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3 Thesen zu Mehrsprachigkeiten in der Ausbildung auf der Sekundarstufe II und an Hochschulen

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Für den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache existieren zahllose Hilfestellungen und Ideensammlungen, die meisten davon allerdings nur für die Volksschule. Auch sind ausgreifende didaktische Anregungen zur «Förderung der Schulsprache in allen Fächern» (Neugebauer/Nodari 2016) selten. Was fehlt, wird oftmals an den Sprachunterricht/allgemeinbildenden Unterricht delegiert. An Hochschulen gibt es für das «Fehlende» spezifische Dienstleistungen (Kurse), manchmal auch Dienstleistungsstellen (Sprachzentren, Schreibzentren u. a.).

Der vorliegende Band versucht, in diese Lücke zu springen, mit dem Risiko, den Erwartungen nicht gerecht zu werden. Wir beleuchten den Umgang mit Sprache auf der Sekundarstufe II und Hochschulstufe, berücksichtigen dabei Dimensionen von Mehrsprachigkeiten und geben Hinweise für die Unterrichtspraxis. Es gibt vier gute Gründe, dieses unmögliche Unterfangen zu wagen:

Mehrsprachigkeiten an sich sind kein Grund für Schulerfolg oder -misserfolg. Der sogenannte Migrationshintergrund ist keine aussagekräftige Kategorie, haben doch gewisse migrierte Einwohner*innen der Schweiz sogar einen durchschnittlich besseren Schulerfolg als die einheimische Bevölkerung. Erst in Kombination mit der sozialen Schicht können Mehrsprachigkeiten Misserfolg in der Schule erklären (Khan 2018, S. 386–399). Daher sind Lehrende, auch wenn kein sprachliches Fach im Vordergrund steht, angehalten, mit der Dimension der Mehrsprachigkeiten bewusst und gezielt umzugehen.

Mehrsprachigkeiten sind die Norm und nicht eine Störung des Unterrichts. Diese Haltung von Lehrpersonen ist produktiv für den Unterricht (Khan 2018, S. 406–429). Mehrsprachigkeiten zu akzeptieren, zu berücksichtigen, sie als Chance wahrzunehmen und auch didaktisch zu verwenden, dazu bedarf es viel Übung. Hier können persönliche Überzeugungen und subjektive Theorien das Unterrichtsgeschehen behindern. Etwa: Wenn die Volksschule das nicht geschafft hat, dann die Berufsbildung erst recht nicht. Zentral ist die Überzeugung der Lehrenden – wie immer beim Unterrichten –, dass Menschen lernen wollen und aus verschiedenen Kontexten und Perspektiven heraus unterschiedlich lernen. Zu dieser Haltung gehört auch ein offener Blick auf die vorhandenen sprachlichen und kulturellen Ressourcen. Wir plädieren dafür, dass diese Haltung professionell unterfüttert wird mit didaktischem Know-how zu Scaffolding, Arbeit mit Textsorten, effektivem Sprachenlernen sowie Kenntnissen über Besonderheiten der deutschen Sprache allgemein und der Bildungssprache (vgl. Schader 2012). Auf diese Weise nähern sich Lehrende dem Ziel, Sprachförderung in jedem Fach, jeder Lehrveranstaltung und jedem Seminar zu betreiben.

Der Spracherwerb, das Sprachlernen ist weder auf der Sekundarstufe II noch auf der Hochschulstufe abgeschlossen. Ab Sekundarstufe II beginnt die Sprachentwicklung hin auf elaboriertes Leseverstehen, materialgestütztes Schreiben sowie angemessene mündliche und schriftliche Sprache in bestimmten Berufen und Disziplinen. Gerade in Naturwissenschaften ist die Studiensprache ganz oder teilweise Englisch. Auch diese Form des Englischen muss eingeübt werden, sind doch die Gepflogenheiten wissenschaftlichen Schreibens auf Englisch andere als auf Deutsch (vgl. Sieber 1994 sowie Jörissen/Verhein in diesem Band).

Berufslernende und Studierende sind nicht grenzenlos fähig, mit eigenen Mehrsprachigkeiten umzugehen. Es ist Aufgabe der Lehrenden und der Bildungsinstitutionen, sie dabei aktiv zu unterstützen. Entwicklungspsychologisch gesehen, verhindern Pubertät und Adoleszenz als Phasen der Identitätsbildung aufgrund der oben dargestellten sozialen Bedingungen tendenziell, dass junge Menschen souverän mit ihrer mehrsprachigen Identität umgehen. In der Adoleszenz – und auch später – vermeiden es Menschen besonders in formellen Settings, auf persönliche Hintergründe hinzuweisen, die nicht der Norm entsprechen. Sie gehen bewusst oder unbewusst davon aus, dass offener Umgang mit Mehrsprachigkeiten dem Selbstwert, ihrem Ansehen und der Karriere schaden kann (Honegger/Sieber 2013). Wenn sie lernen, dass Mehrsprachigkeiten in einem formellen Umfeld (Beruf, Schule) negativ konnotiert werden, verstecken sie sie. Dies gilt besonders für sozial markierte Sprachen wie jamaikanisches Patois oder für «uninteressante» Sprachen wie Tigrinya – wobei in beiden Fällen (heute noch) die Hautfarbe dem Aufgehen im Mainstream einen Riegel vorschiebt. Bilaterale Bildungssettings (vgl. Thomann/Honegger/Suter 2016) würden einen bewussten Umgang mit der Situation des «anders und gleichzeitig nicht anders sein Wollens» ermöglichen und auch generell Vielfalten in der Bildung berücksichtigen können.

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