Читать книгу Und sag nicht, dass die Sonne scheint - Cornelia Ertmer - Страница 5

Glatteis

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Die Erinnerung an einen richtigen Winter mit Schnee, viel Schnee und Frost, zugefrorenen Pfützen, Glatteis auf den Straßen und Gehwegen, Schlittschuh laufen auf dem zugefrorenen Teich, ist schon in weite Ferne gerückt. Nach Jahren, in denen von den Enkelkindern jede noch so vereinzelte und unscheinbare Schneeflocke sofort bejubelt wurde, gibt es ihn dann völlig unerwartet doch wieder: den Winter mit Kälte, Schnee und Glatteis. Strahlender Sonnenschein tagsüber überflutet die Landschaft mit gleißender Helligkeit. Selbst die grauen Städte entfalten mit ihren weiß gepuderten Dächern und Bäumen einen neuen Glanz, der sich auch in den Augen der Menschen widerspiegelt. Gegen Kälte kann man sich anziehen, gegen Dunkelheit nicht. Schön, freut sich der Vater. So habe ich den Winter noch aus meiner Kindheit in Erinnerung und beginnt gleich zu schwelgen, von den Schneeballschlachten mit den Dorfkindern, von den Schlittenfahrten und von den ersten eigenen, selbst zusammengebauten Skiern, mit denen er in seiner Jugend die sauerländischen Hänge unsicher machte und wohl auch ein wenig vor den Dorfschönheiten angab.

Bei aller Freude über die zugefrorenen Teiche und Seen, über die sich mit den wieder fahrbereit gemachten Schlittschuhen gleiten lässt, bei aller Begeisterung über den meterhohen Schnee, aus dem die Kinder mühelos die schönsten und größten Schneemänner bauen können, gibt es doch auch Schattenseiten. Wie leicht kann man auf schlecht geräumten Straßen und Wegen als Fußgänger auf vereisten Flächen ausrutschen, in gefrorenen Spurrinnen umknicken und sich die Haxen brechen. Das Autofahren entpuppt sich als halsbrecherisches, alle Sinne forderndes Abenteuer.

Der Vater liebt den Winter. Er habe keine Probleme mit Schnee und Eis, so versichert er zumindest der besorgt anrufenden Tochter. Fröhlich teilt er ihr mit, dass er gerade von einem langen Spaziergang in der wundervollen Winterlandschaft zurückgekommen sei. Und? Es war doch glatt! Das war doch gefährlich? Na ja, das schon, aber er sehe sich ja vor. Und das bisschen Fallen mache ihm gar nichts. Das habe er eben noch feststellen können. Es habe nicht einmal ernsthafte blaue Flecken von dem Sturz davongetragen. Die Tochter wird hellhörig. Ah ja, du bist also gefallen? Aber es ist doch nichts passiert, beschwichtigt der Vater. Schließlich sei er nicht senil und noch Herr seiner Sinne. Hört die Tochter da einen triumphierenden Unterton?

Nach diesem Gespräch beunruhigt, ruft die Tochter die Haushälterin des Vaters an. Irgendwie musste es doch möglich sein, ihn von seinen Spaziergängen ohne Begleitung abzubringen. Man einigt sich darauf, dass die Haushälterin ihn, solange es glatt auf den Wegen ist, begleitet. Da der Tochter die Dickköpfigkeit des Vaters hinreichend bekannt ist, rechnet sie mit erheblichem Widerstand des Vaters. Doch sie täuscht sich. In den nächsten Tagen lässt der Vater sich ohne Protest auf seinen Spaziergängen begleiten. Ein wenig wundert sich die Tochter doch darüber und fragt schließlich nach, wie er denn zurecht komme mit dem Glatteis. Prima, alles gut. Nur seine Haushälterin. Die brauche seine Hilfe. Deshalb begleite er sie jetzt immer. Gestern erst habe er sie vor einem Sturz bewahren müssen. Die Tochter ruft die Haushälterin an und bedankt sich bei ihr. Manchmal hilft auch eine kleine List. Man muss nur drauf kommen.

Und sag nicht, dass die Sonne scheint

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