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1 Mythen zu Mehrsprachigkeiten
ОглавлениеBevor wir den Umgang mit Sprache an Hochschulen und Schulen fokussieren, folgen zunächst einige Gedanken zu ausgewählten Mythen, die sich auf Sprache und Mehrsprachigkeiten beziehen:
Mythos «Dominanz der lokalen Sprache»: Nur wer Sprache und Bildungssprache einer bestimmten Region mindestens annähernd als Erstsprache verwenden kann, besitzt intakte Chancen auf eine persönliche und berufliche Entwicklung in dieser bestimmten räumlichen, sprachlichen und sozialen Umgebung (siehe Abschnitt 1.1).
Mythos «Sprachzerfall»: Sprachkompetenz und Sprachvarietäten schwinden von Generation zu Generation. Mehrsprachigkeit ist ein neueres Phänomen und geht mit dem Untergang von autochthoner Kultur einher (siehe Abschnitt 1.2).
Mythos «Sprachbegabung»: Sprach- (oder Mathematik-)Vermögen ist primär von der individuellen Begabung abhängig und nur mit grossen Mühen durch Bildung und Lernen beeinflussbar (siehe Abschnitt 1.3).
Diese Mythen wirken, unabhängig davon, ob sie empirisch stimmen oder nicht (zu Sprachideologien vgl. auch Busch 2017, S. 82–84). Wie und ob Individuen eine bestimmte Sprache verwenden, nicht verwenden oder nicht den Konventionen entsprechend verwenden, beeinflusst Lernende, Lehrende und Entscheidungsträger in der Bildungspolitik. Was in einem kulturellen Kontext über Sprachen gedacht wird, beeinflusst die Personen, die diese Sprachen verwenden, und hat Auswirkungen darauf, was ihnen geschieht (Afra Sturm in diesem Band, hier). Sich verständlich auszudrücken, widerspricht beispielsweise gewissen impliziten Wissenschaftskonventionen (vgl. Langer/Schulz von Thun/Tausch 2011, S. 159 f.). Dies zeigt sich in Texten, in formellen oder familiären Gesprächen und in der Interaktion von Personen verschiedener Herkunftssprachen. Stets markiert Sprachverwendung auch den sozialen und intellektuellen Status, weit über ihre rein kommunikative Funktion hinaus. Sprache fungiert als zentraler Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe oder gesellschaftlichen Ausschluss.
Die folgende selektive Diskussion der drei genannten Mythen bewegt sich mehr auf einer soziologischen und weniger auf sprachdidaktischer oder linguistischer Ebene, da Mythen eher gesellschaftliche Wirkungen und nicht empirisch fundierte Forschungsergebnisse erklären. In der Diskussion versuchen wir, subjektive Theorien über das Sprachenlernen, die mindestens teilweise auf diesen als Tatsachen getarnten Mythen beruhen, einer – auch didaktisch – weiterführenden Argumentation zugänglich zu machen.