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Das Fenster des Grauens (und was sonst noch geschah)

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Ich könnte nun sagen: „Hey Leute, ich bin total cool und hip, lebe in Chelsea und habe jetzt sogar einen personal assistant, der mir das Fenster schließt.” Das würde jedoch die Wahrheit ein bisschen überstrapazieren. Edwin arbeitet zwar auch als personal assistant, aber leider nicht als meiner, sondern ist als Zweitjob hier für das Haus zuständig. Doch das Fenster – eingangs schrieb ich ja, dass es sich nur mit viel Glück und Kraft öffnen und schließen lässt. Nun, die Sache ist die: Mein gesamtes Glück scheine ich immer schon beim Öffnen verbraucht zu haben, Kraft hatte ich noch nie – also musste ich die erste Nacht in New York mit halb geöffnetem Fenster verbringen. Es zog wie Hechtsuppe. In den frühen Morgenstunden begann ich dann, mit einem Handtuch den offenen Fensterschlitz abzudichten. Es handelt sich nämlich um eines dieser typischen Fenster, die man hochschieben (und bestenfalls eben auch wieder runterschieben) muss. Zusätzlich habe ich das Fenster noch mit meinem Koffer verbarrikadiert. Schon besser. Not macht eben erfinderisch. Gleichzeitig habe ich eine E-Mail an Edwin abgesetzt. Und siehe da, als ich von meinem morgendlichen Spaziergang zurückkehrte, hatte der gute Mann es geschafft mein Fenster zu schließen. Ja, es gehe ein bisschen schwer (bisschen?!), das zweite Fenster gehe aber noch schwerer (na toll…) und ich solle einfach kräftig drücken (ja, was glaubt der, was ich gemacht habe? Ich stand auf dem Fenstersims und habe mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen gestemmt! Hat das Fenster nur leider nicht beeindruckt) und wenn es nicht ginge, solle ich ihm einfach eine E-Mail schreiben, dass er mir das Fenster schließen soll. Sie hätten auch schon Leute beauftragt, sich die Fenster im ganzen Haus anzuschauen, aber das dauere leider. Na prima. Übrigens: Während ich das hier schreibe, neigt sich die zweite Nacht dem Ende zu (Jetlag!). Neben mir auf dem Fenstersims: Handtuch und Kofferbarrikaden…

Aber hey, schließlich berappe ich hier nicht Unsummen dafür, dass ich ein Dach über dem Kopf habe und sich Fenster ordentlich öffnen und schließen lassen, sondern dafür, wo ich mein Dach über dem Kopf habe. Deshalb schnappe ich mir nach der ersten Nacht in New York mein Frühstück (die Banane aus dem Trader Joe‘s) und spaziere wieder Richtung High Line Park. Es ist noch recht früh am Morgen, die Sonne lacht vom Himmel (kühl ist es aber trotzdem noch), die Luft ist frisch. Ja, ist sie wirklich! Auch wenn ich hier in einer Metropole lebe. Aber sie liegt am Meer, meine Straße ist wie eine Allee von Bäumen gesäumt und überall gibt es kleine oder größere Parks mit Bäumen, die die Luft ebenfalls reinigen. Wenn man also nicht gerade an einer der vielbefahrenen Avenues steht oder neben einem food cart, bei dem mal wieder die chicken und lamb kebabs angebrannt sind, hat man hier durchaus tolle Luft!

Auf meinem Weg zur High Line lasse ich mich per MP3-Player musikalisch von Billy Joel begleiten: I’m in a New York State of Mind. Bei der High Line angekommen, freue ich mich: Wie erhofft, tummeln sich um diese Uhrzeit erst wenige Menschen hier und ich kann mich auf eine Bank setzen, die Morgensonne genießen und auf das Empire State Building schauen, während Alicia Keys in meinen Ohren den Empire State of Mind besingt. Dieser Moment ist kitschig. Er kommt mir unecht vor und ist trotzdem wunderschön.

Da sitze ich, lasse meine Gedanken schweifen und beobachte die bewundernswert sportlichen Wesen, die an mir vorbei joggen. Überhaupt, joggen: Ich persönlich kann dieser Art der Freizeitgestaltung rein gar nichts abgewinnen und jedes Mal, wenn ich daheim in Deutschland die Jogger das Flussufer entlang hecheln sehe, denke ich bei mir: „So wie ihr ausseht, könnt ihr das auch nicht.” Immer dieser gequälte Gesichtsausdruck, nee nee. Aber hier in New York? Wie die Gazellen laufen sie federleicht an mir vorbei, lächeln oder schauen wenigstens halbwegs zufrieden in die Welt und wirken generell einfach sehr cool, sehr stylisch, sehr New York eben.

Doch nach einiger Zeit raffe ich mich auf, es gibt Dinge zu erledigen, ich bin ja nicht zum Spaß hier (okay, doch, ein kleines bisschen…). Wie man erahnen kann, ist meine „Hütte” nur äußerst spartanisch eingerichtet und so einiges will besorgt werden: Wasserkocher, Schere, Haartrockner, Messer, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Außerdem fehlte es mir ja immer noch an Duschgel (lang reichen die Probepäckchen aus der Heimat nicht mehr), Shampoo und dergleichen, da ich mich ja geweigert hatte, sieben Dollar für sowas hinzublättern. Die mögliche Lösung meiner Probleme lautet: Jack’s 99 Cent Store. Ich kannte den Laden vom Namen her schon länger, hatte daheim noch ein bisschen recherchiert und gelesen, dass man dort so ziemlich alles und jedes bekommt zu super günstigen Preisen. Das einzige Problem ist, man kann nie vorhersagen, was es gibt, da sich das Angebot stetig ändert.

Und dann stehe ich da, in einer Art Rudis Resterampe im XXL-Format. Korb geschnappt und losgeshoppt. Giovanni Rana Tortellini für 1,79 Dollar! Schnäppchen! Gekauft! Ziegenfrischkäse mit Kräutern für 1,29 Dollar! Rein damit! Und da – jawooohl, es geht doch! – Marken-Shampoo für vier Dollar. Schwupps, schwupps, schwupps füllt sich der Korb. Auch ein Päckchen Manner-Waffeln kommt noch mit, dazu Föhn, Toaster, Wasserkocher, Messer und und und. Ich schleppe den überbordenden Korb zur Kasse und Bingo – die Kreditkarte streikt. Alptraum. Da stehe ich nun, leicht errötend. Toaster, Wasserkocher und USB-Lade-Port müssen da bleiben und ich kratze das letzte Bargeld zusammen, um wenigstens den Rest mitnehmen zu können.

Ich verlasse den Laden, der Puls beschleunigt, Schweißausbruch. Haben die mir etwa meine Kreditkarte gesperrt? Ich hatte am Morgen versucht, online eine amerikanische SIM-Karte zu ordern, bei der auch bei mehreren Versuchen die Karte abgelehnt wurde. Möglich wäre es also. Ich fahre heim. Mir rinnt der Schweiß. Bitte keine gesperrte Kreditkarte. Ich versuche mich damit zu beruhigen, dass ich das doch schon öfters hatte, dass die Karte nicht funktioniert hat und später ging es wieder problemlos. Daheim angekommen, werfe ich sofort einen Blick ins Online-Banking. Kein Hinweis, dass mit der Karte etwas nicht stimmen könnte. Nochmal Glück gehabt. Zwar streikt die Karte an diesem Tag noch ein weiteres Mal (im Garden of Eden – ein Supermarkt!! – Der Name ist Programm…), wird aber an anderer Stelle problemlos akzeptiert. Trotzdem sehne ich den Moment herbei, wenn ich mein amerikanisches Konto eröffnen kann und dann im Notfall an der Kasse noch eine amerikanische debit card zur Verfügung habe.

Ich mache mich frisch, ziehe etwas Leichteres an, schnappe mir das Netbook und ab zur High Line, den ersten (gestrigen) Eintrag verfassen. Und während ich eifrig tippe, mich über das kostenlose Highspeed-WLAN freue (den Google-Büros um die Ecke sei Dank!) und die Wärme genieße, merke ich gar nicht, wie die Zeit vergeht und wie sich die Sonne an meiner Haut zu schaffen macht. Habe ich mir doch tatsächlich einen super Sonnenbrand geholt wie ich ihn schon lange nicht mehr hatte.

Außerdem meldet sich der Hunger. Die High-Line-Essensstände haben an diesem Tag ausnahmsweise wegen eines Events geschlossen. Also muss eine Alternative her. Es gelüstet mich nach einem Burger von Shake Shack im Madison Square Park. Ich mache mich auf den Weg, zu Fuß, die 23. Straße entlang. Als ich an einer Bushaltestelle vorbeikomme und eine Traube von Menschen wartet, entschließe ich mich das Wagnis einzugehen: Ich benutze den Bus, der mich – laut Aushang – direkt zum Madison Square Park bringen soll. Das Komische: Die subway benutze ich seit meinem ersten Aufenthalt in New York ständig und habe mich in der ganzen Zeit vielleicht dreimal „verfahren”. Nur die Busse waren mir irgendwie immer suspekt. Also mutig eingestiegen und siehe da, ein paar Minuten später bin ich an der Haltestelle Broadway/Madison Square Park. Auf der einen Seite erstrahlt das Flatiron Building in seiner ganzen Schönheit, drehe ich mich um 180 Grad, reckt sich das Empire State Building in den blauen Septemberhimmel. Dazwischen der Madison Square Park. Ebenfalls einer meiner absoluten Lieblingsplätze in New York. Nicht nur, weil man zwischen diesen beiden berühmten und faszinierenden Gebäuden sitzt, sondern auch, weil es dort zwei meiner Lieblings-food-destinations gibt. Zum einen Eataly (Hammer Pizza! Hammer Pasta! Hammer gelato! Hammer dolce!), zum anderen Shake Shack, die kultige Burgerbude, bei der es immer eine mehr oder weniger lange Schlange gibt. Doch das Anstehen lohnt sich! Selbst ich, die sich als „Selektarierin” überwiegend fleischlos ernährt, und wenn dann nur ganz bestimmte Fleischgerichte isst, liebe den Shack Burger. Die Burger sind keine riesigen Monsterteile – jeder Royal TS beim Gasthaus zum goldenen M ist größer – aber sie sind einfach gut gemacht und man schmeckt Qualität. Diese Qualität zeichnet sich auch dadurch aus, dass bei Shake Shack nur frisch gewolftes Fleisch von Angus Rindern zum Einsatz kommt, die nicht mit Antibiotika oder Hormonen behandelt wurden – in Amerika ja leider keine Selbstverständlichkeit.

Da sitze ich dann also an einem der Tische auf der Flatiron Plaza (denn da scheinen noch die letzten Sonnenstrahlen), mampfe Burger und Pommes und tue das, was ich ebenfalls liebe und wofür der Madison Square Park ganz besonders, aber auch die davorliegende Plaza, toll geeignet sind: people watching. Auch in Deutschland sitze ich in Cafés gerne am Fenster, um die Menschen, die draußen vorbeilaufen zu beobachten (neeeeein, natürlich nicht um zu lästern…). Aber das ist Kindergarten im Vergleich zu dem, was man hier geboten bekommt. Manchmal kommt es mir vor, als wäre New York ein bisschen wie die Arche Noah: Von jeder Art Mensch gibt es hier mindestens zwei Exemplare.

Irgendwann geht die Sonne unter, es wird kalt. Ich schnappe mein Zeug und mache mich auf den Heimweg. Daheim angekommen, packe ich die Koffer aus und räume meine Sachen in die Schränke. Ich lebe ja jetzt hier.

New York City and Me

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