Читать книгу Vergangenheitskampf - Corinna Lindenmayr - Страница 9

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4. Kapitel

Man konnte viel über Emma-Sophie sagen. Wenn man ihren Charakter analysieren müsste, gäbe es da sicherlich das ein oder andere worüber man reden könnte. Sie hasste es zum Beispiel, wenn etwas nicht nach Plan lief. Ihren Drang zur Perfektion konnte man schon fast als zwanghaft bezeichnen. Genauso sehr versuchte Emma-Sophie alles um sich herum zu kontrollieren. Ihr Leben bestand die meiste Zeit aus einem vollkommen durchorganisierten Rhythmus. Genauso war sie durchaus gewillt zuzugeben, dass sie hin und wieder dazu neigte, in manchen Situationen extrem überempfindlich zu reagieren. So wie z. B. heute morgen. Sie war erschrocken und in Panik geraten. Nichts, worauf sie besonders stolz war. Aber manchmal, da holte sie die Vergangenheit wieder ein. Ob sie wollte oder nicht. Und sie wollte nicht.

Es war ja nicht einmal so, dass es etwas gab, dass ihr einen Grund für diese Ausbrüche lieferte, vielmehr schienen sie irgendwie tief aus ihrem Unterbewusstsein zu kommen. Als würde es etwas geben, wovon sie selbst keine Ahnung hatte, es aber dennoch existierte.

Doch eines war sie ganz sicher nicht. Und zwar ineffizient.

Also verdrängte Emma-Sophie diesen kurzen Aussetzer von heute morgen und arbeitete beinahe zehn Stunden durch. Sie spielte mit den Kindern, wusch Wäsche, kochte und versuchte daneben noch einmal einen Überblick über die tatsächliche finanzielle Situation zu erlangen. Was sie vermutlich lieber gelassen hätte, denn das Ergebnis war alles andere als ermutigend.

Als Bea ihren Kopf durch die Bürotür streckte war er bereits nach 16:00 Uhr. »Hast du vor, heute auch einmal irgendwann eine Pause zu machen? Gretchen sagte, du bist seit 06:30 Uhr hier. Du hast noch nichts gegessen und es sieht auch nicht so aus, als würdest du bald Feierabend machen.«

»Ich konnte nicht mehr schlafen.« Emma zuckte mit den Schultern. »Ich fand es sinnvoller etwas Nützliches zu tun und hier her zu kommen als planlos zu Hause die Decke anzustarren.«

»Okay, was ist los?« Bea schloss die Tür hinter sich und setzte sich dann ihrer Freundin gegenüber vor den Schreibtisch.

»Nichts.«

»Emma. Du hast schon oft schlecht geschlafen. Aber du bist deshalb noch nie im Morgengrauen durch die Stadt gefahren um zur Arbeit zu kommen und schon gar nicht, um wild um dich zu schlagen.«

Emma stöhnte. »Sie hat es dir also erzählt.«

»Ja hat sie. Und bevor du jetzt irgendetwas sagst, vergiss nicht, ich bin deine beste Freundin. Ich kenne dich in und auswendig.«

Was sowohl ein Segen als auch ein Fluch sein konnte, dachte Emma-Sophie und versuchte, nicht länger darüber nachzudenken. »Es ist wirklich nichts. Keine Ahnung warum ich heute Morgen so überreagiert habe. Vielleicht geht mir einfach gerade zu viel im Kopf herum.«

» Max?« fragte Bea und sah verschmitzt lächelnd zu ihr auf.

Ja. »Nein.«

»Du brauchst dringend einmal etwas Abwechslung. Dein Leben besteht nur aus Arbeit. Max ist attraktiv, offenbar durchaus charmant und definitiv dafür gemacht etwas Chaos in deine perfekte Welt zu bringen.«

»Was wenn ich kein Chaos haben will?«

» Schätzchen, jeder braucht hin und wieder etwas Chaos.«

»Ich habe aber keine Lust, danach die Unordnung wieder zu beseitigen.« erwiderte Emma. »Manchmal ist nämlich ziemlich viel Müll dabei.«

»Ja und manchmal findet man dabei auch etwas, wonach man nicht einmal gesucht hat.« konterte ihre Freundin. »Aber das wirst du nie herausfinden, wenn du dich weiterhin hinter all dem hier versteckst.« Bea stand auf und machte eine kreisförmige Bewegung. »Ich liebe dich Emma, du bist klug, lustig und eine tolle Freundin, aber mal ehrlich, du brauchst dringend wieder einmal Sex.«

Nachdem sie nun das dritte Mal durch das Gebäude lief, ohne auch nur die geringste Ahnung, was sie eigentlich wollte, war Emma-Sophie langsam bereit zuzugeben, dass sie Bea´s Worte vielleicht doch nicht so kalt ließen, wie sie zunächst geglaubt hatte. Möglicherweise lag darin doch ein Fünkchen Wahrheit.

Ihr Leben basierte hauptsächlich auf Planungen und Kalkulationen. Alles war immer haargenau durchorganisiert und berechnet. Im Privatleben wie auch in der Arbeit. Wobei man bei ihr nicht wirklich von einem Privatleben sprechen konnte. Unter näherer Betrachtung existierte es eigentlich gar nicht. Sie stand morgens auf und ging ins Waisenhaus und abends, blieb sie meist ebenfalls dort, auch wenn ihre Schicht bereits zu Ende war. Genauso wie am Wochenende.

Hin und wieder ging sie mit Bea zum Essen oder ins Kino. Der Unterschied zu Bea war nur, dass sie danach statt nach Hause lieber wieder zu ihren Kindern ging als alleine in ihre Wohnung.

Ihre letzte Beziehung war jetzt ungefähr drei Jahre her und hatte nicht besonders gut geendet. Sie hatte Brian an der Uni kennengelernt. Er studierte chemische und physikalische Technik in einem Doppelstudiengang und irgendwie hatte sie die Kombination aus persönlicher Zurückhaltung und geistiger Intelligenz ziemlich beeindruckt. Brian war anders gewesen, als die anderen Studenten. Statt auf nächtelange Partyorgien zu gehen, blieb Brian lieber zu Hause und konzentrierte sich auf seine Prüfungen. Da er zwei Studiengänge kombinierte, war das ohnehin sehr anstrengend. Ihm jedoch schien das irgendwie überhaupt nichts ausgemacht zu haben.

Sie hatte Brian sehr gemocht, hatte sogar gedacht, dass sie ihn liebte, doch als er die Chance erhielt mit einem renommierten Professor nach Amerika zu gehen um dort an irgend so einem angeblich wichtigem Projekt zu arbeiten, war er mehr oder weniger von heute auf morgen mit nichts weiter als einem Klebezettel an ihrer Tür, dass es ihm leid täte, aus ihrem Leben verschwunden.

Ja, im Grunde genommen, sträubte sie sich seither gegen jede Art von Beziehung. Mit Ausnahme natürlich von Bea, Gretchen und den Kindern. Das war ihre Familie, ihr wirkliches zu Hause. Nicht die 2-Zimmer-Wohnung in einem nichtssagenden Betonklotz mit nicht einmal einem Balkon.

War es also verwunderlich, dass sie oder besser gesagt ihr verräterischer Körper, auf einen durchaus attraktiven, charmanten Eishockeyspieler wie Max Christensen reagierte?

Noch bevor sie sich weiter darüber Gedanken machen konnte, ob sie dem Ganzen vielleicht doch eine Chance geben sollte, prallte sie gegen etwas sehr hartes, muskulöses. Überrascht sah sie auf und stand sich niemand geringem als dem Mann gegenüber, der ihr seit zwei Tagen nicht mehr aus dem Kopf ging.

Ihr erster Schock wich der Verwirrung. »Was machst du denn hier?«

»Das gleiche wollte ich auch gerade fragen.«

»Ich arbeite hier.«

»Das sehe ich. Die Frage ist eher warum?«

Warum? Emma kniff verwunderte die Augen zusammen. Da gab es durchaus mehrere Gründe. Allerdings wusste sie nicht, auf welchen genau er jetzt anspielte. Sie trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es mag dich vielleicht verwundern, aber manche Menschen müssen für ihr Geld tatsächlichen arbeiten.«

Seine Mundwinkel zuckten. Ob vor Belustigung oder Verärgerung konnte sie allerdings nicht feststellen. Irgendwie blickte er allgemein nicht so glücklich drein. »Das meinte ich nicht.« erwiderte er knapp. » Falls du dich daran erinnerst hast du dir ziemlich fest den Kopf angeschlagen. Du solltest eher im Bett liegen als zu arbeiten.«

Und er sollte neben ihr liegen. Emma zuckte erschrocken zusammen. Wo zur Hölle kam denn das jetzt her? Sie schüttelte den Kopf und straffte die Schultern. Das hier war definitiv nicht der richtige Ort für solche irrsinnigen Wunschvorstellungen. »Um bei der Wahrheit zu bleiben hast du mir den Kopf gestoßen.« erwiderte sie daher spitz. »Und im Übrigen wüsste ich immer noch nicht was dich das angeht.«

»Okay.« Er hob beschwichtigend die Hände. »Du hast Recht. Aber mit einer Kopfverletzung ist nun mal nicht zu spaßen. Außerdem, und das ist einer der Gründe warum ich hier bin, haben wir ein Date.«

»Ein....« Emma-Sophie runzelte die Stirn. »Das war doch nicht wirklich ernst gemeint. Und selbst wenn, wäre das erst um 19:00 Uhr.«

Er lächelte und Emma spürte wie ihre Knie leicht nachgaben. »Schätzchen das war mein voller Ernst. Und was die Zeit angeht, nun, es ist bereits kurz nach 19:00 Uhr.«

Irritiert warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Das konnte doch nicht.....Verdammt. Wann war die Zeit so schnell verflogen?

»Also ich würde vorschlagen, du holst deine Tasche und wir gehen.«

»Was ist wenn ich noch arbeiten muss? Und woher weißt du überhaupt dass ich hier arbeite?« Emma stemmte die Hände in die Hüfte und funkelte Max an. Dieser lächelte jedoch nur weiter. »Ich habe da so meine Kontakte. Und deine Schicht ist bereits seit 17:00 Uhr zu Ende. Willst du noch länger warten? Kein Problem. Ich kann hier gern noch weiter mit dir darüber diskutieren. Wir könnten zum Beispiel damit weitermachen, wohin wir gehen.« Er trat einen Schritt vor um die Distanz zwischen ihnen wieder zu verringern. Noch immer wandte er seinen Blick nicht ab. Emma schluckte. Wenn sie jedoch weiter zurückgehen würde, käme ihr der Türrahmen in die Quere. Stattdessen machte Max noch einen weiteren Schritt zu ihr. »Nun?«

Da sie keinen anderen Ausweg sah und ehrlicherweise zugeben musste, dass sie den Abend trotz allem gern mit ihm verbringen würde, gab sie sich geschlagen. »In Ordnung. Du hast gewonnen. Wir gehen zu Paolos.« Denn das war eines der teuersten Restaurants in der Stadt die ihr gerade einfielen und ein bekannter Eishockeyspieler wie er konnte sich das sicher leisten.

Im Restaurant war es verhältnismäßig ruhig. Aber das wunderte Emma nicht. Schließlich war Paolos dafür bekannt, dass es dort eher gehoben zuging, was bedeutete, dass man ohnehin nicht viel Herzlichkeit mitbekam. Das Essen mochte fabelhaft sein, aber unter normalen Umständen zog Emma-Sophie doch Häuser mit mehr Charakter vor.

Nun, dieses eine Mal machte sie eben eine Ausnahme. Einmal wollte auch sie sich wie jemand fühlen, der nicht ständig darauf achten musste, was und wie viel er ausgab. Heute würde sie das Essen mehr denn je genießen. Hoffte sie zumindest. Denn es war ja nicht so, als könnte sie vergessen, mit wem sie an diesem kleinen Zweiertisch saß, der sich in einer leicht versteckten Nische hinter dem Tresen befand.

Sie nippte an ihrem Wein und beobachtete Max, der noch immer in seine Speisekarte vertieft zu sein schien. Er sah gut aus. Stark, selbstsicher und auf diese spezielle Art sexy.

Dann klappte er die Karte zu und legte sie vor sich auf den Tisch. »Hast Du schon gewählt?«

Emma-Sophie nickte. »Ich nehme den Zander.« Der klang nicht nur lecker, sondern war auch eines der teuersten Gerichte hier. Das sollte sie immerhin ausnutzen.

»Gute Wahl. Der schmeckt hier ausgezeichnet. Paolo ist ein wahrer Meister wenn es um seinen Fisch geht.«

»Gut zu wissen.«

Max lächelte sie an. »Also, was machst du in deiner Freizeit wenn du nicht gerade von einem Eishockeyidioten sitzen gelassen wirst?«

»Nicht viel.« Emma lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und zuckte mit den Achseln. »Ich arbeite die meiste Zeit. Das Kinderheim hat zu wenig Personal und zu viele Kinder. Hin und wieder gehe ich mit meiner Freundin Bea ins Kino oder zum Essen, aber das war´s eigentlich auch schon.«

»Wieso stellt ihr dann nicht mehr Personal ein?« fragte Max.

»Das ist aus mehreren Gründen nicht so einfach.« Emma beugte sich wieder nach vorne und stützte die Hände auf den Tisch. »Zum einen gibt es kaum noch Jemand der diesen Beruf ausüben möchte, zum anderen liegt es auch am finanziellen.« Sie hielt kurz inne. Ihre Stimme klang gedämpft als sie weitersprach. »Dem Heim geht es sehr schlecht. Wir müssten dringend einige Renovierungsarbeiten durchführen, aber es ist kein Geld da um das zu tun. Und wenn das Haus nicht in weniger als zwei Monaten saniert wird, müssen die Kinder woanders untergebracht werden und es wird geschlossen.«

Es auszusprechen machte die ganze Sache irgendwie noch schlimmer. Realer. Sie merkte wie die Traurigkeit sie übermannte, aber sie wollte vor Max nicht zusammenbrechen. Es war nicht sein Problem. Sondern ihres. Sie schüttelte den Kopf und zwang sich wieder zu lächeln. »Wir sollten über etwas anderes reden.« schlug sie daher vor. »Etwas das interessanter ist als ein marodes Kinderheim. Wie ist es so ein berühmter Eishockeyspieler zu sein?«

Max ignorierte die Frage und legte seine Hand auf Emmas. »Es tut mir leid.« sagte er stattdessen und sah ihr direkt in die Augen. Er wirkte ehrlich bedrückt was Emma ihm hoch anrechnete. »Das muss es nicht. Wir werden schon eine Lösung finden.« Zumindest konnte sie sich das immer wieder einreden.

»Habt ihr es schon mit Spenden versucht? Ich meine, hey, wenn nicht ein Kinderheim gerettet werden muss was dann?«

»Wir sind größtenteils spendenfinanziert. Das meiste fließt aus ein paar Firmen im Umkreis. Sie liefern uns Getränke und Essen. Lassen uns Spielzeuge zukommen. Solche Sachen. Der Rest trägt die Stadt. Wasser, Strom und was sonst so benötigt wird. Wir haben ein Spendenkonto eröffnet und in der Zeitung dafür geworben, aber es hat nicht viel gebracht.«

»Wie wäre es mit einer Charityveranstaltung?«

Bevor Emma-Sophie darauf antworten konnte kam ein Kellner und nahm ihre Bestellungen auf. Emma blieb bei ihrem Zander und Max nahm ein Rinderfilet. »Bringen Sie uns dazu bitte diesmal ein Glas Chardonnay.« fügte er hinzu, bevor der Kellner wieder verschwand.

Emma runzelte die Stirn. »Was wenn ich keinen Chardonnay trinke?«

»Trinkst du nicht?«

»Doch, aber..«

»Gut. Dann ist ja alles in Ordnung.« Max schob sein leeres Weinglas beiseite und legte die Serviette vor sich hin. »Zurück zum Thema.« fuhr er dann fort. »Charityveranstaltungen sind sehr beliebt. Die Leute lieben es gesehen zu werden und für einen guten Zweck zu spenden.«

»Vielleicht. »gab Emma zu. »Aber ich bezweifle, dass sie sich für uns interessieren. Wir bräuchten Presse und wirklich wichtige Leute. Und das in weniger als sechs Wochen.«

»Was wenn ihr z. B. eine Art Tombola veranstaltet? Ihr könntet ein Treffen mit ein paar meiner Jungs anbieten oder andere gute Preise die von den lokalen Firmen gespendet werden.«

Emma-Sophie sah ihn mit großen Augen an. »Du glaubst sie würden da mitmachen?«

Max grinste. »Ich bin der Kapitän, schon vergessen?« Dann wurde er wieder ernst. »Wir stecken im Augenblick mitten im Kampf um die Play-Off-Saison. Das ist ziemlich hart. Es gibt kaum einen freien Tag. Und während den Play-Offs wird es noch schlimmer. In etwa vier Wochen ist das letzte Finalspiel. Wenn ihr die Veranstaltung auf das Wochenende danach legen könnt, werde ich mit meinen Jungs sprechen.«

Es wäre verdammt knapp, aber es klang zu verlockend. Außerdem war es der erste wirkliche Hoffnungsschimmer seit langem. »Warum?«

Max sah Emma irritiert an. »Warum was?«

»Warum würdest du das tun? Du kennst weder die Kinder noch mich. Du hast selbst gesagt ihr habt eine stressige Zeit vor euch. Also wieso willst du uns helfen?«

»Was das mit den Kindern angeht hast du recht. Ich kenne sie nicht. Aber das ist auch nicht wichtig. Ich weiß wie sie sich fühlen und wie es ist ohne Eltern aufzuwachsen. Und was die Sache mit dir angeht, nun, das versuche ich gerade zu ändern.«

Emma-Sophie war sich nicht sicher, ob nun eher sie Max oder er sie anstarrte. Vermutlich spielte es auch keine Rolle. Es war der Moment der zählte. Dieser eine kleine Augenblick der sie vollkommen in ihren Bann zog. Es fühlte sich an, als gäbe es plötzlich nur noch sie beide. Es war egal, dass sich um sie herum mehrere Leute sowie das Personal befanden und im Hintergrund irgendeine Musik lief. Irgendwo ging eine Tür auf, sie spürte den leichten Wind an ihrer Haut, dann fiel sie wieder ins Schloss. Max rührte sich nicht, sondern ließ sie weiterhin nicht aus den Augen. Dann trat der Kellner an den Tisch, servierte ihren Zander und das Rinderfilet und der Moment war verflogen.

Kurz darauf kam ihr Weißwein und sie blinzelte ein paar Mal um wieder klar denken zu können.

Sie versuchte sich an Max letzte Worte zu erinnern. Das was er über die Kinder gesagt hatte, nicht über sie. »Was meinst du damit? Du weißt wie sie sich fühlen? Sind deine Eltern...« Sie suchte das passende Wort. Tot klang so furchtbar. »...nicht mehr da?«

Max schnitt sich ein Stück von seinem Fleisch ab. »Doch. Sie leben nicht weit weg von hier. Aber es gab eine Zeit in meiner Vergangenheit da waren sie ziemlich lange fort.«

»Wie alt warst du da?«

»Acht.«

»Und wie lang ist ziemlich lang genau?«

»Etwa drei Jahre.«

Emma nahm einen Bissen ihres Fischs. Er schmeckte tatsächlich köstlich. »Wie können Eltern einfach für drei Jahre verschwinden und dann wieder auftauchen?«

»Das ist eine lange Geschichte,« wiegelte er ab. Seine Vergangenheit war ein Teil von ihm. Das Leben in einem Zeugenschutzprogramm. Der Zeitpunkt in dem seine Eltern verschwunden waren und er geglaubt hatte, sie seien tot. Aber auch wenn er das mittlerweile hinter sich gelassen hatte, sprach er mit niemanden darüber. »Es ist auch nicht wichtig. Ich weiß dadurch nur wie man sich als elternloses Kind fühlt.«

»Wer hat sich in diesen Jahren um dich gekümmert?«

»Meine Schwester Hannah. Sie war damals schon volljährig.« Bei dem Gedanken an seine Schwester musste er lächeln. »Sie war toll.«

Emma-Sophie lächelte zurück. »Ich stellte es mir schön vor Geschwister zu haben.«

»Hast du keine?« fragte Max und tupfte mit seiner Serviette einen Soßenfleck vom Tisch, während er Emma weiterhin beobachtete.

»Nein. Ich bin auch Waise. Meine Mutter starb als ich vier Jahre alt war. Meinen Vater kenne ich nicht. Was bedeutet, dass ich vielleicht sogar irgendwo einen Bruder oder eine Schwester habe.« Sie zuckte mit den Achseln. »Nur weiß ich dann eben nichts davon.«

»Darum ist dir dieses Kinderheim auch so wichtig, oder?«

»Ja. Es war und ist mein zu Hause. Ich bin dort aufgewachsen. Natürlich ist es nur ein Gebäude, aber es ist ebenso meine Kindheit. Ich habe gerne dort gelebt. Es war nicht schlecht. Auch wenn ich natürlich noch lieber Eltern gehabt hätte.«

Max versuchte nicht auf Emmas Körper zu starren, der sich verdammt sexy und ganz sicher vollkommen unabsichtlich etwas weit nach vorne beugte, sodass er direkt auf ihre perfekt geformten Brüste sehen konnte. »Wir werden es retten.«

»Das kannst du nicht wissen.«

»Doch.« Denn wenn alle Stricke rissen, könnte er das Geld selbst spenden. Er wusste nicht wie viel sie benötigten, aber er verdiente mehr als genug. »Max?«

»Ja?«

»Ich bin froh, dass du mir die Tür an den Kopf geknallt hast.«

Die nächste Tage verbrachte Emma-Sophie damit, beinahe alles und jeden anzulächeln. Der Abend mit Max war super gewesen. Sie hatte geglaubt er wäre so ein eingebildeter Idiot, der nur an sich selbst dachte, aber das Gegenteil war eingetreten. Auch wenn er manchmal vielleicht etwas zu sehr den Macho heraushängen ließ, war er doch durch und durch ein anständiger Kerl. Und die Idee mit der Charityveranstaltung war wirklich grandios gewesen. Seit langem verspürte sie einen ersten Hoffnungsschimmer für ihr Kinderheim.

»Emma, Emma, Emma!« Sie hörte die aufgeregten Schreie der kleinen Maja und noch bevor sie sich umdrehen konnte hing das Mädchen auch schon an ihrem Bein. »Was ist denn los meine Süße?« Sie nahm sie auf den Arm und setzte sie dann auf einen Stuhl. »Ist was passiert?«

»Schwester Gretchen hat uns gerade erzählt, dass sich jemand für uns interessiert!« rief die Kleine eifrig und strahlte Emma-Sophie an. Uns, das war Maja und ihr Zwillingsbruder Joshua.

»Das ist ja toll.« Emma streichelte Maja sanft durchs Haar, dann gab sie ihr einen Kuss auf die Stirn. »Wann wollten sie den kommen? Hat Schwester Gretchen das auch gesagt?«

»Hmh. Morgen glaub ich.« Maja sprang wieder vom Stuhl, nahm Emmas Hand und hüpfte aufgeregt hin und her. »Vielleicht werden wir bald wieder Eltern haben!«

»Ja.« Emma ignorierte den eigenen Schmerz, der sie bei diesen Worten durchfuhr. Er war egoistisch und gehörte nicht hier her. Maja und Joshua verdienten es in einem geregelten zu Hause aufzuwachsen bei Menschen die sie liebten. Es war nur so, dass Emma die beiden selbst so sehr ins Herz geschlossen hatte. Die Zwillinge waren kaum älter als ein Jahr gewesen als sie zu ihnen gekommen waren. Fast zeitgleich als Emma dort zu arbeiten angefangen hatte. Natürlich mochte sie alle ihre Schützlinge, aber Maja und Josh standen ihr einfach besonders nahe.

»Weiß es dein Bruder schon?« fragte Emma und verdrängte die Gedanken daran, dass die beiden möglichweise bald nicht mehr da sein konnten. Die Kleine schüttelte den Kopf. »Ich wollte es zuerst dir sagen.«

»Das ist lieb, aber ich denke jetzt ist dein Bruder dran. Er freut sich bestimmt genauso sehr wie du.«

»Ja. Ich geh ihn suchen!« freudig tänzelnd verließ Maja den Raum und Emma-Sophie blieb alleine zurück. Ihre eben noch so gute Laune war verflogen.

»Was ist dir denn auf einmal über die Leber gelaufen?« fragte Bea die gerade durch die Tür kam. »Ich dachte schon, dein Grinsen wäre irgendwie festgewachsen oder so.«

»Sehr witzig.« Emma ließ sich auf den Stuhl fallen, in dem gerade noch Maja gesessen hatte. »Maja und Josh werden vielleicht adoptiert.«

Bea runzelte die Stirn. »Und das ist schlecht?«

»Nein. Nein natürlich nicht. Ich dachte nur....«

»Du dachtest du könntest irgendwann diejenige sein die das tut.« beendete Bea den Satz.

Emma-Sophie nickte. Bea kniete sich seufzend vor sie und nahm ihr Hände. »Schätzchen, ich weiß du liebst die beiden. Aber du weißt, dass die Behörden sie dir mit deinem Gehalt und als alleinstehende Frau nie gegeben hätten.«

»Ja.«

Bea drückte ihre Hände. »Vielleicht sind sie ja nicht die Richtigen.«

»Vielleicht.« Die Frage war nur, was das für einen Menschen aus ihr machte, dass sie sich genau das wünschte.

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