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2.2 Recruiting mit dem AGG
ОглавлениеDas Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) trat als Durchsetzung von EU-Recht im August 2006 auch in Deutschland in Kraft und hat den Bewerbungsprozess verändert. Das AGG versucht, Diskriminierung anhand von acht Merkmalen zu verhindern ( Abb. 9). Die Kriterien sind ethnische Herkunft und Rasse, Weltanschauung und Religion, Geschlecht, sexuelle Identität, Behinderung und Alter. Dabei ist zu beachten, dass Diskriminierung nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar erfolgen kann. Werden beispielsweise Teilzeitkräfte diskriminiert, so lässt sich damit aufgrund des hohen Prozentsatzes teilzeitbeschäftigter Frauen auch mittelbar eine Diskriminierung nach Geschlecht unterstellen. Es gibt drei Ausnahmen, bei denen die acht Merkmale nicht gelten, nämlich
1. wenn bestimmte berufliche Anforderungen vorliegen,
2. wenn Maßnahmen, die gerade zur Verhinderung von Benachteiligung ins Leben gerufen wurden, dagegensprechen, sowie
3. wenn spezielle Rechtfertigungsgründe vorliegen.
Abb. 9: Diskriminierungsmerkmale nach dem AGG
Das AGG hat insbesondere auf die Personalbeschaffung große Auswirkungen. Es beginnt mit der Forderung, diskriminierungsfrei auszuschreiben sowie der Empfehlung, mindestens zwei Interviewer zu beteiligen und ein strukturiertes Interview durchzuführen. Die Interviewer können im Klagefall jedoch nur dann als Zeugen auftreten, wenn sie selbst nicht zugleich Unternehmer sind. Ein »strukturiertes Interview« mit vorgegebenem Inhalt, das für alle Bewerber gleich verwendet wird, bietet den Vorteil, dass fachliche Absagegründe belegt werden können und so Diskriminierungsvorwürfen vorgebeugt werden kann.
In der Ausschreibung der Stelle muss darauf geachtet werden, dass sowohl direkte als auch indirekte Diskriminierungsformulierungen vermieden werden. Selbst wenn man gern junge Mitarbeiter einstellen würde, weil diese am besten in das vorhandene Team passen, ist diese Formulierung verfänglich. Es wird zwar kein junger Mitarbeiter gesucht, aber indirekt lässt sich darauf schließen. Auch wenn hier ein Grenzfall vorliegt, lautet ein Richtwert, bei Ausschreibungen mehr die Anforderungen der Stelle zu beschreiben (Funktion) als die gewünschte Qualifikation des Bewerbers (Person).
Das bedeutet beispielsweise keinen »mobilen Mitarbeiter« (personenbezogen) zu suchen, sondern darauf hinzuweisen, dass mit der Stelle Reisetätigkeiten verbunden sind (funktionsbezogen). Ausnahmen können zugelassen werden, wenn sie einen der drei oben erwähnten Ausnahmegründe betreffen. Etwa eine Schauspielrolle als »Jugendlicher Liebhaber für Theateraufführung gesucht« auszuschreiben, wäre unverfänglich, weil die Kriterien Alter und Geschlecht für die speziellen beruflichen Anforderungen unabdinglich sind.
Es ist für Unternehmen notwendig, alle den Bewerber betreffenden Unterlagen so lange nach erfolgtem Absageschreiben aufzubewahren, wie eine mögliche Klagefrist läuft. Eine grundsätzliche Empfehlung für Unternehmen seit Eintreten des AGG lautet, den Bewerbern keine Absagegründe mehr zu nennen. Hintergrund ist die Angst, von Bewerbern beklagt zu werden, sollte eine unmittelbare bzw. mittelbare Diskriminierung nach den Kriterien des AGGs vorliegen. Dies betrifft nicht nur externe Bewerber, sondern oft auch Bewerber, die sich innerhalb des Unternehmens bewerben. So empfehlenswert dies arbeitsrechtlich sein mag, so wenig kundenfreundlich gestaltet sich dieses Vorgehen, weil Bewerber kein Stärken- bzw. Schwächen-Feedback mehr erhalten. Um dieses Feedback zu ermöglichen, ist es sinnvoll, Absagen von Mitarbeitern durchführen zu lassen, die im AGG bewandert sind, wie z. B. Personalmitarbeiter. Auch nach den Richtlinien des AGG ist es weiterhin möglich, detaillierte Absagegründe zu nennen, solange man dies professionell tut, also die Absage streng an Merkmalen der fehlenden Qualifikation ausrichtet.
Zum einen ist es kundenfreundlich, dem Bewerber ein detailliertes Stärken- und Schwächen-Feedback zu geben. Es zeigt, dass sich ein Unternehmen mit dem Bewerber auseinandergesetzt hat, und die Absage aufgrund von präzisen, wohlüberlegten und fachlichen Gründen erfolgt. Ein solches qualifiziertes Feedback, das sich an der beobachteten Leistung orientiert, läuft nicht Gefahr, in Hinsicht auf das AGG kritisiert zu werden. Zum anderen bleiben auch mit dem AGG immer noch Differenzierungsgründe gegeben, z. B. hinsichtlich Kriterien beruflicher Anforderung.
Auch Feedback innerhalb bzw. im Nachgang eines Auswahlverfahrens kann so weiterhin gegeben werden und ist aufgrund der starken Strukturierung beispielsweise eines Assessment-Centers noch unverfänglicher als nach einem Interview. Denn das Feedback richtet sich in der Begründung der beobachteten Stärken und Schwächen streng nach den wahrgenommenen und dokumentierten Kompetenzen, die mehrere Beobachter im Konsens festgestellt haben. Das AGG ist ein Gesetz zur Verhinderung von Diskriminierung. Hierbei sollte nicht vergessen werden, dass eine Gleichstellung im Sinne eines Benachteilungsverbots gemeint ist. Es ist kein Anspruch auf Besserstellung damit verbunden ( Abb. 10).
Religiöse Gruppen, die beispielsweise wollen, dass ihre jeweiligen Feiertage anerkannt werden, können dies mit dem AGG nicht begründen. Auch ist zu beachten, dass das AGG auf arbeitsbezogene Gleichstellung abzielt und nicht auf private Bereiche zutrifft. Lädt ein Arbeitgeber beispielsweise nur ausgewählte Mitarbeiter zu einer Privatfeier zu sich nach Hause ein, so könnten beispielsweise nicht eingeladene Mitarbeiter, die »zufällig« einer bestimmten geschützten Gruppe angehören, keinen Einspruch erheben. Schwierig wird es freilich dort, wo Arbeit und Privates zusammenfallen oder sich in einer Grauzone vermischen, z. B. auf Dienstreisen. Hier kann ein Hinweis in den jeweiligen Unternehmensrichtlinien bzw. im Arbeitsvertrag helfen, inwieweit beispielsweise Dienstreisen als Arbeitszeit abgerechnet werden können, inwieweit oder ob sie überhaupt als Arbeitszeit gelten.
Abb. 10: »Vielen Dank für die Gleichbehandlung, Chef!«
Grundsätzlich gilt mit dem AGG bezüglich der Entgeltpolitik der Grundsatz: »Gleiche Vergütung für gleiche Arbeit«. Dies gilt auch für alle Vergütungsbestandteile wie Grundentgelt, Zulagen, Prämien, Erfolgsbeteiligungen oder auch Sachbezüge. Je stärker ein Unternehmen die Vergütung an objektive Faktoren wie Qualifikation, Führungsverantwortung, Leistung, Erfolg oder auch besondere Arbeitsbelastungen knüpft, umso unverfänglicher lässt sich eine in der Praxis erfolgende Vergütungsdifferenzierung begründen.
Eine Staffelung des Entgelts nach Berufsjahren beispielsweise kann deshalb dann nicht als mittelbare Diskriminierung aufgrund des Alters bezeichnet werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass mit den Berufsjahren die erforderliche Qualifikation zugenommen hat und somit ein objektives Kriterium, nämlich das erhöhter Leistungserbringung, vorliegt. Sucht ein Unternehmen Mitarbeiter mit »mindestens drei Jahren Berufserfahrung« so liegt auch hier keine Diskriminierung von Hochschulabsolventen und damit eine mittelbare Diskriminierung von Jüngeren vor, wenn die Ausschreibung beispielsweise den Zusatz enthält »in der IT-Branche«. Damit wird die Berufserfahrung an notwendige Qualifikationen geknüpft. Eine Objektivierung der Anforderungen sollte, wo es möglich ist, bereits in bestehende Anforderungsprofile Eingang finden und damit auch als Grundlage für die darauffolgende Personalauswahl dienen.
Wenn die Einführung des AGG auch zu einem größeren bürokratischen Aufwand für die Unternehmen geführt hat, hat sich für die Bewerber die Qualität der Auswahlverfahren durchschnittlich wohl durchaus erhöht und damit die Gefahr einer möglichen Diskriminierung weiter verringert.