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Sisi & Franz

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Sie kleidet sich noch eben schnell zum Dinner um. Tagsüber ist sie für die Hotelgäste so gut wie unsichtbar, ihre Aufgaben liegen eher im Hintergrund. In jenem Hintergrund, den die Gäste nicht sehen und auch nicht sehen sollen. Das genau ist ja das Geheimnis des reibungslosen Ablaufs. Um das Hotel mit rund 40 Betten und das weitgerühmte Restaurant zu betreiben, ist ein Stab von etwa 30 Mitarbeiten nötig. Nur die Wenigsten haben direkten Kontakt mit den Gästen, etwa die Damen an der Rezeption, die Kellner im Restaurant, der Barkeeper, die Zimmermädchen. Der Rest tut seine Arbeit eher im Verborgenen. Und je unsichtbarer diese dienstbaren Geister bleiben, umso besser stellt sich der Service für die Gäste dar. Kaum ein Gast macht sich Gedanken darüber, was da im Hintergrund an Management und Einsatz geleistet werden muss.

Sie stammt aus einer Hoteliersfamilie. Sie kennt es. Sie hat es von klein auf miterlebt, ist damit aufgewachsen. Und auch im Hotel ihrer Eltern in Budapest war die Maxime: Der Gast ist König. Sie hätte dort im Hotel bleiben können nach ihrer Ausbildung zur Hotelmanagerin. Aber das wollte sie nicht. Ihr älterer Bruder würde einmal das Hotel der Eltern übernehmen. Und sie hatte nicht diese harte, zeitraubende und im wahrsten Wortsinn kräftezehrende Ausbildung auf sich genommen, um dann in der zweiten Liga zu spielen. Nein. Sie hatte ein klares Ziel. Sie wollte eines Tages ihr eigenes Hotel leiten.

Noch während ihres Studiums lernte sie ihn kennen. Er war Künstler, Schauspieler. Er hatte seine Ausbildung schon hinter sich, hatte erste Bühnenerfolge vorzuweisen und war auf dem Weg zu einer Karriere. Er hatte ein Engagement in Wien ergattert. Seine brillanten Sprachkenntnisse waren von Vorteil, denn durch seine deutsche Mutter, die mit ihren Kindern stets in ihrer Muttersprache geredet hatte, sprach er ein nahezu akzentfreies Deutsch, wenn auch der beschwingte Klang ihrer badischen Heimat immer ein wenig mitschwang und seinem Deutsch eine besonders leichte, heitere Note gab. Auf der Schule hatte er Englisch gelernt, das war eines seiner Prüfungsfächer im Abitur gewesen, und nun war er sicher in drei Sprachen unterwegs. Was für einen Schauspieler sicherlich keinen Nachteil bedeutete.

Sie war Volontärin in einem der großen Hotels in Wien. Die „Schöne an der Donau“ hatte schon immer Hotels von Weltruf zu bieten. Wenn sie auch nicht im berühmten Sacher volontierte, so war das Haus, in dem sie zu dieser Zeit arbeitete, doch immerhin im hochkarätigen Niveau angesiedelt. Dazu kam die exquisite Lage in der Innenstadt, direkt am Ring, und so war es kein Wunder, dass sich an so manchen Theaterabenden die Schauspieler dort nach der Vorstellung ein Stelldichein gaben. Bei einer dieser Gelegenheiten, sie hatte Dienst im Restaurant, lernten sie sich kennen.

Es war eine ausgelassene Gesellschaft, die sich da zu später Stunde auf einen Imbiss und einen Umtrunk im noblen Restaurant einfand, begleitet von der unausbleiblichen Schar der Bewunderer, Gönner und Theaterfreunde. „Sie sind gnadenlos unterbesetzt, mein Lieber“, gurrte eine spätmittelalterliche Dame, die ihre besten Zeiten schon hinter sich hatte, aber relativ erfolglos versuchte, dies zu negieren und vor allem vor ihrer Mitwelt zu verschleiern. „Sie würden einen prachtvollen Romeo abgeben.“ Der junge ungarische Schauspieler, in seinem ersten Engagement in der Donaumetropole, lächelte geschmeichelt. „Nun, das ist auch mein Ziel, gnädige Frau. Aber als Anfänger muss man sich erst langsam zu den großen Rollen hocharbeiten.“ „Ach, bei Ihrem Aussehen und bei Ihrem Talent ist das doch wirklich keine Frage.

Ich denke, wir werden Sie schon in der nächsten Spielzeit in einem ganz anderen Kaliber bewundern, n´est pas, Cherie?“ Letzteres galt dem schwergewichtigen Herrn, der in ihrer Begleitung segelte, ganz offensichtlich derjenige, der hier generös das gesamte Künstlervolk freihielt.

Sie sprach nicht Französisch, fand es aber schick, ein paar Worte dieser Sprache ins Gespräch einfließen zu lassen. Der Dicke führte ihre fleischige Hand an seine Lippen. „Ihr Wunsch ist mir Befehl, meine Liebste. Wenn Sie den Jungen unbedingt protegieren wollen, wird es mir ein Vergnügen sein, diesen Wunsch zu unterstützen.“ Der junge Mann behielt sein verbindliches Lächeln bei. Immerhin war er Schauspieler. Aber innerlich würgte es ihn. Er wollte seine Rollen spielen, weil er gut war. Er wollte seine Rollen spielen, weil er die Figuren verkörpern konnte, weil er ausdrücken konnte, was der Dichter, der Regisseur in dieser Rolle sah, was er in dieser Rolle lebendig werden lassen wollte. Er würde aber ganz gewiss nicht den Romeo geben, weil diese abgetakelte Fregatte ihn in dieser Rolle zu sehen und womöglich als netten Desserthappen zu verspeisen wünschte. Er suchte dringend einen Ausweg, eine Flucht aus dieser sich immer unmöglicher gebärdenden Gesellschaft. Irgendjemand hatte Champagner bestellt, und als dieser hoch in den Gläsern aufschäumte, gab ihm eine platinblonde angehende Schauspielkollegin einen willkommenen Anlass, sich zurückzuziehen. Als die Korken knallten, rief das angetrunkene Mädchen: „Happy new year!“ (mitten im Oktober!) und schüttete mit einer einzigen ausholenden Bewegung den Inhalt eines ganzen Champagnerglases über sein makelloses Dinnerjacket.

Im nächsten Moment war sie da. Während alle noch „ah“ und „oh“ schrien, stand sie plötzlich neben ihm. Tupfte mit einer eleganten Damastserviette den Champagner von seinem Revers und meinte bedauernd: „Das tut mir sehr leid, aber das lässt sich hier so auf die Schnelle nicht erledigen. Wenn Sie mir Ihr Jackett bitte überlassen würden, kann ich dafür sorgen, dass kein Schaden zurückbleibt.“ Er schaute in grüne Augen, leuchtend wie Tigeraugen, sah ein freundliches Lächeln, dem jede Geschäftsmäßigkeit fehlte. Tatsächlich, hier in dieser verdrehten Gesellschaft war noch ein Mensch, der ein echtes, warmes Lächeln hervorbrachte. Er fasste sie einem plötzlichen Impuls folgend am Arm. „Sie kriegen mein Jackett, aber bitte, bringen Sie mich hier raus“, flüsterte er. Einen Moment stutzte sie, dann lächelte sie ihm verschwörerisch zu.

Sie sagte laut und von Autorität getragen: „Es ist ein bedauernswertes Missgeschick vorgekommen, aber ich werde selbstverständlich dafür sorgen, dass dies so schnell wie möglich behoben wird. Folgen Sie mir bitte.“ Ihrem bestimmten Auftreten wurde kein Widerspruch zuteil. Hoheitsvoll und gerade aufgerichtet schritt sie ihm voran durch das Restaurant und führte ihn in ein kleines Séparée. „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken kann“, meinte er aufatmend. „So schlimm?“, fragte sie mit ihrem warmherzigen Lächeln. „Noch schlimmer. Ich hatte das Gefühl, wenn ich noch einen Moment länger dort drin bleibe, werde ich das Opfer mordlüsterner schwarzer Witwen und ähnlichen Kalibern.“ Er schüttelte sich. „Setzen Sie sich doch erst mal. Sie sehen aus, als können Sie eine kleine Ruhepause gebrauchen.“ Auch diese Worte waren wieder von diesem unvergleichlichen Lächeln begleitet. So warm, so echt. „Dort drüben ist ein Kanapee. Wenn Sie möchten, können Sie sich dort ein paar Minuten hinlegen, bis ich das Jackett wieder in Ordnung gebracht habe.“ „Nein. Das ist nicht nötig. Und Sie sollen das blöde Jackett auch gar nicht in Ordnung bringen. Ich musste da nur so schnell wie möglich raus. Und das haben Sie geschafft, Danke.“ Nun wurde das Lächeln ausgesprochen vergnügt. „Nicht leicht, so als Jungstar, was?“ „Das können Sie laut sagen. Vor allem weiß man nie, wem man trauen kann.“ Impulsiv hatte er diese Worte hervorgestoßen, hatte gar nicht darüber nachgedacht, was er da jetzt sagte. Doch sie schien ihn zu verstehen.

Ihr Lächeln vertiefte sich, sofern das noch möglich war. „Wenn ich Sie Recht verstehe, legen Sie keinen Wert darauf, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren?“ „Nein, ganz und gar nicht.“ „Nichts Leichteres als das. Ich begleite Sie zum Hinterausgang und Sie können sich ganz dezent in Luft auflösen.“ „ Wenn das möglich wäre… ich wäre Ihnen sehr dankbar.“ Wie zwei Verschwörer schlichen sie sich aus dem Séparée. Sie geleitete ihn durch verwinkelte Gänge und nur durch das Notlicht erhellte, halbdunkle Flure zum Hinterausgang. Dort – die ersehnte Freiheit zum Greifen nahe – wendete er sich zu ihr um. „Ich bin Ihnen zu tausend Dank verpflichtet. Hoffentlich bekommen Sie jetzt keine Unannehmlichkeiten?“ „Ach, woher!“ Die grünen Augen blitzten ihn fröhlich an. „Sehen Sie nur zu, dass Sie sich auf dem Heimweg nicht noch einmal in so ein Spinnennetz begeben!“ Und mit diesen Worten schlug sie die Tür vor seiner Nase zu. Er grinste nun auch. Tolles Mädel, dachte er.

Stillvergnügt wandelte er seiner kleinen Bude zu, einer Studentenwohnung, die er sich mit einem Freund teilte. Wie zu erwarten, war der Fredi nicht zu Hause. Umso besser. Denn sein Mitbewohner hatte die lästige Angewohnheit, Zufallsbekanntschaften auch eben mal über Nacht in die gemeinsame Wohnung mitzubringen, was des Öfteren schon für prekäre Situationen morgens vor der Badezimmertür oder in der Küche geführt hatte. Denn Fredi, mit bürgerlichem Namen Alfred, hielt es normalerweise nicht für nötig, seiner Begleitung zu eröffnen, dass sie sich keineswegs allein in der Wohnung befanden, sondern dass sein Mitbewohner jederzeit als Störfaktor in Erscheinung treten könnte. Aber an jenem Abend war die Wohnung erfreulicherweise leer. Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, pfefferte die dämliche Fliege, die ihm den ganzen Abend schon das Atmen schwer gemacht hatte, in die nächste Ecke und ließ sich in den Sessel sinken. Und dann verlor er sich in Gedanken an ein paar Tigeraugen.

Diese schauten in dieser Nacht ebenfalls schlaflos zur Decke eines kleinen Zimmerchens hinauf. Sie hatte noch eine kleine Weile Dienst, doch der Kollege vom Nachtdienst erschien so rechtzeitig zur Ablösung, dass sie keinen bohrenden Fragen um den Verbleib des jungen Herrn mit dem ruinierten Dinnerjacket ausgesetzt war. Und nun lag sie hier und starrte Löcher in die Luft. Konnte nicht einschlafen. Immer wieder sah sie sein Gesicht vor sich. Ein gut geschnittenes, männliches Gesicht. Noch sehr jung, er mochte vielleicht Mitte der Zwanzig sein, aber schon ausgeprägt. Und diese blauen Augen….

Als sie am nächsten Nachmittag – sie hatte wieder Spätdienst – im Restaurant auftauchte, erwartete sie eine Überraschung. „Na, hast du eine Eroberung gemacht? Stell mir bloß nichts an, Mädel!“, empfing sie ihr Restaurantchef. Mit diesen Worten übereichte er ihr einen kleinen Strauß, einen fröhlichen, bunten Blumengruß. Die wenigen Worte auf der Karte waren dezent und unverfänglich. „Ein kleiner Dank für eine große Hilfe“ stand darauf. Sie errötete vor Freude. „Ach, woher“, lachte sie ihren Chef an. „Da hat sich nur ein Gast erkenntlich zeigen wollen, dem ich gestern den Weg zum Hinterausgang gezeigt habe, nachdem ihm all der Trubel zu viel geworden war.“ Schmunzelnd erwiderte er: „Ja, das kenn ich. Hab ich auch schon oft gemacht. Aber ich habe noch nie Blumen dafür bekommen. So ungerecht ist die Welt!“

Am nächsten Tag hatte sie frei. Ausschlafen. Lange und ausführlich frühstücken. Dann mal langsam all das erledigen, wozu man in den Tagen des ausgefüllten Dienstplans nicht gekommen war. Wäsche machen, zum Beispiel. Sie war gerade im Waschkeller, als sie lange Beine mit langen Schritten am Kellerfenster vorbeihuschen sah. Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus. Nein, rief sie sich selbst zur Ordnung. Fang nicht an zu spinnen. Das kann er gar nicht sein.

Und schließlich wohnten hier in diesem ehrwürdigen Haus, in dem ihr Vater für sie ein Zimmer bei einem ehrbaren Fräulein, das an ebenso ehrbare Töchter aus gutem Hause gelegentlich ein Zimmer vermietete, eine Bleibe für sie organisiert hatte, noch viele andere Menschen. Sie zwang sich, erst gewissenhaft die Waschmaschine zu befüllen und einzuschalten, bevor die den Waschkeller verließ.

Und dort im Hof lehnte er an einem Pfosten der Wäschespinne. Die blauen Augen leuchteten ihr entgegen. „Wie haben Sie mich gefunden?“, fragte sie als erstes und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. So eine doofe Einleitung zu einen Gespräch! Die blauen Augen lächelten.

„Ich habe Sie schon im ersten Moment ganz reizend gefunden“, meinte er, sie absichtlich missverstehend. Dann grinste er: „Sie haben nette Kollegen. Die eine, so eine dralle Brünette, sagte zwar, dass ich mir nicht die Mühe machen müsse, Sie aufzusuchen, weil täglich wechselnde Herren nach der Adresse fragten, aber das halte ich für eine böswillige Unterstellung. Immerhin gab sie mir die Adresse.“ „Dieses Miststück. Na, warte.“ „Ach, sehen Sie das doch mal gelassen. Auf diese Weise habe ich Sie doch wenigstens gefunden.“ „Auch schon was. Und nun?“ „Nun wollte ich Sie fragen, ob Sie nicht, da Sie ja heute Ihren freien Tag haben, wie ich erfahren habe, mir die Ehre geben wollen, Sie ein wenig auszuführen?“ „Was verstehen Sie unter ausführen?“, fragte sie unverblümt. „Oh, nichts Schlimmes“, lachte er sein sympathisches Lachen. „Vielleicht machen wir mal eine Runde im Prater oder wir bummeln durch die Innenstadt, schauen uns den Graben und den Stephansdom an, oder, wenn Sie mögen, besuchen wir die Hofburg, da war ich nämlich noch nicht.“

Fast wider Willen musste sie lächeln. Sein Charme war einfach unwiderstehlich. „Die Hofburg kenne ich auch noch nicht. Wollte ich mir immer schon mal anschauen, aber wie das so ist… man verschiebt es immer wieder.“ „Na, das ist doch großartig. Dann lade ich Sie hiermit zu einem Ausflug in die Hofburg ein.“ Sie flitzte noch rasch hinauf in ihr Zimmer, um sich umzuziehen, verbrachte verzweifelte Minuten vor dem Spiegel – das Grüne oder das Weiße? – und entschied sich schließlich für das Grüne, das ihre Tigeraugen noch mehr zum Leuchten brachte.

Erwartungsvoll sah er ihr entgegen, als sie aus dem Haus trat. „Sie sehen bezaubernd aus.“ „Dankeschön. Wenn man mit einem Beau wie Ihnen ausgeht, muss man sich ja anpassen.“ Er warf den Kopf in den Nacken und lachte laut und ungeniert. „Ich – ein Beau?“ „Na, sie sind immerhin ein Schauspieler und man munkelt, dass Sie in der nächsten Spielzeit den Romeo geben werden.“ Er wurde ernst. „Das ist durchaus nicht so sicher. Aber lassen Sie uns doch erst einmal diesen herrlichen Tag genießen.“

Sie genossen ihn. Ausführlich. Und ebenso ausführlich küsste er sie zu lauschiger Abendstunde in einer heckenumkränzten Nische auf einer Bank im Volksgarten. Als er sie zu schicklicher Stunde wieder nach Hause brachte, wusste sie: den oder keinen. Zumal sie sich nach dem Ausflug in die Historie der Hofburg ja schon fast verpflichtet fühlten. Auf Schritt und Tritt begegnete man hier den Spuren des legendären Kaiserpaares Franz Joseph und Sisi, der Kaiserin Elisabeth.

Sei es in den Kaiserappartements, sei es in der Silberkammer oder in der Schatzkammer im Schweizerhof - überall waren Franz Joseph und Sisi gegenwärtig. Und mit schon fast andächtigen Staunen stellten sie fest, dass sie die gleichen Namen trugen: Ferenc und Erzsébet.


Csárdás im Schlosshotel

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