Читать книгу Liebe und andere Straftaten - C.T. Sanchez - Страница 5
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ОглавлениеSera bereitete aufgeregt das Behandlungszimmer vor. Es waren keine fünf Minuten vergangen, als eine Wache in die Krankenstation gestürmt war und Dr. Hillsborough wegen eines Notfalls gerufen hatte. Während er zum Ort des Geschehens geeilte war, traf sie im Behandlungsraum alle Vorkehrungen. Sie deckte den Behandlungstisch mit einem neuen Papierlaken und vergewisserte sich, dass alles griffbereit war. Das Einzige, was sie erfahren hatten, war, dass es wohl eine Messerstecherei gegeben hatte.
Sie hörte das laute Summen der mechanischen Tür und rannte in den Flur hinaus. Ein Mann lag auf einer Krankentrage. Er wurde von Dr. Hillsborough und einem Wachmann begleitet, der die Bahre schob. Erst als sie näher kamen erkannte Sera mit Entsetzen, dass es sich bei dem Verletzten um Tom handelte. Er sah blass aus und sein T-Shirt war völlig mit Blut verschmiert. An seinem Hals war ein Beatmungsbeutel befestigt, den Dr. Hillsborough per Hand bediente. Sie schoben die Bahre ins Behandlungszimmer. Der Aufseher fragte, ob er durchkommen würde. Aber zu solch einer Prognose konnte und wollte der Doktor noch keine Auskunft geben. Ohne weitere Fragen, ließ der Beamte die beiden alleine ihre Arbeit machen.
„Was ist passiert?“ Sera streichelte Toms Stirn. Ihre Berührung beruhigte ihn ein wenig. Er war viel zu blass, bemerkte sie. Wie viel Blut hatte er bereits verloren?
„Es gab wohl eine Prügelei“, resümierte Dr. Hillsborough. „Dabei scheint er einen Schlag gegen seinen Kehlkopf bekommen zu haben. Er ist angeschwollen. Er bekam keine Luft mehr.“
„Und da haben Sie ihm den Hals öffnen müssen?“ Sera war entsetzt. War ein solch drastischer Eingriff wirklich notwendig gewesen?
„Ich nicht“, entgegnete der Doktor zu ihrem Erstaunen.
Sera war perplex. Sie brachte keinen Ton mehr heraus. Wenn Dr. Hillsborough es nicht gewesen war, wer war es dann? Sie schaute sich die Öffnung mit dem Schlauch etwas genauer an. Der Schnitt wurde, wenn auch unsauber, genau an der richtigen Stelle gemacht. Wer auch immer es gewesen ist, er hatte genau gewusst, was er da tat. Vielleicht ein medizinisch ausgebildeter Justizvollzugsbeamte, dachte Sera.
Während Sera die Wunde vorsichtig säuberte, verabreichte Dr. Hillsborough dem Patienten Medikamente. Innerhalb der nächsten halben Stunde verbesserte sich Toms Zustand merklich. Die Schwellung ging allmählich zurück bis sie das Beatmungsgerät wieder entfernen konnten. Dr. Hillsborough nähte die Wunde am Hals zu, bevor er Tom in eines der Krankenzimmer verlegte. Er wollte ihn die nächsten Tage auf der Krankenstation unter Beobachtung behalten. Er wies ihm sogar das Einzelzimmer zu, so dass er sich ungestört erholen konnte.
Sera war gerade mit der Reinigung des Behandlungsraumes fertig und wollte noch einmal nach Tom sehen. Sie war soeben in sein Zimmer gekommen, als sie das laute Summen hörte, welches Besuch ankündigte. Dr. Hillsborough trat in Begleitung von Direktor Peterson, Ferguson und einem ihr unbekannten Aufseher in das Zimmer ein.
„Wie geht es ihm?“, fragte Dir. Peterson die Krankenschwester.
„Den Umständen entsprechend. Er hat viel Blut verloren“, antwortete sie und Dr. Hillsborough ergänze: „Er ist aber außer Lebensgefahr.“
„War er denn in Lebensgefahr?“, wollte der Gefängnisdirektor wissen.
„Ja. Er wurde schwer am Kehlkopf getroffen, wodurch dieser so stark anschwoll, sodass er zu Ersticken drohte. Ohne den Einschnitt am Hals wäre er jetzt sicher tot“, erklärte der Arzt.
Dr. Hillsborough wusste aus Erfahrung, wozu diese Befragung diente. Eindringlich redete er auf Peterson ein: „Ich weiß nicht, was genau passiert ist, bevor ich hinzugezogen wurde, aber ich bin mir sicher, Heart hat ihm das Leben gerettet. Gehen Sie nicht zu streng mit ihm um, Sir.“
„Er hatte ihm das Messer in den Hals gerammt!“, meldete sich der Aufseher empört zu Wort. Er war einer der beiden, die an den Tatort gekommen waren, als Tom blutend am Boden lag. „Wer weiß, wie weit er noch gegangen wäre, wenn wir nicht rechtzeitig da gewesen wären!“
„Bitte“, Ferguson hob die Hand. „Sie können nicht mit Sicherheit sagen, was genau passiert ist.“
„Fakt ist, es gibt zwei Versionen, was tatsächlich geschehen sein soll“, wandte Dir. Peterson ein. „Und ich will wissen, welche der Wahrheit entspricht.“
„Darf ich fragen, wie die Versionen aussehen?“, fragte Sera neugierig. Sie wollte unbedingt wissen, was mit Tom geschehen war, da er selber noch nicht in der Lage war, zu sprechen. Wer hatte ihm das angetan und warum?
Aber der Gefängnisdirektor entgegnete ihr nur ein knappes „Nein“, bevor er sich dankend von Dr. Hillsborough verabschiedete und mit seinen Untergebenen im Schlepptau die Krankenstation verließ. Dr. Hillsborough zuckte ratlos mit den Schultern. Auch er wusste nichts Genaueres.
Keine 20 Minuten später tauchte Ferguson wieder auf. Diesmal hatte er zwei Häftlinge bei sich, die unterschiedlicher gar nicht sein konnten. Der eine war nicht zu übersehen. Er ragte fast zwei Meter in die Höhe. Dabei hatte er breite Schultern und einiges an Muskelmasse, die Sera an einen mächtigen Bodybuilder erinnerte. Von seinem kahlen Kopf rann Blut, dass Sera fast nicht gesehen hätte. Seine Haut war Pechschwarz und seine Stimme tiefer als alle, die sie jemals gehört hatte.
Der andere war zwar auch groß, aber dennoch um einiges kleiner als sein Begleiter. Er hatte relativ kurze dunkelbraune Haare, die fast schon schwarz wirkten, und diesen lässigen Out of Bed Look, den meist nur Frisöre so gut hinbekamen. Ein Drei-Tage-Bart zierte sein markantes Gesicht. Er hatte eine durchtrainierte Figur mit fein definierten Muskeln. Ein sportlicher Typ, dachte Sera. Seine blauen Augen stachen besonders hervor und das lag nicht an dem frischen Veilchen, das er trug. Sie funkelten auf eine mysteriöse Weise, die sie nicht erklären konnte. Auch ihm rann Blut am Gesicht herunter von einer Platzwunde über der linken Augenbraue. Während der Schwarze neben ihm bei Seras Anblick ihr ein Zahnpasta Weißes Lächeln schenkte, verzog der Weiße keine Miene. Er sah wütend aus.
Dr. Hillsborough bat den Riesen zuerst in den Behandlungsraum. Der Gefängnisarzt stellte seiner Krankenschwester den Sträfling als Eddie vor. Natürlich kannte er fast alle Inhaftierten durch seine jahrelange Arbeit hier. Während er die Kopfwunde reinigte und versorgte, machte er ein wenig Small Talk, doch Eddie ging nicht sehr darauf ein. Er war ein eher ruhiger Typ. Die Wunden waren nicht besorgniserregend. Ein paar wenige Blutergüsse, mehr nicht. Sera war fasziniert von Eddies tiefer Stimme. Sie klang stets ruhig und eindringlich. Er wirkte wie ein sehr sanftmütiger Mensch auf sie. Als die Behandlung abgeschlossen war, verabschiedete sich der Riese mit einem überaus freundlichen Lächeln, das Sera mit einem ebenbürtigen erwiderte.
Nun kam der zweite Verletzte herein. Er setzte sich ohne ein Wort zu verlieren auf den Behandlungstisch. Im Gegensatz zu Eddie war seine Laune unter dem Nullpunkt. Dr. Hillsborough und er tauschten schlecht gelaunte Blicke aus. Auch sie schienen sich bereits gut zu kennen und nicht auf eine angenehme Weise, dachte Sera. Schweigend machte sich der Gefängnisarzt an die Arbeit. Sera runzelte die Stirn. Ihren Gesichtsausdrücken nach zu urteilen, hatten die beiden eine Diskussion. Aber es war mucks Mäuschen still. Waren die beiden telepathisch oder was war hier los? Dr. Hillsborough kniff die Augenbrauen nach unten und sein Patient rollte seine als Antwort. So ging das ein paar Sekunden lang bis der Arzt schließlich das Schweigen brach.
„Sie werden es wohl nie lernen. Wollen Sie mir nicht verraten, was diesmal vorgefallen war?“
„Ich war nur zur rechten Zeit am rechten Ort. Ich habe wohl ein Gespür dafür“, antwortete Doc bissig.
„Ach kommen Sie schon Heart. Ich möchte Einzelheiten.“
Verächtliches Schweigen.
Die Beiden konnten sich also nicht besonders gut leiden, ging es Sera durch den Kopf.
„Was ist mit Tom passiert?“, meldete sich Sera frustriert. Sie wollte endlich die Wahrheit. Sie spürte, dass er sie kannte. „Warum wurde er so zugerichtet, dass irgendjemand diesen chirurgischen Eingriff vorgenommen hat? Sie wissen es doch oder etwa nicht?“
Erst jetzt schien der schlecht gelaunte Patient Seras Anwesenheit richtig wahr zu nehmen. Er richtete sich etwas auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann nahm er sich die Zeit, sie von oben nach unten genauestens zu betrachten, bevor er argwöhnisch auf sie einging.
„Sie sind also die neue Krankenschwester in diesem Gott verlassenen Ort. Ich muss schon sagen, Pink steht Ihnen viel besser als ihrer Vorgängerin, dieser alten Schrapnelle! Nichts für Ungut Doktor, ich weiß sie beide waren befreundet. Nun, um auf Ihre Fragen zurück zu kommen“, er legte seinen Kopf demonstrativ in den Nacken als müsste er angestrengt nachdenken. „Ja, ja und ja“, er beugte sich extra weit nach vorne, um ihren Ausweis zu lesen, der an ihrer Brusttasche befestigt war. „Schwester Sera Goodwin.“
Sie fühlte sich durch seine arrogante, selbstgefällige Art herausgefordert. Wer dachte er, wer er war? Nur weil er so unverschämt gut aussah, musste er nicht so frech sein! Sie verschränkte ebenfalls die Arme vor ihrer Brust und hob das Kinn an, um ihm ihre Stärke zu zeigen. Sie würde sich von so einem Angeber sicher nicht einschüchtern lassen.
„Ich hatte nur eine Frage gestellt, die man mit ja oder nein beantworten kann“, gab sie schnippisch von sich.
„Stimmt. Scheiße!“, grinste Heart. „Aber ja, ich weiß was passiert ist. Ja, ich weiß warum er verprügelt wurde und ja, ich weiß wer ihm den Hals wie eine Weihnachtsgans aufgeschnitten hat. Ich kann Ihnen sogar sagen, wer die Schweinehunde waren, die ihn in die Mangel genommen haben. Ich bin also die Antwort auf all ihre Fragen!“
Das klang wie ein billiger Anmachspruch. Er musste selbst kurz über sich lachen, hatte sich aber sofort wieder im Griff.
„Wollen Sie uns nun erhellen und sagen was passiert ist oder weiterhin ein Arschloch sein?“, fragte Dr. Hillsborough und tupfte etwas Alkohol auf die Wunde an Hearts Augenbraue. Heart zuckte klagend mit dem Kopf weg. Er rollte genervt seine Augen und gab klein bei.
„Na schön. Eddie und ich kamen in den Waschraum. Drei Kerle waren gerade dabei, Tom zu verprügeln und… Sie wissen schon“, er machte eine kleine Pause und legte den Kopf schief.
Sera verstand und ließ schockiert die Arme sinken, aber Heart versicherte ihr sofort, es sei nicht soweit gekommen.
„Das konnten wir natürlich nicht zulassen“, fuhr er fort. „Wir haben ein paar Schläge verteilt und leider auch einige eingesteckt, wie man sieht. Ich nehme an, Tom wurde irgendwann ungünstig am Kehlkopf getroffen. Das muss passiert sein, bevor wir da waren, denn da lag er ja schon am Boden. Einer der Mistkerle bemerkte dann, dass er keine Luft mehr bekam und dann türmten die feigen Drecksäcke, als wären sie von der Tarantel gestochen worden. Es zählte jede Sekunde. Ich musste etwas unternehmen. Also habe ich kurzerhand eine improvisierte Koniotomie durchgeführt. Bis Sie da gewesen wären Doktor, wäre der arme Kerl doch schon erstickt, verstehen Sie? Sie dürfen mir jetzt aber gerne danken!“
„Sie haben also den Eingriff an Tom vorgenommen?“ Sera schüttelte ungläubig den Kopf.
„Heart war selber einmal Arzt“, bemerkte Dr. Hillsborough.
Heart schüttelte energisch den Kopf und winkte mit dem Zeigefinger. „Ist, mein lieber Doktor, ist! Ich habe vielleicht meine Freiheit und alles was dazu gehörte verloren, aber nicht meine Zulassung. Ich bin immer noch Arzt, wenn auch momentan nicht praktizierend.“
Sera war verblüfft, doch ihre Neugier war noch nicht ganz gestillt. „Aber wie haben Sie das gemacht? Tragen Sie vielleicht immer ein Skalpell mit sich herum?“
Heart entging der Sarkasmus in ihrer Stimme nicht. „Bedauerlicherweise nein. Ich habe das überaus stumpfe aus eigener Hand kunstvoll hergestellte Messer benutzt. Nicht meins wohlgemerkt!“, stellte er an Dr. Hillsborough eindringlich klar.
Seras Augen wurden feucht. Sie legte die Hand auf den Mund. Wie grauenvoll und schmerzhaft das für Tom gewesen sein musste. Ein Teil von ihr wollte dieses arrogante Arschloch vor Wut anbrüllen und eine Ohrfeige verpassen, aber ein weitaus größerer Teil wollte ihm danken. Danken, dass er Toms Leben gerettet hatte, egal wie. Ohne ihn wäre Tom wohl nicht mehr hier. Sie schloss für einen Moment ihre Augen. Heart beobachtete sie mit zusammen gekniffenen Augen, als wolle er sie genauestens studieren.
Dr. Hillsborough klebte ein Klammerpflaster absichtlich grob auf Hearts Wunde, was seinen Zweck erfüllte. Mit einem klagenden „Aua“ wandte dieser den Blick von der Krankenschwester ab. Genug mit alle dem. Er kannte Heart lange genug. Er mochte ihn nicht sonderlich, weil er schon öfters den Gefängnisarzt gespielt hatte. Allerdings mischte er sich wohlgemerkt nur bei den wirklich lebensbedrohlichen Zwischenfällen ein. Ansonsten hielt sich Heart als stiller Beobachter im Hintergrund. Aber Dr. Hillsborough musste auch zugeben, dass Hearts Erste Hilfe Maßnahmen immer schnell und präzise waren und er damit bereits drei Mithäftlingen, Tom eingeschlossen, das Leben gerettet hatte. Doch selbst nach all den Jahren konnte er ihn schlecht einschätzen. Er war oft missgelaunt und immer vorlaut, obwohl er sich im Grunde doch für seine Mitmenschen hilfsbereit einsetzte. Der Arzt entschied sich, ihn einfach weiterhin nicht leiden zu können.
„Sie sind fertig“, schloss Dr. Hillsborough die Behandlung ab.
„Auf ins Loch“, jubelte Heart mit einer ironischen Fröhlichkeit und sprang vom Behandlungstisch.
„Peterson steckt Sie in Isolationshaft?“ Dr. Hillsborough war überrascht. Gut, Heart hatte sich an einer Prügelei beteiligt und eine illegale Waffe benutzt. Aber doch nur, um einem Mithäftling das Leben zu retten! Selbst er war der Meinung, dass Hearts Aktion etwas Anerkennung verdiente. Anscheinend hatte seine kleine Ansprache zuvor bei Peterson nichts gebracht. Er griff hart durch.
„Wie lange?“, wollte der Gefängnisarzt wissen.
Heart machte das Peace Zeichen mit seinen Fingern.
„Zwei Tage?“, deutete Sera.
„Zwei Wochen“, korrigierte Heart.
„Zwei Wochen Isolationshaft ist eine harte Strafe“, bemerkte Dr. Hillsborough bestürzt. „Selbst für Sie.“
Heart zuckte mit den Achseln. Sein Blick senkte sich und Sera erkannte eine Traurigkeit darin. War das fair? Immerhin hat er ein Leben gerettet. Egal mit welchen Beweggründen und Mitteln, ohne ihn wäre Tom nicht mehr. Sie hatte plötzlich Mitleid mit ihm.
Im Flur ging Ferguson mit Eddie und Heart in Richtung Ausgang. Bedrückt schaute sie den Dreien hinterher.
Zwei Tage nach dem Zwischenfall ging es Tom schon etwas besser. Er konnte bereits wieder sprechen, wenn auch nur wenig, leise und mit Schmerzmitteln. Sera versuchte jede freie Minute bei ihm zu sein. Sie saß auf einem Stuhl neben seinem Bett, die Hände im Schoss gefaltet. Sie kaute auf ihrer Unterlippe.
„Was hast du?“, flüsterte Tom. Er war besorgt.
„Ich habe gehört, worum es bei der Prügelei ging“, sagte sie zaghaft.
Sie wusste nicht, wie sie mit ihm darüber sprechen sollte. Seine Verletzungen würden verheilen. Aber das bedeutete auch, dass er irgendwann die Krankenstation verlassen musste und was würde dann geschehen? Würden seine Angreifer einen zweiten Versuch wagen? Sie konnte ihn im Zellentrakt nicht beschützen.
„Es ist ja nichts passiert.“
Tom entging nicht, wie besorgt sie um ihn war. Er konnte aber auch nicht mit ihr darüber sprechen. Er hatte Angst und schämte sich zutiefst, was er sich vor ihr nicht anmerken lassen wollte. Allein bei dem Gedanken, was geschehen war oder was hätte noch alles passieren können, trieb es ihm Tränen in die Augen.
„Was ist aus den anderen geworden?“, versuchte er die Konversation in eine andere Richtung zu lenken.
„Dein Lebensretter sitzt in Isolationshaft. Eddie durfte, soweit ich weiß, zurück in seine Zelle. Dr. Hillsborough hat mir gestern gesagt, dass die drei, die dich angegriffen hatten, von Eddie und Heart identifiziert wurden. Peterson hat sie auch in Einzelhaft gesteckt. Allerdings weiß ich nicht für wie lange.“
„Heart?“, Tom war etwas irritiert. „Du meinst den Doc?“
Sera nickte. Das ergab natürlich einen Sinn, dass Heart als der Doc unter den Insassen bekannt war. Dr. Hillsborough hatte ihr erzählt, dass er bereits mehrfach abenteuerliche Eingriffe bei seinen Mithäftlingen durchgeführt hatte. Er hatte ihr die Vorfälle geschildert, wobei er einerseits anerkennend über Hearts ärztliche Fähigkeiten berichtete, sein abfälliger Tonfall allerdings verriet, dass er ihn als Person nicht besonders mochte. Ein Zwiespalt wie Sera ihn vor zwei Tagen selbst empfunden hatte. Sie war fasziniert von seiner Begabung als Arzt, wie er den Eingriff an Tom durchgeführt hatte, und seinem Selbstbewusstsein, von seinem guten Aussehen ganz zu schweigen, doch mit seiner selbstgefälligen Art konnte sie nichts anfangen. Sie konnte solch eine Arroganz nicht ausstehen. Aber da war auch dieser eine Moment, in dem sie eine Verletzlichkeit in seinen Augen gesehen hatte. Sie konnte ihn nicht durchschauen und das hasste sie wohl am aller meisten.
Als sich der Tag dem Ende neigte, schaute Sera noch einmal bei Tom rein, bevor sie in den Feierabend ging. Tom schlief bereits. Dr. Hillsborough hatte sich an diesem Abend eine halbe Stunde früher verabschiedet. Sie war das erste Mal alleine in der Krankenstation. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie noch exakt 15 Minuten alleine war bis die Nachtschicht ihren Dienst antreten würde.
Sie setzte sich an den Computer im Behandlungsraum um ihn auszuschalten zögerte jedoch. Sie hatte eine Idee. Neugierig durchforstete sie die Programmübersicht. Sie klickte auf eines. Prompt öffnete sich eine Art Formular, das zur Suche von Insassen diente. Hier wurde alles über die Straftäter festgehalten. Suchkriterien waren Häftlingsnummer, Name, Vorname, Geburtstag und Straftat. Nervös blickte sie über die Schulter und fing an auf ihrer Unterlippe zu kauen. Mit zwei Zeigefingern tippte sie unter Name ein H-E-A-R-T.
Der Bildschirm wechselte zu einem Dokument, auf dem ihr als erstes das Bild ins Auge fiel. Heart hatte die selbe Out-of-Bed-Frisur, die sie schon in Natura bewundern konnte. Allerdings war er auf dem Porträt glatt rasiert. Er trug einen schwarzen Anzug mit gelockerter Krawatte, den obersten Knopf des weißen Hemdes geöffnet. Sein Gesichtsausdruck war der eines biometrischen Passbildes. Er hob eine Tafel vor sich, auf der stand:
New York Correction Facility
# 35784409
Heart, Dr. Desmond
Das Datum seines Haftantritts war auch noch auf der Tafel vermerkt. Sera staunte. Er saß bereits seit dreieinhalb Jahren hier. Wie lange würde er noch hier sein? Noch brennender interessierte sie aber das Warum. Sie las das Dokument. Insassennummer, Name und Datum der Inhaftierung übersprang sie. Das Foto hatte ihr diese Information bereits preisgegeben. Das Geburtsdatum verriet ihr, dass er 35 Jahre alt war und somit vier Jahre älter als sie. Geboren war er in New York City. Unter Alias war sein Spitzname, unter dem er im Knast bekannt war eingetragen: Doc. Sie fand es immer noch überaus passend! Nun kam sie zum spannenden Teil der Daten der Verurteilung. Er hatte eine Haftstrafe von insgesamt sechs Jahren bekommen und zwar wegen… Mord!
Sera war schockiert. Er war ein Mörder! Sie hörte den Nachtdienst draußen im Flur. Abrupt schloss sie das Programm und machte den Computer aus.