wand zu sehen?

Sie beschleunigte ihren Schritt und war gottfroh, dass sie dieses Mal ihren Schlüssel schon in der Hand hielt. Eilig schloss sie die Tür zu ihrer Wohnung auf und lehnte sich dann von innen gegen das alte Holz.

Es war lächerlich. Idiotisch und vollkommen verrückt. Niemand war hier außer ihr. Der Schlag gegen den Kopf schien sie wirklich ernsthaft mehr mitzunehmen, als sie gedacht hatte.

Emma warf ihre Tasche auf den Tisch und lief schnurstracks ins Badezimmer, zog ihre Klamotten aus und drehte den Duschhahn auf. Dann stellte sie sich unter den Strahl dampfend heißen Wassers. Auf einmal erschien das Gesicht ihrer Mutter vor ihr. Einfach so. Es ergab keinen Sinn. Natürlich gab es das nicht. Warum sollte es auch? Sie war vier Jahre alt gewesen als sie gestorben war. Nichts was in ihrem Leben geschah war ein Zusammenhang mit ihrer Vergangenheit oder ihrer Mutter.

Aber es war auf einmal wieder alles so verdammt real. So, als wären seither nicht bereits mehr als 20 Jahre vergangen. Emma erinnerte sich ganz genau an den Unfall, der alles veränderte. Die Panik in den Augen ihrer Mutter. Den Tag, der sie zur Vollwaise machte, denn bis heute wusste sie nicht, wer ihr Vater war.

Es war ein schöner Sommertag gewesen. Die Sonne hatte geschienen und auf der Autobahn war die Hölle los, wie fast an jedem Tag an dem sie diese Strecke gefahren waren. Doch diesmal war irgendetwas anders. Ihre Mutter war unkonzentriert und nervös gewesen, hatte sich ständig umgedreht und Emma-Sophie erkannte die Angst in ihren Augen. »Mama, was ist denn los?« hatte sie noch gefragt, ehe sie im gleichen Moment von hinten ein dunkelblauer Range Rover rammte und sie von der Fahrbahn abkamen. Der alte BMW geriet ins Schleudern und schlitterte in einem mörderischen Tempo über den Asphalt. Emma-Sophie hatte geschrien, aber ihre Mutter hatte nur den Kopf auf das Lenkrad gestützt und unter ihren Armen vergraben. Immer wieder hatte sie nach ihr gerufen, hilflose und verzweifelte Schreie eines kleinen Mädchens, die durch den Innenraum des Wagens hallten. Letztendlich waren sie egal gewesen. Das Auto überschlug sich, krachte gegen einen Tanklaster und fing sofort Feuer. Diese enorme Hitze breitete sich immer weiter und weiter aus, die Sirenen erklangen und Emma-Sophie spürte noch wie jemand sie gepackt hatte, dann war alles schwarz geworden.

Ihr Körper zitterte noch immer als sie aus der Dusche stieg und sich ein Handtuch um den Rücken legte, welches sie vor ihrer Brust zusammenpresste. Wassertropfen rannen von ihr herunter und auf die kalten Fliesen. Der Spiegel war noch beschlagen von dem heißen Dampf in dem kleinen Raum. Dennoch starrte sie hinein. Beobachtete wie ihr Spiegelbild Stück für Stück durch den Schleier des kondensierenden Wassers zum Vorschein kam. Sie wusste nicht was sie erwartete, aber was sie sah, war alles andere als beruhigend. Ein verängstigtes kleines Mädchen, dass keine Ahnung hatte, was es mit seinem noch so jungen Leben anfangen sollte. Es war nicht ihr jetziges Gesicht, dass sie dort anblickte, sondern jenes von damals. Aber auch wenn seither zwei Jahrzehnte vergangen waren, lag in ihrer Augen immer noch die gleiche Resignation. Sie war allein.

Vergangenheitskampf

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