Читать книгу New York City and Me - Cornelia Gräf - Страница 9

Servus, Grüezi und Ni Hao

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Juhu, die erste Nacht mit halbwegs normalen Schlafenszeiten! Kann mich nicht erinnern, dass ich je so lange in New York gejetlagt war. Ist das das Alter? Ich wache am Samstagmorgen auf, entferne meine Koffer-Taschen-Konstruktion vom Fenstersims, ziehe das Rollo hoch und…bitte was ist das denn da am Himmel?! Wolken!!! – Was erlaube Petrus?! Mist, ausgerechnet heute beginnt das Wetter zu schwächeln. Heute, wo ich doch einen festen outdoor-Programmpunkt habe – und zwar, tadadadaaaa! – die Steubenparade!

Die Steubenparade ist, wie ich einigen Reiseführern und New-York-Veranstaltungsseiten vorher entnommen habe, die große alljährliche Parade der Deutschen bzw. Deutschstämmigen in New York. Mir schwant zwar Übles, aber wenn ich jetzt eh schon mal in New York bin, ein expat auf Zeit, dann kann ich mir das doch mal anschauen.

Mit der subway geht es hinauf in die Upper East Side, die Parade verläuft nämlich entlang der 5th Avenue ab der 68. Straße. Nach zwei Haltestellen steigt ein Mexikaner (samt Sombrero) mit Gitarre ein und beginnt mit seiner musikalischen Darbietung. Drei Saiten der Gitarre schnarren entsetzlich, leider entschädigt auch die Qualität des Gesangs nicht wirklich. Für einen Moment frage ich mich, ob ich meinen gestrigen Eintrag zu voreilig verfasst habe… Aber zum Glück verlässt der Barde die Bahn alsbald und ich kann mich wieder von meinem MP3-Player beschallen lassen und dazu neutral gucken. In der 77. Straße steige ich selber aus und gehe ein paar Blocks westwärts bis ich an die Paradestrecke komme. Alles ist mit Gittern abgesperrt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdecke ich aber ein paar Sitztribünen. Meine Füße und mein Rücken betteln mich an, da doch hinüber zu gehen, meine Intuition pflichtet ihnen bei und mahnt: „Es ist noch eine dreiviertel Stunde bis zum offiziellen Beginn, du hast keine Ahnung, wie lange das geht, du hasst langes Stehen, außerdem sind da drüben Bäume falls der Regen kommt.” Also rüber über die Straße, doch der Weg zu den Tribünen ist versperrt. „Ticket holders only”. Ich habe viel, aber kein Ticket. Ich frage den Herrn am Einlass, ob ich denn noch eines kaufen könnte. Ich meine das nämlich im Gespräch bei Leuten vor mir rausgehört zu haben. Er grinst mich an und sagt: „Compleeeetely sold out!”. Antworten möchte ich: „Willste mich jetzt vera****? Da ist doch noch alles frei!” Antworten tue ich mit liebem Lächeln: „Oh come ooon, just one ticket for me.” Er grinst, holt umständlich eine Rolle mit Tickets aus seinem Rucksack. „15 Dollar!” – Na also, geht doch. Und der Spaß ist es mir wert. Scheine hingestreckt, drin bin ich und suche mir ein Plätzchen auf einer der Tribünen. Da sitze ich nun, zwischen Senioren im Janker und jungen Leuten im Deutschlandtrikot, Familien mit deutschem Au-Pair-Mädchen und Plüsch-Tigerente in der Tasche. Auch neben mir sitzt eine deutsche Familie. Ich bilde mir ein, sie zu kennen und zermartere mir bis jetzt den Kopf woher. Nun kommt eine Dame im Dirndl an und verteilt deutsche und amerikanische Fähnchen. Die Zeitung „Amerikanische Woche” liegt ebenfalls zur Mitnahme aus. Kann ich gut gebrauchen – als Sitzunterlage, denn die Alutribünen sind nämlich verdammt kalt. Eine reizende ältere Dame hinter mir liest lieber darin, d.h. blättert darin herum. Sie findet das Horoskop und ist untröstlich, dass sie es nicht lesen und verstehen kann. Also tue ich etwas Gutes für mein Karma und lese es ihr vor und übersetze es. Falls es unter den Lesern einen Skorpion gibt: Wer sich nach mehr Abwechslung im Alltag sehnt, möge sich überlegen, wie dieser Wunsch realisiert werden kann.

Nach und nach füllt es sich merklich und die Dirndl-Dichte nimmt zu. Nun muss ich sagen, dass ich bei diesem Thema recht zwiegespalten bin. Einerseits bin ich ein gebürtiges Münchner Kindl und liebe Dirndl über alles (meiner Meinung nach ein zauberhaftes Kleidungsstück, weil es prinzipiell jeder Frau jeden Alters prima steht, wenn es das passende Modell ist), andererseits geht es mir immer ungeheuer auf den Keks, wenn überall im Ausland Deutschland mit Dirndl, Lederhosen und Bier gleichgesetzt wird und noch schlimmer ist es, wenn Leute meinen, kaum hätten sie ein solches G‘wand an, wären sie die Deutschen.

Natürlich war mir aber klar, dass ich genau das nun erleben würde und das war für mich, die ansonsten weder was mit Karneval- oder Faschingsumzügen noch sonstigen Paraden dieser Art etwas anfangen kann, der Witz an der Sache. Ein bisschen wie BILD-Zeitung lesen: Die Frage ist nicht, ob man sie liest oder nicht, sondern mit welcher Einstellung. Also harre ich nun einfach fröhlich der Dinge, die da konmen. Das erste Ding sind die Fahnen. Die Stars and Stripes, die deutsche und die der Steubenvereinigung. Dann werden beide Hymnen geträllert und dann rollen die Wagen, marschieren die Kapellen. Ufftatata, ufftata. Kaum hat sich der Zug in Bewegung gesetzt, kommt übrigens die Sonne heraus. Habe davon nur leider nichts, ich sitze ja gut geschützt unter den Bäumen. Bei den ersten Gruppen ist die Stimmung noch verhalten, man wedelt freundlich mit den Fähnchen und gut ist. Auf einmal jedoch ruft einer der Marschierer in Richtung Zuschauertribüne: „Zickezacke, zickezacke!” Und wie auf Kommando schallt ihm ein donnerndes „Heu, heu, heu!” entgegen. Neeein, ich rufe natürlich nicht mit. Doch okay, tue ich. Und dann ziehen sie vorüber, Wagen um Wagen, Spielmannszug um Spielmannszug. Verschiedene Deutsch-Amerikanische Clubs, aber auch einige Gruppen aus Deutschland sind vertreten. Zur freudigen Überraschung für mich auch die Freiwillige Feuerwehr aus Walldorf, einem Ort, zu dem ich persönlich enge Bindungen habe. Was das wohl für die Leute für ein Gefühl sein muss, den ganzen Weg aus Deutschland herzufliegen, um dann auf der 5th Avenue marschieren zu dürfen? Einer von ihnen jedoch spielt mit seinem iPhone. Als ein Zuschauer ruft, er solle doch winken, grinst er, zuckt entschuldigend mit den Schultern und ruft: „Ist grad Bundesliga!”. Tja, man muss eben Prioritäten setzen. Statt bei seinem Schützenverein wäre er wohl lieber bei der Gruppe, die den deutschen Fußball repräsentieren sollte, mitgelaufen: Ein bisschen Spätsommermärchenstimmung in New York: „Oleeeee oleeeeee Super Deutschland! Super Deutschland! Super Deutschland leeeooooleeee!“ Ich gröle lauthals mit. Überhaupt steigt die Stimmung und es wird viel gesungen. Ein bayerisches Akkordeon-Duo kommt heran und spielt auf. Alles um mich herum singt mit, ich habe Fragezeichen über dem Kopf. Da tut sich wohl eine Bildungslücke auf. Dafür habe ich später meine großen Mitsing-Momente: Andere Wagen spielen „Marmor, Stein und Eisen bricht”, „Nur ein Wort” von den Helden oder „Da da da” von Trio.

Die ältere Dame kreischt hinter mir alle paar Minuten ganz begeistert: „Eins, zwei, geeesuffaaaaaa!” Ich glaube, es sind die einzigen deutschen Wörter, die sie beherrscht. Plötzlich rollen zwei grüne Trabis heran – in New York, der Hauptstadt des Kapitalismus. Wenn das der Erich noch mitbekommen hätte! Sie wieder hinter mir: „Oh, is that a Volkswagen?” Ich versuche ihr zu erklären, worum es sich handelt: „No, it’s a car from the former German Democratic Republic, East Germany…“ Sie schaut mich nur entgeistert an. Meinen Erklärungen zu den Schwarzwälder Bollenhüten („Ooooh, I like those hats!!”) kann sie schon eher folgen und als später tatsächlich ein paar alte Käfer vorbeifahren, ist sie beseelt. Auch wird sie nicht müde, ständig zu wiederholen, wie sehr sie sich auf das Oktoberfest, welches im Anschluss im Central Park steigen würde, das sei Wochen ausverkauft sei und für das sie dieses Jahr eeendlich Tickets bekommen habe, freut. Mir hingegen wird es langsam ein bisschen viel Schunkelei und Winkerei. Der Dirndl-Overkill droht.

Doch nach geschlagenen zwei Stunden habe ich es geschafft. Der letzte Wagen rollt vorbei, gefolgt von der Kehrmaschine. Uffz, jetzt brauche ich Kontrastprogramm. Außerdem knurrt mein Magen, es ist ja schon zwei Uhr nachmittags, das Frühstück lange her. Und das Tolle in New York ist: Du kannst jederzeit zu allem und jedem Kontrastprogramm haben. Also entschließe ich mich, nach Chinatown zu fahren und in einem kleinen Restaurant, das ich bei meinem letzten Aufenthalt kennenlernen durfte, Mittag zu essen. Glücklicherweise hatte ich damals eine Visitenkarte mitgenommen, sodass ich genau wusste, wo ich hinmusste. Ob ich den unscheinbaren Eingang sonst wiederfinden würde? Schließlich reiht sich ein winziges Restaurant mit Bildern und asiatischen Schriftzeichen im Fenster an das nächste. Aber so ist es kein Problem und ich bekomme glücklicherweise auch einen Platz.

Nun darf man sich dieses Etablissement nicht wie ein Chinarestaurant bei uns vorstellen, mit Aquarium und bunten Zierfischen, Porzellanvasen und -löwen im Raum, kitschiger Wand-Deko und China-Dudelei im Hintergrund. Nein, ich sitze in einem extrem spartanischen Raum und blicke auf einen Verschlag, wo das Bier gelagert wird. Aber hier geht es nicht um Deko, sondern um Essen und das ist – wie ich von meinem letzten Besuch hier im Old Sichuan weiß – vom Allerfeinsten. Am liebsten würde ich die Karte rauf und runter bestellen. Aber ich beherrsche mich und ordere, was mir schon im Mai so gut geschmeckt hat: hot and sour soup. Das ist das, was es bei uns Zulande gibt, wenn man zu M14 keine Frühlingsrolle, sondern Suppe bestellt. Und danach steamed vegetable dumplings. Zum nebenher Knabbern stehen gratis Erdnüsse auf dem Tisch, auch die Kanne Tee ist im Preis inbegriffen. Begierig (etwas zu sehr…gleich den Mund verbrannt…) löffle ich die Suppe in mich hinein. Ein Gedicht! Dann werden mir die heiß dampfenden dumplings im Bambuskörbchen mit einer Soja-Ingwer-Sauce gebracht. Auch diese sind einfach nur köstlich! Gut gesättigt, verlange ich nach der Rechnung. Rechnung kommt, zwar leider weder mit Pflaumenwein (ich liebe das Gesöff!) noch mit Glückskeks, dafür mit frischen Melonenstücken zum Nachtisch. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal solch aromatische Melonen gegessen habe! Lediglich zehn Dollar ärmer, satt und glücklich verlasse ich den Gastraum und stehe wieder auf der Straße im asiatischen Gewühl.

Direkt nebenan ist die „Chinatown Ice Cream Factory“, wo es durchaus exotische Eissorten (z.B. red bean oder green tea oder ginger) zu probieren gibt. Ist allerdings, wie ich von früheren Versuchen weiß, nicht ganz mein Fall, weshalb es mich weiter durch die bunten Gassen zieht. Das Ziel: Lin’s Herbal Shop, um Schneelotus-Kapseln – gut gegen Erkältung – zu besorgen. Als ich mit meinem Tütchen voll der exotischen Arznei den Laden wieder verlasse, ist dies wieder einer der Momente, in denen ich unheimlich happy bin; begeistert, in New York zu sein. Weil es hier einfach alles gibt, man muss nur ein paar U-Bahn-Stationen fahren.

Ich schlendere weiter und betrete einen – wie es von außen schien – Krimskrams-Laden. Innen drin merke ich: Na, so ein Zufall – es ist ein Kochutensilien-Geschäft! Es gibt stapelweise Reisschälchen und Woks und Teekannen – und Küchentücher mit „Limoncello Positano”-Aufdruck! Aber zugegeben, Little Italy ist ja nur zwei Straßen weiter und vielleicht ist das der Ausgleich dafür, dass sich die asiatische Community in den letzten Jahren immer mehr von Little Italy unter den Nagel gerissen hat und man vor einiger Zeit im Zensus feststellen musste, dass kein einziger gebürtiger Italiener mehr in Little Italy wohnte.

Wie man vielleicht den anderen Posts schon entnehmen konnte, bin ich Süßspeisen nicht abgeneigt. Und da ich schon in der Nähe bin und mal wieder Lust auf ein Dessert der besonderen Art habe, mache ich mich auf den Weg zu Rice to Riches. Leider dauert der Weg dorthin dann doch etwas länger, denn – hätte ich doch mal auf den Kalender geschaut! – in den Straßen von Little Italy tobt das Festival de San Gennaro. Mit einem Wort: Grauenhaft. Und ich erwische es schon zum zweiten Mal. Die engen Straßen sind gesäumt von Fressständen, die nicht wirklich ansprechende, vor Fett triefende Speisen anbieten, dazu kommen Billig-Cocktail-Stände und Ramsch-Kosmetik. Eigentlich gibt es nur vielleicht 15 unterschiedliche Stände, aber die wiederholen sich und sind endlos aneinander gereiht. Dazwischen schieben sich die Menschenmassen Meter um Meter vorwärts.

Endlich habe ich es aber zu Rice to Riches geschafft und stehe in dem ulkigen Laden, der ein bisschen aussieht wie eine hippe Eisdiele. An den Wänden stehen lauter lustige Sprüche, in der Raummitte dominiert eine große Theke. Doch hinter der Glasscheibe gibt es nicht Eis, sondern zig Sorten Reisbrei: Kokos, cheesecake, Schoko-Haselnuss, Crème Brulée, Karamell, Tiramisu und so weiter und so fort. Ich wähle Kaffee-Mandel, in der Größe solo. Das ist die kleinste und reicht gut für zwei Leute, denn das Zeug ist määäächtig! Serviert wird das Ganze in kleinen Plastik-Tupperschüsselchen mit dazu passenden Löffeln, die man mit nach Hause nehmen darf. Da ich eigentlich noch zu satt bin, nehme ich alles to go. Draußen auf der Straße ein Blick auf die Karte, ein Blick auf die Uhr. Ach, ich könnte doch noch ein bisschen durch SoHo spazieren.

Um es vorweg zu nehmen: Samstagnachmittag ist NICHT der richtige Zeitpunkt dafür. Was für ein Gewusel. Man muss nur schauen, nicht über den Haufen gerannt zu werden und hat kaum Muse, sich die wunderschönen cast iron buildings mit den kunstvollen Feuerleitern genauer anzuschauen. Aber wo ich schon mal da bin, kann ich ja zur hiesigen Anthropologie-Filiale gehen. Ich liebe die Anthropologie-Geschäfte. Sie sind einzigartig. Es gibt Kleidung, Bücher und Wohnaccessoires. Regulär zu Preisen, die nicht meinem Geldbeutel entsprechen. Aber wofür gibt es denn die sale-Abteilung in jedem der Geschäfte im hintersten Eck? Eigentlich will ich „nur mal kucken”. Ähm ja…Nach einer Stunde trete ich mit einer großen weißen Einkaufstüte in der Hand wieder auf die Straße, meine Kreditkarte wimmert. Aber hey: Der Dollar steht gerade ganz gut und es gab 15% Rabatt für Anthro-Club-Members – was hätte ich tun sollen?!?!

Zur Sicherheit entschließe ich mich trotzdem, nun schnurstracks heimzufahren. In der subway spielt ein Duo traumhaft schöne Saxofon-Balladen. Na also, hatte ich doch Recht mit dem gestrigen Eintrag!

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