Читать книгу Csárdás im Schlosshotel - Cornelia Rückriegel - Страница 9
Vatersorgen
Оглавление„Du wirst dich nicht mehr mit diesem Menschen treffen, hast du mich verstanden?“ Sie sieht ihn verstockt an. „Ob du mich verstanden hast, will ich wissen“, wird Ferenc jetzt laut. „Gehört hab ich dich. Verstehen kann ich dich nicht“, gibt sie schnippisch zurück. Er fährt sich mit einer Hand durch die ohnehin nicht mehr akkurate Frisur. „Julischka, ich weiß nicht, was mit dir los ist. Aber das, was du in den letzten Wochen hier abziehst, ist einfach unterirdisch. Deine Mutter ist einem Nervenzusammenbruch nahe, weißt du das eigentlich?“ Bisher zwingt er sich zu Ruhe. Als sie weiterhin schweigt und betont an ihm vorbeischaut, reißt ihm der Geduldsfaden. Er schreit sie an: „Weißt du das?“ Sie zuckt die Schultern. „Sie sollte das halt alles nicht so ernst nehmen.“ „Nicht ernst nehmen? Nicht ernst nehmen, wenn unsere Tochter mit einem ehemaligen Strafgefangenen und verurteiltem Dealer rumzieht? Ja, glaubst du denn, dass du uns scheißegal bist? Wir machen uns Sorgen um dich, kapierst du das nicht?“ „Sorgen? Ihr macht euch Sorgen um mich? Da muss ich ja mal lachen. Ihr macht euch doch höchstens Sorgen, dass der Ruf dieses ach so tollen Hotels Schaden nehmen könnte, wenn die Tochter des Hauses nicht so spurt, wie ihr Spießer es erwartet.“ Es zuckt ihm in den Händen. Sich zur Ruhe zwingend versenkt er die geballten Fäuste in den Hosentaschen. Das hat keinen Sinn. So geht es nicht.
Er geht zum Schrank, gießt sich einen nicht zu knapp bemessenen Cognac ein. Sie beobachtet ihn lauernd. „Ach, das ist dann deine Antwort. Atti ist der Böse, weil er kokst. Aber ihr haut euch den Alk rein bis zum Abwinken. Das ist okay, oder wie?“ Nur mühsam bewahrt er Ruhe. Er muss unbedingt versuchen, Zugang zu ihr zu finden. Sonst verliert er sie. Das steht ihm als deutliche Bedrohung vor Augen. „Julischka…“, will er beginnen. Da fällt sie ihm schon ins Wort. „Mein Name ist Julia. Du kannst auf die niedliche Kleinmädchenanrede verzichten.“ Das verdaut er mannhaft. „Ja, du hast Recht. Also, Julia, ich möchte einfach ein vernünftiges Gespräch mit dir führen.“ „Vernünftig? Klaro. Bei euch geht ja alles nur um Vernunft. Und um die Zukunft. Und um Geld. Ihr widert mich an.“ „Bisher hast du dich nicht beschwert, dass das Geld, das deine Mutter und ich hier verdienen, auch dir zur Verfügung steht“, erinnert er sie. „Bisher hab ich das ja auch alles noch nicht so klar gesehen. Atti hat mir die Augen geöffnet.“ Er wünscht sich mehr denn je seine Frau an seine Seite. Vielleicht könnte eine Mutter hier die richtigen Worte finden. Vielleicht.
Dieses junge Mädchen, das da vor ihm im Sessel kauert, sprungbereit, aggressiv, keinem guten Wort zugänglich – ist das noch seine Julischka? Seine so zärtlich geliebte Tochter? Doch. Sie ist es. Und für sie und für seine Liebe zu ihr nimmt er nochmals den Kampf auf. „Julischka – entschuldige – Julia. Hör mich doch wenigstens an. Ich weiß nicht, was dir dieser Atti für wirre Gedanken in deinen Kopf gepflanzt hat. Aber denk doch einfach mal darüber nach, was du aufs Spiel setzt, wenn du dich mit solchen Leuten abgibst.“ Sie erwidert kalt: „Du redest da gerade von meinen Freunden.“ „Ja, deine Freunde. Die dich kaltlächelnd für den nächsten Schuss verkaufen würden.“ Sie springt auf. „Du hast kein Recht, so von Leuten zu reden, die du nicht mal kennst!“ „Ich muss sie auch nicht kennen. Ich kenne das Muster, und das läuft immer gleich ab. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du für deine Freunde noch einen Pfifferling wert bist, ohne mein Geld?“ „Na, da haben wir´s ja wieder. Geld, Geld, Geld. Das ist dir das Wichtigste. Du kapierst nicht, dass es andere Werte im Leben gibt, du bornierter Spießer!“ Er wundert sich, dass er immer noch ruhig bleiben kann. „Nun, das können wir ja ausprobieren. Ich werde dir die monatlichen Zuwendungen sperren. Ich sehe nicht ein, dass ich mit unserem Geld eine Bande Drogensüchtiger finanziere. Und dann werden wir sehen, wie weit diese große Freundschaft noch reicht.“ Sie faucht ihn wütend an: „Ach, steck dir dein Kleingeld doch an den Hut! Wir lieben uns, Atti und ich. Und ich lasse mir das von euch nicht kaputtmachen!“ „Dann stell doch diese große Liebe mal auf die Probe!“ „Ja. Ja, das werde ich auch. Aber es ist keine Probe. Ich weiß, dass wir zusammengehören. Du kapierst es nur nicht. Aber ich werde es dir beweisen. Ich werde es euch allen beweisen! Ich ziehe aus und werde mit Atti zusammenleben!“ „Das wirst du nicht tun. Noch bist du nicht volljährig. Und ich verbiete es dir, hörst du, ich verbiete es dir einfach!“ Sie wirft die Haare in den Nacken und blitzt ihn an.
„Aber in drei Wochen werde ich 18 sein. Und dann werdet ihr hier euer blaues Wunder erleben!“ Mit diesen Worten stürmt sie aus dem Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu. Er lässt sich entmutigt in seinen Sessel sinken. Seine Tochter. Sein Herzblut. Sein zärtlich geliebtes Kleinod. Verdammt, was hat er falsch gemacht? Er möchte zu seiner Frau laufen und sich bei ihr ausweinen. Aber er verbietet es sich. Sie hat sich über diese ganze Sache so aufgeregt, er wird sie nicht noch mit weiteren Details belasten. Julischka wird sich schon wieder beruhigen. Und wird schnell einsehen, dass der Vater mit seinen Warnungen Recht hatte. So hofft er jedenfalls. Aber jetzt muss er mit jemandem reden. Er hebt den Hörer ab und wählt die Nummer, die ihnen allen so vertraut ist. „Marika? Hör mal, ich hab ein Problem…“
Marika ist so etwas wie der gute Geist der Familie. Sie ist Rechtsanwältin, und sie haben sich damals anlässlich des Kaufs des Schlösschens kennengelernt. Aus einer zunächst rein geschäftlichen Beziehung entwickelte sich im Laufe der Jahre eine echte Freundschaft. Nun, gute zwanzig Jahre später, kann er sich sein Leben ohne Marika überhaupt nicht mehr vorstellen. Auch jetzt fragt sie nicht lange. „Du, ich wollte mir eigentlich einen gemütlichen Abend machen, Füße hochlegen und Couchpotatoe spielen. Aber ich komm mal eben raus zu euch.“ „Das ist lieb von dir. Doch überhaupt nicht nötig. Ich muss nur mal reden.“ „Ja, versteh ich schon. Aber so wie du klingst, ist das am Telefon nicht gut. Bin in zehn Minuten bei euch.“ Und mit diesem Worten hat sie auch schon aufgelegt. Verblüfft schaut er den Hörer an. „… so wie du klingst…“ – ja, wie klingt er denn? So verzweifelt, dass sich die gute Seele sofort auf den Weg machen muss? Offenbar.
Tatsächlich dauert es nicht lange, da verkündet ein höfliches Klopfen an der Tür zum Privattrakt die Ankunft der Freundin. Er öffnet erleichtert und nimmt sie in den Arm. „Du weißt nicht, was es mir bedeutet, dass du sofort hergekommen bist!“ „Na, lass mal stecken. Ich kann mich an Situationen in meinem Leben erinnern, da wart ihr für mich da. Bedingungslos. Und nun bin ich da, weil ich denke, ihr braucht mich. Kann das sein?“ Er küsst sie dankbar auf die Wange. „Du bist ein Goldstück, Marika.“ Die rundliche ältere Dame lächelt vergnügt. „Danke, ich weiß. Doch nun spuck mal aus, was du auf dem Herzen hast.“ Er geleitet sie zur eleganten Sitzgruppe, reicht ihr ein Glas Rotwein. „Es geht um Julischka.“ „Ach, komm. Wieso hab ich mir das nur gleich gedacht?“ „Hast du? Warum?“ „Weil ich gerade vor ein paar Tagen mit einem Atti zu tun hatte, und in diesem Zusammenhang tauchte auch der Name eurer Tochter auf.“ „Oh, mein Gott. Solche Kreise zieht das schon?“ „Ja, aber das kannst du nicht verhindern. Junge Mädchen in diesem Alter sind unglaublich leicht beeinflussbar. Die einzigen, die keinen Einfluss haben, sind die Eltern. Ihr könnt machen, was ihr wollt, ihr habt keine Chance.“ Er begehrt auf: „Sie ist noch nicht volljährig. Sie hat das zu machen, was ich sage!“ „Mach dich nicht lächerlich. Sie wird in drei Wochen 18. Und dann wird sie euch sowas von vor den Koffer treten, das weiß ich jetzt schon.“ „Aber warum denn nur? Versteht sie denn nicht, dass wir uns nur um sie sorgen? Dass wir Angst haben um sie?“ „Nein, das versteht sie nicht. Weil sie die Gefahr nicht sieht. Für sie ist es die große Liebe, und jeder, der ihr etwas anderes sagt, ist ihr Feind. Du hast nur einen einzigen Verbündeten, und das ist die Zeit.“ „Du meinst, ich muss es einfach laufen lassen?“ „Ja. Genau das. Etwas anderes bleibt dir nicht übrig.“ „Nein. Nein, verdammt nochmal, ich kann doch nicht zuschauen, wie sie in ihr Unglück rennt. Ich muss doch etwas tun!“ „Ja, du musst etwas tun. Du musst sie gehen lassen. Und du musst ihr klar machen, dass sie jederzeit wiederkommen kann, egal wie heftig der Abschied war. Das ist das Einzige, was du machen kannst.“ Er schüttelt den Kopf. „Das kann ich nicht. Ich muss sie doch davor bewahren. Es muss eine andere Lösung geben.“ Marika blickt ihn mitfühlend an. „Ich weiß, dass es schwer für dich ist. Vielleicht ist es sogar noch schwerer für Erzsi. Aber ihr habt jetzt keine andere Möglichkeit. Ich fürchte, Gespräche fallen nicht auf fruchtbaren Boden.“ „Da hast du absolut Recht.“ Er berichtet von dem Desaster, das sich erst vor kurzem in diesen Räumlichkeiten abgespielt hat. „Ja. Kann ich mir lebhaft vorstellen. Doch das ist einfach der klassische Ablauf. Ich weiß nicht, ob dich das tröstet, aber ihr seid mit diesem Problem nicht allein. Unzählige Eltern führen genau die gleichen Gespräche und kämpfen auf verlorenem Posten.“ „Du hast eine brutale Art, einem die Wahrheit näher zu bringen“, beschwert er sich, aber er kann schon wieder lächeln. „Feri, eure Tochter hat da, wo andere vielleicht ein Kalbsgulasch haben, Hirn. Und darauf kannst du dich verlassen. Das Mädel ist intelligent. Sie wird merken, dass sie aufs falsche Pferd gesetzt hat. Und sie wird umschwenken. Aber sie wird das nicht tun, wenn du sie in eine Abwehrhaltung drängst. Je mehr Leine du ihr jetzt gibst, umso schneller und leichter wird sie zurückfinden.“
Drei Wochen später feiern sie im Familienkreis mit guten Freunden den achtzehnten Geburtstag der Cheftochter. Erzsébets Eltern sind aus Budapest angereist, Feris Eltern verlassen ihr Altersdomizil am Balaton und finden sich in der Puszta ein. Auch diverse Onkel und Tanten vervollständigen die fröhliche Runde. Sie feiern in einem kleinen Saal, früher wohl ein Jagdzimmer, ungestört vom übrigen Restaurantbetrieb. Marika gehört ebenfalls zu den Gästen. Das Geburtstagskind wirkt seltsam abwesend, zerstreut. Ständig lugt sie verstohlen auf ihr Handy, als erwarte sie eine Nachricht. Sie nimmt jedoch huldvoll die Glückwünsche und Komplimente entgegen. Nach dem großen Krach mit ihrem Vater herrschte zunächst Waffenstillstand. Aber unterschwellig gärte es. Kurz vor dem Kaffeetrinken zieht sie sich mit einigen gemurmelten Worten zurück.
Und dann hat sie ihren großen Auftritt. Alle sitzen noch am Familientisch, genießen Kaffee und Kuchen. Da tritt sie in vollendeter Form auf, einen Koffer in der Hand. „So. Ich möchte euch allen was sagen. Ich bin, wie ihr wisst, nun 18 Jahre alt. Volljährig! Und ich ziehe aus. Ich ziehe zu Atti.“ Der Auftritt verfehlt zunächst nicht seine Wirkung. Alle Gespräche verstummen. Alle Blicke richten sich auf die junge Dame, die da provokant mit ihrem Koffer in der Tür steht. Niemand sagt ein Wort. Da erhebt sich nach einer kleinen Schrecksekunde die unverwüstliche Marika. Sie langt nach der Tortenplatte und reicht sie herum. „Noch jemand ein Stück Kuchen?“ Jeder ist froh über diese willkommene Ablenkung. Julischka steht mit ihrem Koffer und dem sorgsam vorbereiteten Auftritt unbeachtet in der Tür, alle widmen sich der Tortenplatte, als sei diese das Wichtigste auf der Welt. Julischka dreht mit Zorntränen in den Augen ab. Erzsi will ihr nacheilen. Marika erwischt sie am Ärmel. „Lass es!“ „Aber…“ „Nein, lass sie gehen. Umso schneller kommt sie wieder.“ „Mag sein. Doch ich will ihr sagen, dass die Tür immer offen steht.“ Marika gibt den Ärmel frei. „Ja, das solltest du ihr wirklich sagen.“
Erzsi holt ihre Tochter auf dem Parkplatz ein. „Was willst du?“, fährt Julischka sie an. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe. Und dass du jederzeit zurückkommen kannst.“ Sie erliegt nicht der Versuchung, ihre widerspenstige Tochter in eine Umarmung zu ziehen. Sie wendet sich ab, weil sie merkt, dass sie die Tränen nicht mehr zurückhalten kann. Und dieses Schauspiel will sie dem feixenden jungen Mann am Steuer des heruntergekommenen Wagens, in den ihre Tochter gerade einzusteigen im Begriff ist, nicht bieten. Weinen kann sie auch später noch.