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Und sag nicht, dass die Sonne scheint

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Schon immer hielt der Vater penibel auf Ordnung, und zwar grundsätzlich. Die Hemden durften keine Bügelfalte haben. Welch ein Segen wäre damals für die Mutter die Erfindung bügelleichter Baumwollhemden gewesen! Bügelfreie Nylonhemden lehnte der Vater strikt ab. Kunstfasern in welcher Form auch immer kamen ihm nicht an den Leib. Die Unterwäsche wurde gebügelt, damit sie schön flach und ordentlich gestapelt werden konnte. Da war er pingelig. So kannte er das noch von seiner Mutter. Der Vater war der Ernährer und Beschützer der Familie und damit reichlich ausgelastet. Für den Haushalt mit allem Drum und Dran war die Frau zuständig, ausschließlich – mit einer Ausnahme. Schuhe putzte der Vater selbst. Das machte ihm keiner, wirklich keiner gut genug. Dafür hielten die Schuhe auch Jahrzehnte.

Der Vater besitzt viele Schuhe, nur gute Lederschuhe, die einer entsprechenden Pflege bedürfen. In Reih und Glied aufgestellt werden sie wöchentlich zwei Mal geputzt, bis sie glänzen. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die, nach entsprechender Anleitung und nur im Ausnahmefall, auch eine der Töchter übernehmen durfte. Allerdings riss sich keine um diese Arbeit, da sie zeitraubend und anstrengend war, vor allem das glänzend Bürsten der Schuhe. Andererseits war es doch immer ein Moment der Befriedigung, wenn die gewienerten Schuhe blitzten und der Vater lobte.

Auch wenn der Vater während seiner Berufstätigkeit wenig Zeit zum Handwerken hatte, besaß er doch einen gut bestückten Werkzeugkeller. Übersichtlich reihten sich die Schraubenschlüssel und Schraubenzieher, an Haken hängend, der Größe nach geordnet, an der Wand. Unterschiedliche Hammer, Feilen, Kneifzangen und sonstiges Werkzeug lagen griffbereit in verschiedenen Schubladen.

Ärger gab es, wenn man sich etwas ausgeliehen hatte, ohne es an seinen angestammten Platz zurückzulegen. Da kam, neben der persönlichen Veranlagung zur Genauigkeit, wohl auch die berufliche Prägung zum Tragen. Als Chirurg musste er größte Sorgfalt an den Tag legen, alles hatte seinen Platz. Nun, im Alter, kommt ihm diese Systematik zugute. Stets weiß der Vater, wo er seinen Haustürschlüssel hingelegt hat. Jeder kennt das: Man hats eilig, ist spät dran, aber wo ist der Autoschlüssel, wo hab ich meine Brille hingelegt? Man sucht, findet in der Hektik weder das eine noch das andere. Solche Kalamitäten passieren dem Vater nicht. Alle alltagswichtigen Dinge liegen ordentlich sortiert an ihrem angestammten Platz in Reich- und Griffweite, Lesebrille, Fernbrille, Hörgerätknopfzellen im Etui, Fernbedienung zur Einstellung der Lautstärke, Stift und Zettel für Notizen, Terminkalender, Haustürschlüssel immer in der rechten Hosentasche, Telefon in der linken. So kompensiert er sich häufende kleine Vergesslichkeiten mit viel Disziplin.

Manchmal nimmt die Ordnungsliebe allerdings kuriose Züge an, etwa, wenn der Vater beim Abräumen des Mittagstisches kontrolliert, ob auch alles da ist, wo er es haben möchte: Sind die Teller nach seinen Vorstellungen in die Spülmaschine eingeräumt? Werden die Essensreste in die richtigen Behälter umgefüllt und im Kühlschrank in das richtige Fach gestellt? Auf keinen Fall darf ein Trockentuch, das er für das Abtrocknen von Gläsern vorgesehen hat, für den normalen Abwasch benutzt werden. Ganz wichtig auch: Wie gefaltet muss das Trockentuch hängen?

Man könnte dieses Beharren auf einer Ordnung, die auch eine andere sein könnte, lächerlich finden. Aber sie ist für ihn im Alter das Gerüst, das seinen Alltag zusammenhält.

Noch.


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