Читать книгу Korridorium – magische Abenteuer - Cory d'Or - Страница 8
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Ich betrete den Korridor – wobei nicht ich es bin, dessen Körper den Gang betritt, sondern ein Fremder, in dessen Geist ich unbemerkt sitze –, erleichtert, dass endlich die Zeit gekommen ist, ihn zu verlassen. Diesmal war es Peter Aufschnaiter, der – nach einer dramatischen Flucht – zusammen mit Heinrich Harrer am 15. Januar 1946 die tibetische Hauptstadt Lhasa erreicht hatte und dort in den folgenden Jahren ein Wasserkraftwerk und Kanalisationsanlagen anlegte.
Es ist immer ein Korridor oder ein Gang oder ein Tunnel, der mich aus einem Kopf hinaus- und in einen anderen hineinführt. Irgendwie muss diese Art der Geistreise mit dem »Schneckenhaus« zu tun haben, dieser verschlungenen metallenen Struktur, die viel Rechenzeit an den Hochleistungsrechnern der Uni verschlungen hat – und schließlich auch mich. Ich hätte nie hineinkriechen sollen.
Seitdem reise ich körperlos durch die Zeit. Es ist wie ein Traum, der immer wieder blass und undeutlich wird, und ständig plagen mich diese Kopfschmerzen – ein Seinszustand, für den der Mensch nicht geschaffen ist. Es ist etwas Unnatürliches mit mir geschehen. Ich bin gefangen in fremden Körpern, fremden Zeiten, an fremden Orten – nur dass ich fast immer sofort weiß, wo ich bin.
Ob ich mit Marie Curie im Labor stehe, mit Frederick Catherwood die Mayametropole Uxmal dokumentiere, mit Thor Heyerdahl auf der Kon-Tiki einen Sturm überstehe oder mit Amundsen den Südpol erreiche: Stets sind es die Helden meiner Kindheit und ihre Sternstunden, die meine geheimnisvolle Reiseroute bestimmen.
Immer verweilt mein Geist solange im Kopf eines Begleiters meiner Kindheitshelden – und das sind manchmal Wochen oder gar Monate! –, bis sie einen Gang oder etwas Ähnliches betreten. Ein Türrahmen genügt nicht. Der Gang muss offenbar eine gewisse Länge besitzen. Es ist dann so, als verlöre ich den Halt. Ich schwanke, schleudere, wirble, um mich dann abrupt im Kopf eines anderen Menschen wiederzufinden.
Immer wieder drifte ich weg, und auch das Erinnern an früher fällt mir schwer: Was gab es da noch für Helden meiner Kindheit? Dinos! Wie so viele in jungen Jahren war ich von Dinosauriern fasziniert. Manchmal beschleicht mich die Angst, dass mich meine Reise auch in diese ferne Vergangenheit führen könnte: Was wird sein, wenn ich an einen Ort gerate, in ein Leben gerate, in dem es keine Gänge, Flure und Tunnels gibt? Ist meine Reise dort zu Ende? Bin ich endlich richtig tot, wenn derjenige stirbt, in dessen Kopf ich hocke und mit dessen Augen ich sehe? Oder gelange ich dann zurück ins »Schneckenhaus« und erwache dort aus unbeherrschbaren, verschlungenen Kindheitsträumen?