Читать книгу Csárdás im Schlosshotel - Cornelia Rückriegel - Страница 7
Der Traum vom Schlosshotel
Оглавление„Ich glaube wirklich, das ist es, wonach wir gesucht haben“, sagte sie, als sie wieder im Auto saßen. Er war skeptisch. „Die Lage ist ausgezeichnet, das stimmt. Und auch das Gebäude selbst hat unbestreitbar Charme – also, hatte es bestimmt früher. Aber das kann man wieder aufleben lassen, ich denke, da sind wir die Richtigen. Doch wir müssen halt erst mal alles abklopfen. Nur weil der alte Csikós dir erzählt hat, dass das Schlösschen zu verkaufen sei, muss das ja nicht stimmen.“ „Na, dann lass uns doch mal zum Gemeindeamt fahren.“ Dort zeigte man sich durchaus entzückt. Da die letzten Besitzer in den Wirren der Flucht nach dem zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen waren – die junge Baronin und ihr ungeborenes Kind – war der Besitz dem Staat zugefallen. Doch dieser hatte andere Sorgen, als heruntergekommene, verlassene Herrenhäuser und Jagdschlösser zu pflegen. Man schrieb den Besitz zum Verkauf aus. Für eine eigentlich lächerlich geringe Summe. Doch das seit Jahrzehnten verwaiste Gebäude wies einen nicht geringen Renovierungsbedarf auf. „Ich glaube, ich fahre mal mit meinem alten Herrn hier raus. Das soll er sich erst einmal anschauen. Wozu hat man schließlich einen Baufachmann in der Familie!“ „Er wird begeistert sein“, meinte Erzsi sarkastisch. „Er hält doch sowieso unsere Pläne für völlig indiskutabel.“ „Ja, begeistert ist er nicht, das stimmt. Aber andererseits weiß ich, dass er ein Faible für so alte Gemäuer hat. Er sagt immer, wenn Steine reden könnten, was würden dann diese alten Häuser für Geschichten erzählen können. Also, ich denke, ich schleppe ihn einfach mit hier raus.“
Levente stand schweigend vor dem von Efeu überwucherten Gebäude, das man vage hinter verwahrlosten Büschen und allerhand üppigem Unkraut ausmachen konnte. „Du hast nicht zufällig eine Machete bei dir, damit wir näher rankommen?“, erkundigte er sich bei seinem Sohn. Ferenc lächelte. „Brauchen wir nicht. Es gibt so einen kleinen Trampelpfad, da kommt man direkt bis zum Haupteingang.“ Auch der Trampelpfad war nicht unkrautfrei, aber immerhin begehbar. Endlich standen sie vor dem wuchtigen Portal, das schwere Beschädigungen aufwies. „Meine Güte, welche Barbaren haben denn hier gewütet. Das sieht ja aus, als ob sie das Portal mit Äxten eingeschlagen hätten.“ Warme braune Augen sahen ihn treuherzig an. „Ja. Da haben Sie Recht. Das waren Barbaren. Ist 1945 geschehen. Die junge Baronin ist geflohen, aber die alte Dame hat sich im Haus verschanzt. Als der Pöbel das Portal einschlug, hat sie sich in ihrem Salon erschossen. Die Kerle fanden sie dann. Und da ist es ihnen wohl klar geworden, was sie angerichtet hatten. Jedenfalls haben sie ihr Heil in der Flucht gesucht. Wir haben dafür gesorgt, dass die alte Baronin eine anständige Beerdigung erhielt. Das waren wir ihr doch irgendwie schuldig. Ich war ja noch ein Kind, damals. Aber meine Eltern haben mir immer erzählt, dass die alte Baronin ein sehr guter Mensch gewesen sei.
Streng und sehr willensstark, das schon, aber das musste wohl so sein, wenn sie das Gut ohne Mann bewirtschaften musste. Aber sie hat nie einen von ihren Leuten schlecht behandelt. Das haben meine Eltern und viele andere diesem Pöbel erklären wollen, da hat man sie verprügelt. Es waren schlimme Zeiten…“ Nachdenklich schwieg der Gemeindeangestellte, der sie zum Jagdschloss begleitet hatte. „Sehr schlimme Zeiten“, wiederholte er. Auch Levente machte nicht viele Worte. Er durchstreifte das verwahrloste Gebäude, stieß hin und wieder beim Anblick einer zerstörten Tapisserie oder einer durch grobe Axtschläge malträtierten Wandverkleidung einen tiefen Seufzer aus und begutachtete kritisch das gesamte Gebäude. Wortlos marschierte er über den Trampelpfad zum Auto. Sie brachten Péti wieder zurück zu seinem Büro in der Gemeindeverwaltung und fuhren ins nächste Dorf, wo sie sich in einem kleinen Presszo niederließen.
„Nun, was sagst du?“, fragte Ferenc, der seine Ungeduld nicht mehr zügeln konnte. Bedächtig nahm Levente einen Schluck von seinem Fröccs. „Das ist ein außergewöhnliches Haus“, meinte er dann nachdenklich. „Also, nicht nur, weil es ein Jagdschloss ist, sondern auch, weil man seine Geschichte direkt spüren kann. Für das, was ihr vorhabt, wahrscheinlich bestens geeignet. Nicht zu groß, damit der Betrieb nicht unpersönlich wird. Ein bisschen verwunschen, romantisch. So mit familiärem Flair und trotzdem hochkarätig. Ja, das könnte ich mir gut vorstellen.“ Ferenc stockte der Atem. Das hatte er nicht erwartet. „Und was meinst du zur Bausubstanz?
Ist halt schon arg runtergekommen, wie´s aussieht.“ „Täusch dich da mal nicht. Die bauten damals, als das Schlösschen entstanden ist, für die Ewigkeit. Das was die Jahre und diese Banausen zerstört haben, ist nur oberflächlich. Es ist trocken, weder feuchte Wände noch Schimmel nach all den Jahren. Eigentlich erstaunlich. Aber von der Grundsubstanz ist das Gebäude völlig in Ordnung.“ Ferenc strahlte glücklich auf. Doch schon bremste ihn der Vater aus. „Das heißt nicht, dass nicht jede Menge Arbeit und Kosten reingesteckt werden müssen. Aber es heißt immerhin, dass dieses Gemäuer es wert sein könnte. Ich muss das mal durchrechnen.“ Auf der gut anderthalbstündigen Heimfahrt nach Budapest ließen sie ihren Gedanken freien Lauf, spannen Pläne, diskutierten Möglichkeiten der Gestaltung. Und mit jeder Minute spürte Ferenc, wie sich sein Vater für das Objekt zu erwärmen begann.
Ferenc und seine Frau bewohnten eine kleine Suite im Privattrakt des Hotels ihrer Eltern. Mit großen Schritten eilte er den Räumen entgegen, um dann enttäuscht festzustellen, dass Erzsi gar nicht dort war. „Stimmt ja, sie hat heute Abend Spätdienst“, erinnerte er sich. Nun, dann würde er besser nochmal kurz ins Restaurant gehen und schauen, dass er ein anständiges Abendessen bekam. Zuvor aber wählte er den kleinen Umweg über das Hotelbüro, um ihr wenigstens ganz kurz zu sagen, dass das Gespräch mit seinem Vater durchaus positiv verlaufen war.
Nach Dienstschluss stürmte sie aufgeregt in die kleine Suite. „Erzähl schon, was hat er gesagt?“, wollte sie atemlos wissen. „Oh, er findet die Bausubstanz recht gut und meint, man könne was draus machen.“ „Aber das ist ja phantastisch“, jubelte sie. „Oh, das ist ja so klasse! Ich mein, ich hab mich ja auch schon informiert, es heißt, dass diese alten Häuser ein Fass ohne Boden sind. Aber ich denke, wenn die erst einmal kernsaniert sind, also richtig von Grund auf modernisiert, dann kann doch da außer den üblichen Erhaltungsarbeiten gar nicht mehr so viel kommen, meinst du nicht? Und so ein altes Gemäuer hat halt viel mehr Charme als ein Neubau.“ „Aus dir spricht meine kleine Romantikerin“, lächelte er. „Ja, kann sein“, gab sie zu. „Doch ich bin überzeugt davon, dass es wahnsinnig viele Menschen gibt, die das auch so empfinden.“ „Ja, aber sie werden immer dieses Ambiente mit modernem Komfort verbunden haben wollen“, gibt er zu bedenken. „Na, das sollte doch in den Griff zu kriegen sein! Wozu hat man denn einen Schwiegervater, der Architekt ist, ach was rede ich, Architekt, DER Architekt der Hauptstadt! Nein, wenn dem nichts einfällt, dann fällt niemandem etwas ein, das steht mal fest!“ Vergnügt lauschte er der Laudatio. Er konnte sich ihren Argumenten nicht verschließen und setzte noch einen drauf: „Und wenn der andere Schwiegervater, der ja nun in Budapests Hotelszene auch nicht so ganz unbekannt ist, seine guten Ideen einbringt, dann muss das ja klappen!“ „Hach, und was ist mit MEINEN guten Ideen?“, blitzte sie ihn an. „Die werden sowieso und unverzüglich umgesetzt. Nur musst du sie erst mal entwickeln.“
„Als ob das für mich ein Problem wäre! Also, es soll einen Hauch von Tradition ausstrahlen, klar, da hat so ein Jagdschloss absolut das passende Ambiente. Aber trotzdem Komfort für die Gäste. Und familiäre Atmosphäre, da stehen die Leute drauf.
Also, zum Beispiel, dass jeder Gast bei der Anreise in seinem Zimmer eine Willkommenskarte vorfindet, mit ein paar herzlichen Worten des Hoteliers, das kommt gut an. Oder wenn der Chef persönlich bei der Anreise die Gäste begrüßt. Das ist auch ganz groß. So haben die das in einem Hotel in Frankreich gemacht, wo ich vor ein paar Jahren gearbeitet habe. Die Gäste waren entzückt.“ Erzsi sprudelte geradezu über vor Ideen. „Und wir müssen uns Freizeitangebote ausdenken, ein Pool muss sowieso her, und dann vielleicht ein Tennisplatz oder so…“ Lachend unterbrach er sie. „Nun lass meinen Vater erst mal rechnen. Vor allem müssen wir noch Gespräche wegen der Preisverhandlungen führen. Na, da wird noch einiges auf uns zu kommen!“
Es folgten noch viele, viele Gespräche. Es wurden Pläne geschmiedet und verworfen. Dann doch wieder hervorgeholt. Erneut verworfen. Abgeändert dann doch in Erwägung gezogen. Vor allem zogen sich die Verkaufsverhandlungen in die Länge. Levente und Erzsis Vater würden den finanziellen Grundstein legen. Aber beide waren nicht gewillt, ihr Geld zum Fenster hinauszuwerfen. Nach zähen Verhandlungen näherte sich dann doch endlich der Tag, da der Kaufvertrag unterschrieben wurde.
Ein Ereignis, das im Familienkreis gebührend gefeiert wurde. „Na, Schwesterherz, da kriegst du ja doch dein eigenes Hotel!“, prostete ihr ältester Bruder ihr zu. „Drunter hättest du´s ja auch nicht getan!“ „Ja, da kannst du Recht haben“, lachte sie glücklich zurück. „Ist klar, dass wir jede Menge Arbeit haben werden, bis das Ding läuft, aber davor ist uns nicht Bange!“ Er nahm sie liebevoll in den Arm. „Das schafft ihr schon. Ich wünsche euch jedenfalls alles Gute. Und wenn wir hier überbelegt sind, weiß ich wenigstens, wo ich die Gäste hinschicken kann!“
Doch das sollte noch eine gute Weile dauern. Wie das bei Renovierungen und Sanierungen so üblich zu sein pflegt, wurden weder die Termine noch die kalkulierten Kosten eingehalten. Während der Umbauzeit fühlten sich Erzsi und Ferenc nicht selten wie in einen Horrorfilm versetzt. Aber sie waren jung, voller Kraft und Energie, von ihrer Idee beseelt und hatten den Rückhalt der Eltern. Doch es waren auch bürokratische Hürden zu überwinden. In einem historischen Gebäude sind in der Regel weder die Gegebenheiten für die vom Brandschutz vorgeschriebenen Fluchtwege noch die räumlichen Voraussetzungen für den Einbau eines modernen Personenlifts oder der Sanitäranlagen vorhanden. Diese mussten nun in Einklang mit dem Denkmalschutz gefunden werden. Eine Herausforderung, die Levente jedoch mit der ihm eigenen Bravour bewältigte. „Ich weiß wirklich nicht, wie wir den Umbau ohne deinen Vater hätten schaffen sollen“, seufzte Erzsi mehr als einmal. Aber nachdem sich ihr Schwiegervater für das Projekt erwärmt hatte, sah er es gewissermaßen mit sportlichem Ehrgeiz, dem Traum vom Schlosshotel zur Erfüllung zu verhelfen.
Erzsi hingegen verbrachte viele Stunden bei der Suche nach historischen Möbeln. Was an vorhandenem noch restauriert werden konnte, würden sie selbstverständlich übernehmen. Sie waren sich einig, dass auch in Puncto Einrichtung und Ambiente das Flair eines Schlosshotels gewahrt werden sollte. Allerdings in Verbindung mit modernem Komfort und den Ansprüchen an gehobene Gastlichkeit. So entwickelte das Schlosshotel mehr und mehr die Atmosphäre eines Boutique-Hotels, das mit Individualität und einzigartiger Ausstrahlung punkten konnte. Kein Zimmer ähnelte dem anderen, allein schon durch die vorgegebenen baulichen Unterschiede gab es kleine, mittlere und große Zimmer, Gastzimmer mit Balkon oder Turmzimmer, elegante, großzügige Suiten. Eines jedoch einte sie alle: Jedes einzelne Zimmer verströmte seinen eigenen, unverwechselbaren Charme. Ein wenig später als geplant, doch immerhin nur in vertretbarem Rahmen verzögert, konnten sie die Eröffnung des Schlosshotels feiern.
Die nächsten Jahre waren arbeitsreich. Es waren erfüllte Jahre. Ihre Tochter wurde geboren, für Ferenc das Wunder schlechthin. Als er seine Tochter Julia zum ersten Mal im Arm hielt, war er der glücklichste Mann der Welt, der nichts mehr davon wusste, dass er sich eigentlich einen Erben für das Schlosshotel gewünscht hatte.
„Geh, du Spinner“, hatte ihm Erzsi gesagt, als er diesen Gedanken einmal laut werden ließ, „hab ich dir nicht bewiesen, dass eine Frau auch einen guten Boss abgibt?“ Doch, das hatte sie. Mehr als einmal hatte er sich gefragt, wo diese Frau die Energie, die Kraft hernahm, um sich immer wieder den ständig neuen Aufgaben zu stellen. Eine Kämpferin. Seine Erzsi mit den Tigeraugen. Und nun nicht nur Gefährtin, Geliebte, Partnerin, Ehefrau, nein, jetzt auch noch Mutter seiner Tochter. Er war einfach überwältigt.
Das Schlosshotel entwickelte sich ebenso hoffnungsvoll wie der Nachwuchs. Sie konnten im Laufe der Jahre nicht nur den Bankkredit, sondern auch die Darlehen der beiden Väter zurückzahlen. Als das letzte Bisschen der Schulden getilgt war, köpften sie eine Flasche Champagner. Und verloren sich in Erinnerungen. „Weißt du noch, wie wir uns über den Trampelpfad bis zum Haus vorkämpfen mussten? Weißt du noch, wie schief das Hauptportal in den Angeln hing?“ „Und weißt du noch, was mein Vater gesagt hat, als wir ihm das Schlösschen vorgestellt haben? „Bruchbude“ hat er es genannt. Na, da muss er jetzt aber umdenken!“ Mit fröhlichem Klang stießen die Gläser hell aneinander. Sie hatten es geschafft. Sie hatten ihr eigenes Hotel. Das Schlosshotel in der Puszta.