Читать книгу Die Farbe der Leere - Cynthia Webb - Страница 12

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Als Katherine ins Büro zurückkam, war Annie verschwunden, dafür saß Diane neben ihrem Schreibtisch, blätterte im Law Journal und knabberte Junkfood aus Annies Geheimvorräten.

»Wie könnt ihr in diesem Chaos nur irgendwas finden?«, fragte sie rhetorisch und wedelte mit einem Käsechip über die Schreibtische. Unter den Bergen von Akten und Anträgen war unmöglich zu erkennen, wo ein Schreibtisch endete und der andere begann.

Katherine zuckte die Achseln. »Wenn ich die Anträge draußen liegen lasse, kann ich wenigstens so tun, als hätte ich eine Chance, vor dem Gerichtstermin den Fall vorzubereiten.«

»Kommt das oft vor?«

Katherine überhörte das. »Wo steckt Annie?«

»Beantragt irgendeine Vertagung.«

»So spät noch?«, fragte Katherine.

Diane zuckte die Achseln. »Sie steht vor Bowers.«

»Ach so.«

Der Terminkalender des Gerichts war bekanntlich notorisch überfüllt, und Richter Bowers kam mit seinen Verhandlungen fast nie bis Feierabend durch. Dann musste er Downtown anrufen und eine Genehmigung für die Bezahlung der Überstunden der Gerichtsdiener, des Schreibpersonals und der übrigen Justizbeamten einholen. (»Downtown« hieß für alle Abteilungen des Gerichts das Zentralbüro in Manhattan. ­Diane verglich ihre Situation in der Bronx gern mit einem kleinen Außenposten einer abgelegenen Provinz des Römischen Reichs.) Jedes Vorkommen von Überstunden musste im Bericht des Richters verzeichnet werden und war ein Schandmal für ihn oder für sie. Bowers holte mit schöner Regelmäßigkeit Überstundengenehmigungen ein, folglich gingen alle davon aus, dass er sich nicht um Wiedereinstellung zu bemühen gedachte, wenn seine laufende Amtsperiode endete.

»Komm, iss auch was«, drängte Diane.

Widerstrebend nahm Katherine eine Handvoll trockener Kekse entgegen und fragte betont beiläufig, ohne Diane anzusehen: »Der Staatsanwalt, dieser Mendrinos …«

Diane lächelte und öffnete schon den Mund, um zu antworten, doch Katherine schnitt ihr das Wort ab.

»Wenn ich will, dass du mir einen Kerl suchst, dann sag ich’s dir. Ich will es nicht.«

»Schätzchen, ich weiß nicht, wie du darauf kommst, ich würde unsere Freundschaft riskieren, um dich mit jemandem zu verkuppeln. Hör gut zu. Die Welt dreht sich nämlich nicht bloß um dich. Heut Morgen bekam ich einen Anruf von Downtown. Wir sind aufgefordert, in einem Mordfall mit dem Büro der Staatsanwaltschaft zu kooperieren. Ein Serienmörder bringt Teenager um, und der letzte stand unter der Obhut unserer Behörde – er lebte in einem ACS-betreuten Gruppenheim. Ich bin angewiesen, jemanden von unserem Büro abzustellen, der mit dem Staatsanwalt die Akten durchgeht. Gott steh mir bei, aber ich dachte da spontan an dich. Dann stellt sich heraus, der zuständige Staatsanwalt ist Dan, den ich seit Ewigkeiten kenne. Heute Vormittag hab ich mit ihm telefoniert und von dir erzählt. Als ich ihn in der Mittagspause sah, schien es naheliegend, dich gleich vorzustellen.«

Katherine schlug die Hände zusammen. »Ich fürchte, ich hab mich vorhin wie eine Zicke aufgeführt.«

»Das kannst du wohl sagen.«

»Das passt mir eigentlich gut.« Katherines Stimme klang, als dächte sie schon an etwas anderes. »Ich wollte dich sowieso bitten – da du beim Mittagessen so vertraut mit Mendrinos schienst –, ihn mal zu fragen, wer in dem Serienmörderfall der ermittelnde Staatsanwalt ist. Jonathan Thomson … er war das letzte Opfer. Ich hoffte, du könntest – mir zuliebe – ­Mendrinos bezirzen, dass er für mich sondiert, was da läuft.«

Dianes Miene zeigte Bestürzung. »Ach Gott, der arme Junge. Oh, Katherine, das tut mir so leid. Ich hab gar nicht mitgekriegt … Ich hab die Namen der Opfer gar nicht registriert, obwohl ich sie gehört habe. Wie schrecklich.« In den Winkeln ihrer großen dunklen Augen glitzerten Tränen, vergrößert durch die Gläser ihrer Katzenaugenbrille.

Annie kam zur Tür herein, aber keine der beiden sah sie an. Achselzuckend ging sie hinter ihren Schreibtisch und setzte sich.

Diane hatte sich schon wieder im Griff, nur ihre Stimme klang ungewöhnlich leise und angespannt. »Ich weiß nicht, Schätzchen … vermutlich solltest du das dann lieber nicht übernehmen. Besser, jemand macht das, der ihn nicht so gut kannte wie du.«

Katherines Kiefermuskeln spannten sich, und ihr Blick begann zu funkeln. »Wenn du mir den Auftrag entziehst, kündige ich.«

Überraschung weitete Dianes Augen, und sie war einen Augenblick still, als müsse sie etwas abwägen. »Ich scheiß auf dich. Wenn mir wirklich an dir läge, müsste ich dringend dafür sein, dass du kündigst.«

Annie hatte ihre Vorgesetzte noch nie so reden hören und blickte verdattert von einer zu anderen.

Katherine lachte.

»Ich hab ihm gesagt, du rufst ihn an, bevor du heute Schluss machst. Zeig ihm, wie wir uns überschlagen vor Bereitwilligkeit, mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren. Aber … sag mir noch eins. Bevor du von diesem Auftrag wusstest, was hast du dir davon versprochen, mit dem Staatsanwalt plaudern zu dürfen?«

»Ich weiß nicht, was das jetzt zur Sache tut.«

Annie konnte nicht recht entscheiden, ob dieser Wortwechsel Ernst oder Spaß war.

»Hör mal zu, Mädchen. Dieser Spezialauftrag stellt mein Urteilsvermögen auf den Prüfstand. Ich hab nicht vor, für den Rest meines Lebens dieses gottverlassene Bronx-Ressort hier am Ende der Welt zu leiten. Also riskiere ich nicht dir zuliebe meinen guten Ruf, solange du nicht offen zu mir bist. Rede Klartext mit mir.«

Katherine sah Diane ausdruckslos an. »Meine persönliche Involviertheit wird die Arbeit nicht beeinträchtigen.«

Diane sah sie fordernd an. Das reichte ihr nicht.

»Diane …« Katherine brach ab, dann fuhr sie in einem Ton fort, der ihrer gewohnten Stimme wesentlich näher war: »Du bist diejenige, die mir beigebracht hat, nichts von alldem hier persönlich zu nehmen. Und du hattest recht. Ich hätte Jonathan gar nicht erst so nah an mich heranlassen sollen.«

Diane unterbrach sie scharf: »Das hab ich nie gesagt.«

Katherine zuckte die Achseln. »Wie auch immer. Ich werde diesen Fehler nie wieder machen. Aber Jonathan ist tot. Er ist tot, und ich will einfach wissen, was passiert ist. Sieh mal, ich hab mich seiner angenommen, wie man sich einem Projekt verpflichtet oder so, und dann habe ich ihn hängenlassen. Das hätte ich nicht tun sollen. Ich war wütend auf ihn, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, und er wusste, dass ich von ihm enttäuscht war. Ich hab ihn fallenlassen. Ich schulde ihm noch was.«

Diane antwortete nicht. Die Stille zog sich in die Länge, und schließlich fand Annie, dass sie etwas sagen musste. »Du kannst dir doch nicht die Schuld daran geben.«

»Ach nein?«

Dianes Stimme war leise. »Guter Gott, er wurde ermordet. Das hat doch nichts mit dir zu tun.«

»Da hat sie recht«, beharrte Annie. »Er wurde ermordet. Mord ist keine vorhersehbare Konsequenz von ein paar ausgefallenen Besuchen.«

Nichts in Katherines Gesichtsausdruck änderte sich. »Wie auch immer. Dann ist es eben nicht meine Schuld. Jedenfalls hat es keinen Einfluss auf meine Befähigung, Mendrinos zu unterstützen.«

»Kind …« In Dianes Augen standen wieder Tränen. »Ach, vergiss es. Die Mädchen warten mit dem Abendessen auf mich, und heute ist Mittwoch, also geh ich zum Gottesdienst. Und ich sag dir was, ich werd ein Gebet für dich sprechen, und eins für Jonathan. Gott segne seine arme kleine Seele.«

Katherine wartete, bis Diane zur Tür hinaus war, und murmelte dann: »Was immer das bringen soll.«

»Sie geht in die Kirche?«, fragte Annie.

»Ja, das braucht sie wohl.« Katherine schüttelte den Kopf. »Sie hat’s mir mal erzählt, bevor sie hinging. Sie hatte da diesen Fall. Der Name des Kindes war Farrely. – Egal, vergiss es. Mich nervt es, dass sie hinrennt und zu Gott betet, der sich leider zu fein war, um Jonathan zu retten. Verdammt, ich begreife nicht, wie man zu einem Gott beten kann, der zulässt, dass dreizehnjährige Mädchen cracksüchtige Babys zur Welt bringen. Und den ganzen anderen Scheiß da.« Sie schwenkte die Hand in Richtung der Aktenberge auf ihrem Tisch, dann griff sie, ohne auf eine Antwort zu warten, zum Telefon.

»Katherine, sag mir, dass du nicht glaubst, es wäre deine Schuld.«

Katherine hielt inne, den Hörer in der Hand. »Natürlich nicht.« Sie tippte eine Nummer ein. Bevor sie die letzte Zahl drückte und den Hörer ans Ohr legte, sagte sie: »Frag Diane gelegentlich mal nach dem Farrely-Fall.«

Aber Annie war sich ziemlich sicher, dass sie das lieber nicht wissen wollte.

Die Farbe der Leere

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