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4. Kapitel – Merts Geschichte

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Mert schien froh zu sein, als Tiko ihm anbot, das Steuer zu übernehmen. Er trat seinen Platz bereitwillig an den T'han T'hau ab, bevor er sich unter dem Segel hindurch duckte und die Treppe ins Unterdeck hinabsteigen wollte.

Cridan hielt ihn zurück: »Mert! Wartet einen Moment!«

Mert hielt inne und drehte sich zu ihm um. Sein Gesicht war verschlossen, doch Cridan sah den verunsicherten Blick, den er ihm zuwarf.

»Was ist?«

Cridan musterte ihn einen Moment lang.

»Ich würde mich gern mit Euch unterhalten«, sagte er dann.

Mert gab einen undefinierbaren Laut von sich. »Ich bin müde«, entgegnete er. »Ich würde gerne schlafen. Von mir aus können wir danach…«

»Ihr könnt noch lange genug schlafen«, unterbrach Cridan ihn. »Diese Überfahrt wird Wochen dauern, und ein paar Stunden mehr, die Ihr wach bleibt, werden Euch nicht umbringen.«

Mert zuckte unter Cridans letzten Worten sichtlich zusammen.

»Und worüber wollt Ihr reden?« fragte er, mühsam beherrscht.

Cridan zuckte mit den Schultern. »Mir fallen eine Menge Dinge ein. Aber fangen wir vielleicht mit der Sache im Lagerhaus an.«

Mert machte ablehnend einen Schritt zurück. »Ich glaube nicht, dass ich wissen will, was dort passiert ist.«

Cridan sprang vom Vorschiff zu ihm hinunter.

»Nicht? Das glaube ich Euch nicht.« Er beugte sich vor und sah Mert scharf an. »Natürlich wollt Ihr es wissen. Aber Ihr habt Angst davor.«

Dieser Satz war zu viel. Merts Beherrschung zerbrach.

»Bei allen Göttern, Cridan, wundert Euch das?« stieß er hervor. »Seht Euch doch nur einmal an! Ihr… Ihr seht aus wie ein… wie ein…« Er rang nach Worten. »Wie ein verfluchter Dämon! Wie ein Dämon, der gerade ein Dutzend Menschen in Stücke gerissen hat! Seht Euch an! Wie könnt Ihr glauben, dass ich auch nur ein Wort mit Euch reden wollte?«

Cridan blickte an sich hinunter.

Mert hatte Recht: Er sah fürchterlich aus. Er war von Kopf bis Fuß mit Blut, Knochensplittern und anderen angetrockneten Resten des Kampfes besudelt, sein Hemd hatte einen langen Riss am rechten Oberarm, der Ärmel war mit Blut durchtränkt, und auf beiden Hosenbeinen sah man nur zu deutlich die Abdrücke seiner eigenen Hände, wo er sie auf dem groben Stoff abgewischt hatte.

»Gut«, sagte er nach einer Weile und nickte. »Ich sehe aus wie jemand, der vor ein paar Stunden achtzehn Männer getötet hat – getötet, nicht in Stücke gerissen. Aber wisst Ihr was, Mert?«

Er brachte sein Gesicht so nah an das des anderen Mannes, dass Mert seinen Atem auf der Haut spüren musste, und bleckte die Zähne.

»Nur der Tatsache, dass ich genau das getan habe, verdanken wir unser Leben«, knurrte er gefährlich leise. »Und wenn ich sage, ich will mit Euch reden, dann werde ich das auch tun! Habt Ihr verstanden?«

Mert war blass geworden. Cridan konnte seine Furcht riechen.

Abrupt richtete er sich wieder auf und machte eine Geste auf die Treppe. In seinem Tonfall lag nichts Bedrohliches mehr, als er vorschlug: »Geht nur voran. Ich folge Euch.«

Als Mert weiterhin zögerte, trat er an ihm vorbei und ging die Treppe hinunter, den Kopf eingezogen, um sich nicht an dem niedrigen Durchgang zu stoßen.

»Kommt schon, Mert«, sagte er spöttisch. »Ich werde Euch nichts tun. Ich möchte bloß mit Euch reden.«

In der Enge des kleinen Raumes war es unmöglich, Merts Anspannung und Nervosität nicht wahrzunehmen.

»Setzt Euch«, lud Cridan ihn freundlich ein. »Ich werde sehen, ob ich etwas zu trinken für uns finde. Wenn ich mich nicht irre, habe ich in den Schränken hier ein paar passende Dinge gesehen.«

Er öffnete nacheinander die Türen der kleinen, in die Bordwand eingepassten Schränke, bis er die Krüge fand, die mit einem Korken fest verschlossen waren. Einen davon öffnete er und schnupperte.

»Riecht gut«, entschied er, nahm noch zwei Zinnbecher aus dem Vorrat und stellte sie in die Vertiefungen des schmalen Tisches. Dann goss er in beide Becher einen ordentlichen Schuss und nahm Mert gegenüber Platz.

»Auf eine gute und ruhige Überfahrt«, sagte er, hob seinen Becher und sah Mert abwartend an.

Mert rührte sich lange nicht, doch schließlich streckte er die Hand aus, nahm das Trinkgefäß hoch und nickte. Seine Finger zitterten merklich. »Auf eine ruhige Überfahrt.«

Sie tranken. Der Schnaps war gut und stark, und Cridan spürte beinahe sofort die beruhigende Wirkung.

Eine Weile blieb es still im Schiff.

Cridan beobachtete Mert über den Rand des Bechers und stellte belustigt fest, dass Mert das gleiche tat, wobei er unruhig auf der Bank hin und her rutschte und einen Schluck nach dem anderen nahm.

Nach einer Weile schien der andere Mann es nicht mehr auszuhalten.

»Ihr wolltet reden! Dann tut es auch, damit ich endlich schlafen gehen kann!«

Cridan setzte seinen Becher ab, ließ die Hände locker in den Schoß fallen und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.

»Keine Sorge«, antwortete er mit einem kleinen Lächeln. »Ich werde Euch nicht alle Fragen heute stellen. Wie ich schon sagte, wir haben noch reichlich Zeit auf der Überfahrt.«

Er trank einen Schluck.

»Vorweg jedoch eine kurze Bemerkung zu dem, was in dem Lagerhaus passiert ist.«

»Ich sagte doch, ich will das nicht wissen!« fuhr Mert auf. »Ich habe das Ergebnis gesehen! Das reicht mir!«

»Nein«, widersprach Cridan hart. »Das reicht nicht.«

Er machte eine kurze Pause.

»Ich werde Euch mit Einzelheiten verschonen«, sagte er dann. »Die Männer sind in das Lagerhaus eingedrungen. Schmuggler, Räuber oder etwas in der Art. Ich habe nicht die Zeit gefunden, sie danach zu fragen. Meine Absicht war, versteckt zu bleiben, bis sie wieder verschwinden würden, doch leider wurde unser Versteck entdeckt. Von dem Punkt an waren verschiedene Dinge denkbar. Zum ersten: selbst erschlagen zu werden. Bei einem Verhältnis von achtzehn zu zwei kein ganz unwahrscheinliches Ergebnis. Und dann? Zwei tote Dämonen in einem Lagerhaus am Hafen! Das hätte mit Sicherheit die Runde gemacht, und im Zweifelsfall bis nach Gantuigh. Was wiederum zur Folge gehabt hätte, dass man den Kontinent nach weiteren von uns durchkämmt hätte. Nicht gut. Gar nicht gut! Zweitens: Ich hätte mir zugetraut, genug Männer niederzuschlagen, um fliehen zu können, jedoch mit der Sicherheit, danach entdeckt zu sein und verfolgt zu werden. Und ich denke, eine Horde gieriger Straßenräuber auf den Fersen zu haben, ist auch nicht unbedingt das, was Ihr Euch erträumt. Davon abgesehen, dass das ebenso eine Suche nach weiteren Dämonen ausgelöst hätte.«

Er leerte seinen Becher in einem einzigen Zug.

»Drittens: Jeden töten, der uns gesehen hat oder der uns zur Gefahr werden könnte.«

Mert hob eine Braue. Er war etwas ruhiger geworden, und seine nächsten Worte klangen beinahe zynisch. »Ihr habt Euch eindeutig für die dritte Möglichkeit entschieden.«

Cridan lachte leise. »Unübersehbar, ja. Hättet Ihr eine andere Möglichkeit vorgezogen?«

Mert starrte auf den Becher in seinen Fingern und leerte ihn mit schnellen Schlucken. Ungefragt schenkte Cridan ihm nach, und Mert stürzte auch den zweiten Becher in sich hinein, ohne abzusetzen.

»Hattet Ihr keine vierte Möglichkeit?« Die Worte kamen hastig, abgehackt.

Cridan dachte einen Moment lang nach.

»Keine, die ich auf die Schnelle gesehen hätte«, gab er dann zu. »Fällt Euch eine ein?«

»Nein«, gestand Mert. Er griff nach dem Krug, füllte seinen Becher und hob ihn an die Lippen. Doch er trank nicht, sondern setzte ihn unvermittelt wieder ab, und die Worte brachen nur so aus ihm heraus:

»Aber das macht es nicht besser, verdammt noch mal! Erst entgehe ich dieser Gruppe Halsabschneider nur um Haaresbreite, und dann das! Anstatt Euch in einem verlassenen Lagerhaus abzuholen, stehe ich plötzlich inmitten von lauter Leichen! Und Ihr mittendrin, zwei Schwerter in der Hand und… so!« Er machte eine Geste auf Cridan, setzte den Becher an und trank ihn in einem einzigen Zug aus.

»Ein Dämon seid Ihr, ein verfluchter Dämon! Jetzt weiß ich, warum sie Euch so nennen!«

Cridan neigte zustimmend den Kopf, schenkte sich selbst nach und machte eine fragende Geste auf Merts Trinkgefäß. Mert schob ihm wortlos seinen Becher zu, und Cridan füllte ihn ein weiteres Mal.

Dann lehnte er sich zurück, setzte den Becher auf dem Knie ab und sah Mert aufmerksam an.

»Ja, ich bin das, was man einen Dämon nennt. Aber wer seid Ihr, Mert?«

Mert runzelte die Stirn. »Wie meint Ihr das?«

Cridan lächelte erneut. »Wie ich es gesagt habe. Wer seid Ihr? Welche Rolle spielt Ihr wirklich in dieser ganzen Geschichte? Für einen Handlanger seid Ihr viel zu klug. Ihr habt Angst vor mir, aber Ihr wusstet es bisher zu verstecken. Ihr habt Eure eigene Meinung zu den T'han T'hau und dem Plan, uns nach Gantuigh zurückzuholen, doch Ihr verbergt sie gut.«

Er beugte sich leicht vor. »Ihr wart erschrocken, heute Nacht im Lagerhaus, ja, aber Ihr habt Euch sehr schnell wieder zusammengerissen. Ihr wusstet, was von Euch erwartet wurde, und Ihr wart in der Lage, Euer Entsetzen zumindest für eine Weile zu ignorieren. Ihr wisst es zu kontrollieren. Wenn ich Euch nicht so provoziert hätte, hätte Eure Fassade vermutlich gehalten.«

Langsam lehnte er sich wieder zurück.

»Ich sage es noch einmal: Ihr seid viel zu klug, viel zu gerissen und viel zu beherrscht für einen Handlanger und Laufburschen. Also, Mert, wer seid Ihr wirklich?«

Mert drehte nachdenklich den Becher in seinen Händen. Dann sah er Cridan an. In seiner Stimme schwang Unsicherheit, aber auch ein klein wenig Trotz.

»Was werdet Ihr mit mir tun, wenn ich Euch nicht antworte?«

Cridan schwieg einen Moment.

»Nun«, er zuckte belustigt die Achseln, »ich kann Euch schlecht kielholen lassen. Auch sehe ich keinen Sinn darin, Euch zu foltern oder zwei Tage lang an den Mast zu binden. Das wäre unüberlegt und dumm. Insofern… Ich werde nichts mit Euch tun, wenn Ihr mir nicht antwortet. Außer Euch jeden Tag aufs Neue zu fragen. Einmal, zweimal, dreimal… So oft, wie es nötig ist, bis Ihr mir antwortet.«

»Und wenn ich Euch anlüge?«

Jetzt lachte Cridan.

»Ich sagte Euch schon: Ihr könnt mich nicht anlügen. Ich spüre es, wenn Eure Worte nicht wahr sind. Aber Ihr könnt es natürlich versuchen.«

Er stand auf.

»Ich mache Euch einen Vorschlag zur Güte. Ich werde Euch eine Weile allein lassen und dafür sorgen, dass ich etwas… tauglicher für Eure Gesellschaft bin, und Ihr bleibt so lange hier sitzen und denkt darüber nach, wie viel besser es wäre, mir ehrlich zu antworten.«

Über Merts Gesicht flog ein gezwungenes Lächeln.

»Ich werde Euer Angebot überdenken. Nun gut, angenommen, wir lassen das mit dem Lügen sein. Erlaubt mir eine Gegenfrage: Warum wollt Ihr das überhaupt wissen?«

Cridan hob die Schultern.

»Ich bin neugierig«, entgegnete er fast beiläufig. »Und ich habe noch eine Menge Fragen mehr. Was immer Ihr mir sagen könnt über Gantuigh, es ist möglicherweise wertvoll für mich. Vergesst nicht: Ich weiß noch immer nicht, ob wir vielleicht nur in eine geschickt gestellte Falle laufen.«

Mert schüttelte den Kopf. »Das tut Ihr nicht. Und wenn doch, dann ist es eine, von der ich nichts weiß.«

Cridan lächelte.

»Das klingt nach einem guten Anfang. Hier«, er schob Mert den Krug zu. »Aber lasst mir etwas übrig.«

Ohne ein weiteres Wort stellte er seinen Becher ab, drehte sich um und ging zurück an Deck.

Tiko sah ihm stirnrunzelnd dabei zu, wie er den Waffengurt löste und ihn gemeinsam mit den Stiefeln sorgfältig in einer Ecke verstaute, so dass er nicht von Bord rutschen konnte.

»Was hast du vor?«

Cridan wies mit einer Geste auf sich selbst: »Mert hat Recht – ich sehe fürchterlich aus. Und vermutlich rieche ich auch nicht besonders angenehm. Also werde ich mir ein Bad gönnen und meine Kleider waschen, zumindest so gut es geht. Hast du irgendwo ein Netz gesehen?«

»Unter dir«, nickte Tiko und wies auf die Klappe zu Cridans Füßen. »Da liegen ein paar davon.«

Cridan zog sich aus, holte ein Netz heraus und legte seine Kleidung hinein, bevor er es an ein Seil band und hinter dem Schiff ins Wasser warf. Das Seil machte er an der Reling fest und prüfte den Knoten zweimal. Danach bückte er sich wieder in die Abseite und holte einen der Eimer heraus, die ebenfalls dort verstaut waren. Mit Hilfe eines weiteren Seils ließ er den Eimer vom Vorschiff aus an der Backbordseite des Schiffes ins Meer gleiten und zog ihn, sowie er sich gefüllt hatte, wieder nach oben.

Breitbeinig stellte er sich in den Bug, packte den Eimer mit beiden Händen und leerte ihn über seinem Kopf aus.

Der dicke Schwall Meerwasser lief über seine Schuppen, brannte in dem Schnitt auf seinem Oberarm und weichte alles Blut, die Krusten und anderen Reste des Kampfes auf, die auf seinem Panzer klebten. Unwillkürlich entrang sich Cridan ein halblautes, erleichtertes Grunzen.

»Kalt?« rief Tiko mit gutmütigem Spott zu ihm hinüber.

Cridan schüttelte sich, dass die Tropfen nur so flogen.

»Nein«, gab er zurück. »Salzig!«

Tiko lachte, während Cridan den Eimer zum zweiten Mal ins Wasser hinabließ.

Es brauchte eine Weile und fast ein Dutzend Eimer voll Meerwasser, bis auch der letzte Rest Blut von Cridans Panzer verschwunden war und die Schuppen wieder in ihrem alten Glanz schimmerten.

Einen Moment lang blieb er reglos stehen, schloss die Augen und genoss das Gefühl des Sonnenlichts und des Winds auf seiner Haut, dann bückte er sich, hob Seil und Eimer auf und packte beides wieder in die Abseite.

»Willst du so hinuntergehen?« fragte Tiko. Über seinem Nasenrücken stand eine steile Falte.

»Eigentlich schon«, erwiderte Cridan. »Bis meine Kleider wieder sauber sind, wird es noch eine Weile dauern. Darauf will ich nicht warten. Man soll das Eisen schmieden, so lange es heiß ist.«

»Meinetwegen«, entgegnete Tiko. »Aber zieh dir etwas an. Mert hat schon genug Angst vor dir.«

»Und du meinst, nackt bin ich noch furchteinflößender?«

Tiko schenkte ihm einen kurzen Blick.

»Ja«, antwortete er knapp. »Also zieh dir was an.«

»Und was, wenn ich fragen darf?« gab Cridan süffisant zurück. »Ich fürchte, meine Garderobe habe ich im Moor vergessen.«

»Dann guck in der Kajüte, was du findest«, schnappte Tiko. »Und spare dir deinen Spott, ficha'thar!«

Cridan sah ihn an und spürte, wie ernst Tiko es meinte. Er schluckte die Entgegnung, die ihm schon auf der Zunge lag, hinunter und senkte gehorsam den Kopf.

»Natürlich«, sagte er. »Verzeih mir, mein König.«

Tiko erwiderte seinen Blick.

»Es ist verziehen«, brummte er, noch leicht verärgert. »Und nun geh. Du hast zu tun.«

Cridan griff nach Waffengurt und Stiefel, nahm die Treppe nach unten mit zwei großen Sprüngen und war mit wenigen Schritten an Mert vorbei. Das Geräusch, mit dem der Mann scharf den Atem einsog, hörte er trotzdem, und es ließ ihn grinsen, während er sich in die Kajüte im Vorschiff duckte und in den Schränken nach etwas suchte, das ihm als Kleidung dienen konnte.

Er fand schließlich eine weite Hose, die zwar reichlich kurz war, aber ansonsten recht gut passte, und ein Hemd, dessen ursprünglicher Schnitt darauf schließen ließ, dass es eigentlich ein luftiges Bekleidungsstück sein sollte – bei Cridan saß es hauteng.

Zuletzt schloss er den Waffengürtel um seine Hüften, ließ jedoch die Stiefel in der Kajüte stehen. Dann setzte er sich wieder gegenüber von Mert auf die Bank, griff nach seinem Becher und dem Krug und stellte fest, dass Mert nahezu den gesamten Inhalt des Kruges geleert hatte.

Er hob anerkennend die Brauen, goss den Rest in seinen Becher und hob ihn an.

»Wie sieht es aus?« fragte er. »Habt Ihr einen Entschluss gefasst?«

Mert antwortete nicht gleich. Cridan nahm einen Schluck von dem Schnaps und wartete geduldig.

Nach einer Weile seufzte Mert.

»Ihr seid ein guter Beobachter, Cridan. Und Ihr habt Recht. Ich bin kein Handlanger, und ich bin auch kein Laufbursche. Ich arbeite in Sureths Namen und in seinem Auftrag, aber zugleich auch auf eigene Rechnung.«

Cridan runzelte lediglich die Stirn, sagte jedoch nichts, so dass Mert nach einer Weile weitersprach:

»In den letzten fünfzehn Jahren war ich Berater an Gantuighs Hof. Zunächst unter Gulbran, dann Esracan, Mar'Tian und schließlich unter Enod. Eine gute Arbeit mit einem sicheren und festen Einkommen. Vor dem Krieg sogar noch besser. Die Beutezüge der Dämonen bildeten einen festen Bestandteil in der Wirtschaft von Gantuigh und waren ein nicht unwesentlicher Grund für Gantuighs Reichtum. Und für meinen.« Er grinste schief.

»Ah«, machte Cridan verstehend. »Ihr habt in Eure eigene Tasche gewirtschaftet, richtig?«

»Richtig«, bestätigte Mert. »Nichts Großes, nichts Auffälliges, nur ein wenig bevorzugter Handel, wie ich es nennen würde. Ich habe die Waren der T'han T'hau angekauft und dafür gesorgt, dass auf der Liste der zu besteuernden Dinge schließlich weniger auftauchte als eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Den Dämonen blieb dabei mehr als sie sonst gehabt hätten, ich hatte meinen Anteil, und für Gantuighs Schatzkiste war immer noch genug über. So waren alle Seiten zufrieden, und ich muss sagen, dass ich mit einigen Eurer Leute ein ausgesprochen gutes Handels­verhältnis hatte.«

Cridan legte den Kopf schief. »Das erklärt, warum Ihr Alt-Gantuigh sprecht«, bemerkte er. »Ihr habt es Euch vermutlich selbst beigebracht.«

»Es ist gar nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint«, stimmte Mert zu. »Und es macht die Verhandlungen mit einem Dämon deutlich einfacher, wenn man sie in seiner eigenen Sprache führt.«

Cridan nickte. »Und es erklärt auch, weshalb Ihr im Umgang mit T'han T'hau unbefangener seid als es Menschen normalerweise sind.«

Mert zuckte die Achseln. »Ich habe jahrelang Geschäfte mit Euch gemacht. Das Ende der Dämonen beendete dieses Geschäft leider – und auch die Spannung, die es immer begleitet hatte. Was soll ich sagen: Mir wurde langweilig! Die Beratertätigkeit war nichts, was mich ausgefüllt hätte. Also fing ich an, mich mit der Geschichte der T'han T'hau zu beschäftigen. Aus eigenem Interesse begann ich, Nachforschungen anzustellen. Und je mehr ich über Euer Volk lernte, um so mehr wollte ich wissen. Ich fing an, uralte Dokumente aus den Archiven auszugraben und schließlich selbst nachzufragen, wo sich die Gelegenheit ergab. Je länger ich suchte, um so geschickter wurde ich im Auffinden der Spuren und desto mehr begriff ich die Zusammenhänge, bis mir eines Tages klar wurde, was wirklich geschehen ist. Es war so ungeheuerlich, dass ich mehrere Anläufe brauchte. Gut, ich wusste, dass die T'han T'hau nicht durch Zufall entstanden sind. Das weiß vermutlich jeder. Die Geschichte, wie das Volk Gantuighs sich gegen die Unterdrücker von außerhalb zur Wehr setzen musste, ist jedem geläufig. Aber die T'han T'hau waren schon lange nicht mehr nur zu Gantuighs Schutz da. Die Herrscher Gantuighs haben die Dämonen über Jahrhunderte für ihre Zwecke missbraucht und zugleich dafür gesorgt, dass sie niemals zu viel Macht erlangen würden. Ich stieß bei meinen Nachforschungen auf schreckliche Dinge.«

Er starrte in seinen Becher. Die Anspannung aus seiner Stimme war verschwunden und hatte einer betroffenen Traurigkeit Platz gemacht.

»Einmal fand ich ein Pergament, auf dem vermerkt worden war, wie viele Kinder der T'han T'hau man töten müsste, so dass die Gesamtanzahl nicht zu hoch werden würde. Und wie vielen Frauen man erlauben dürfte, sich fortzupflanzen. Wie vielen und welchen Männern, und was der Verfasser der Schriften empfahl, um dies zu gewährleisten.«

Er hob den Kopf wieder und sah Cridan an. In seinen Augen stand ein Schatten des Entsetzens, das er damals empfunden haben mochte.

»Sie haben Euch regelrecht gezüchtet. Sie haben die besten Erbanlagen gefördert und schlechte ausgemerzt. Ohne Gnade, ohne Rücksicht – ohne… ohne Menschlich­keit. Sie haben Euer Volk kontrolliert und ausgenutzt. Bis Skatarhak dem ein Ende setzte und sich der Kontrolle nicht nur entzog, sondern mit aller Gewalt versuchte, das Schicksal der Völker auf Gantuigh umzudrehen. Es hat etwas Faszinierendes und zugleich Abstoßendes, auf beiden Seiten. Und es hat mich nicht mehr überrascht, dass es in einer solchen Katastrophe endete. Konflikte dieser Größenordnung lassen sich nicht friedlich beilegen. Es musste ein dramatisches Ende geben. Dabei war Esracan ein guter Herrscher gewesen, ein weiser Mann, der versucht hatte, die Untaten seiner Vorgänger nicht länger zu wiederholen. Er wollte die T'han T'hau in die Gesellschaft von Gantuigh zurückholen, aber es war zu spät. Die Kluft zwischen den Völkern war längst viel zu tief. Hätte einer der Herrscher vor ihm die Zeichen früher erkannt, hätte Skatarhak oder sein Vater es früher gesehen… Hätte auch nur einer von uns die Zeichen erkannt, hätte man es vielleicht verhindern können… aber so?«

Er schüttelte den Kopf.

»Die Geschichte der Dämonen – der T'han T'hau – ist eine furchtbare Geschichte, und dennoch oder vielleicht gerade deswegen erwuchs aus ihr ein Volk, das so unbeugsam war, dass es eher den eigenen Untergang wählte als sich weiter als Sklaven halten zu lassen. Nennt Ihr das keine Tragik?«

Cridan zögerte einen Augenblick mit der Antwort.

»Nein«, sagte er und lächelte. »Das nenne ich Stolz.«

Mert stutzte, doch dann schnitt er eine belustigte Grimasse.

»Von Euch hätte ich diese Antwort erwarten sollen.«

Eine Weile lag Schweigen zwischen ihnen – ein Schweigen, in dem jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.

»Ich fange langsam an, Euch zu verstehen«, sagte Cridan dann. »Ich verstehe vor allem, weshalb Ihr uns T'han T'hau gegenüber immer noch verhältnismäßig unvorein­genommen seid.«

Mert lachte trocken auf.

»Das nun nicht unbedingt«, widersprach er. »Aber ich trete auch den Menschen nicht mehr unvoreingenommen gegenüber. Ich habe gelernt, zu welchen Grausam­keiten Menschen fähig sind. Insofern wiegt das eine vielleicht das andere auf.«

Cridan lächelte wieder. »Wie dem auch sei. Es erklärt, warum Ihr Euch von Sureth habt anheuern lassen, nach T'han T'hau zu suchen. Es war nicht nur Eure Wissbegierde und Eure Neugier, die Euch danach trieb, die Spuren der T'han T'hau zu verfolgen, sondern auch Euer schlechtes Gewissen. Ihr fühlt Euch schuldig für das, was Eure Vorfahren meinem Volk angetan haben, und uns dabei zu helfen, vielleicht wieder auf Gantuigh leben zu können, trägt ein wenig von dieser Schuld ab, nicht wahr?«

Mert antwortete nicht, und nach einer Weile sprach Cridan weiter:

»Daher rührt Euer Entsetzen im Lagerhaus – davon abgesehen, dass Ihr vermutlich noch nie leibhaftig gesehen habt, was ein T'han T'hau wirklich anrichten kann. Das hat Euch verständlicherweise erschreckt, aber Euer Entsetzen hat einen anderen Ursprung: Ihr habt Euch gefragt, ob Ihr die richtige Entscheidung getroffen habt. Ob nicht vielleicht der Schlächter der Dämonen doch Recht hatte, als er versuchte, die T'han T'hau zu vernichten. Für einen Moment tauchte die Vorstellung in Euch auf, dass wir ganz Gantuigh in ein solches Blutbad stürzen könnten – und dass es Eure Schuld wäre, wenn es so käme.«

Er beugte sich vor, legte beide Hände flach auf den Tisch und sah Mert an. Der Mann wich seinem Blick nicht aus, obwohl Cridan spürte, wie viel Mühe es ihn kostete.

Ein, zwei Herzschläge lang starrten sie sich an. Dann lehnte Cridan sich wieder zurück.

»Es liegt nicht in meiner Absicht, in Gantuigh ein Blutbad anzurichten«, sagte er ruhig. »Oder irgendwo anders, so lange es sich vermeiden lässt. Und in Tikos Absicht noch viel weniger. Er ist vermutlich der friedliebendste T'han T'hau, den ich jemals kennengelernt habe. Oh, versteht mich nicht falsch«, er hob eine Hand. »Das macht ihn nicht ungefährlicher. Er denkt nur länger und gründlicher darüber nach, ob und wie er jemandem den Kopf abreißt. Er hätte vielleicht die vierte Möglichkeit gefunden, die Ihr und ich nicht sehen können. Und genau das ist der Grund, weshalb er alles ist, was wir haben. Nur ein König wie Ratiko'khar kann die T'han T'hau noch retten. Denn ein König wie Skatarhak hat uns ins Verderben gestürzt.«

Er seufzte tief.

»Wie gesagt, ich beginne zu verstehen. Ich verstehe, weshalb Ihr für Sureth sucht – und auch für Euch selbst. Aber wie seid Ihr an Sureth geraten?«

Mert trank den Rest aus seinem Becher, rieb sich mit der Hand über die Augen und schüttelte leicht den Kopf.

»Das ist schnell erzählt. Ich lernte ihn auf meiner Suche nach der Geschichte der Dämonen kennen. Ich erwischte einen der Angestellten aus den Archiven dabei, wie er Dokumente entwendete – für Sureth. Ich drohte ihm damit, ihn bei Enod zu verraten, wenn er mir nicht sagte, für wen er die Dinge sammelte, und er knickte sofort ein. Ich beschloss, mit Sureth zusammenzuarbeiten. Damals war ich begeistert, jemanden gefunden zu haben, der meine Sicht der Dinge teilte und der mit der gleichen Beharrlichkeit die Spuren der Dämonen verfolgte. Und Sureths fragwürdige Art, an Informationen zu kommen, störte mich nicht sonderlich. Ich habe selbst auch nicht die höchsten Ansprüche an Moral.«

Er verzog den Mund. »Sagt, ist noch etwas von dem Schnaps da? Es… sind keine einfachen Dinge, über die wir sprechen.«

Cridan nickte, stand auf und nahm einen zweiten Krug aus dem Schrank. Mert hielt ihm seinen Becher hin, und Cridan schenkte ihm nach.

Mert nahm einen bedächtigen Schluck, dann redete er weiter.

»Wir tauschten unser Wissen aus, Sureth und ich. Ich verschaffte ihm Zugang zu den Archiven in L‘hunival, und er zeigte mir, was er noch gefunden hatte. Er hatte eine Menge gesammelt, aber da er selbst kein Alt-Gantuigh beherrscht, hat er sich auf Übersetzungen verlassen müssen, und die waren oft fehlerhaft.«

Er machte eine kleine Pause.

»Eines Tages kam Sureth mit dem Gedanken, dass es noch Dämonen geben müsse. Skatarhak müsse zu schlau gewesen sein, sich keine Hintertür offen gehalten zu haben. Und er sagte, er habe Hinweise gefunden. Ob ich nicht Lust hätte, meine Arbeit am Hof aufzugeben und für ihn auf die Suche zu gehen.«

Er nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher, setzte ihn ab und sah Cridan an.

»Ich hatte Lust. Natürlich! Das Leben und die Arbeit am Hof waren entsetzlich eintönig und langweilig geworden, und die Frage, ob Sureth Recht haben könnte, brannte mir unter den Nägeln. So packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg, den Hinweisen, die wir hatten, nachzugehen. Mehr als drei Jahre war ich für Sureth unterwegs, bis ich Euch gefunden habe.«

»Mehr als ein Jahrzehnt auf den Spuren der letzten T'han T'hau«, dachte Cridan laut nach. »Davon drei Jahre auf Reisen außerhalb Gantuighs. Ihr habt Unmengen an Zeit und Geld in diese Sache gesteckt! Dennoch glaubt Ihr nicht daran, dass eine Rückkehr gelingen kann. Weshalb nicht?«

Mert antwortete nicht gleich, und als er es schließlich tat, war seine Stimme leise.

»Weil ich nicht glaube, dass man diese Kluft überwinden kann. Die Menschen und die T'han T'hau haben einander so viel angetan, dass es mir schwer vorstellbar erscheint, diese Dinge vergessen zu können.«

»Niemand muss vergessen«, entgegnete Cridan langsam. »Im Gegenteil. Niemand sollte vergessen, was die Menschen den T'han T'hau angetan haben, und was daraus wurde. Wie es die Völker von Gantuigh zerriss. Das darf man nicht vergessen! Aber man muss es vergeben.«

»Vergeben?« Mert lachte. Es klang bitter. »Sagt mir, Cridan, seid Ihr gut im Vergeben?«

Cridan schwieg eine lange Zeit.

»Nein«, sagte er dann ehrlich. »Das bin ich nicht. Aber das heißt nicht, dass ich es nicht versuchen würde.«

Mert stürzte seinen Becher hinunter, knallte das leere Trinkgefäß auf die Holzplatte, stand auf und beugte sich über den Tisch. Sein Blick bohrte sich in den von Cridan, und in seinem Atem lag der deutliche Geruch des Alkohols.

»Ihr versucht es? Verdammt noch mal, haltet den Mund! Ihr wisst doch gar nicht, wovon Ihr da redet! Ihr seid der unheimlichste T'han T'hau, dem ich je begegnet bin! In meinem ganzen Leben hat mir nichts auch nur annähernd solche Angst eingejagt wie Ihr! Und wisst Ihr auch, warum? Weil Ihr unberechenbar seid! Ich habe eine Menge von Euch Dämonen kennengelernt, und keiner war wie Ihr. In einem Moment sitzt Ihr ruhig lächelnd da, voll kluger Wortgewandtheit und wohl überlegten Gedanken, und im nächsten seid Ihr ein todbringender Dämon, der zerfetzt und niedermetzelt, was immer ihm im Wege steht. Ich will gar nicht wissen, wie viele Ihr getötet haben mögt. Ich will nicht einmal daran denken! Und doch muss ich jedes Mal, wenn ich Euch ansehe, innerlich zittern. T'han T'hau sind nie leicht zu durchschauen, ihre Miene verrät nie besonders viel, aber Euer Gesicht, Cridan, Euer Gesicht ist gruselig! Man weiß nie, woran man bei Euch ist! Ihr… Ihr schlachtet Menschen ab, ohne eine Miene zu verziehen, und gleich darauf lächelt Ihr, als sei nie etwas gewesen! Die ganze Zeit frage ich mich, ob Ihr ein so verdammt guter Schauspieler seid – was erschreckend genug wäre – oder noch viel schlimmer! Ich wünschte, das alles sei nur aufgesetzt, gespielt, berechnet und kalt, aber was mir wirklich Angst macht, ist die Vorstellung, dass es nicht so ist! Die Vorstellung, dass es Euch tatsächlich nichts ausmacht, einen Menschen in einem Wimpernzucken zu töten! Dass es für Euch normal ist, so zu denken und zu handeln! Die Selbst­verständlichkeit, mit der Ihr Eurem Handwerk«, er spuckte das Wort geradezu aus, »nachgeht, ist abgrundtief Grauen erregend! Ihr seid so verflucht unheimlich, dass ich wünschte, wir wären uns niemals begegnet!«

Er ließ sich zurückfallen. Sein Atem ging schwer, und auf seiner Stirn glänzte Schweiß.

»Und jetzt tut mir den Gefallen und lasst mich endlich allein! Ich muss schlafen.«

Wortlos stand Cridan auf, stieg die Treppe hinauf, trat an Tiko vorbei und sprang über die Reling des Achterdecks ins Wasser.

Tiko fuhr herum, den Mund schon geöffnet, doch als er sah, dass Cridan das Seil, mit dem er das Netz an der Araora befestigt hatte, mit der Rechten gepackt hatte und sich hinter dem Schiff herziehen ließ, schloss er den Mund und wandte sich wieder nach vorn.

Cridan hatte sich auf den Rücken gedreht, spürte, wie das kalte Wasser seinen Körper umspülte, wie das Gewicht des Waffengürtels ihn nach unten zog, und starrte in den blauen Himmel hinauf.

Merts Worte hatten ein seltsames Gefühl in ihm hinterlassen.

Dämonentreue

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