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Kapitel 2

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Uwe Knecht lauschte aufmerksam einer Stimme, als er aus dem Fenster sah. »Du hast all diese Fragen und er hat all die Antworten darauf. Doch lässt er dich absichtlich im Dunkeln.« Vor den Worten jener Stimme, wollte er sein Gemüt verschliessen. Doch sie blieb beharrlich, versuchte ihn von der bösen Absicht seines Gesprächspartners zu überzeugen. Er sprach mit einem Arzt, der mehrere Meter von ihm entfernt sass und ihm von dort aus, mit einer gewissen klinischen Gelassenheit, zugehört hatte.

»Sie haben mir das letzte Mal erzählt«, sagte der Arzt, »dass es zwischen Ihnen und Lorenz einmal eine Zeit gegeben hätte, während der sie keinen Kontakt mehr zueinander gepflegt hatten. Etwa fünf Jahre, sei es so gewesen.«

»Sie erinnern sich richtig«, sagte Uwe.

»Warum haben Sie, nach solch einer langen Zeit, den Kontakt wieder gesucht?«

»Ich war nicht derjenige, der den Kontakt suchte. Denn ich war frustriert, weil Lorenz die Dinge meist so organisierte, dass alle stets bei ihm zu Gast waren. Freunde zu sich einzuladen und ein grosses Spektakel zu inszenieren, das war seine Leidenschaft, darin war er gut. Doch ich hatte dieses ewige Zugastsein irgendwann satt. Deshalb habe ich eines Tages mit ihm gebrochen und ging fortan wieder meine eigenen Wege. In der Folge hätte ich mich von mir aus auch nicht mehr bei ihm gemeldet. Der Kontakt wurde letztlich durch ihn wieder hergestellt. Eines Tages erhielt ich eine Einladung zu einer Feier im Hause der Stutgarts. Ich war überrascht. Sie hatten vermutlich meine Nummer noch irgendwo gespeichert. Ich begann abzuwägen, ob ich hingehen sollte oder nicht, sah bereits eine absurde Collage vor meinem inneren Auge, die ich mir aus Fragmenten der Vergangenheit zusammengesetzt hatte und malte mir den Moment des Wiedersehens mit Lorenz aus. Ich empfand zugleich Sehnsucht und Abneigung.«

Uwe sah noch immer aus dem Fenster. Auf dem Sims lag Schnee. Der Anblick der verschneiten Landschaft trieb seine Gedanken zurück in die Vergangenheit. Er beobachtete in der Spiegelung des Fensters die Reaktion des Arztes, der in einem warm aussehenden, dunkelroten Strickpullover in einem Ledersessel sass und die Beine überschlagen hatte, um einen Notizblock darauf abzustützen, in den er sich nun ruhig, mit einem schweren Stift, etwas notierte.

»Doch kommt es mir heute vor«, sagte Uwe, »als hätte sich in jener Zeit, die auf das Wiedersehen mit Lorenz gefolgt war, mein gesamtes Leben abgespielt.«

Einige Krähen flogen wild von den kargen Ästen eines Baumes auf, auf dem sie sich niedergelassen hatten. Sie sahen vor dem bewölkten Himmel aus, wie eine aufsteigende Wolke aus schwarzem Rauch.

»Hatten Sie, zu dieser Zeit, eine Beziehung körperlicher Natur zu jemandem gehabt?« fragte der Arzt, der aufgehört hatte zu schreiben. Er hatte sich nach vorne gebeugt, stützte die Ellbogen nun auf die Knie und begutachtete seinen Patienten sorgfältig.

»Möchten Sie ein Glas Wasser?«

Uwe deutete diese Frage als Hinweis darauf, dass irgendeine Verschlechterung seines von aussen sichtbaren Zustandes stattgefunden hatte, die der sonst sehr gelassene Arzt nun als Anlass zur Sorge interpretierte.

»Wenn es nicht zu viel Umstände macht«, sagte Uwe mit trockenem Mund.

»Sie dürfen ihre Bedürfnisse direkt kommunizieren«, sagte der Arzt im Aufstehen. Er kam an Uwe vorbei und legte ihm eine warme Hand auf die Schulter.

»Ob es mir Umstände macht«, sagte er, als er hinausging, »das darf nicht Ihre erste Sorge sein.«

Er verschwand ins Vorzimmer und liess Uwe mit dem zuletzt Gesagten allein. Dieser blickte wieder zu den Krähen nach draussen, die sich unterdessen wieder auf dem kargen Baum gesammelt hatten und scheinbar wieder etwas ruhiger geworden waren.

Der Arzt kam mit einem Glas Wasser zurück.

»Eben waren Sie dabei«, sagte er, »mir zu erzählen, ob Sie während jener Zeit, als sie wieder mit Lorenz in Kontakt waren, auch eine körperliche Beziehung zu jemand anderem gepflegt hatten – zu einer Freundin vielleicht?«

Er reichte Uwe das Glas.

Uwe trank. Er bedankte sich mit einem schwachen Kopfnicken und versuchte, seine Mundwinkel zu einem Lächeln zu bewegen.

»Ich hatte eine Freundin«, sagte er. »Überrascht Sie das?«

»Keineswegs. Sie haben viele interessante Qualitäten, die man als attraktiv empfinden könnte«.

»Nennen sie mir eine

Der Arzt verschränkte die Beine und lehnte sich im Sessel ein wenig zurück.

»Man könnte sagen, Sie schaffen es manchmal, einen zu verwundern, das macht Sie, auf eine gewisse Weise, … interessant

»Komplimente im Konjunktiv«, murmelte Uwe.

»Wie bitte?« fragte der Arzt.

Uwe sagte, er habe nichts gesagt.

Es folgte ein Moment der Stille.

Sie waren vom Thema abgewichen.

»Ich möchte«, sagte der Arzt, »dass Sie mir von Ihrer Freundin erzählen.«

Uwe schloss die Augen.

Die Erinnerung an einen bestimmten Tag nahm in seiner Vorstellung langsam Gestalt an. Er öffnete die Augen wieder, ehe er zu erzählen begann.



Der Prophet und sein Kritiker

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