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Ich bin Sicherheitsangestellter, kein Gebäudetechniker

Nachdem der Mob ins Foyer eingedrungen war, wurde das Bradley-Hochschulinstitut für Mikrobiologie und Virenforschung abgeriegelt. Die Wissenschaftler konnten den Komplex nicht mehr verlassen, dafür gelangte die Menge nicht in die Labors.

Das Gros des Personals brach bereits am Vorabend nach Hause auf, weshalb nur ein paar Unentwegte weiter in den Labors an einem Impfstoff gegen Hongkong Lyssa arbeiten. Solange die Belagerung andauert, werden sie dort eingeschlossen sein.

Müde und mit vor Hunger knurrendem Magen beobachtet Forschungsleiter Dr. Joe Hardy die große, hübsche Blondine auf den Bildern der Sicherheitskameras und grübelt, woher er sie kennt.

»Da ist sie wieder«, bemerkt Stringer Jackson neben ihm, der Wachmann des Instituts. »Sehen Sie? Sie schreibt noch eine Nachricht.«

Die Eindringlinge überwältigten ohne Mühen die beiden Nationalgardisten, die man im Foyer postiert hatte, und nahm sie als Geiseln. Die Blondine, augenscheinlich die Anführerin der Gruppe, teilte sodann ihre Forderungen mit, indem sie Schilder vor die Sicherheitskameras hielt und andeutete, den beiden Soldaten Kopfschüsse zu verpassen.

»Ein ganz schön zähes Miststück, die Frau«, bekundet Hardy respektvoll. Er hat die Hände in die Taschen seines Laborkittels gesteckt. »Wie meine Exfrau.«

Jackson grinst verständig.

Die Blondine hält überheblich ein weiteres Schild noch oben. Darauf steht: GEGENMITTEL, ODER IHR FRIERT.

Hardy schnaubt geringschätzig und blinzelt dann.

»Äh, können die das tun?«

Jackson antwortet: »Ich bin Sicherheitsangestellter, kein Gebäudetechniker.«

Allerdings strömt klimatisierte Luft durch die Öffnungen der Anlage, und die Temperatur in der Sicherheitszentrale, die schon frische 18 °C beträgt, fällt bereits weiter.

»Na toll. Können wir irgendetwas unternehmen, um das zu unterbinden, Chief?«

»Nicht, dass ich wüsste, Dr. Hardy«, entgegnet Jackson schulterzuckend.

Die Zentrale ist ungefähr doppelt so groß wie die privaten Büros der Forscher. Jackson sitzt in einem ergonomischen Sessel am Schreibtisch mitten im Raum, stinkt nach Angstschweiß und kaltem Zigarettenrauch. Der Arbeitsplatz des Diensthabenden beläuft sich auf ein Bedienpult vor einem PC mit grafischer Benutzeroberfläche, sein Telefon und vereinzelt herumliegenden Büroartikeln. Ein an der Decke befestigter Digitalprojektor wirft die Bilder der Sicherheitskameras auf breite Schirme an der Wand gegenüber der Konsole.

Hardy ist bisher nur einmal hier gewesen. Ihm erscheint die Vorstellung seltsam, dass sich hinter einer Tür wie jeder anderen auf den zweckmäßigen, blendend weißen Korridoren des Instituts ein ausgeklügelter Sicherheitsapparat befindet, in dem eine einzelne Person alle öffentlichen Räume des Komplexes auf riesigen Leinwänden überwachen kann.

Nun ermöglichen ihnen diese Gerätschaften zwar, den Pulk im Erdgeschoss zu beobachten, tragen aber leider in keiner Weise dazu bei, ihn loszuwerden.

Das ist zu bedeutsam, denkt Hardy. Die Nation zählt auf uns. Wir haben eine Reinkultur des Virus isoliert und sind im Begriff, seine genetische Signatur zu ermitteln. Sobald wir das geschafft haben, können wir uns ernsthaft mit der Entwicklung eines Impfstoffs beschäftigen. Ihr müsst uns bloß lassen.

So viele Leben stehen auf dem Spiel.

»Wenn ich so darüber nachdenke, können wir vielleicht doch etwas tun«, sagt Jackson ruhig.

»Und zwar?«, merkt Hardy neugierig auf.

»Also, wir könnten … Sie wissen schon … ihnen geben, was sie verlangen.«

»Aber wir haben noch kein Gegenmittel«, wundert sich Hardy.

Jackson bleibt gelassen, traut dieser Aussage aber nicht so recht.

»Vielleicht sollte ich mit ein paar Kochsalzlösungen nach unten gehen und sie ihnen injizieren«, spottet der Doktor. »Dann hätten wir sie vom Hals und könnten weiter versuchen Millionen Menschenleben zu retten, indem wir einen echten Impfstoff herstellen.«

»Keine Ahnung.« Jackson überlegt. »Ich halte das nicht gerade für ethisch korrekt.«

»Sprechen Sie mir nach, Stringer: Es gibt kein Gegenmittel!«

»Ich habe Sie schon verstanden. Sie müssen mich nicht anschreien.«

»Und wegen des Haufens Arschlöcher dort unten finden wir auch keines. Es sind höchstens zehn Leute, die momentan noch in den Labors arbeiten.«

»Wissen Sie, ich werde eigentlich viel zu schlecht bezahlt, um mir das anzutun. Ich war schließlich einmal Polizist; die Leute in meiner Nachbarschaft brachten mir Hochachtung entgegen, wenn ich die Straße hinunterging.«

»Die Seuchenschutzbehörde kündigte an, herzukommen und den Komplex abzusichern, aber bislang hat sich noch niemand blicken lassen. Unsere Lebensmittel gehen zuneige, wir können nirgends schlafen und mit einer so dürftigen Besetzung unmöglich weiterhin auf hohem Niveau forschen, was wiederum bedeutet: kein Impfstoff, okay? Alles, was diese Leute tun, ist Gefahr zu laufen, ihr Leben zu verlieren, wenn die Army hier auftaucht.«

Selbst wenn sie ohne Unterbrechungen weiterarbeiten könnten, würde es Monate dauern, bis sich ein Gegenmittel in erheblichen Mengen herstellen ließe, ruft sich Hardy ins Gedächtnis. Steht die Formel, müssen Labore genügend von dem Stoff produzieren, um zunächst die Beschäftigten im Gesundheitswesen zu impfen, die Regierung sowie die Armee und dann den Rest der Vereinigten Staaten, einer Nation von über 300 Millionen Menschen. Zwischen der Entstehung des Gegenmittels und den ersten Impfungen in der breiten Bevölkerung werden wiederum Monate verstreichen.

Bis dahin ist die Pandemie vorüber – in Nordamerika zumindest.

Darum geht es aber auch gar nicht. Der Punkt ist vielmehr, dass sie ein Mittel entwickeln müssen, um zu verhindern, dass die Seuche Monate später erneut ausbricht, womit der ganze Albtraum von vorne beginnen würde. Übergreifende Infektionskrankheiten treten in drei Wellen auf, und ein Impfstoff würde die zweite im Keim ersticken, ja könnte die Welt sogar für immer von Lyssa befreien.

Die Blondine auf den anderthalb Meter hohen Leinwänden legt ihr überlegenes Lächeln allmählich ab und wird es zuletzt müde, das Schild hochzuhalten, weshalb sie es an jemand anderen abgibt. Nach einer langen, müßigen Nacht sind auch die Aufrührer abgespannt. Mit der Abrieglung des Komplexes bleibt ihnen nicht nur der Zugang in die Labors verwehrt; sie sind selbst im Institut eingesperrt.

Die Maßnahme läuft unter Code Orange: Niemand betritt oder verlässt das Gebäude.

Die beiden Nationalgardisten sitzen mit auf dem Rücken gefesselten Händen am Boden und sehen entmutigt aus. Hinter ihnen wendet sich ein Teenager von seinen Freunden ab, zieht ein Sandwich aus einer braunen Papiertüte und fängt an, es hinunterzuschlingen.

Hardy schaut mit rumorendem Bauch dabei zu und verzehrt sich dabei praktisch vor Hunger. Er versucht, sich den Belag vorzustellen: Schinken und Käse mit Senf? Truthahn mit Tomate und Speck, oder ist es ein Sandwich kubanischer Art, wie es sie um die Ecke gibt, auch mit Schinken, dazu aber gebratenem Schweinefleisch, Salami, Schweizer Käse, Gürkchen und Senf auf landestypischem Brot? Sein Magen knurrt.

»Wie dem auch sei«, fährt Jackson fort. »Ich will eigentlich nur sagen, dass dort unten vielleicht gerade einmal 30 Leute lauern. Falls Sie einen Impfstoff haben, wäre es doch kein Problem, ihnen ein wenig davon zu geben.«

Hardy spürt, dass er gleich ausrastet, doch er lässt seine breiten Schultern hängen und schüttelt niedergeschlagen den Kopf. »Es gibt kein magisches Heilmittel, Stringer«, beteuert er, »auch wenn ich mir wünsche, wir hätten eins.«

Dann seufzt er laut und schickt sich an, zur Tür zu gehen.

»Wohin wollen Sie, Dr. Hardy?«

Der Wissenschaftler bleibt vor dem Ausgang stehen. »Zu den Labors, Stringer«, sagt er in einem bemüht heroischen Ton, soweit er diesen anschlagen kann, damit es wie ein Filmzitat klingt. »Ich habe noch einen Berg Arbeit zu erledigen, wenn ich diese Krankheit eindämmen will.«

Daraufhin schnauft er wieder und verlässt die Sicherheitszentrale, um etwas zu finden, das wenigstens annähernd zum Frühstück taugt.

MIT ZÄHNEN UND KLAUEN

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