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5. Kapitel – Eine stürmische Wendung
ОглавлениеCridan stand am Steuerrad der Araora. Der Wind hatte in der Nacht aufgefrischt und die Richtung geändert, und so war er gezwungen gewesen, den Kurs anzupassen. Nun zog die Araora wieder ruhig und unbeirrt ihre Bahn durch die Wellen. Das Segel stand gut im Wind, und das feine Summen der Takelage fügte sich in die restliche Geräuschkulisse aus dem Rauschen des Wassers und dem leisen Schlagen, wenn der Bug der Araora eine Welle traf.
Tiko, der die letzte Nachtwache gehalten hatte, war unter Deck und schlief, und Mert saß mit angezogenen Beinen auf der Bank neben Cridan und starrte wortlos über das Meer. Er hatte in den letzten Tagen versucht, Cridan aus dem Weg zu gehen, doch in der Enge des kleinen Schiffes war es nicht möglich. Cridan hatte seinerseits immer wieder probiert, mehr aus Mert herauszubekommen, doch der Mann war distanziert und zurückgezogen geblieben und hatte sich nur zu wenigen Äußerungen drängen lassen.
Nach einer Weile räusperte Cridan sich.
»Ihr wart Berater am Hof, sagtet Ihr«, begann er das Gespräch.
Mert nickte knapp. »Ja. War ich. Weshalb fragt Ihr?«
»Dann kennt Ihr die Herrscher Gantuighs«, fuhr Cridan fort. »Erzählt mir über Mar'Tian.«
»Was wollt Ihr denn hören?«
»Alles«, antwortete Cridan spontan. »Was immer Euch einfällt.«
Mert furchte die Stirn. Er sah Cridan nicht an, als er sprach.
»Mar'Tian ist ein T'han T'hau. Er war Soldat in Gantuighs Heer, schon lange Zeit, bevor er Herrscher wurde. Doch bis zu dem Zeitpunkt, an dem Skatarhak sich von Esracan lossagte, war er ein Mann unter tausend anderen. Niemand besonderes. Erst in der Schlacht um L‘hunival stand er heraus. Er führte das Heer an, gemeinsam mit Syrian. Wieder und wieder ritt er hinaus, um die Männer in die Schlacht zu leiten, und ohne ihn wären die Menschen verloren gewesen. Niemand kämpft so gut wie er, sagt man. Nach dem Krieg wurde er zum Nachfolger Esracans gewählt, und er herrschte gut. Sechs Jahre, in denen Gantuigh sich erfolgreich um Handelsbeziehungen zum Kontinent bemüht hat. Dass es uns heute so gut geht, ist zum Großteil Mar'Tian zu verdanken. Er ist ein umsichtiger, kluger Mann, sorgfältig und ruhig. Er weiß, wem er Dinge überlassen kann, und wem nicht. Er wählte seine persönlichen Berater mit Bedacht und Überlegung, und er wusste stets, wem er trauen konnte.«
Cridan musterte den Mann, der starr auf die Planken unter ihm sah.
»Ihr wart keiner seiner Berater, nicht wahr?«
Mert hob den Kopf und blickte ihn an. »Woher wollt Ihr das wissen?«
Cridan hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Es ist ein Gefühl.«
Mert wandte den Blick ab.
»Nein, ich war keiner seiner persönlichen Berater«, gab er schließlich zu. »Ich gehörte zum Stab des Schatzmeisters, aber ich hatte keinen Platz an Mar'Tians Tisch. Und bevor Ihr mich weiter mit Euren Fragen löchert: Nein, ich kenne Mar'Tian nicht besonders gut. Niemand kennt Mar'Tian gut, abgesehen vielleicht von seiner Frau. Er ist kein besonders offener Mensch. Ich kann Euch nicht mehr über ihn sagen, als jeder auf Gantuigh über ihn weiß, und das ist nicht viel. Ich weiß, woher er kommt, wer er war und was er getan hat, aber wenn Ihr mich fragt, was für ein Mensch er ist, kann ich Euch nicht weiterhelfen.«
Cridan nickte gedankenverloren. »Was wiederum dazu passt, dass er ein T'han T'hau ist. Kein T'han T'hau ist sonderlich freizügig mit seinen Gefühlen.«
Merts Blick streifte ihn. »Habt Ihr überhaupt welche?«
Cridan schwieg eine Weile. Die Worte hatten verletzend sein sollen, und obwohl sie ihn nicht wirklich trafen, machten sie ihn nachdenklich.
»Ja, Mert, wir haben Gefühle«, sagte er dann. »Wir behalten sie nur meist für uns.«
Mert schnaubte abfällig, erhob sich und ging unter Deck. Cridan sah ihm nach.
In diesem Augenblick kletterte Tiko die Treppe hinauf zu ihm. Er kaute auf einem Apfel, trat neben Cridan und sah über das Wasser.
»Du hast den Kurs geändert«, stellte er dann fest.
Cridan nickte. »Notgedrungen«, antwortete er. »Der Wind hat gedreht. Und wenn ich die Wolken dort vorne richtig deute, werden wir auch noch einmal den Kurs ändern müssen. Falls es damit getan ist.«
Tiko spähte nach vorn auf die Wolkenfront, auf die Cridan deutete.
»Sieht ungemütlich aus«, murmelte er. »Und sie ist sehr breit. Sieht nicht so aus, als könnten wir sie umgehen, oder?«
Cridan schüttelte den Kopf. »Nein. Ich werde versuchen, die Randgebiete anzusteuern, aber wenn wir Pech haben, gelingt uns auch das nicht.«
»Nun ja«, Tiko zuckte die Achseln. »Ich habe nicht umsonst einen ficha'thar, von dem man sich erzählt, dass er es mit jedem Sturm aufnimmt.«
Cridan lachte. »Ja, mit der Falkenflug oder der Wellenstolz! Aber gegen unsere damaligen Schiffe ist die Araora verdammt klein!«
Tiko drehte sich zu ihm um, hob die Brauen und grinste ihn an. »Und das soll dich beeindrucken?«
Cridan grinste zurück. »Nein. Trotzdem würde ich die Araora gern unbeschadet nach Gantuigh bringen.«
Tiko neigte zustimmend den Kopf. »Ich kann dir nur beipflichten. Doch wie ich dich kenne, wirst du das schon machen. Ich weiß, wie gut du segeln kannst. Mein Vertrauen hast du.«
Er machte eine kurze Pause.
»Bist du mit Mert weitergekommen?«
Cridan schüttelte den Kopf. »Bisher nicht. Er will nicht mit mir reden. Und wenn er es tut, sind es nur allgemeine Dinge, nichts, mit dem ich wirklich etwas anfangen könnte.«
Tiko schwieg einen Moment.
»Er hat Angst vor dir. Gar nicht so sehr davor, dass du ihm etwas tun könntest, sondern vielmehr vor dem, was du bist.«
Cridan schnaufte. »Glaubst du, das weiß ich nicht? Ich kenne den Blick zur Genüge, mit dem er mich ansieht!«
Er sah Tiko an. »Du weißt, wer ich bin. Und du weißt, warum ich die Dinge tue, wie ich sie tue.«
Tiko erwiderte seinen Blick.
»Ich weiß es«, nickte er ruhig. »Doch selbst wenn Mert das wüsste oder auch nur ansatzweise verstehen könnte, weshalb es so ist, sieht er in dir doch immer noch den Dämon.«
Er seufzte. » Segle du uns durch diesen Sturm. Ich werde versuchen, mit Mert zu reden. Vielleicht habe ich mehr Glück als du.«
Cridan zuckte die Achseln, und während Tiko wieder im Schiff verschwand, schätzte er Größe und Lage der Wolkenfront erneut ein und überlegte, auf welchem Kurs er die Araora am günstigsten daran vorbei brachte.
Eine halbe Stunde später war er sich sicher, dass es einen Kurs daran vorbei nicht geben würde: Die schwarzen Wolken hatten sich weiter verdichtet und in einem Band auseinandergezogen, das den Horizont verdunkelte.
»Tja, meine Liebe«, brummte er und legte eine Hand auf die hölzerne Reling. »Wie es aussieht, müssen wir da durch. Wird ein wilder Ritt werden, fürchte ich.«
Der Wind briste mehr und mehr auf, die Wellen wurden höher, und Sturmböen drückten die Araora immer wieder auf die Seite. Tiko und Mert hatten unter Deck alles sicher verstaut, den Treppenabgang verschlossen und standen nun auf der höher gelegenen Seite des Schiffes an der Reling, um ein Gegengewicht zum Winddruck zu bilden.
Cridan stand am Steuer, hatte einen Fuß auf die Bank neben ihm gestellt und ließ das kleine Schiff in voller Schräglage hart am Wind laufen. Er hatte das Segel bereits gerefft, um den Windstößen nicht zu viel Angriffsfläche zu bieten.
Die Araora schnitt durch die höher und höher werdende See, flog über Wellenkämme und schoss in Täler hinab, dass ihr Bug immer wieder tief in die Wogen eintauchte und Wassermassen über das Deck fluteten. Gischt spritzte über die Planken und durchnässte die drei Männer an Bord.
Wenn Cridan ehrlich war, machte es ihm Spaß, das Schiff in diesen Bedingungen zu segeln, doch er wusste, dass er sich am Rande des nutzbaren Wetters bewegte. Falls der Wind noch weiter zunahm, würde es zu gefährlich sein, das Segel gesetzt zu lassen.
Als wären seine Gedanken das Zeichen gewesen, wurde der Wind innerhalb kürzester Zeit zum Sturm. Die immer stärker werdenden Böen warfen die Araora so heftig zur Seite, dass Cridan sich schon anschickte, sie aus dem Wind zu drehen, um der Gewalt des Sturms zu entgehen. Doch dann ließ der Winddruck nach, und das Schiff rauschte zurück in die alte Lage.
Dennoch – jetzt war die Zeit gekommen, das Segel einzuholen, auch wenn das bedeutete, dass sie nicht mehr manövrieren konnten.
»Tiko, übernimm das Steuer!« schrie Cridan, um den heulenden Wind zu übertönen.
Er wartete, bis Tiko sich zu ihm herangearbeitet hatte und die Hände fest um das Steuerrad geschlossen hatte, bevor er an der Reling entlang nach vorne kletterte.
Er hatte das Seil schon in der Hand und wollte eben den Schlag lösen, als Tikos Warnruf ertönte: »Halt dich fest!«
Eine mächtige Welle traf die Araora seitlich und riss ihren Bug herum, ließ sie unkontrolliert in das nächste Wellental taumeln und überschüttete das Deck mit Unmengen von Wasser.
Cridan hatte gerade noch rechtzeitig mit der anderen Hand eins der Taue zu packen bekommen und ließ die Woge über sich hinweg rollen, als er plötzlich einen dunklen Schatten an sich vorbei fliegen sah: Mert hatte das Gleichgewicht verloren und rutschte haltlos über das Deck.
Cridan dachte nicht mehr nach. Er ließ los und hechtete hinter dem Mann her.
Mert traf eine Stütze der Reling, drehte sich um seine eigene Achse und verschwand in den tosenden Wellen. Im selben Moment prallte Cridan gegen die Reling. Er hatte sich so breit gemacht wie möglich, um nicht unter dem Holz hindurch zu rutschen, tauchte mit dem halben Oberkörper und dem Kopf in die sturmgepeitschten Wellen, hielt sich mit der Linken an der Reling fest und griff mit rechts blindlings zu. Irgendwie bekam er Merts Oberarm zu packen und zerrte ihn mit sich nach oben.
Die nächste Welle spülte über sie hinweg, nahm ihm für einen Moment Sehen, Hören und Atem, doch er hielt Merts Arm eisern fest, bis das Wasser sie wieder freigab.
Er nutzte den Augenblick, in dem sich die Araora zwischen zwei Böen aufrichtete, spannte alle Muskeln an und schob Mert aufs Deck hinauf, bevor die nächste Woge ihn wieder ins Wasser tauchen ließ. Geistesgegenwärtig klammerte Mert sich an der Verankerung des Steuerrads fest.
Cridan stemmte sich in die Höhe, griff nach einem Tau und zog sich hinauf. Mit fliegenden Fingern löste er das Seil, mit dem das Segel festgemacht war, und wollte es eben freigeben, da traf die nächste Welle das Schiff und riss ihn von den Füßen.
Er schlitterte über das nasse Deck auf die Reling und das dahinter liegende, vom Sturm aufgewühlte Meer zu – und dann spannte sich das Seil, das er noch immer in den Händen hielt, ruckartig. Im gleichen Augenblick kippte die Araora aus ihrer Schräglage zurück.
Er prallte schmerzhaft mit beiden Knien auf das Deck. Fluchend ließ er das Seil los, um dem Segel Luft zu geben, kam wieder auf die Füße – und vergaß seine Schmerzen: Seine Blicke hingen am Hauptsegel, das längst hätte in sich zusammenfallen müssen, doch es stand weiterhin straff gespannt am Mast!
Und dann sah er den Grund: Eine Schlinge hatte sich im Seil gebildet, verhinderte das Durchrutschen auf der Rolle und barg damit die Gefahr, dass ein weiterer Windstoß ins Segel sie kentern lassen würde, wenn die Araora dem Druck nicht mehr ausweichen konnte.
»Tiko«, brüllte er, während er mit aller Kraft versuchte, den Knoten aus der Rolle zu ziehen, »dreh sie in den Wind!«
»Was glaubst du, was ich versuche?« schrie Tiko zurück. »Bei der Schräglage hat das Steuer keinen…«
Seine nächsten Worte gingen im Tosen des Sturms unter, doch Cridan wusste auch so, was er sagen wollte: Das Ruder hatte keinen Wasserdruck, und damit waren sie manövrierunfähig.
Die nächste Welle ließ ihn erneut das schräge Deck hinunter rutschen bis an die Reling. Entschlossen kämpfte er sich, das Seil um den Unterarm geschlungen, die steile Wand des Decks wieder hinauf. Er musste das Segel losmachen, koste es, was es wolle!
Sein Blick ging über die hohen Wogen, suchte nach Zeichen für einen vielleicht etwas ruhigeren Moment, der ihm erlauben würde, das hoffnungslos verklemmte Seil aus der Rolle zu lösen.
Er sah die Sturmböe auf sie zukommen. Sie peitschte die Schaumkronen vor sich her, ließ die Wasseroberfläche matt und grau werden und näherte sich ihnen pfeilschnell.
»Festhalten!« brüllte Cridan, warf sich nach vorne und griff mit der zweiten Hand nach der Reling, verfehlte sie jedoch.
Im nächsten Augenblick traf eine gigantische, unsichtbare Hand die Araora mit aller Gewalt und schmetterte sie auf die Seite. Ihr Deck machte geradezu einen Satz in die Senkrechte, als der Sturm ins Segel fiel, es bis zum Zerreißen spannte und den Mast unter der enormen Belastung ächzen ließ.
Für Cridan schien die Zeit stehenzubleiben. Er hing mit einer Hand am Seil, das sich schmerzhaft um seinen Arm spannte, und baumelte frei schwebend über den tobenden Wellen. Er sah Tiko, der immer noch am Steuerrad stand, beide Füße gegen die Bank gestemmt, und er sah auch Mert, der sich verzweifelt am Fuß des Steuerrads festklammerte, um auf dem nahezu senkrecht gen Himmel ragenden Deck nicht den Halt zu verlieren.
Cridan war lange genug zur See gefahren, um zu wissen, in welcher Gefahr sie sich befanden: Jetzt zählte jeder Augenblick.
Mit der freien Hand packte er das Seil über sich und zog sich, so schnell er konnte, eine Hand über die andere setzend, nach oben, bis er die Rolle, in der sich der Knoten fest verklemmt hatte, mit ausgestrecktem Arm erreichen konnte. Dann löste er die rechte Hand vom Seil und tastete nach dem gebogenen Messer in seinem Gürtel. Es würde scharf genug sein, um das straff gespannte Seil zu durchtrennen.
Er fand den Griff der schmalen Waffe, zog sie aus dem Gürtel und wappnete sich innerlich gegen den Sturz. Dann stieß seine Hand mit dem Messer vor und kappte das Seil direkt hinter der Rolle.
Mit einem peitschenden Geräusch schnellte das Tau davon. Schlagartig gab das Großsegel dem Winddruck nach und fiel klatschend und knallend in sich zusammen – und der Knoten, nun nicht mehr durch den Halt von der anderen Seite in die Rolle eingekeilt, rutschte unter Cridans Gewicht heraus und gab ihn dem freien Fall preis.
Cridan war darauf gefasst gewesen, und so überraschte es ihn nicht, als er dem aufgewühlten Meer entgegen stürzte.
Doch die Araora rettete ihn: In dem Moment, in dem das Segel freikam und sie nicht mehr auf die Wasseroberfläche gedrückt wurden, tat das hervorragende Schiff genau das, was sein Erbauer beabsichtigt hatte: Es schnellte zurück und brachte Cridan so wieder Boden unter die Füße – allerdings in der Geschwindigkeit eines durchgehenden Pferdes.
Die Planken trafen ihn mit der Wucht eines Hammerschlages, schleuderten ihn quer übers Deck und warfen ihn auf der anderen Seite gegen die Reling. Der Aufprall schien ihm schier alle Knochen im Leib brechen zu wollen, trieb ihm die Luft aus den Lungen und ließ ihn aufstöhnen. Das Messer war ihm aus der Hand geschlagen worden, Cridan merkte es jedoch kaum: Sterne tanzten vor seinen Augen, in seinen Ohren rauschte es, und eine Ohnmacht drohte ihn zu überwältigen.
Mit letzter Kraft drängte er die Schwärze zurück, umklammerte das Holz der Reling und presste sich dagegen.
Doch der Schlag, den er erwartet hatte, blieb aus. Ohne den sie prügelnden Wind rollte und stampfte die Araora zwar im hohen Wellengang von einer auf die andere Seite, aber sie hatte sich deutlich beruhigt.
Cridan blieb keuchend auf dem Rücken liegen, sah in den grauen, sturmbewölkten Himmel, in dem das lose Segel über ihren Köpfen knatterte und knallte, und war für ein paar Herzschläge trotz der Schmerzen, die ihn mühsam nach Luft schnappen ließen, einfach nur dankbar.
Dann kam er auf die Füße und wartete einen Moment, bis der Schmerz in seinen Rippen verebbte und er sich an das neue Rollen des Schiffes gewöhnt hatte.
Vorsichtig kletterte er aufs Vorschiff hinauf – sehr genau darauf achtend, mit mindestens einer Hand Halt am Schiff zu finden. Er knotete sich eins der nun frei gewordenen Seile um die Hüfte, suchte breitbeinig festeren Stand und machte sich an die anstrengende Arbeit, das durchnässte Segel einzuholen.
Es war eine schwere und schweißtreibende Aufgabe, die im hohen Seegang auch nicht ungefährlich war, zumal er den linken Arm nur unter heftigen Schmerzen seiner Rippen bewegen konnte – um so überraschter war Cridan, als Mert plötzlich auf der anderen Seite auftauchte. Auch er hatte sich mit einem Seil am Schiff festgebunden.
Er tauschte einen Blick mit Cridan, dann griff er wortlos nach dem flatternden Tuch. Zu zweit gelang es ihnen deutlich rascher, das Segel zu verstauen. Es war zwar mehr notdürftig als sorgfältig, aber darauf kam es jetzt nicht an.
Danach kletterten sie zurück. Mert setzte sich stumm auf die Bank, während Cridan neben Tiko trat und auf sein Zeichen das Steuer übernahm.
Tiko wandte den Kopf und blickte Cridan an.
»Bist du verletzt?«
»Nur blaue Flecken, hoffe ich. Vielleicht haben die Rippen etwas abbekommen. Nichts wirklich Ernsthaftes. Aber mein Messer ist weg.«
Tiko schnitt eine Grimasse. »Das tut mir Leid. Welches?«
Cridan schnaubte.
»Welches wohl?« gab er ungehalten zurück. »Das mit der gebogenen Klinge natürlich! Das andere ist viel zu kurz und mit dem Dolch hätte ich das Seil niemals schnell genug durchgeschnitten bekommen! Es ist mir aus der Hand geflogen, als ich auf dem Deck aufgeprallt bin.«
»Das wundert mich nicht«, bemerkte Tiko. »Sah heftig aus.«
Cridan musste gegen seinen Willen grinsen. »Fühlte sich auch so an«, gab er zurück.
Obwohl die Araora ohne Segel nun vom Wind nicht mehr so gebeutelt wurde, war es weiterhin eine ungemütliche und turbulente Fahrt durch die stürmische See, und Cridan war froh, als endlich der Himmel aufriss, der Wind nachließ und die Wogen sich beruhigten, so dass sie das zerschnittene Seil ersetzen und das Segel wieder hissen konnten.
Ihm schmerzten die Schultern und Oberarme vom Festhalten des Steuerrads, und seine ganze linke Seite tat weh, wo er unsanfte Bekanntschaft mit dem Deck der Araora gemacht hatte. Außerdem ärgerte er sich noch immer darüber, dass er das Messer verloren hatte. Zwar war es weder von besonderem Wert noch unersetzlich, doch es war ein Teil seines Selbst als ficha'thar. Die beiden Messer – das kurze, gerade und das längere, gebogene – gehörten zu ihm wie sein Schwert, und er besaß sie, seit er seinen Platz als ficha'thar an Skatarhaks Seite angetreten hatte. Er hatte diese Messer tausend Mal und mehr in der Hand gehabt, kannte jede Unebenheit, jede Wölbung und jeden kleinsten Kratzer darin, hatte ihre Schärfe täglich geprüft und sie, wenn nötig, eigenhändig nachgeschliffen. Nur dieser Sorgfalt war es zu verdanken, dass die kleine Klinge das Seil so rasch hatte kappen können, das wusste er, und es machte den Verlust doppelt ärgerlich.
Schließlich überließ er Tiko seinen Platz und reckte sich. Ein scharfer Schmerz schoss dabei durch seinen Brustkorb und ließ ihn zusammenzucken.
»Rippen?« fragte Tiko.
Cridan nickte, rieb über die schmerzende Seite und ließ sich auf die Bank fallen.
»Bei den Göttern«, murmelte Tiko und legte den Kopf in den Nacken, »was gäbe ich jetzt für ein Bier!«
»Bier kann ich dir nicht anbieten«, entgegnete Cridan. »Aber im Schiff gibt es ein paar Krüge mit Schnaps. Ehrlich gesagt könnte ich das jetzt auch gut vertragen!«
Er stand auf und stieg die Treppe hinunter, um den Schnaps zu holen. Dabei nutzte er die Gelegenheit, auch gleich den Inhalt der Schränke zu überprüfen. Zu seiner Erleichterung hatten Tiko und Mert alles so sorgfältig verstaut, dass trotz des heftigen Seegangs nichts zu Bruch gegangen war, und sich alles auch noch am richtigen Platz zu befinden schien.
Er nahm den angebrochenen Krug und drei Becher wieder mit nach oben. An Deck füllte er die Becher, drückte jedem einen in die Hand und goss dann schwungvoll einen guten Schuss ins Wasser.
Mert starrte ihn an. »Wofür war das denn?« fragte er verblüfft.
Cridan zuckte die Achseln.
»Kann nicht schaden, den Göttern einen Schluck zu überlassen«, sagte er. »Immerhin haben sie es recht gut mit uns gemeint.«
»Nachdem sie uns erst einen fürchterlichen Schrecken eingejagt haben«, bemerkte Tiko. »Ich dachte ernsthaft, jetzt ist es vorbei. Ich meine, das Deck stand senkrecht! Senkrecht!«
Er prostete Cridan zu und trank einen langen Schluck.
»Und dann klettert dieser verrückte ficha'thar am Tau nach oben und kappt das verdammte Seil«, fuhr er kopfschüttelnd fort. »War dir eigentlich klar, dass du dich damit hättest umbringen können?«
»Das war eine Möglichkeit, die ich in Betracht gezogen habe, ja«, nickte Cridan und grinste. Allmählich verflog seine schlechte Laune. Seit er das Steuerrad nicht mehr gegen den Wasserdruck halten musste, wurden die Schmerzen besser, und das Wissen, die Araora mitsamt ihrer kleinen Mannschaft aus einer äußerst heiklen Situation gerettet zu haben, erfüllte ihn mit wohltuender Befriedigung.
»Aber ich hatte keine besonders große Auswahl. Wenn ich es nicht getan hätte, wären wir früher oder später mit Sicherheit gekentert und alle ertrunken. Da dachte ich, es sei vorzuziehen, wenn nur einer von uns dran glauben muss.«
Sein Grinsen wurde breiter, als er hinzufügte: »Glücklicherweise hat es keinen von uns erwischt – wenn man von meinen Rippen absieht. Na ja, und von meinem Messer.«
»Ich schenke dir ein neues«, versprach Tiko. »Und auch wenn ich weiß, dass du an deinen Waffen hängst: Um ehrlich zu sein – wenn ich daran denke, was du mit dem Messer schon alles getan hast, ist es auf dem Grunde des Meeres vielleicht ganz gut aufgehoben!«
Sie lachten alle drei und stießen mit den schnapsgefüllten Bechern an.
Es war eine gelöste, beinahe ausgelassene Stimmung, stellte Cridan fest. Die Erleichterung, eine so gefährliche Situation unbeschadet überstanden zu haben, ließ alle für einen Augenblick zu einer Mannschaft zusammenwachsen.
»Sagt mal, Cridan«, begann Mert plötzlich, »könnt Ihr mir eigentlich beibringen, wie man segelt? Ich meine, ich kann nicht viel mehr als dieses Steuerrad da festhalten – und ich habe es ganz schön fest gehalten«, setzte er hinzu und musste über seine eigenen Worte lachen.
Cridan zuckte die Achseln. »Natürlich. Segeln ist einfach.«
»Einfach?« Mert grinste breit. »Was Ihr in den letzten Stunden gemacht habt, sah alles andere als einfach aus!«
»Ist es aber, wenn man nicht gerade durch einen Orkan segeln muss«, gab Cridan gutgelaunt zurück. »Kommt, stellt Euch hierher, zu mir!«
Mert gehorchte, und Cridan begann, ihm nicht nur alles über das Schiff zu erklären, was er wissen musste, sondern auch, ihm die Grundlagen der Navigation und des Segelns zu erläutern. Selbst als es dunkel wurde, setzte er den Unterricht fort und zeigte Mert, anhand welcher Sternbilder er sich orientieren konnte.
Tiko unterbrach schließlich ihr Gespräch: »Genug gelernt für heute. Wie wäre es, wenn wir den Rest geräucherten Fisch aufschneiden? Ich habe Hunger!«
Während sie aßen, versuchte Mert, sich an alles zu erinnern, was Cridan ihm beigebracht hatte, und Cridan war überrascht, wie viel er behalten hatte.
»Ihr seid gut«, stellte er nach einer Weile fest. »Ihr werdet sehr schnell lernen, die Araora zu segeln!«
»Nein«, widersprach Mert. »Ihr seid gut. Ohne Euch wäre ich heute mindestens zweimal ertrunken.«
Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht, als er den Kopf hob und Cridan ansah.
»Ich habe mich noch gar nicht bedankt. Dafür, dass Ihr mir das Leben gerettet habt.«
Cridan erwiderte den Blick. Er spürte die Ehrlichkeit in den Worten des anderen.
»Dann sind wir quitt«, entgegnete er ruhig. »Denn Ihr habt mir das Leben gerettet, als Ihr uns aus diesem Sumpf herausholtet. Die Frage ist, ob es auch weiterhin in Eurer Absicht liegt, uns am Leben zu lassen. Oder ob Ihr uns an Mar'Tian verratet, wenn wir auf Gantuigh sind.«
Eine Weile sahen sie sich schweigend an, dann fragte Mert:
»Beantwortet mir eine Frage, ficha'thar. Warum habt Ihr mich gerettet? War es, damit ich Euch weiterhin nach Gantuigh führe? Weil Ihr mich braucht?«
Cridan schüttelte den Kopf.
»Nein«, antwortete er freimütig. »Davon abgesehen, dass ich keine Zeit gehabt hätte, mir über solche Dinge Gedanken zu machen… Nein. Ich wollte einfach nicht, dass Ihr ertrinkt.«
Mert erwiderte seinen Blick für eine Weile. Dann lehnte er sich zurück, kratzte sich am Kopf und sagte:
»Vielleicht werde ich eines Tages bereuen, was ich jetzt tue. Versprecht mir auf Eure Ehre, dass es die Wahrheit war, was Ihr sagtet. Dass Ihr Gantuigh nicht in ein Blutbad stürzen werdet.«
Bevor Cridan etwas entgegnen konnte, mischte Tiko sich stirnrunzelnd ein:
»Niemand hat vor, ein Blutbad in Gantuigh anzurichten. Ganz im Gegenteil. Wie kommt Ihr auf einen solchen Gedanken? Wir sind nur noch eine Handvoll T'han T'hau. Wir können uns glücklich schätzen, wenn Gantuighs Herrscher uns nicht umbringt! In unsere Heimat können wir nur zurückkehren, wenn wir diesen sinnlosen Krieg ein für alle Mal beenden.«
Mert sah Cridan an, und Cridan nickte.
»Er hat Recht, Mert. Auch wenn mir der Gedanke nicht gefällt, dass von unserem Volk nur noch ein paar Hundert T'han T'hau übrig sind.«
Er machte eine Pause.
»Es war noch nie meine Absicht, irgendwo ein Blutbad anzurichten, und das wird es auch niemals sein. In meinem ganzen Leben nicht. Das verspreche ich Euch auf meine Ehre. Ihr mögt mit manchen Dingen Recht haben, die Ihr über mich denkt, aber damit nicht.«
Mert musterte ihn noch eine Weile schweigend, dann senkte er den Blick, verschränkte die Finger ineinander und sagte leise:
»Ihr werdet Verbündete brauchen auf Gantuigh. Sureth wird sich Euch anbieten als ein solcher Verbündeter.«
Cridan horchte auf. Merts Worte klangen, als ob er noch mehr sagen wollte, doch er blieb still und sprach erst nach einer langen Pause weiter:
»Und Ihr müsst Mar'Tian überzeugen. Enod ist ein Herrscher wie Esracan einer war. Bei ihm sehe ich tatsächlich die Möglichkeit, dass er sich überreden lassen würde. Aber nicht Mar'Tian. Man nennt ihn nicht umsonst den Schlächter der Dämonen. Er ist ein T'han T'hau. Sein Wille ist so unbeugsam wie der Eure«, er nickte Cridan zu. »Und er hasst die Dämonen.«
Er atmete hörbar ein.
»Wenn Ihr es schlau anfangt, dann geht Ihr einen Umweg. Mar'Tian würde Euch kaum zuhören, er wäre zu beschäftigt damit, Euch den Kopf abzuschlagen. Aber es gibt eine Person, der er zuhören würde, und die ihrerseits möglicherweise geneigt wäre, wiederum Euch anzuhören.«
»Mar‘Tians Frau«, folgerte Cridan.
Mert hob anerkennend die Brauen. »Ihr seid schlau. Ja, richtig. Ibéowe. Wenn man es genau nimmt, ist sie nicht seine Frau – sie sind nicht verheiratet, aber sie steht ihm sehr nahe, und er liebt sie. Er schätzt ihre Meinung. Ihr würde er zuhören.«
»Und was lässt Euch annehmen, dass Ibéowe uns zuhört?« fragte Cridan nach.
Mert lächelte. »Weil ich Ibéowe kenne. Sie ist ganz anders als Mar'Tian. Sie ist freundlich und offen, jedem zugetan. Sie unterrichtet die Kinder der Stadt, deren Eltern sich keine Schule leisten können. Sie hat für jeden ein gutes Wort übrig, und alle in der Burg lieben sie, vom geringsten Diener bis hin zu Gantuighs jetzigem Herrscher. Sie ist ein Mensch, der in allen das Beste sieht. Vielleicht – nein, ganz sicher würdet Ihr sie erschrecken, aber sie würde Euch wenigstens zuhören. Und sie würde versuchen, Euch zu verstehen.«
Cridan musterte ihn eindringlich. Dann schob er sich einen Bissen Fisch in den Mund und kaute nachdenklich.
»Warum sagt Ihr mir das?« fragte er dann. »Vor ein paar Stunden noch hätte es Euch nicht Leid getan, wenn ich über Bord gegangen wäre – und jetzt erzählt Ihr mir so etwas. Wie passt das zusammen?«
Aus dem Augenwinkel sah er Tikos nur halb unterdrücktes Lächeln und bekam eine Ahnung, wie die Antwort auf seine Frage lauten würde.
Mert sah auf seinen Teller hinab. »Da hattet Ihr mir auch noch nicht das Leben gerettet«, wich er aus.
»Ah, ja, ich vergaß«, bemerkte Cridan höhnisch. »Natürlich, das hat Eure Meinung von mir komplett geändert. Wie konnte ich nur daran zweifeln!«
Tiko lachte leise. »Mach dich nicht über ihn lustig, Cridan. Ich bin Schuld daran. Ich habe ihm von dir erzählt.«
Cridan drehte den Kopf und sah Tiko an. Es kostete ihn Mühe, seine Gesichtszüge unbewegt zu halten. Durch zusammengebissene Zähne sagte er: »Hast du nicht!«
Tiko verschränkte die Arme vor der Brust und grinste ihn an. »Doch, habe ich. Nach dem, was du mir über Mert gesagt hast, war mir klar, dass ihn deine Geschichte interessieren würde.«
Cridan schluckte die ätzende Entgegnung, die ihm schon auf der Zunge lag, gerade noch rechtzeitig hinunter, stand wortlos auf und stieg die Treppe nach oben auf das Deck, überquerte mit raschen Schritten das Vorschiff bis in den Bug und umklammerte mit beiden Händen die Reling.
Er war zum ersten Mal wütend auf Tiko – richtig wütend. Was fiel ihm eigentlich ein? Es ging Mert einen Dreck an, wer er, Cridan, war!
Er ließ die Reling los und ballte die Fäuste. Ihm war danach, etwas zu zerschlagen, und nur mühsam beherrschte er sich.
Die Schritte, die sich ihm von hinten näherten, hörte er, drehte sich aber nicht um. Es war nicht Tiko, der da über das Deck auf ihn zu kam.
Mert blieb in zwei Schritten Entfernung von ihm stehen.
»Ihr müsst zornig sein«, sagte er. »Ihr habt das Gefühl, dass Ratiko'khar nicht das Recht hat, über Euch zu sprechen.«
Cridan biss sich so fest auf die Unterlippe, dass es schmerzte.
»Er ist mein König«, gab er zurück. »Sein Wort ist das meine, und ich folge ihm, wohin er auch gehen mag.«
Mert trat einen halben Schritt näher und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Reling.
»Das mag alles sein und ist sicherlich auch so, doch das hindert Euch nicht daran, zornig auf ihn zu sein. Ratiko'khar hätte Euch fragen müssen, ob es Euch Recht ist, wenn er mit mir über Euch spricht.«
»Wie ich schon sagte«, entgegnete Cridan finster und starrte unverwandt aufs Wasser, in dem sich die Sterne spiegelten, »sein Wort ist das meine. Er entscheidet, worüber und mit wem er spricht. Es ist nicht meine Sache, das zu tun.«
»Und doch seid Ihr wütend«, beharrte Mert. »Was ich gut verstehen kann. Wie ich Euch auch insgesamt besser verstehe.«
Jetzt drehte Cridan sich doch zu ihm um.
»Ach ja?« schnappte er bissig.
Mert lächelte schief. Cridan spürte, dass die Selbstsicherheit, die er zu Tage trug, nur aufgesetzt war und dass er darunter mit seiner Nervosität kämpfte.
»Wisst Ihr eigentlich, dass Ihr mir eine Scheißangst macht, wenn Ihr so die Zähne bleckt?« fragte Mert. »Ich weiß nie, was Ihr dann als nächstes tut. Wie Ratiko'khar so treffend über Euch bemerkte: Solange man Euch nicht reizt, seid Ihr ausgesprochen umgänglich. Das Problem ist nur, dass ich nicht weiß, wann und womit man Euch reizt.«
Er hob beide Hände. »Also bitte, seht mich nicht so an.«
Cridan zögerte einen Moment, doch dann entspannte er sich. »Meinetwegen. Es wäre auch nicht Recht, Euch dafür verantwortlich zu machen.«
Er schwieg eine Weile.
»Was hat Ratiko'khar Euch erzählt? Über mich?«
Mert stieß scharf die Luft aus.
»Er hat gar nicht so viel erzählt, wie Ihr vielleicht denkt. Aber was er gesagt hat… war wichtig. Weil es mich, auch wenn Ihr das nicht glaubt, verstehen lässt.«
»Und was war das?«
Mert sah ihn an.
»Wenn ich kurz zusammenfasse, was ich aus Ratiko'khars Worten begriffen habe, dann seid Ihr die Geschichte der T'han T'hau in einer Person.« Er rieb sich verlegen das Kinn. »Der Mann, dem Ihr vertrautet, hat Euch benutzt und hintergangen und Euch, der Ihr als sein ficha'thar an seiner Seite standet und ihn nur retten wolltet, verstoßen. Ihr wart bereit, Euer Leben zu geben für jemanden, der Euch belogen und ausgenutzt hat. Wie es die T'han T'hau einst für die Menschen von Gantuigh bereit waren. Und jetzt steht Ihr da und kämpft damit, dass das, was man aus Euch machte, Euch nun den Weg zurück verwehrt. Eure größte Stärke ist jetzt Euer größtes Hindernis. Skatarhak hat Euch gleich doppelt verraten. Wer Ihr seid, ist der, der Ihr nicht sein dürft, wenn Ihr die Begegnung mit Mar'Tian überleben wollt. Das ist ebenso tragisch wie die gesamte Geschichte Eures Volkes. Mir graut es, wenn ich wirklich und ernsthaft darüber nachdenke, wen ich mir mit Euch eingehandelt habe – und ob Ihr Euch noch einmal ändern könnt. Und doch tut Ihr mir Leid. Es ist…«
»Oh, bitte, kein Mitleid«, unterbrach Cridan ihn spöttisch. »Was Ihr vergesst, ist, dass es immer meine eigene Entscheidung war.«
»Ach ja?« Jetzt war es Mert, dessen Stimme sarkastisch klang. »Es war Eure eigene Entscheidung, dass Euer König Euch hinterging? Dass er aus Euch einen Mann machte, dem das Töten so sehr in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass er kaum einen Gedanken daran verschwendet? Dass Ihr nicht wisst, wie man Anerkennung erlangen kann, außer darüber, stärker, gefährlicher und tödlicher als jeder andere zu sein?«
Bevor Cridan dazu kam, etwas zu antworten, sprach er schon in geändertem Tonfall weiter:
»Es ändert nichts daran, dass mir weiterhin das Herz in die Hose rutscht, wenn Ihr mich auch nur scharf anseht«, er lachte angespannt, »aber immerhin begreife ich ein wenig, warum Ihr so seid.«
Cridan verschränkte die Arme vor der Brust und sah Mert an.
Der Mann erwiderte seinen Blick und hob dann beide Hände offen auf Schulterhöhe.
»Oh, und Ihr könnt Euch die Worte sparen.«
Cridan hob verwundert eine Braue. »Welche Worte?«
Mert lächelte, halb ehrlich belustigt, halb nervös. »Dass Ihr mich in Stücke reißen werdet, wenn ich jemals auch nur ein Sterbenswort davon jemand anderem verrate.«
Cridan konnte nicht anders, er musste lachen. Kopfschüttelnd öffnete er seine verschränkten Arme und ließ die Hände sinken.
»Schon gut, Mert«, sagte er und grinste, »ich werde Euch nicht in Stücke reißen. Würde ich ohnehin nicht tun. Jemanden in Stücke zu schneiden geht wesentlich schneller und ist nicht halb so anstrengend.«
Merts Gesichtszüge entgleisten für einen Herzschlag, doch dann fing er sich wieder.
»Das war ein Witz«, stellte er fest.
»Ja«, nickte Cridan. »War es.«
Mert seufzte und lachte dann doch. »Ihr seid unglaublich schlecht im Witze machen. Wirklich. Lasst es lieber sein und bringt mir mehr übers Segeln bei. Davon haben wir beide etwas.«
Cridan grinste. »Von mir aus gerne – wenn Ihr mir dafür mehr über Gantuigh erzählt. Wie Ihr so treffend festgestellt habt, ist für einen ficha'thar, wie ich einer bin, wohl kaum Platz auf Gantuigh. Lasst mich also herausfinden, welchen Platz es für mich geben kann.«
Mert lächelte. »Klingt nach einem gerechten Handel. Und einem guten Geschäft war ich noch nie abgeneigt!«