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Ich frage mich allmählich, ob wir den Irak überhaupt je verlassen haben

Polizeisirenen und Autohupen, Geschrei und Schüsse bestimmen die nächtliche Geräuschkulisse. Die warme und schwüle Luft riecht nach Rauch. Straßenlaternen leuchten nur schwach, falls sie nicht gerade aufflackern, da die Stadt ihrer Elektrizitätsprobleme Herr zu werden sucht. Die Ampeln weiter unten auf der First Avenue hinter der Straßensperre sind ausnahmslos auf Rot umgesprungen, weshalb der Verkehr zum Erliegen gekommen und ein wütendes Hupkonzert losgebrochen ist. Nach wie vor flüchten Tausende Menschen aus Manhattan, mit allem, was sich irgendwie betanken lässt. Sie glauben offensichtlich, anderswo sähe die Lage hoffnungsvoller aus.

Die Männer von Gruppe 3 des Zweiten Platoons schreiten nervös den Stacheldraht ab, aufgeputscht durch schwarzen Kaffee. Über ihnen donnert ein Polizeihubschrauber und streift die Gegend mit seinem gleißenden Punktstrahler ab, sodass ihre Nachtsichtgeräte vorübergehend unbrauchbar werden.

»Ich fasse es nicht«, murmelt Corporal Hicks bei sich, während er mit zugekniffenen Augen die First Avenue hinunterblickt und dem tiefen Wummern schwerer MGs lauscht. »Verschießen die dort Leuchtspurmunition?«

»Klingt nach Kaliber .50, wieso fragen Sie?« erwidert McLeod, der gerade mit seinem Automatikgewehr zu ihm hin schlendert.

»Weil wir in New York sind, nicht in Bagdad, Blödmann. Wer ballert da mitten in New York mit einem MG um sich?« Nachträglich fällt ihm ein: »In den Dreck, McLeod. 20 Liegestützen.«

»Im Ernst? Wir befinden uns hier mitten in einem Kriegsgebiet.«

»Du willst 30?«

Während McLeod seine Push-ups zählt, sieht Hicks durch sein Reflexvisier. Er fixiert den roten Punkt zur leichteren Zielerfassung in der Mitte des Sichtfeldes. Die Glimmspurmunition zeichnet Lichtstreifen über den Motorhauben der Autos, die im dicht gedrängten Verkehr dahinkriechen, und über den Köpfen der dazwischen herlaufenden Menschen. Da Hicks nicht in der Lage ist, durch Wände zu sehen, kann er weder den Urheber dieses Metallregens ausfindig machen, noch auf wen der Regen niedergeht. Die Entfernung beträgt nur wenige Hundert Meter. Trotz dieser Nähe fühlt er sich isoliert und weiß kaum zu erahnen, was vor sich geht. Er fragt sich, wo all die dicken Geschosse landen. Projektile mit einem Durchmesser von einem Zentimeter besitzen eine Reichweite von bis zu vier Meilen. Sie durchschlagen Karosserien und auf nahe Distanz auch Betonmauern. Was erst würden sie einem Menschen antun?

»Sechs … Sieben …«

Der Beschuss hört auf, nach wenigen Sekunden nur. Irgendjemand muss im großen Stil Mist gebaut haben, wahrscheinlich ein unerfahrener Rekrut in einem Geländewagen, der Angst bekam. Hicks hofft, dass niemand getötet wurde.

Aber besser ihr als ich, denkt er dann.

Gerade, als er die Waffe wieder herunternehmen will, bemerkt er am äußeren Rand des Sichtfelds ein Pärchen. Er fokussiert das Visier auf die beiden, einen Mann mittleren Alters in Boxershorts und eine Teenagerin, deren T-Shirt bis zu ihren Knien reicht. Sie glotzen hohl drein und legen jene seltsame Eigenart an den Tag, unterschwellig fahrig den Kopf kreisen zu lassen, wie es fast jeder mit dem Lyssa-Erreger im Leib tut, was Hicks immerzu einen Schauer über den Rücken jagt. Sie halten ihre Fäuste geballt vor der Brust, starren zu ihm herüber und öffnen ihre Münder, ziehen dann jedoch in die Richtung davon, aus der die MG-Schüsse kamen.

Hicks spricht leise mit sich selbst: »Und wer hat all die Tollwütigen, die hier herumrennen, von der Leine gelassen?«

Wenn wir eines nicht brauchen, denkt er, dann noch so eine Horde, die sich gegen uns auflehnt und dabei Kugeln einfängt. Nie mehr würde er diese Erfahrungen vergessen können.

Das MG dröhnt abermals los.

»Ich frage mich allmählich, ob wir den Irak überhaupt je verlassen haben«, wirft McLeod ein, ehe er wieder mit dem Zählen der Push-ups fortfährt.

MIT ZÄHNEN UND KLAUEN

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