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Vorwort

Man stelle sich das Bild vor: An einem öffentlichen Platz mit dörflicher Prägung der ehrwürdigen Hansestadt Bremen sitzt tagtäglich auf einer bereits in die Jahre gekommenen Bank eine alte Frau. Die alte Frau – schlohweißes Haar, hellblaue wache Augen – sitzt wie ihr eigenes Denkmal und betrachtet das Geschehen um sich herum. Nicht wie ein Raubvogel angespannt, der auf Beute lauert, sondern in sich gelassen. Wie eben ein gereifter Mensch beobachtet, den kaum noch etwas wirklich zu überraschen vermag. Und dennoch scheint die alte Frau das Gesehene genauestens zu notieren, als ob sie, in die bescheidene Wohnung zurückgekehrt, ihre Notizen nebst den eigenen Gedanken dazu aus dem Kopf in ein Tagebuch übertragen wolle.

Die alte Frau sieht etwa einen Mantel ohne Knöpfe, der in einer Pfütze liegt, und überlegt sich sogleich, ob der Knopflose möglicherweise einem Zigarillos schmauchenden Taxifahrer gehören könnte, der, unentschlossen darüber, ob ihm geschlossene Knöpfe hinter dem Steuer behindern würden oder eher nicht, dieses Problem einfach auf den nächsten Sommer verschiebt, in dem er wohl weitere Zigarillos rauchen wird. Allerdings ohne Mantel.

Die alte Frau sieht Spatzen Gassenhauer von den Dächern pfeifen, und die Überlegung drängt sich ihr auf, ob diese schamlose Unterstellung den betroffenen Piepmätzchen tatsächlich nicht völlig piepe ist.

Oder die alte Dame schaut einer verbitterten Ehefrau zu, wie sie an einem nahen Gemüsestand grüne Erbsen einkauft. Die Alte gewinnt den Eindruck, daheim würde das Eheweib die Erbsen zählen – die guten ins Kröpfchen, die schlechten ins Töpfchen –, Speck, Zwiebeln und durchpassierten Fliegenpilz sorgsam hinzufügen, anschließend eine Erbsensuppe köcheln, dass ihrem lieben Ehemann im wahrsten Sinne des Wortes Hören und Sehen vergeht.

All das und noch viel mehr beobachtet die alte Frau und schreibt es in ihr Tagebuch. Und zum guten Schluss auch etwas über sich selbst. Man stelle sich nur jene Gedanken, die überwältigende Flut an Bildern vor ... Nein, braucht man nicht. Man kann, muss diese Bilderflut lesen.

Hans-Dieter Heun, ein Fan.

Aus dem Leben kleiner Leute

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