Читать книгу Und sag nicht, dass die Sonne scheint - Cornelia Ertmer - Страница 4

Jagdfieber

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Schon immer war der Vater ein leidenschaftlicher Jäger –obwohl er seinen Jagdschein erst mit über 60 Jahren machte. Aber er sprach immer davon, dass er nach seiner Pensionierung noch einen Jagdschein machen wolle. Er kannte die Vogelstimmen im Wald, konnte Spuren lesen und die Losung der Waldtiere deuten. Die Kinder fanden es oft richtig spannend, wenn sie mit ihm auf Pirsch waren.

Pssst! Leise! Schaut mal, ein Reh mit Kitz. Die Mutter weiß genau, dass jetzt Schonzeit ist und nicht gejagt wird. Sonst würde sie sich nicht so weit heraustrauen. Und da, die Wildschweinsuhle! Die Jäger haben die Schwarzröcke zu gut angefüttert, deshalb gibt es jetzt so viel Nachwuchs. Aber süß waren die gestreiften Frischlinge doch. Was scherte es die Kinder, dass die Bauern über die Zerstörung ihrer Äcker durch die Wildschweine schimpften? Auch Marder, Dachs und Eichhörnchen waren lustige Gesellen. Am liebsten war der Tochter jedoch der in der Dämmerung am Waldrand entlang schnürende Fuchs, weil er so hübsch aussah mit seiner buschigen Rute und seinem verschmitzten Gesicht. Ein ausgestopftes Exemplar steht seit vielen Jahren im Hausflur der Eltern. An ihrer Begeisterung für den Fuchs hatte auch die Hasenschule, die man ihr als Kind schenkte, nichts ändern können: Huhuhu, da ist der Fuchs. Augen leuchten wie beim Luchs ... fällt ihr jedes Mal der Vers ein, wenn sie das Elternhaus betritt.

Wer jagt, braucht Geduld. Und warten hatte der Vater gelernt – solange es um seine Jagdleidenschaft ging. Sonst war Geduld nicht gerade seine Stärke. Sobald er seinen Jagdschein als Ältester in der Gruppe mit Bravour bestanden hatte, gab es kein Halten mehr. Täglich morgens vor Sonnenaufgang war der Vater im Wald, auf dem Hochsitz, sah der Sonne beim Aufgehen zu, beobachtete das Erwachen der Tiere, lauschte den vielfältigen Geräuschen und erfreute sich am Anblick des Rehwildes.

Jäger müssen sich an Regeln halten. Einfach so durch den Wald spazieren ist nicht erlaubt. Man könnte ja die Kinderstube eines Rehs stören oder junge Schößlinge zertrampeln. Deshalb gibt es bestimmte Pfade, die die Jäger benutzen und die sie frei halten. Kam also der Vater zum Frühstück, das die Mutter pünktlich wie immer zu 8.00 Uhr vorbereitete, antwortete er auf die Frage, was er gemacht habe, mit schöner Regelmäßigkeit: Geguckt und den Wald gefegt, d.h., die Trampelpfade der Jäger gesäubert.

Während das Erlegen eines Rehbocks – welche Tiere frei gegeben werden, wird vorher genau festgelegt. –Knopfböcke müssen weg. Die sollen sich nicht vermehren, hört man dann zum Beispiel – eine einsame Angelegenheit ist, ist die Treibjagd im Herbst für die Jäger ein gesellschaftliches Ereignis. Bis zu 20 Jäger werden eingeladen, zu Beginn wird das Halali geblasen und dann geht es los. Mit Rufen und Geschrei „Has up“ werden die sich in die Ackerfurchen duckenden Hasen aufgescheucht und vor die Flinte der Anstehjäger getrieben. „Alte Hasen“ lassen sich aber von dem Lärm nicht beeindrucken. Sie kennen sich aus und machen sich in der Sasse nahezu unsichtbar. So und durch Fehlschüsse der Sonntagsjäger überlebt manch ein Hase die Treibjagd.

Dennoch gibt es am Ende des Tages meist eine ordentliche Strecke mit zahlreichen erlegten Hasen zu verblasen. Dass gerade bei Treibjagden immer wieder auch ein Unglück passiert, ein Treiber angeschossen wird, trotz der Signalwesten, Unbeteiligte von Querschlägern getroffen werden, davon erfährt man regelmäßig im Herbst durch die Zeitungen.

So liest die Tochter an einem trüben Dezembermorgen die Schlagzeile im Lokalteil Postbote von Jäger angeschossen. Sofort fällt ihr der 89jährige Vater ein. Beim Weiterlesen ist dann allerdings von einem 78jährigen die Rede. Zum Glück. Mit der Frage, die in dem Artikel gestellt wurde, bis zu welchem Alter man denn jagen dürfe, ohne eine Gefahr für die Mitmenschen zu werden, konfrontiert sie beim nächsten Besuch den Vater. Der schaut sie nur vorwurfsvoll an und meint, ihm werde so etwas nicht passieren. Schließlich passe er immer auf. Und im Übrigen habe er erst im letzten Winter seinen Jagdschein verlängert, allerdings nur für ein Jahr, obwohl die Dame auf dem Amt ihm angeboten habe, den Schein gleich für drei Jahre zu verlängern. Das komme billiger. Das sei ihm aber dann doch zu riskant gewesen. Man könne schließlich nicht wissen, ob er nächstes Jahr noch fitt genug sei für die Jagd.

Und sag nicht, dass die Sonne scheint

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