Читать книгу Aus dem Leben kleiner Leute - Dagmar Herrmann - Страница 11
ОглавлениеDas Sterben ist einfach
hatte er immer gesagt, der Herr Schwan.
Die Todesanzeige erschreckte die Nachbarschaft.
Das war doch immer so ein lustiges Haus, immer einen Scherz auf den Lippen, immer so hilfebereit, hat morgens für die gehbehinderte Frau Radtke, seine Gegenübernachbarin, den Mülleimer rausgestellt und ihr die Bild-Zeitung, diese zwar eher widerwillig, und Brötchen besorgt. Na gut, alle wussten es, seit seine Frau Erna so früh verstarb, da ging es bergab mit ihm, da hat er zu tief ins Glas geschaut, aber immer adrett und nett, auch weiterhin, sein Vorgarten tipptopp gehalten mit dem Rasenkantenschneider kerzengerade die Linien gezogen, die Blumen nach Farben geordnet, in Reih und Glied standen sie im gejäteten Beet. Die Akkuratesse in Person.
Dann fing er an, so merkwürdige Sachen zu machen. Na ja, die ganze Nachbarschaft hat darüber getuschelt und hat auch manchen Ärger verursacht. Über Nacht ist er wohl sentimental geworden. Hat bei jeder Gelegenheit geweint und gesagt, die Welt, sie sei so schlecht. Er könne es nicht mehr ertragen, und die Kinder hätten kein Benehmen, aber sie könnten ja nichts dafür, sind sich selbst überlassen, die Alten sind abgeschrieben, solche wie er, die nicht mehr gut zu Fuß sind, sie können nicht mal mehr die Straße überqueren, weil die Ampeln in der Hälfte wieder auf Rot schalten, und die jungen Leute, sie rempeln dich an. Er traue sich bald nicht mehr auf die Straße. Und dann hatte er einen Vogel mit dem Ali und dem Amadou, der ein Schwarzer ist, der eine Türke und der andere ein Neger, schwarz wie Kohle, die sind anders. Er faselte immer davon, wie freundlich die beiden seien, helfen den Alten und Schwachen, und sag nur ein Wort, dann machen die alles im Haus; aber die Leute reden so gemein und gehässig über sie, und beide haben immer Ärger, wenn sie unterwegs in der Stadt sind.
Neulichst haben sie die Frau vom Amadou in den Rinnstein geschubst. Die Frau ist dann ins Krankenhaus mit gebrochenen Rippen und einer Gehirnerschütterung, und im Krankenhaus, da ist sie aus dem fünften Stock gesprungen, war sofort tot, und der Amadou ist nicht mehr aus dem Haus, und eines Tages war er verschwunden, und das alles habe ihn so fertiggemacht, den Herrn Schwan, sagte er, und das Ende vom Lied war, dass er dahinsiechte wie eine Blume, die nicht gegossen wird, und auf einmal war er dann tot.